25 | IVETE
Der Rotbauchfliegenschnäpper.
Keine Ahnung, was das für ein komischer Vogel sein soll, aber ich vertraue einfach mal darauf, dass Peter und Justus wissen, was sie tun. Die drei haben offenbar Strategien entwickelt, wie sie miteinander kommunizieren können, auch wenn es erstmal unmöglich scheint. Niemals hätte ich Bob eine versteckte Nachricht überbringen können. Zumindest ist mir auf die Schnelle nichts eingefallen. Nachdem ich meine Bedenken angesprochen hatte, haben Peter und Justus einen wissenden Blick getauscht. Peter sagte dann gleich, er würde das übernehmen. Zum Glück war ich vorgewarnt. Ansonsten hätte es mich ziemlich aus dem Konzept gebracht, als Justus plötzlich über sein Handy Waldgeräusche abspielte und Peter anfing zu pfeifen. Mein Blick muss dennoch unbezahlbar gewesen sein.
Wir sitzen alle zusammen in Peters MG, ganz in der Nähe des Containerhafens zwischen alten, verlassenen Lagerhallen und warten auf den nächsten Akt. Mein Caprio steht daneben. Wir sind mit zwei Autos gefahren, um unabhängiger voneinander zu sein. Peter trommelt ungeduldig auf dem Lenkrad herum, als könne er es gar nicht abwarten, endlich loszulegen. Justus sitzt auf der Rückbank, einen Laptop auf dem Schoß und verfolgt akribisch das Signal von Bobs Handy, das Raynor weiterhin bei sich trägt. Ich versuche eine einigermaßen bequeme Position auf dem Beifahrersitz zu finden. Viel Platz gibt es in dieser Karre nicht. Keine Ahnung, wie Peter seine langen Beine hier organisiert bekommt. Würde meinem Caprio nicht die Rückbank fehlen, hätte ich das konspirative Treffen lieber dort bevorzugt. Mehr Platz hat es nicht, aber die Sitze sind um einiges bequemer.
Bevor wir uns hier getroffen haben, war ich noch in der Wohnung und habe mich umgezogen. Kein Kleid, sondern bequeme, sportliche Kleidung. Außerdem habe ich ein paar Ausrüstungsgegenstände abgeholt. Ein paar technische Hilfsmittel können nicht schaden. So hat jetzt jeder von uns einen kleinen unauffälligen Stecker im Ohr, der mit dem jeweiligen Handy verbunden ist. Taís hat mir diese Spielerei irgendwann besorgt, damit wir während meiner Tätigkeiten in Kontakt bleiben können. Da die Dinger so klein sind und sie mich kennt, hatte sie gleich eine ganze Menge bestellt. Gut für uns.
Allgemein hat sie Unmögliches geleistet. In der kurzen Zeit hat sie irgendwo Pläne des Geländes aufgetrieben, die Victors Informationen perfekt ergänzen. Ohne die hat man keine Chance, sich auf dem Containerhafen in Long Beach zurechtzufinden. Es wirkt wie ein Labyrinth, in dem man sich unmöglich orientieren kann, weil alles gleich aussieht.
Außerdem verfüge ich nun über umfassende Informationen zu Raynor. Persönliche Informationen wie Geburtsdatum, Geburtsort, welche Schulen er besucht hat, genauso, wie seinen beruflichen Werdegang und seine aktuelle Gehaltsabrechnung. Keine Ahnung, wozu ich das noch nutzen kann. Aber einen Plan B in der Tasche zu haben, erscheint mir sinnvoll.
Die Stunden bis zur Übergabe haben wir genutzt und uns einen Plan zurechtgelegt, wie wir Raynor zur Strecke bringen und Bob befreien können. Ich habe die beiden mit meiner Schwester bekannt gemacht und Justus hat sich auf Anhieb prima mit ihr verstanden. Die Gespräche der beiden waren direkt auf einem Level, bei dem Peter und ich völlig ausgestiegen sind. Es war, als würden sie plötzlich eine eigene Geheimsprache sprechen, die nur Nerds kennen.
Zwischen Peter und mir herrscht eine Art wackeliger Waffenstillstand. Nachdem er meine Beweggründe gehört hatte, hat er mit der Stichelei aufgehört. Dennoch bin ich mir ziemlich sicher, dass er froh ist, wenn die Sache endlich beendet ist und ich verschwinde. Am liebsten für immer.
Und ich muss leider gestehen, dass es mir jetzt in diesem Moment sehr ähnlich geht. Wenn er nicht bald mit dem Getrommel aufhört, laufe ich noch Amok!
»Hör auf damit, Peter!«
Er stoppt seine Finger und sieht mich mit erhobenen Augenbrauen an. »Mach ich dich etwa nervös, Miss Meisterdiebin?«
Hatte ich gerade daran gedacht, dass er mit der Stichelei aufgehört hat? Das war offenbar doch nur eine kurze Atempause.
»Ich weiß schon, warum ich immer alleine arbeite!«, maule ich vor mich hin.
»Ja, normalerweise!«, erwidert er nachdrücklich. »Ich hoffe, du vergisst nicht, dass es diesmal anders ist!«
»Er kommt!«
Justus Stimme unterbricht uns, bevor es nochmal zu eskalieren droht. Er stellt den Laptop aufgeklappt zur Seite und beugt sich zwischen den Sitzen nach vorne zu uns.
»Raynor verlässt jeden Augenblick das Gelände. Lass ihm ein wenig Vorsprung. Soll ich dir nochmal zeigen, wo du hinmusst?«
Schon während des Anrufs hat Justus mir das Ziel auf dem Laptop gezeigt. Manhattan Beach hat nichts mit der Stadt New York zu tun, sondern ist eine kleine Gemeinde im Speckgürtel Los Angeles, etwa 20 Meilen nördlich von unserem derzeitigen Standort. Die beiden haben mir dann noch erklärt, wie ich dorthin komme und wo ich das Auto abstellen kann.
Ich schüttel den Kopf und straffe die Schultern. »Nein, ich find das schon! Zur Not hab ich auch noch Taís.«
»Sobald wir ihn gefunden haben, kommen wir auch zum Treffpunkt.«
»Alles klar. Meldet euch bitte. Ich will wissen, wie es ihm geht.«
Justus verspricht es mir mit einem stummen Nicken.
»Hals und Beinbruch«, wünscht mir Peter.
Ich bin überrascht, Sorge in seinem Blick zu sehen, jetzt wo es losgeht. Hat er Bedenken, dass ich meinen Teil des Plans nicht gut genug erfülle? Oder hat er am Ende doch Angst um mich?
Was auch immer es ist, er wird es mir eh nicht verraten. Also steige ich aus und begebe mich zu meinem eigenen Auto. Hinter dem Lenkrad koppel ich ersteinmal den kleinen Kopfhörer mit dem Handy und rufe Taís an. Ich hab keine Ahnung, wie sie es technisch macht, aber sie wird sowohl mit mir, als auch mit den zwei Fragezeichen Kontakt halten. Auf unterschiedlichen Leitungen, damit keiner den anderen ablenkt. Hielt ich zuerst eine gute Idee, inzwischen finde ich es ätzend. Ich will wissen, was mit Bob ist! Am liebsten wäre ich selbst in dieses Containerlabyrinth und hätte ihn da rausgeholt. Aber leider kann niemand meinen Job übernehmen. Ich muss persönlich zur Übergabe erscheinen, die ich immerhin ein wenig herauszögern konnte. Ich hatte gepokert und zum Glück hat es geklappt. Natürlich benötige ich für die Strecke keine Stunde, sondern bin viel früher da. Aber so haben wir etwas mehr Puffer.
»Ivy, bereit?«
Ich atme tief aus. »Nein, aber ich habe keine andere Wahl.«
Meine Schwester brummt. Ein sehr untypischer Laut für sie, der mich direkt misstrauisch macht.
»Was ist?«, frage ich alarmiert. Sofort springt bei mir das Gedankenkarussell an und ein Horrorbild nach dem anderen erscheint vor meinem inneren Auge. Ist etwas passiert? Läuft irgendwas nicht nach Plan?
»Ich muss dir da noch was gestehen«, beginnt sie ein wenig kleinlaut.
»Was?! Herrgott, nun sag schon!«
»Papai weiß Bescheid. Er hat deinen Anruf vorhin mitbekommen und mich zur Rede gestellt. Sobald das hier erledigt ist, will er mit dir sprechen.«
Ich verharre einen Augenblick, dann kippt mein Kopf wie selbstgesteuert nach vorne auf das Lenkrad. Ich sage nichts dazu. Aktuell habe ich genug damit zu tun, zu atmen und nicht laut schreiend im Kreis zu rennen.
»Bist du noch dran?«
»Nein«, brumme ich.
Mir kommt der Gedanke, ob ich mich irgendwo erfolgreich absetzen könnte. Ob Hawaii weit genug ist? Oder lieber doch Sibirien? Wenn es da nur nicht so kalt wäre.
Aber das ist Schwachsinn. Eigentlich ist es verwunderlich, dass meine Aktionen so lange so gut gegangen sind. Mein Vater weiß nichts davon, dass ich seine Aufgabe übernommen habe. Nachdem ich ihn aus dieser beschissenen Lage gerettet hatte, haben Taís und ich nachgeforscht. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten wir nichts darüber, was mein Vater auf seinen Geschäftsreisen noch so alles unternahm. Nichts über den Urutau. Und wir hatten auch keine Ahnung über seinen Verdacht bezüglich Seay. Die Unterlagen, die wir gefunden haben, waren ein weit größerer Schock als die Erkenntnis, dass unser Vater ein Doppelleben geführt hat. Als es ihm besser ging und er mit uns reden konnte, wussten wir bereits sehr viel. Mein Vater hat lange mit uns gesprochen. Sehr offen und ehrlich. Ich weiß zwar nicht genau, was ihm genau in dieser Nacht passiert ist. Dieses Detail hat er für sich behalten. Aber es muss so erschütternd gewesen sein, dass er abwägen musste. Und zum Schutz seiner Familie - seinen Töchtern - hat er sich dazu entschlossen, die Sache mit Seay ruhen zu lassen. Seiner Aussage nach ist dieser ein zu mächtiger Gegner, gegen den er keine Chance hat.
Es war seine Entscheidung und er scheint gut damit leben zu können. Nur ich tue es nicht! Ich wollte Antworten, ich wollte Rache! Also habe ich alles daran gesetzt, in den USA studieren zu können, um hier eine gute Ausgangsbasis zu haben. Seays Hauptsitz ist in San Diego, da hat sich L.A. angeboten. Von hier aus konnte ich weitere Nachforschungen anstellen. Mit Unterstützung von Taís habe ich offene Spuren verfolgt und durch die Einbrüche, die dem Urutau zugeordnet werden konnten, kleine Botschaften an Seay gesendet. Botschaften, die eines verdeutlichen sollten: Ich bin dir auf der Spur!
Dass mein Vater bisher nichts davon mitbekommen hat, ist allein der Tatsache geschuldet, dass er immer noch zurückgezogen lebt. Sobald er Kontakt zu seinen ehemaligen Geschäftspartnern aufgenommen hätte, hätte er von den Gerüchten gehört, dass der Urutau wieder aktiv ist. Und dann hätte er nur 1:1 zusammen zählen müssen.
Jetzt muss ich mich ihm - auch noch - stellen.
Ich frag mich ernsthaft, was ich dem Universum angetan habe, dass alles innerhalb so kurzer Zeit über mir zusammenfällt. Ein bisschen mehr mentale Vorbereitung hätte ich mir wirklich gewünscht. Vor allem was meinen Vater angeht. Ich hätte es ihm gerne auf anderem Weg gebeichtet.
Egal.
Ich hebe den Kopf, atme tief ein und straffe die Schultern. Ich kann jetzt nicht in Selbstmitleid versinken, ich habe einen Job zu erledigen. Und diesmal geht es um so viel mehr.
»Ist er bei dir?«
»Aktuell nicht«, sagt Taís. »Aber ich habe so die Befürchtung, dass er gleich wiederkommen wird, um das Spektakel aus der ersten Reihe mitzuerleben.«
Ich nicke, auch wenn meine Schwester das gar nicht sieht.
»Danke, dass du mich jetzt vorwarnst.« Die Stimme meines Vaters plötzlich aus den Kopfhörern zu hören, hätte mir den Schreck meines Lebens eingebracht und mich sicherlich verraten.
Nachdem Taís mir noch einmal die Position von Raynor durchgegeben habe, starte ich endlich den Wagen und fahre los in Richtung Treffpunkt.
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