8
„Der wahre Grusel ist nicht der Halloween-Abend, sondern die Entscheidungen, die man trifft.“
Die Herbstsonne kämpft sich durch die trüben Fensterscheiben des Schulflurs, wirft blasse, zitternde Lichtmuster auf den grauen Boden. Draußen ist es einigermaßen warm, fast trügerisch mild, aber hier drinnen scheint die Luft zu stehen, stickig und schwer, wie eine unsichtbare Last. Mit einem schnellen Ruck schlage ich die Tür meines Spinds zu, gerade als ein Schatten vor mir auftaucht.
Ich halte inne. Mein Magen zieht sich zusammen. Bevor ich überhaupt den Kopf hebe, weiß ich bereits, dass es Luca ist.
Er steht direkt vor mir, verschränkt die Arme vor seiner Brust und blickt mich mit diesem durchdringenden Blick an, der irgendwo zwischen genervt und wütend schwankt. Seine Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammengepresst, und ich kann sehen, wie seine Kiefermuskeln arbeiten, als würde er sich gerade noch zusammenreißen, nicht auszurasten.
„Was soll das?“, sagt er schroff, seine Stimme klingt rau, wie eine Herausforderung.
Ich tue, als hätte ich keine Ahnung, was er meint, und ziehe die Augenbrauen hoch. „Was meinst du?“
Er tritt einen Schritt näher, seine Stirn ist gerunzelt, und seine Hände ballen sich zu Fäusten. „Die falsche Adresse. Die Lagerhalle. Was soll der Mist?“
Ein Windstoß weht durch den Flur, doch ich bleibe ruhig und zucke nur mit den Schultern. „Ich verstehe wirklich nicht, wovon du sprichst“, erwidere ich in einem unschuldigen Ton, den ich perfekt beherrsche.
Luca schnaubt, seine Augen funkeln jetzt gefährlich. Er tritt noch näher, so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren kann. „Tu nicht so. Ich weiß, dass du es warst. Du hast Sophie vorgeschickt, damit ich abgelenkt bin. Und dann hast du die Adresse geändert.“
Mein Herz schlägt schneller, aber ich lasse mir nichts anmerken. Ich lächle, als wäre alles ein großer Scherz. „Klingt nach einer spannenden Theorie. Aber hast du Beweise?“
„Ich weiß, dass du es warst“, zischt er. Seine Kiefermuskeln spannen sich an, seine Hände zittern leicht, als würde er sich nur mühsam zurückhalten.
Der Flur ist plötzlich ganz still. Ich höre nur das leise Summen der Lampen über uns und das entfernte Rauschen des Windes draußen. Ein paar letzte Blätter wirbeln durch die Luft und schlagen gegen die Scheiben, als wollten sie ein Zeichen geben. Aber ich bin ruhig, lasse mich von seinem wütenden Blick nicht beeindrucken.
„Was willst du machen, Luca?“, frage ich herausfordernd. „Mich vor der ganzen Schule bloßstellen? Zugeben, dass du reingelegt wurdest?“
Für einen Moment scheint er sprachlos. Die Adern an seinen Schläfen treten hervor, und sein Atem geht schwer. Aber dann senkt er seine Stimme, und das macht seine Worte nur noch bedrohlicher. „Wenn du Krieg willst, Namida, dann bekommst du ihn.“
Ich spüre, wie mein Herz einen Schlag aussetzt, doch ich zwinge mich, ihm weiter in die Augen zu sehen. Seine Augen – diese dunklen, wütenden Augen – funkeln vor Zorn, aber auch vor Entschlossenheit. Er meint es ernst. Doch ich lasse mich davon nicht einschüchtern.
„Krieg?“ Ich lache trocken, auch wenn ich weiß, dass das Feuer zwischen uns nur noch größer wird. „Wie dramatisch.“
Er tritt noch näher an mich heran, bis unsere Gesichter fast auf gleicher Höhe sind. Ich kann die Wut in seinen Augen spüren, das Beben in seiner Stimme. „Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst. Aber du wirst es bald herausfinden.“
Mein Atem geht schneller, doch ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. „Dann leg los, Luca“, sage ich mit einem kühlen Lächeln. „Ich bin gespannt, was du draufhast.“
Er starrt mich noch einen Moment lang an, dann dreht er sich abrupt um und marschiert den Flur hinunter, die Schultern steif. Ich bleibe stehen, bis ich seine Schritte nicht mehr höre. Die Spannung in meinem Körper löst sich langsam, und ich merke erst jetzt, wie schnell mein Herz wirklich schlägt.
Das Summen der Lichter über mir wirkt jetzt ohrenbetäubend. Ich atme tief durch und lasse meine Schultern sinken, bevor ich mich vom Spind abstoße.
Die Schlacht ist noch lange nicht vorbei, das weiß ich. Und ich werde bereit sein.
***
Zuhause angekommen, schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich für einen Moment dagegen. Die kühle Luft im Flur prickelt auf meiner Haut, aber das eigentliche Unwohlsein sitzt tiefer. Heute ist das Date mit dem Druckertypen Ben – wenn man das überhaupt so nennen kann.
Warum habe ich überhaupt zugesagt?
Seufzend gehe ich in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett fallen. Eigentlich könnte ich Ben einfach absagen. Jetzt, wo Luca sowieso Bescheid weiß, macht es keinen Unterschied mehr. Der Spaß mit der falschen Adresse ist vorbei, und mein geheimer Plan, seine Party zu sabotieren, ist sowieso geplatzt. Trotzdem … Es wäre unfair. Ben hat sich an seinen Teil der Abmachung gehalten. Er hätte mich bei Luca verpfeifen können, aber das hat er nicht. Und dafür schulde ich ihm wohl wenigstens einen Abend.
Die Tür zu meinem Zimmer geht auf, und meine Schwester Tamani steckt ihren Kopf herein. „Was machst du?“
Ich hebe den Kopf nur leicht und blicke sie an. „Ich gehe aus.“
„Aus? Wohin?“ Sie mustert mich neugierig.
„Auf ein Date.“ Die Worte klingen fast genervt aus meinem Mund, obwohl ich es nicht so meine.
„Mit wem denn?“ Tamani tritt ganz ins Zimmer und setzt sich auf die Kante meines Bettes, wobei sie mich skeptisch ansieht. „Ich hab nicht mitbekommen, dass du jemanden datest.“
„Es ist auch kein richtiges Date“, erkläre ich und richte mich langsam auf. „Ben. Der Typ aus der Druckerei. Ich hab ihm was versprochen, nachdem er mir einen Gefallen getan hat.“
„Aha.“ Sie zieht die Augenbrauen hoch. „Ein Gefallen? Klingt spannend.“
Schnaubend streiche ich mir mein zerzaustes Haar zurück. „Er hat den Mund gehalten, nachdem er mich dabei erwischt hat, wie ich an Lucas Einladungskarten rumgespielt habe.“
Tamanis Augen weiten sich, und dann bricht sie in schallendes Gelächter aus. „Du wolltest Lucas Party sabotieren? Wie sehr hasst du diesen Typen eigentlich?“
„Hassen ist übertrieben“, murmele ich und stehe auf, um zum Spiegel zu gehen. „Es ist eher … eine Art Spiel. Aber jetzt ist es sowieso egal. Luca hat es herausgefunden.“
Tamani steht auf und kommt hinter mich. „Und trotzdem gehst du jetzt mit Ben aus? Warum?“
Ich blicke meinem eigenen Spiegelbild in die Augen. Mein Outfit ist schlicht, vielleicht sogar zu schlicht. Ich greife nach meiner Bürste und beginne, meine Haare zu kämmen, um zumindest etwas Ordentliches daraus zu machen. „Weil er seinen Teil der Abmachung eingehalten hat. Und ich will nicht diejenige sein, die dann plötzlich absagt. Das wäre unfair.“
„Hmm“, macht Tamani und verschränkt die Arme, während sie mich von der Seite beobachtet. „Das klingt aber nicht so, als würdest du wirklich Lust darauf haben.“
Ich wickle eine Haarsträhne um meinen Finger und lasse sie wieder los, unsicher, ob das überhaupt noch etwas retten kann. „Habe ich auch nicht. Aber ich schulde es ihm. Es wird nicht lang dauern.“ Schnell drehe ich meine Haare zu einem lockeren Dutt zusammen und sichere ihn mit ein paar Nadeln. Ein paar Strähnen lasse ich absichtlich herausfallen, damit es nicht zu streng wirkt. „Das sieht schon besser aus“, murmle ich, mehr zu mir selbst als zu Tamani. Aber in meinem Inneren bleibt dieses flaue Gefühl.
„Also eine Art Pflicht-Date?“ Sie grinst spöttisch. „Du bist echt zu nett für diese Welt, Schwesterherz.“
Ich werfe ihr einen gespielt finsteren Blick zu, aber sie lacht nur.
„Na gut, dann wünsch ich dir viel Spaß. Wer weiß, vielleicht wird’s ja doch ganz nett.“ Sie zwinkert mir zu, dreht sich um und verschwindet wieder aus dem Zimmer.
Ich bleibe allein vor dem Spiegel stehen und lasse die Gedanken noch einmal kreisen. Es wäre wirklich einfach, jetzt abzusagen. Eine schnelle Nachricht, irgendeine Ausrede – und der Abend wäre erledigt. Aber das fühlt sich falsch an. Ben hat mir geholfen, ohne zu fragen, und das, obwohl er genau wusste, was ich vorhatte. Irgendwie schulde ich ihm das. Also stecke ich mein Handy in die Tasche, ziehe meine Lederjacke über und mache mich auf den Weg.
Draußen ist die Luft frisch, und der Abendhimmel färbt sich langsam in sanften Rosatönen. Perfektes Wetter, um sich in einer Decke zu verkriechen und den Abend ausklingen zu lassen – aber stattdessen gehe ich zu einem Date, auf das ich eigentlich keine Lust habe.
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