20 | JUSTUS
»Just? Bist du da?«
Ein leises Klopfen lässt mich von meinen Unterlagen aufblicken. Nicht die Tatsache, dass Peter anklopft, lässt mich misstrauisch werden, sondern die Art, wie er es tut. Als ich dann auch noch den besorgten Ausdruck in seinem Gesicht sehe, springen sofort alle Alarmglocken an. Irgendetwas muss nicht in Ordnung sein.
»Was ist los?«
»Hast du was von Bob gehört?«
Ach, darum geht es also. »Nein, nach unserer Sitzung am Montag hat er keinen Ton mit mir gesprochen.«
Etwas, das mir selbst ein wenig sauer aufstößt. Schließlich hatte ich unseren Kollegen lediglich mit den Tatsachen konfrontiert und darauf aufmerksam machen wollen, dass es einige Ungereimtheiten in diesem Fall gab. Und es war leider Fakt, dass ziemlich viele Indizien auf Ivete Camargo hindeuteten. Wobei mir der Zusammenhang auch erst klar geworden ist, als wir sie vor dem Büro vom Professor Velazquez gesehen haben. Ihr Gesicht war mir gleich bekannt vorgekommen und nach einigem Überlegen ist mir dann auch eingefallen, woher ich sie kenne. An dem Tag, als ich mit Hugenay zusammengestoßen bin, habe ich auch sie im Inneren des Diners sitzen sehen. Ich habe Bob nicht belogen, zusammen gesehen habe ich die beiden tatsächlich nicht. Aber der Verdacht lag nahe. Alles andere war reine Kombination von Fakten.
Dass Bob davon nicht begeistert ist, kann ich nachvollziehen. Aber dass er sich darüber dermaßen aufregt, dass er mir aus dem Weg geht, halte ich dann doch für reichlich übertrieben.
Inzwischen ist es Mittwoch und der Tag neigt sich langsam dem Ende zu. Bob müsste eigentlich schon längst Schluss haben und auf dem Heimweg sein. Sobald er auftaucht, werde ich das Gespräch suchen. Eine derartig angespannte Situation ist nicht tragbar. Weder für unsere Freundschaft, noch für unser Detektivunternehmen und den aktuellen Fall.
»Ich hab ihn versucht zu erreichen, aber er meldet sich nicht«, berichtet Peter.
Ich runzel die Stirn. »Vielleicht ist er bei dieser Ivete.«
Peter schüttelt energisch den Kopf. »Ohne uns wenigstens eine kurze Nachricht zu schicken? Nein, das ist nicht seine Art. Wir haben ihn gestern Morgen das letzte Mal gesehen. Da ist was faul.«
»Es ist nicht unüblich, dass unser Dritter die Nächte woanders verbringt«, erinnere ich ihn. »Vielleicht war er kurz hier und haben wir ihn einfach verpasst? Im Bad liegen Klamotten von ihm, die gestern Abend noch nicht da lagen.«
Peter verdreht die Augen. »Möglich. Aber Just, ernsthaft, ich hab ihm heute mehrere Nachrichten geschrieben. Über den Tag verteilt. Keine wurde gelesen, geschweige denn beantwortet. Und bevor du fragst, angerufen hab ich natürlich auch. Aber er geht nicht ran.«
»Glaubst du nicht, er ist einfach immer noch sauer?«, spreche ich meine Befürchtung aus.
Peter überlegt und zuckt dann mit den Schultern. »Wenn dann auf dich, aber warum sollte er mir aus dem Weg gehen? Außerdem ist er noch nie nachtragend gewesen.«
Nachdenklich nicke ich. Tatsächlich entspräche das ganz und gar nicht Bobs Naturell.
Peter kramt sein Handy aus der Hosentasche und hält es hoch. »Ich werde jetzt seine Kommilitonen abtelefonieren. Vielleicht ist er doch irgendwo bei einer Lerngruppe, von der er nichts erzählt hat.«
Als er das Zimmer verlässt, ziehe auch ich mein Handy hervor und wähle Bobs Nummer aus. Aber es ist genauso, wie Peter gesagt hat: Bob geht einfach nicht ran. Ich schreibe ihm noch eine Nachricht, dass er sich bitte melden soll. Erwarte aber auch hier keine wirkliche Antwort.
Ich verlasse mein Zimmer und öffne die Tür zu Bobs Reich. Nachdenklich lasse ich den Blick durch das Zimmer schweifen. Vielleicht finde ich hier einen Hinweis darauf, wo er abgeblieben ist. Kleidung liegt keine herum, der Schrank ist geschlossen und darauf liegt Bobs Reisetasche. Kurzfristig abgereist ist er also schonmal nicht. Seine Uni-Tasche mit Unterlagen und Laptop kann ich nirgends entdecken. Also hatte er zumindest geplant, in die Uni zu gehen.
Ich durchquere den Raum und gehe auf den Schreibtisch zu. Dieser ist wie immer ziemlich vollgestellt. Nicht ganz so schlimm, wie Peters Chaos, aber ich frage mich dennoch immer, wie die beiden an so einem Arbeitsplatz vernünftig lernen können. Die Mitte des Schreibtischs ist frei. Bob hat mehrere Unterlagen zu einem unordentlichen Stapel aufgetürmt. Stifte und weiterer Kleinkram liegt ebenfalls am Rand. Ein loses vollgekritzeltes Blatt fällt mir ins Auge. Ich ziehe es neugierig heran und versuche es zu entziffern. Auf den ersten Blick ist es völlig chaotisch. Ich weiß schon, dass Bob eine sehr ordentliche Handschrift hat, wenn er sich Mühe gibt. Das Blatt verrät mir, dass er beim Aufschreiben nicht nur in Eile gewesen sein muss, sondern auch in irgendeiner Form aufgeregt. Die Worte sind kaum zu entziffern und bestehen hauptsächlich aus Namen, Pfeilen und Fragezeichen. Außerdem ist am unteren Rand eine Telefonnummer notiert.
Je länger ich mir die Notiz anschaue, desto klarer wird das Bild und desto mehr verstehe ich, woher diese Sauklaue rührt.
Kurzerhand ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche, tippe die Nummer ein und drücke auf Anrufen.
Es klingelt dreimal, bevor sich eine Frauenstimme meldet.
»Ja? Caroline Diaz, hier.«
»Mrs Diaz, Hallo. Mein Name ist Justus Jonas. Sie haben mit meinem Kollegen Bob Andrews telefoniert, ist das korrekt?«
»Ah, ja, tatsächlich habe ich das. Gestern Abend. Ich hatte leider früher keine Gelegenheit dazu, zurückzurufen. Was kann ich für Sie tun? Haben Sie noch weitere Fragen?«
»Würden Sie mir kurz wiederholen, was genau Sie mit Bob besprochen haben?«
Sie zögert. »Das kann ich gerne machen, aber warum, wenn ich fragen darf? Hat er Sie nicht informiert?«
Ich gebe einen langgezogenen Seufzer von mir. »Bob ist seit gestern Abend verschwunden und der Verdacht liegt nahe, das es etwas mit unserem Fall zu tun hat. Ich bin gerade dabei, seine Recherchen nachzuvollziehen.«
»Ich verstehe. Hoffentlich ist ihm nichts passiert. Also schön ...« Sie wiederholt, was sie Bob bezüglich des Urutau und der Familie Camargo berichtet hat. Aufmerksam höre ich zu und ein Puzzlestück nach dem nächsten setzt sich an die richtige Stelle. Das Bild, was sich mir zeigt, gefällt mir nicht, ist aber im Grunde genauso, wie ich es mir bereits gedacht hatte. Als Mrs Diaz dann auch noch den Verdacht äußert, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Dieb und der Kunsthändlerfamilie gibt, bin ich nicht sonderlich überrascht.
»Sie haben Bob gestern auch von diesem Zusammenhang erzählt? Wie hat er auf Sie gewirkt?«
»Ja, ich war etwas überrascht, dass er mich sowohl nach dem Urutau als auch nach den Camargos gefragt hat. Ich dachte, er wäre selbst auf die Verbindung gestoßen, aber jetzt im Nachhinein wirkte er sehr überrascht. Nein ... eher geschockt.«
Das wundert mich nicht wirklich.
»Ich nehme an, dass das Vermögen der Familie beträchtlich ist?«, hake ich nach.
Sie lacht. »Worauf Sie wetten können. Auch, wenn es inzwischen durch die beiden Schicksalsschläge sehr ruhig um die Familie geworden ist, ist der Name Camargo immer noch ein sehr einflussreicher in der Kunstbranche.«
»Aber warum dann die Diebstähle? Finanziell scheint ja dann keine Notwendigkeit zu bestehen.«
»Tja, darauf habe ich zugegebenermaßen auch noch keine Antwort gefunden.«
Meine Hand wandert wie automatisch an meine Unterlippe. Nachdenklich beginne ich sie zu kneten. »Was, wenn das alles einem ganz anderen Zweck dient?«
Mrs Diaz schweigt eine Weile. »Interessante Idee. Aber ich muss gestehen, das ich dazu bisher keine Anhaltspunkte gefunden habe. Vielleicht hab ich aber auch den falschen Fokus gehabt.«
»Hm«, mache ich. »Mrs Diaz, vielen Dank für die Informationen. Ich denke, ich habe jetzt ein ziemlich genaues Bild und auch eine Idee, wo sich Bob befinden könnte.«
»Freut mich, dass ich helfen konnte. Bitte melden Sie sich, wenn es etwas Neues gibt. Mich würden Ihre Ergebnisse sehr interessieren. Vielleicht lässt sich daraus etwas machen.«
»Das werden wir, versprochen. Bis dann.«
Ich habe gerade aufgelegt, als Peter in den Raum stürmt.
»Bob war heute den ganzen Tag nicht an der Uni«, teilt er mir aufgebracht mit. »Ich hab jetzt mehrere Leute erreicht und keiner hat ihn gesehen.«
»Ich glaube, ich weiß, wo er ist.«
Ich berichte ihm, was ich herausgefunden habe. Nachdem ich zum Schluss gekommen bin, lässt er sich auf Bobs Bett fallen. Sein Gesicht hat jegliche Farbe verloren.
»Fuck!« Das fasst die Ereignisse ziemlich treffend zusammen. »Was machen wir jetzt?«
Ratlos fahre ich mir durch die Haare. Ich gebe es nicht gern zu, aber ich habe keine Ahnung. Was ungünstig ist, da mich gleichzeitig das unbestimmte Gefühl erfasst, dass wir uns beeilen sollten. Er ist bei Ivete, dessen bin ich mir ziemlich sicher. Vermutlich hat er sie mit seinen Rechercheergebnissen konfrontiert. Und dann? Ich kann schlecht abschätzen, wie sie darauf reagiert hat. Da er aktuell wie vom Erdboden verschluckt ist und auf keinerlei Kontaktversuche reagiert, offensichtlich nicht positiv.
Dummerweise haben wir keinerlei Anhaltspunkte, wo sie und damit auch höchstwahrscheinlich er zu finden sind.
Das Klingeln der Tür lässt uns beide hochfahren. Unsere Blicke treffen sich und vermutlich haben wir beide den gleichen Gedanken. Dass Bob vielleicht doch einfach nur aufgehalten wurde und nun seinen Schlüssel vergessen hat.
Zeitgleich springen wir auf, aber Peter ist natürlich der erste, der die Wohnungstür erreicht und aufreißt.
Aber nicht Bob steht davor, sondern eine junge Frau mit schwarzen Locken, mit der keiner von uns jetzt gerechnet hätte.
***
Liebe Leser:innen,
die Geschichte neigt sich (für mich) dem Ende zu. Noch 2 Kapitel habe ich zu schreiben, dann ist sie beendet. Ihr habt allerdings noch einiges zu lesen. Keine Angst! :)
Mit diesen letzten beiden Kapitel tue ich mich gerade sehr schwer. Wir haben hier gerade Ferien und der Alltag ist ziemlich durcheinandergewürfelt und herausfordernd und es fehlt abends die Energie für kreative Gedankengänge. Daher werden die nächsten Kapitel ab jetzt immer Sonntags und Donnerstags hochgeladen. Damit habt ihr noch länger Freude an der Story und ich hab noch ein bisschen Puffer um mir ein gutes Ende zu überlegen. ;)
Apropos Ende: Seid ihr eher Team Happy End oder darfs auch mal ein Unhappy End für euch sein?
Und zum Schluss: Vielen vielen Dank für bisherige Kommentare und Votes! Freut mich mega, dass euch die Geschichte gefällt. Falls ihr aber Fehler oder Unlogisches findet, freue ich mich auch darüber! Immer her damit!
:)
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