-3- Millie
Mark Aurel hat mal gesagt: Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird zu leben.
Er hatte recht. Wer auch immer dieser Mark Aurel war. Niemand würde das eigene Leben für einen ändern. Man musste es selbst in die Hand nehmen. Natürlich gehörte etwas Glück dazu. Ich hatte eine riesen Portion bekommen, würde ich mal sagen. Im XXL Format und on top gab es noch einen Klecks Lebensfreude dazu.
Ich war wieder gesund. Halbwegs, denn ich musste vorsichtig sein. Aber immerhin durfte ich leben.
Diesen besonderen Tag feierte ich gerade im Haus meiner Eltern mit meiner Familie. Meine Mutter hatte natürlich übertrieben und mir eine wahnsinnig große Torte gebacken. Von innen war sie in den buntesten Regenbogenfarben und sollte genau diese Lebensfreude wiedergeben. Bedeckt war sie mit einer eklig süßen Fondant-Schicht in rosa, von der einem schlecht wurde, wenn man nur einen Bissen davon aß. Oben drauf war eine grüne eins, denn so alt war ich heute geworden. Mein erster Geburtstag nach der Operation und mir ging es gut.
Ich wusste mein Leben zu schätzen und sah plötzlich alles mit anderen Augen. Warum machten sich Leute selbst ihr Leben kaputt? Manche waren dabei zu kämpfen, während manche sich einen Dreck um ihre Gesundheit scherten. Ich war nie jemand, der viel getrunken hatte und geraucht hatte ich auch nie. Was die Transplantation um einiges erleichterte.
Mein Vater war gerade dabei Wunderkerzen in die Torte zu stecken und zündete sie daraufhin alle an. Ein kleines Feuerwerk, welches nur für mich entfacht wurde. Als meine Eltern dann auch noch Happy Birthday sangen, war die Spitze der Peinlichkeit erreicht. Jetzt übertrieben sie maßlos, aber ich ließ sie machen. Meine Schwester Hazel und ich kicherten und nahmen ihren Gesang mit Humor. Hazel sang irgendwann volles Rohr mit und schwang ihre Hände hin und her. Definitiv hatte sie sich den meisten Spaß daraus gemacht.
Als das kleine Ständchen zu Ende war, wurde die Torte angeschnitten.
„Mum, wer soll das denn alles essen?", fragte ich mit einem skeptischen Blick.
„Ist doch egal. Ich bin froh, dass wir feiern können, also esst."
Mit diesen Worten stellte sie jedem von uns einen Teller vor die Nase und deutete an, dass wir reinhauen sollten.
Ich war ihr so dankbar, dass sie das heute für mich organisiert hatte, auch wenn es ein wenig zu viel war. Aber ich wusste es zu schätzen.
Nicht nur die Torte und die Freude am heutigen Tag meiner Familie. Sondern auch das Leben. Es war einmalig und wenn es erst einmal zu spät war ... Dann war es zu spät!
„Wie sind eure Pläne für heute?", sprach meine Mutter mit vollem Mund und hielt sich dabei grinsend die Hand davor.
„Wir wollten in einen Club gehen. Ein bisschen tanzen, ihr wisst schon...", erwiderte Hazel.
„Schön, macht das", mischte sich mein Vater ein. „Aber denk dran, Millie. Weniger ist mehr. Und in deinem Fall ist kein Alkohol das Beste."
Ich wusste, dass Alkohol mit einer relativ frischen Nierentransplantation keine gute Idee war. Es war süß, dass er sich Sorgen machte und mir wie bei einem Kleinkind Moralpredigten hielt, doch ich kannte meinen Körper am besten.
Nachdem ich später am Abend einen schwarzen Minirock und ein pinkes Top mit Spitze im Dekolleté angezogen hatte, frisierte ich mir noch meine Haare zu leichten Wellen und frischte mein Make Up auf, bevor wir mit einem Taxi in den Club fuhren. Zum Glück kannte Hazel den Türsteher, sodass wir nicht wie alle anderen in der Kälte stehen und warten mussten.
Die Musik dröhnte, der Bass ließ meinen Körper vibrieren und mittendrin auf der Tanzfläche tanzten bereits viele Frauen zu den Hits der 90er Jahre. Natürlich zog es uns direkt zu ihnen. Es war toll. Sich einfach unbeschwert und leicht fühlen, einfach das Hier und Jetzt genießen - lange Zeit hatte ich mir gewünscht, all diese Dinge wieder tun zu können. Ich strotzte vor Energie und vor purer Lebenslust. Ich ließ meine Hüften schwingen und tanzte im Takt des Beats.
Da Hazel in einer anderen Stadt, einige Stunden von unserer Heimat entfernt, studierte, sahen wir uns nicht so oft. Natürlich war sie während meines Krankenhausaufenthalts oft hier gewesen und hatte dadurch leider ihr Studium schleifen lassen. Doch umso mehr freuten wir uns jetzt, dass wir beide hier waren und zusammen feiern gehen konnten. Wir waren eben nicht nur Geschwister, sondern die besten Freundinnen.
Als wir durstig waren, holte sich Hazel einen Mojito und ich einen alkolfreien Pina Colada, mit dem wir anstießen und die Lage checkten. Einige Typen waren wirklich süß. Einige weniger. Sie waren diese typischen Machos, die man meilenweit im Voraus erkennen konnte. Einige wurden mitgeschliffen und durften die Handtasche der Freundin halten und sich immer in unmittelbarer Nähe der Freundin aufhalten.
„Ich gehe nochmal tanzen. Kommst du mit?", fragte Hazel mich und stieß währenddessen ihre Hüfte gegen meine.
„Nein, ich brauche eine kleine Pause."
Mit wackelnden Hüften stürmte sie die Tanzfläche, während mein Blick umher schweifte.
Ich nippte verträumt an meinem Getränk und sang in meinem Kopf das Lied zu den Backstreet Boys "I want it that way" mit, bis ich die Frau aus dem Park wieder erkannte. Sie stand am Rande der Tanzfläche und ließ ihre Hüften nur minimal kreisen. Doch genau in dem Moment, als ich sie sah, bemerkte sie mich ebenfalls und winkte mir, als wären wir langjährige und enge Freunde.
Schritt für Schritt kam sie näher und ließ ihr Glas gegen meins klingen, als sie mir gegenüber stand.
„So trifft man sich wieder. Schön, dass du auch da bist."
Etwas unbeholfen grinste ich sie an, denn ich wusste nicht, warum sie so tat, als würden wir uns eine Ewigkeit kennen. Wir waren uns doch bloß einmal auf einer Parkbank begegnet.
Aber sie schien ganz alleine hier zu sein, was mir fast ein bisschen leid tat.
„Ich bin Millie."
„Cathy."
Sie sah zu Hazel und lachte über ihre Spezial-Tanz-Moves, die sie schon als Kind gut beherrschte.
„Bist du alleine hier?", platzte es neugierig aus mir heraus und Cathy nickte sofort. „Ich... bin versetzt worden. Also ja."
Oh Mist! Jetzt tat sie mir noch mehr leid.
„Jetzt nicht mehr. Meine Schwester und ich haben noch Platz in unserer Runde frei und wir würden uns freuen, wenn du mit uns die Tanzfläche unsicher machen würdest."
Sie trank grinsend einen Schluck und ließ ihren Blick durch den Club schweifen. Doch plötzlich verschluckte sie sich und stieß mir in die Seite.
„Schau mal! Ist das nicht der Typ aus dem Park? Der, den du so heiß fandest?"
Moment mal - welcher Typ aus dem Park? Und welchen fand ich so heiß? Auch ich schaute mich um und erkannte den hübschen Jogger. Das Model mit den Augenringen. Die Augenringe waren noch da, seine Schönheit ebenfalls. Und genau diese Schönheit war der Grund dafür, dass ich ihn niemals ansprechen würde. So etwas traute ich mich nicht.
Viel zu groß war die Angst, die Peinlichkeit, die Befürchtung, dass er mich abblitzen ließ. Solche Typen hatten andere Frauen an ihrer Seite. Nicht jemanden wie mich.
Ich war sicherlich nicht hässlich und ich hatte eine tolle Figur, für die ich nicht mal viel Sport betreiben musste. Doch ich war kein Püppchen, was sich aufbrezelte und auf jedem Bild einfach perfekt aussah. Es gab Fotos von mir, wie ich gierig und hungrig, wie ein wildes Tier, in einen Sloppy Joe biss und mir die in Soße getränkte Hackfleischmasse am Kinn herunter lief. Ich war die Fraktion, die einen Döner oder Burger bevorzugte, anstatt einen Salat zu essen.
Und er? Er sah tatsächlich aus wie ein Model. Erwachsen, reif, markante Gesichtszüge, die ihn so unglaublich sexy wirken ließen. Nein, ich war sicherlich nicht sein Typ. Den Korb, den er mir verpassen würde, würde ich sicherlich lange Zeit nicht mehr vergessen, also schüttelte ich schnell den Kopf.
„Nee, lass mal."
Doch sie gab einfach nicht kleinbei.
„Ach komm schon. Er steht alleine da."
„Dann geh du doch."
Durch die laute Musik drang ihr Lachen in mein Ohr, doch sie ging überhaupt nicht auf meine Bemerkung ein.
„Hast du Lust auf ein Bier?"
„Kein Bier, aber ich nehme eine Cola."
Gerade als wir die paar Meter zur Bar gingen, spürte ich zwei Hände an meinem Rücken. Im gleichen Moment verlor ich mein Gleichgewicht und stolperte unweigerlich gegen das Model aus dem Park.
Er reagierte sofort. Seine starken Hände hielten mich fest und verhinderten, dass ich in die Bar fiel.
„Hoppla. Vorsichtig!"
Seine tiefe und überaus männliche Stimme, ging mir schlagartig unter die Haut, sodass ich ordentlich nach Luft schnappen musste. Erst als ich mich wieder gefangen und festen Boden unter meinen Füßen hatte, sah ich mich irritiert nach Cathy um. Doch sie schien sich ziemlich geschickt aus dem Staub gemacht zu haben.
Besser so, denn ich war wirklich sauer und hätte ihr das auch deutlich gemacht.
„Diese kleine Mistkröte!", fluchte ich, woraufhin mein Retter anfing zu lachen. Dieses Lachen war das wunderbarste und symphatischste, was ich je gehört hatte. Gleichzeitig verwirrte es mich auch. Wieso lachte er?
„Ist es so lustig, wenn ich fast in die Bar falle?", fragte ich ein klein wenig schnippisch.
„Natürlich nicht. Ist alles in Ordnung?"
War es das? War ich okay? Schnell überprüfte ich, ob ich irgendwo Schmerzen hatte, doch ich konnte nichts feststellen.
„Ich denke schon."
„Möchtest du als Entschädigung etwas trinken? Ehrlich, ich habe nicht wegen deinem Sturz gelacht. Aber ... Mistkröte?"
Wieder lachte er über meine Beschimpfung Cathy gegenüber, was ich schließlich auch tat und nickte auf seine Frage hin.
„Ja, gerne."
Nachdem er sich ein Bier und mir eine Cola bestellt hatte, stellten wir uns etwas abseits der Bar. Es war mir fast unangenehm mit diesem gutaussehenden Mann etwas zu trinken. Alle starrten ihn an. Mich dementsprechend ebenfalls. Er sah auch einfach verdammt gut aus. Seine dunkelblonden Haare waren leicht gelockt und standen etwas strubbelig in verschiedene Richtungen, was irgendwie verdammt sexy aussah.
Dieser Kerl war ein Adonis durch und durch. Dass er sich überhaupt die Mühe gab, mich auf ein Getränk einzuladen, schmeichelte mir ungemein.
Während ich ein Auge auf Hazel gerichtet hatte, suchte ich mit dem anderen nach Cathy, was er zu bemerken schien.
„Suchst du wen?"
„Die Mistkröte. Also eigentlich eine Freundin. Und meine Schwester."
Interessiert nickte er und trank einen Schluck, bevor er sich räusperte.
„Ich bin übrigens Marlow und bin mit meinem Bruder Wyatt hier."
Doch ich hörte nur halb hin, denn in diesem Augenblick sah ich Cathy, die gerade dabei war, den Club zu verlassen.
Sie war mir auf jeden Fall eine Erklärung schuldig und ich wollte es nicht dem Schicksal überlassen, ob ich sie nochmal wieder sah.
Was mischte sie sich überhaupt ein?
Ich hatte sie einmal gesehen und fand, sie hatte nicht das Recht dazu, mir bei einem Typen auf die Sprünge zu helfen. Schon gar nicht, mich zu schubsen.
Also ging ich einen Schritt nach vorne und drehte mich währenddessen nochmal zu Marlow um.
„Es tut mir leid, aber ich muss mal kurz raus!"
Sofort hielt ich weiter Ausschau nach der Mistkröte und hörte ihn noch hinter mir her rufen.
„Hey! Ich weiß nicht mal deinen Namen!"
Allerdings war es mir gerade wichtiger, Cathy meine Meinung zu geigen.
„Cathy?", rief ich immer wieder nach ihr, doch ich sah sie nirgends. Den halben Club hatte ich mittlerweile hinter mir gelassen und New Yorks Clubs sind riesig.
Ich versuchte es draußen, denn vielleicht rauchte sie ja oder wollte sich nach der Aktion einfach aus dem Staub machen. Die winterliche Kälte ließ mich frösteln, denn ich war nur sehr leicht bekleidet. Automatisch schlang ich meine Arme um meinen Körper und versuchte mich aufzuwärmen, was nur leider nichts brachte. Dabei schaute ich nach links und nach rechts, doch außer einiger Raucher und die Schlange an Menschen, die in den Club wollten, fand ich nichts. Keine Cathy.
Sie war weg... Spurlos verschwunden. So, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
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