-10- Marlow
„Na endlich, da bist du ja", begrüßte mich mein Bruder Wyatt, als ich endlich am vereinbarten Treffpunkt ankam. Etwas zu spät, aber ich hatte ja auch allen guten Grund dazu.
„Ja, ich weiß. Ich bin zu spät. Jetzt bin ich ja da."
„Warum ist denn deine Jacke so nass? Hast du dich wieder mit einem Hot-Dog vollgeschlabbert und versucht, es raus zu waschen?", lachte er, während ich den Kopf schüttelte. Nein, es war dieses Mal kein Hot-Dog, eher ein Cold-Dog. Im wahrsten Sinne des Wortes.
„Du weißt schon. Eine gute Tat am Tag und so", erklärte ich voller Stolz.
„Oh, der heilige Samariter hat einer alten Frau über die Straße geholfen. Oder war es ein Blinder? Ein Kind? Nun sag schon ...", forderte er mich neugierig auf.
„Fast. Ich habe einen Hund aus dem See gerettet und jetzt komm, wir haben heute noch was vor."
Ich bewegte mich in Richtung meiner Arbeit, wo ich noch Ersatzkleidung liegen hatte. Zum Glück gab er Ruhe und folgte mir. Danach schlenderten wir durch die Stadt, hielten vor etlichen Geschäften, doch wir hatten absolut keine Ahnung, was wir unserer Mutter zu Weihnachten kaufen sollten.
„Was ist mit einer hübschen Kette?", fragte ich, denn ich hatte da vorhin eine im Schaufenster gesehen, die ihr sicherlich gefallen hätte.
„Letztes Jahr gab es ein Armband. Das Jahr davor eine Kette."
„Oh." Ehrlich gesagt, wusste ich nicht mal, was wir ihr letztes Jahr geschenkt hatten. Ich war einfach nicht in der Lage, mir darüber Gedanken zu machen. Vielleicht würden wir dieses Jahr mal etwas finden, was nicht silber oder gold war. Trotz dessen, dass wir überfragt waren, war ich fest davon überzeugt, dass wir noch etwas schönes finden würden.
„Parfüm?"
„Gab es zum Geburtstag."
Grundgütiger. Das war ja zum Haareraufen. Es musste doch etwas geben, das sie noch nicht von uns bekommen hatte.
„Weil es einfach diese Standardgeschenke sind, die jeder verschenkt. Was ist so falsch daran? Alles besser, als ein Kochtopf, oder?"
„Ehrlich, Marlow? Ein Kochtopf?", fragte er leicht entsetzt mit einem abschätzigen Grinsen im Gesicht, doch ich hatte ja nicht vorgeschlagen, einen Kochtopf zu kaufen.
„Ich sag ja, Parfüm. Frauen haben doch mehrere. Vielleicht eins, welches sie noch nicht hat."
Meine Idee fand ich tatsächlich richtig gut, doch Wyatt hatte ein Talent dafür, es mir schlecht zu reden. Vielleicht aus gutem Grund, wie sich herausstellte.
„Und du Vorzeigesohn weißt, welches Parfüm unsere Mutter noch nicht hat..."
Darauf konnte ich nichts mehr sagen, denn er hatte recht. Woher sollte ich wissen, welches Parfüm auf ihrer Kommode im Schlafzimmer stand und welches nicht.
Wir entschieden uns, bei einem Glühwein nochmal über diese Geschenke-Sache zu sprechen, immerhin konnte man mit diesem heißen Gesöff besser nachdenken. Also stellten wir uns an einen freien Stehtisch am Rockefeller Center, was mit großem Glück und viel Schweiß und Kraftaufwand verbunden war.
Doch Wyatt und ich hatten es drauf, die Leute um uns herum zu vertreiben. Wie? Fragt besser nicht ...
Die Eisbahn um uns herum war gut gefüllt. Tausende Touristen waren hier und neben uns stand ein riesiger Weihnachtsbaum, mit vielen Lichtern und bunten Kugeln, den ich argwöhnisch betrachtete, weil er viel zu kitschig war.
„Wusstest du, dass der größte Weihnachtsbaum der Welt in Deutschland steht?"
„Berlin?", fragte Wyatt schlürfend.
„Nee. Dortmund."
Auf meine Antwort hin, sah er mich stutzig an und schüttelte grinsend seinen Kopf.
„Was denn? Habe ich letztens mal irgendwo gelesen und fand es ganz interessant. Vielleicht sollten wir Dortmund mal einen Besuch abstatten und uns ansehen, wie wirklich große Bäume aussehen. Ist bestimmt schöner, als dieses Exemplar hier", konterte ich selbstbewusst und sah dieses kitschige Etwas argwöhnisch an.
„Erzähl mir lieber von dem Hund", forderte er mich auf. Stirnrunzelnd biss ich mir auf die Lippe und überlegte, wo ich am besten anfangen und vor allem, ob ich Millie erwähnen sollte.
„Guck nicht so. Raus mit der Sprache. Wenn man einen armen, halb erfrorenen Hund rettet und dabei so strahlt, wie du ... Dann muss der entweder sowas von süß gewesen sein oder eben das Frauchen."
Verdammt, er kannte mich einfach zu gut. Ich verfinsterte meinen Blick, knurrte leise und fragte mich dabei, warum er mich nur so gut lesen konnte.
„Also?"
„Der Hund?", fragte ich ihn, in der Hoffnung, dass er mir glauben würde, dass ich den Hund einfach süß fand. Doch natürlich glaubte er mir kein Wort. Er wäre nicht mein Bruder gewesen, wenn er mir dieses Märchen abgekauft hätte.
„Quatsch nicht."
Seufzend trank ich einen Schluck von dem weißen Glühwein, der mich bei dieser Kälte von innen wärmte, bevor ich ihm alles erzählte. Angefangen von dem Mädchen aus dem Club, der Nummer auf dem Becher und schließlich die Sache mit dem Hund.
„Du willst mir also weismachen, dass die Kleine aus dem Club und die aus dem Café, mit der Nummer auf dem Becher, auch die Frau mit dem Hund war?"
Klang merkwürdig, war es auch. Wie viel Zufall konnte es schon geben?
Nickend zuckte ich mit den Schultern, woraufhin Wyatt nochmal nachhakte.
„Also hast du sie dreimal getroffen und bist keinen Schritt weiter?"
Was sollte das jetzt schon wieder heißen?
„Was heißt hier, keinen Schritt weiter?"
„Hast du ihr geschrieben?"
„Ja."
„Und wann trefft ihr euch?", wollte er wissen und drang mich mit seinen Blicken förmlich dazu, ihm eine Antwort zu geben.
„Keine Ahnung, ich habe mein Handy verloren. Vielleicht im See und..." Doch er unterbrach mich und warf seinen Kopf genervt in den Nacken.
„Gott, Marlow! Das glaubt dir doch kein Mensch. Wahrscheinlich hat der Hund es dir geklaut und im Schnee vergraben, hm?"
Wie bitte? Er glaubte mir nicht? Ich mochte vielleicht manchmal, so wie vorhin erst, die Tatsache vertuschen, aber ich hatte mein Handy wirklich verloren.
„Ich habe es verloren, Wyatt. Glaub es oder glaub es nicht, aber ich konnte ihre Antwort nicht einmal lesen."
Schnaubend schüttelte er den Kopf und leerte seine Tasse Glühwein.
„Du ziehst die Scheiße aber momentan auch magisch an, ne?!"
Dagegen konnte ich definitiv nichts sagen, denn er hatte gar nicht so unrecht. Wir beendeten vorerst das Thema und beschlossen unserer Mutter einen Wellness-Gutschein für einen entspannten Tag in der Therme zu kaufen. Dazu gab es Theaterkarten. Drei Stück, um genau zu sein. Wyatt hatte mich überredet und selbstverständlich wollten wir sie zu dieser Veranstaltung begleiten.
Wir waren ja gut erzogene Söhne ...
Am kommenden Tag lief ich durch den Schnee im Central Park, um mein Handy zu suchen, da es gestern dann doch schon zu dunkel gewesen war.
Selbstverständlich wusste ich, wie lächerlich die Vorstellung war, mein Handy irgendwo an der Stelle zu finden, wo ich Bailey gerettet hatte, aber ein Versuch war es immerhin wert. Da es Neuschnee gab, sank meine Hoffnung mit jeder Sekunde, in der ich den Schnee durchstöberte, wobei mir fast meine Hände vor Kälteschmerz abfielen.
Wahrscheinlich war es bei meiner Rettungsaktion von den Tiefen des See's verschluckt worden oder es hatte schon einer der millionen Besucher gefunden und eingesteckt. Immerhin hatte derjenige jetzt ein tolles Weihnachtsgeschenk, denn mein Handy war so gut wie neu. Und ich war vermutlich bald um einige Scheine ärmer.
Gerade als ich die Suche aufgab und in Richtung meiner Arbeit lief, kam der kleine Hund von gestern bellend auf mich zugelaufen. Was bedeutete, dass entweder Millie oder ihre Freundin in der Nähe sein musste.
Neugierig ließ ich meinen Blick umher schweifen und neben vielen Touristen und Joggern, die sich hier auspowerten, sah ich dann endlich sie.
Sofort legte sich ein Lächeln auf meine Lippen und meine Laune stieg ins Unermessliche.
Wahnsinn, was Millie für Gefühle in mir hervor rief. Es gefiel mir. Sie gefiel mir.
„Bailey!", rief sie und suchte scheinbar wieder nach dem kleinen Ausreißer. Lachend drehte sie sich um und verzauberte mich wieder einmal mit ihrer Art. Ihr Lachen war ansteckend.
Als sie mir in die Augen blickte, hob ich zur Begrüßung meine Hand. Doch ihr Lächeln war im gleichen Moment verschwunden und mehr als einen tiefen Seufzer, konnte ich nun nicht mehr von ihr wahrnehmen.
„Du schon wieder..."
War sie etwa genervt von mir?
„Tja, scheint wohl so, als wären wir beide gerne hier."
„Mag schon sein. Komm Bailey", sagte sie abweisend und kühl. So kannte ich sie überhaupt nicht. Was war denn los mit ihr?
„Sagtest du nicht, der gehört einer Freundin?", fragte ich interessiert und hoffte, dass sie nicht mehr so distanziert war.
Wo war die hübsche Frohnatur hin, die ich kennengelernt hatte? Ich schien es wirklich verbockt zu haben.
„Naja, eigentlich der Nachbarin einer Freundin, aber die ist verreist und meine Freundin ist allergisch, also tada ... ich habe neuerdings einen Hund. Auf unbestimmte Zeit."
Sie gewann sich ein leichtes Grinsen ab und so gefiel sie mir auch gleich viel besser. Mit einem leisen Lächeln fuhr ich mir durch meine Haare, die vom Schnee schon wieder nass waren und meine kleinen Naturlocken zum Vorschein brachten. Dabei beobachtete ich Bailey, der im Schnee spielte und buddelte.
„Bailey, jetzt komm. Ich muss zur Arbeit."
Der Schnee wurde unter seinen kleinen schnellen Pfoten aufgewühlt und sein schwarz-weißes Fell wehte leicht im Wind, als er in diesem Moment auf uns zu gerannt kam. Im Maul sah ich etwas Schwarzes und ich wurde augenblicklich stutzig.
War das...? Nein, das konnte doch nicht sein, oder?
„Wo hast du das denn her?"
Millie holte ein Handy, pardon - mein - Handy, aus seinem Maul, was mich automatisch zum Lachen brachte.
„Das ist meins. Ich habe es gestern hier irgendwo verloren. Ich war eigentlich hier, um es zu suchen und hatte längst aufgegeben."
Millie schaute erst irritiert auf das Handy, lächelte dann aber. „Oh, okay. Verstehe. Na gut, hier hast du es wieder."
Sie reichte es mir und dieses Mal ging ich sicher, dass es gut und tief in meiner Jackentasche verstaut war.
„Danke. Wo bleibt Bailey denn, wenn du arbeiten bist?"
„Ich bringe ihn eben nach Hause und hoffe einfach, dass er ein paar Stunden alleine bleiben kann. Auch wenn ich das ungern mache. Aber was soll's, ich habe keine andere Wahl. Meine Eltern sind arbeiten und meine Schwester treibt sich irgendwo rum. Also, ich muss los. Bis dann. Und ... Es war schön, dich wieder zu sehen."
Sie drehte sich um, Bailey folgte ihr, doch dieses Mal wollte ich meine Chance nicht wieder verpassen. Ich musste etwas tun.
Vorhin hatte sie so geknickt und enttäuscht ausgesehen. Es hatte mir mein Herz zerrissen.
Ich wollte nicht, dass sie schlecht von mir dachte. Sie konnte ja nicht wissen, dass das alles nichts mit ihr zu tun hatte. Also rief ich ihr wild entschlossen hinterher.
„Soll ich ihn solange nehmen?"
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