
18 | BOB
Wie wir es aus der Dusche raus und in ihr Schlafzimmer geschafft haben, kann ich später gar nicht mehr genau sagen. Eng umschlungen liegen wir beieinander. Haut an Haut, verschwitzt und noch ein wenig atemlos. Ich habe die Augen geschlossen und male träge kleine Kreise auf ihren nackten Rücken. Ihr Kopf liegt auf meiner Brust und dem Kitzeln nach, das ihre Wimpern auf meiner Haut auslösen, hat sie die Augen geöffnet. Im Gegensatz zu mir.
Eigentlich hätte ich nichts dagegen, wenn ich einfach für immer so liegen bleiben könnte.
Ein leises Lachen verrät mir, dass ich den Gedanken wohl laut ausgesprochen haben muss.
Ivete hebt den Kopf und ich spüre, wie sie mir einige Strähnen aus der Stirn streicht. Die Augenlider zu öffnen ist eine fast unmögliche Anstrengung. Aber ich werde belohnt. Ich sehe ihre funkelnden Augen und ein Grinsen in ihrem hübschen Gesicht, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch sofort wieder aktiv werden lässt.
Sie hat den Ellenbogen angewinkelt und den Kopf auf ihrer Hand abgelegt und schaut zu mir herab.
»Hi!«
Ich lächle zurück. »Hi.«
Unser Blickkontakt wird durch einen hellen Blitz, gefolgt von grollendem Donner unterbrochen. Ich verziehe das Gesicht. Erst jetzt fällt mir auf, dass das Unwetter draußen immer noch tobt. Ivete hat vorhin die Vorhänge zugezogen, aber man hört, wie der Regen ziemlich heftig gegen die Fenster prasselt. Die Vorstellung, nachher dort rauszumüssen, verpasst mir einen gehörigen Dämpfer.
»Ich meinte das vorhin ernst. Du bist herzlich eingeladen, hier zu bleiben.« Ivete scheint meine Gedanken erraten zu haben.
Ich lächel ihr zu. »Das Angebot nehme ich sehr gerne an.«
Sie wirkt erleichtert. »Das freut mich. Sehr. Nach dem Streit hätte es auch anders zwischen uns ablaufen können.«
Tatsächlich hat sich die Stimmung zwischen uns irgendwie verändert. Abgesehen davon, dass wir gerade Sex hatten. Verdammt guten Sex. Die Anziehungskraft ist ungebrochen, wenn nicht sogar stärker geworden. Aber irgendwie war das hier nicht nur von reiner Leidenschaft geprägt, sondern auch auf eine seltsame Weise sehr intim und vertraut. Mir war von vorne herein klar, dass ich mit Ivete niemals einen bedeutungslosen One-Night-Stand haben könnte, bei dem es rein um die Erfüllung sexueller Bedürfnisse geht. Und ich habe das Gefühl, dass ich nicht der einzige bin, dem es so geht.
Ihr Blick verliert ein wenig an Strahlkraft und ich sehe ihr an, dass es in ihrem Kopf gerade arbeitet.
»Was ist los?«, frage ich.
Die Antwort lässt lange auf sich warten, aber ich bin geduldig. Vielleicht erhalte ich jetzt die Antworten, nach denen es mich so dringend verlangt.
»Ich denke nur darüber nach, was hier zwischen uns passiert«, gesteht sie leise. »Und dass das Schicksal ein mieses Arschloch ist.«
Sie atmet tief ein und stößt die Luft hart wieder aus. Währenddessen fahren ihre Finger meine Brust entlang. Ich kann den Schauer nicht unterdrücken, aber ihre Worte interessieren mich gerade viel zu sehr, als dass ich mich davon ablenken lasse.
Ihr Blick wandert zu ihren Fingern, aber sie scheint nicht darauf zu achten, was diese genau tun. »Das ich ausgerechnet an einen Detektiv und angehenden Journalisten gerate, ist echt ein sehr mieser Zug vom Universum.« Die Worte klingen eher wie ein Selbstgespräch.
Sie beißt sich auf die Lippen und schaut mich wieder an. »Du irrst dich in einem Punkt«, sagt sie. »Ich habe dich nie benutzt. Glaub mir, als ich erfuhr, wer du bist und dass ihr in dem Fall ermittelt, war es schon zu spät. Da hatte ich dich schon kennen und mögen gelernt. Es wäre definitiv klüger für mich gewesen, den Kontakt zu dir abzubrechen. Aber ich konnte es einfach nicht.«
Ihr Blick hält meinen fest. Als würde sie dadurch die Ernsthaftigkeit ihrer Worte unterstreichen wollen.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich muss schlucken. Die Worte sind im Grunde das, was ich gehofft hatte. Sie empfindet etwas für mich. Ich habe es mir nicht eingebildet oder sie mir etwas vorgespielt. Es bedeutet mir alles, das zu hören. Auch wenn alle anderen Fragen und Vorwürfe noch ungeklärt sind.
»Und was ist mit dem Rest?«, hake ich nach.
»Ist nicht das, was es zu sein scheint«, antwortet sie kryptisch und ihr Blick wird eindringlich. »Was ich dir jetzt erzähle, muss unter allen Umständen unter uns bleiben. Du darfst mit niemandem darüber sprechen. Versprich es mir!«
Das Wörtchen ›niemand‹ betont sie dabei besonders und die Botschaft kommt bei mir an. Auch nicht mit Justus und Peter. Ich zögere. Mir behagt es nicht, so ein Geheimnis vor ihnen zu haben. Aber dann nicke ich. Ich werde mir später Gedanken darum machen, was und wie viel ich ihnen erzählen kann, ohne Ivete zu verraten.
»Versprochen. Großes Detektivehrenwort.«
Ein Lächeln zuckt über ihren Mund. Sie atmet tief ein und aus. »Der Urutau ist eine Legende, die eng mit meiner Familie verbunden ist«, spricht sie weiter. »Ein Meisterdieb, der ungesehen rein und raus geht und nicht zu fassen ist.« Sie zögert erneut. »Aber das ist alles nur Tarnung.«
»Für was?« Meine Stimme klingt rau, nachdem sie mir mit ihren Worten meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt hat.
»Informationen«, sagt sie. »Es ging nie um die Gegenstände. Sie waren immer nur Mittel zum Zweck.«
Ich kneife die Augen zusammen. »Das erklärt zwar, warum eine wohlhabende Familie wie ihr Diebstähle begeht. Aber es macht es ehrlich gesagt nicht besser.«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, nein, nein. Nicht, wenn die Informationen an die richtige Seite gehen.«
Erstaunt reiße ich die Augen auf, als ich begreife, worauf die hinauswill. »Ihr habt diese Tarnidentität aufgebaut und für die Behörden Informationen gesammelt? Informationen worüber?«
»Illegaler Kunsthandel, Kunstdiebstahl, Kunstfälschung, all das.« Sie seufzt schwer. »Du musst wissen, der Rechtsstaat Brasilien ist kaputt vor lauter Korruption. Wer Geld hat, hat auch die Macht, etwas zu bewirken. Meine Mutter war in der Politik, hat sich dafür aufgerieben, die Situation im Land zu verbessern. Etwas mehr soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz. Und ist doch immer wieder gescheitert. Zum Schluss hat es sie das Leben gekostet.«
Ihre Stimme bricht bei ihren letzten Worten und ich kann mir denken, was ihr gerade durch den Kopf geht.
»Ich weiß, ich hab davon gehört. Es tut mir so leid«, sage ich bedrückt. Sanft fahre ich ihr über den Rücken, gebe ihr mit meiner Nähe die Kraft, weiterzusprechen. »Was sagte deine Mutter zu dem Nebenjob deines Vaters?« Auch wenn sie es vermeidet einen Namen zu nennen, weiß ich doch, von wem genau sie redet.
Ivete fährt sich über die Augenwinkel und sieht mich dann wieder deutlich gefasster an. »Sie wusste nichts davon. Er hat es vor uns allen geheim gehalten.«
»Und als dein Vater den Unfall hatte, hast du den Job übernommen?«
Ein Schatten legt sich plötzlich über ihre Gesichtszüge und sie nickt. Wenn auch mit einem deutlichen Zögern. »So kann man das wohl sagen.«
Ich hab das Gefühl, dass sie in diesem Punkt nicht die ganze Wahrheit erzählt.
»Die Gegenstände, die der Urutau gestohlen hat«, erzählt sie weiter, bevor ich nachhaken kann, »waren entweder illegal erworben und sind ihrem rechtmäßigen Besitzer wieder zurückgegeben worden. Oder sie wurden genutzt, um weitere Informationen zu erhalten.«
»Was ist mit dem Amulett? Wirst du es dem Museum jetzt wieder zurückbringen, aus dem es vor dreißig Jahren gestohlen wurde? Hätte es da nicht auch ein Gespräch mit Mrs Monet getan? Warum der Diebstahl?«
Was sie mir da offenbart, bringt mich in eine echt Zwickmühle. Einerseits beruhigt es mich, dass sie sich offenbar nicht bereichert. Vielmehr dienen die Diebstähle einem höheren Ziel. Einem mehr oder weniger moralischem Ziel. Aber ich bezweifle, dass sie hierfür die richtigen Mittel wählt. Ist es der richtige Weg, ein Verbrechen mit einem Verbrechen aufklären zu wollen?
Andererseits, sind die drei Fragezeichen da wirklich besser? Wie oft haben wir Hausfriedensbruch begangen? Oder uns mit Hilfe von Peters Dietrichen irgendwo Zugang verschafft? Oder Beweise mitgehen lassen, um sie näher zu untersuchen?
Ivete seufzt. »Das Amulett ist mir völlig egal«, gibt sie zu. »Ich werde es ihr zurückgeben. Vermutlich hätte ich euch eine Spur gelegt, damit ihr es findet. Irgendwas in der Art.«
»Worum ging es dir dann?«
Sie mustert mich eine Weile. »Um das, was darunter liegt.«
Ich verstehe kein Wort. »Darunter? Unter dem Amulett? Du meinst in der Vitrine?«
Sie nickt. »Der Mann von Mrs Monet hat im unteren Teil der Vitrine einen versteckten Safe einbauen lassen. Das perfekte Versteck, nachdem seine Frau angekündigt hat, das Amulett nie wieder anrühren zu wollen. Sie hat selbst keine Ahnung, was dort seit vielen Jahren liegt.«
Ich muss die Information erst einmal sacken lassen. Auf diese Möglichkeit wäre ich niemals gekommen. Und ich muss Ivete zustimmen. Es ist oder war das perfekte Versteck. Wir haben uns die Vitrine selbst angesehen und keinen Hinweis darauf entdecken können, dass darunter etwas verborgen ist. Zugegeben, wir haben auch nicht nach so etwas gesucht. Aber zumindest Justus hat normalerweise einen siebten Sinn, wenn es um verborgene Kammern oder Geheimverstecke geht. Und Mrs Monet hat uns selbst gesagt, dass sie das Amulett seit der Gala nie wieder in den Händen gehalten hat. Zu wertvoll sei es und sie habe Angst gehabt, es durch unbedachte Handhabung zu zerstören.
»Was lag in dem Versteck? Informationen, nehme ich an. Welche?«
Sie zögert. »Es ist besser, wenn du darüber nichts erfährst.«
Ihr Blick verrät mir bereits, dass sie es ernst meint. Eigentlich passt mir das nicht, aber ich nehme es hin. Mir ist nämlich durchaus bewusst, was hier gerade passiert ist. Ivete vertraut mir. Und das so sehr, dass sie mich in das bestgehütete Geheimnis ihrer Familie einweiht. Und nicht nur das. Wäre sie mir hier nicht entgegengekommen, wäre es zwischen uns unweigerlich aus gewesen. Etwas, das sie glücklicherweise genauso wenig wollte, wie ich.
Ich lege meine Hand in ihren Nacken, ziehe sie zu mir und gebe ihr einen innigen, liebevollen Kuss. »Danke für dein Vertrauen«, murmel ich als wir uns wieder voneinander lösen.
Ivete schenkt mir ein wunderschönes Lächeln, bevor ihre Lippen wieder auf meinen liegen. Bereitwillig öffne ich den Mund und unsere Zungen beginnen, sich zu umkreisen und zu necken. Mein Stöhnen geht in unserem Kuss unter.
Mit einer flinken Bewegung schiebt sie sich plötzlich über mich. Die Hände neben meinem Kopf abgestützt, die dunklen Locken wie ein Vorhang ausgebreitet, blickt sie auf mich herab.
»Schluss jetzt mit dem Rumgequatsche«, flüstert sie.
Ich lege meine Hände auf ihre Hüften und streiche über ihre warme Haut. »Die Richtung, in der unsere Gespräche immer wieder abdriften, gefällt mir«, erwidere ich grinsend.
»Cale a boca!«
»Was?«
»Halt den Mund!«
Mein Lachen wird von ihrem Mund gedämpft und jeglicher Gedanke ist Sekunden später wie weggefegt.
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