1 | IVETE
Die Sonne steht tief am Horizont und färbt das Wasser des Pazifiks in leuchtenden Orange- und Rottönen. Die Temperaturen sind auf ein angenehmes Maß gesunken und der leichte Wind sorgt zusätzlich dafür, dass die Hitze des Tages sich langsam verabschiedet.
Träge drehe ich das Weinglas in meiner Hand und lausche nur noch mit einem Ohr auf die Worte meines Gesprächspartners. Gelegentlich nicke oder lächle ich, was offenbar genug Ansporn darstellt, mich weiterhin zuzublubbern. Um was es genau geht, habe ich eh bereits vergessen. Mein Gesprächspartner ist ein Mann in den Dreißigern, der sein Geld im Import-Export-Handel gemacht hat. So viel weiß ich noch, nachdem er sich zu mir gesellt und ein Gespräch begonnen hat. Ob er weiß, wer ich bin? Bisher hat er es mit keinem Wort verraten. Zunächst habe ich ihn noch ganz interessant gefunden. Er ist charmant und sein Humor hat mir durchaus gefallen. Doch nachdem er einen Monolog über seine beruflichen Erfolge gestartet hatte, ist mein Interesse schnell erloschen. Ich mag keine Wichtigtuer und Selbstdarsteller.
Immer wieder wird mein Blick von dem beeindruckenden Ausblick und dem grandiosen Farbenspiel angezogen, dem er jedoch keinerlei Beachtung schenkt. Banause!
Ein wenig erinnert mich das Bild an den Ausblick, den man vom Anwesen meiner Familie in Vitória hat. Sofort meldet sich das Heimweh und legt sich wie eine schwere Decke über meine Schultern. Ich vermisse meine brasilianische Heimatstadt, 500 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro. Ich vermisse meine Familie. Unauffällig richte ich mich auf, um das Gefühl wieder loszuwerden. Hier und jetzt hat es einfach keinen Platz. Es zeigt mir jedoch, dass es höchste Zeit für einen Orts- und Gesprächspartnerwechsel ist.
Gerade beginnt er von seinen Plänen, sein Geld in Kunstgegenstände zu investieren. Vor allem für lateinamerikanische Kunst zeigt er Interesse. Ich seufze im Stillen. Endlich kommt er zum Punkt. Also hat er sehr wohl eine Ahnung davon, mit wem er sich gerade unterhält.
Bevor er jedoch die Gelegenheit bekommt, mit mir über geschäftliche Dinge sprechen zu wollen, unterbreche ich ihn mitten im Satz. »Entschuldigen Sie mich bitte kurz. Lassen Sie uns das Gespräch gerne später fortführen, aber ich habe dort hinten unsere Gastgeberin entdeckt und möchte ihr nur schnell ›Hallo‹ sagen. Als ich angekommen bin, haben wir uns leider verpasst.«
Ich schenke ihm noch ein entschuldigendes Lächeln und lasse ihn dann einfach stehen, ohne auf eine Antwort zu warten. Kaum habe ich mich weggedreht, atme ich einmal tief durch und bemühe mich, meinen Abgang nicht wie eine Flucht aussehen zu lassen. Es ist unhöflich, ihn so abzuwürgen und stehenzulassen. Aber an dieser Stelle bin ich heilfroh, dass meine Familie nicht auf jeden Kunden angewiesen ist. Wenn er wirklich an lateinamerikanischer Kunst interessiert ist, würde er schon einen anderen Händler finden. Wenn er an mir interessiert ist, hat er schlichtweg Pech gehabt.
Ich verlasse die westliche Terrasse, umrunde den ausladenden Loungebereich, wobei ich immer wieder anderen Gästen ausweichen muss. Keine Ahnung, wie viele Menschen sich hier tummeln. Eigentlich hätte ich mir einen Überblick verschaffen wollen, aber ich hatte es schnell aufgegeben. Es ist die Hölle los. Abgesehen von all den Gästen schwirrt auch eine Unmenge an Personal herum, mit Tabletts voller Getränke und kleinen Häppchen bewaffnet. Einer Kellnerin reiche ich mein halb volles Glas, als ich an ihr vorbeigehe.
Eigentlich herrscht eine ganz angenehme Atmosphäre. Die indirekten Leuchten und Fackeln kommen jetzt, nachdem die Dämmerung einsetzt, endlich zur Geltung. Irgendwo steht ein Streichquartett und beschallt mit ihrer Musik das gesamte Gelände.
Die Villa hat einen erstklassigen Standort und eine Ausstattung, die vom Geld ihrer Besitzerin zeugt. Egal, worauf das Auge fällt, alles ist von feinster Qualität. Doch nichts von der pompösen Einrichtung beeindruckt mich. Ich bin in noch viel prachtvolleren Palästen groß geworden. Und genauso, wie ich es kenne, hasse ich es auch. Dieser offen zur Schau gestellte Überfluss an unnützen Dingen widert mich an. Ungünstig, wenn man aus einer der reichsten Familien Brasiliens stammt.
Ich betrete das Gebäude und sehe mich um. Alles ist in Weiß gehalten. Wände, Marmorboden, Decken, sogar die Möbel sind strahlend weiß. Nicht mein Stil, aber durchaus nicht selten. Allerdings frage ich mich immer, ob die Menschen in den Häusern überhaupt leben oder ob sie diese nur als Ausstellungsstücke nutzen.
Die Gastgeberin heißt Filippa Monet und ist eine ehemalige Schauspielerin und Witwe eines berühmten Regisseurs. Sie hat mich zu dieser Gartenparty eingeladen. Eigentlich meinen Vater, aber nachdem dieser sich aufgrund eines Unfalls zurückgezogen hatte, bin ich nun das Gesicht des Familienimperiums Camargo. Auch wenn meine Lust sich in Grenzen hält und ich jetzt viel lieber am Strand liegen würde, so gehören Empfänge und Partys dieser Art zu meinem Job dazu. Und sonst gibt es niemanden, der es hätte übernehmen können.
Doch bevor ich mich bemerkbar mache und meinen Pflichten nachkomme, gehe ich zur Bar. Zuerst brauche ich etwas zu trinken.
Eine der vier Bars ist in einem der Wohnräume direkt neben der Küche aufgebaut. Im Gegensatz zu draußen ist hier deutlich weniger los. Ich trete an die Theke heran und warte, bis einer der beiden jungen Herren, die dort Getränke mixen, auf mich aufmerksam wird. Auch aus diesem Raum hat man einen hervorragenden Blick aufs Meer und schon wieder wird mein Blick wie magnetisch davon angesogen.
»Was kann ich für Sie tun, Ma'am?«
Die Stimme des Barkeepers dringt an mein Ohr und sorgt für eine Gänsehaut, die sich auf meinen Unterarmen ausbreitet. Verwirrt blicke ich auf und sehe in blaue Augen.
»Darf ich Ihnen einen Cocktail mixen oder hätten Sie lieber ein Glas Champagner?«
Diese Stimme! Dunkel und melodisch, ein wenig rauchig und mit einem Timbre, das sofort etwas in mir berührt.
Schnell rufe ich mich zur Ordnung und setze ein Lächeln auf. »Haben Sie irgendetwas ohne Alkohol, das aber nicht so aussieht?« Ich habe mir bereits ein halbes Glas Wein aufschwatzen lassen. Mehr Alkohol ist definitiv nicht drin.
Der Barkeeper runzelt kurz die Stirn, als würde er nachdenken, lässt seinen Blick über die Auswahl an Getränken schweifen und nickt dann. Während er mir etwas zaubert, habe ich die Gelegenheit, ihn unauffällig zu mustern. Sein Alter liegt schätzungsweise bei Anfang oder Mitte zwanzig. Also etwa in meinem Alter. Er ist nicht sonderlich groß, eher schmal gebaut, hat blonde, etwas längere Haare und Augen, die mich sofort in ihren Bann ziehen. Er trägt die Standardkleidung des Personals: schwarze Stoffhose und schwarzes Hemd. Was ihm ausgezeichnet steht. Und dann noch diese Stimme.
Als er mein Getränk vor mir abstellt, zeigt er mir obendrein noch ein umwerfendes Lächeln. Merda! Ich bin heute nicht zum Spaß hier, sondern zum Arbeiten!
»Et voilà. Ein gut getarnter alkoholfreier Cocktail. Salut!«
Gut aussehen tut der Cocktail. Er besteht zum Großteil aus einer klaren Flüssigkeit, in der Eiswürfel, Himbeeren und einige Zweige Rosmarin schwimmen. Am Boden des Glases schwimmt eine dickflüssige, rote Flüssigkeit. Ich bin dummerweise zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihn anzuschmachten, dass ich überhaupt nicht aufgepasst habe. Also probiere ich einfach blind. Eine überraschend leckere Mischung aus Säure und Süße, gepaart mit dem Kribbeln von Kohlensäure, flutet meinen Mund. Die klare Flüssigkeit scheint simples Mineralwasser zu sein, dazu Himbeersirup und ein Spritzer Zitrone.
»Wow«, anerkennend nicke ich ihm zu. »Dafür, dass Sie kein professioneller Barkeeper sind, ist das verdammt gut.«
Er lacht. »Okay, was hat mich verraten?«
Ich lächle milde. »Sie haben zu lange überlegt. Und Sie wirken nicht ganz so routiniert wie Ihr Kollege. Aber keine Sorge, ich verrate Sie nicht, wenn ich Ihnen einige Minuten Ihrer Zeit stehlen darf.«
Es ist absolut unvernünftig, aber ich muss dieser Stimme einfach noch einer Weile lauschen. Ich überlege, wie ich ihn zu einem Gespräch animieren kann, bei dem er möglichst viel spricht. Er kann mir auch aus dem Telefonbuch vorlesen, aber bei der Bitte hätte ich mich nur lächerlich gemacht.
Er hebt die Augenbrauen und statt gleich abzulehnen, wirft er einen Blick zu seinem Kollegen, der selbst gerade nicht sonderlich gestresst aussieht.
Ein wissendes Lächeln zeigt sich auf seinen Lippen. »Ich verrate im Gegenzug auch niemandem, dass Sie sich hier verstecken«, verspricht er mit einem Augenzwinkern.
Mein Lächeln wächst zu einem ausgewachsenen Grinsen an. Der Typ gefällt mir immer mehr. Und er ist ein verdammt guter Beobachter.
»Gefällt Ihnen die Party nicht?«
»Diese Veranstaltungen sind immer das Gleiche. Austausch langweiliger, bedeutungsloser Worthülsen.«
»Das klingt nicht so, als wären Sie zum Spaß hier.« Er mustert mich neugierig, während er den Vorrat an geviertelten Zitronen und Limetten auffüllt. Es gefällt mir, dass er sich zwar für mich Zeit nimmt, seine Hauptaufgabe aber nie aus den Augen verliert. Sehr gewissenhaft und verantwortungsbewusst.
»Nein«, gebe ich offen zu. »Dann wären wir beide uns wohl eher an einer Strandbar begegnet. Was ist mit Ihnen?«
»Strandbar klingt gut.« Er zwinkert mir zu. »Und der Job macht gerade in diesem Moment besonders viel Spaß.«
Ich folge einem Impuls und halte ihm meine Hand hin. »Ich bin übrigens Ivete.«
»Bob. Freut mich.« Er trocknet seine Hand an einem Handtuch ab und greift nach meiner.
Die Berührung ist nur kurz und doch spüre ich die angenehme Wärme auch noch Augenblicke später auf meiner Haut.
Einige Atemzüge halte ich den Blickkontakt, spüre dem leisen Kribbeln in meiner Magengegend nach und verfluche den Umstand, weswegen ich hier bin. Es wäre ein Leichtes, dem attraktiven Barkeeper meine Nummer zuzustecken. Aber ich habe andere Pläne. Und bevor diese in Gefahr geraten, weil meine Hormone Samba tanzen, breche ich das Ganze hier lieber ab. Denn auch ich bin gewissenhaft und verantwortungsbewusst. Leider.
Ich lächel ihm zu und nicke in Richtung meines Drinks. »Danke für den Undercover-Cocktail und danke für die kurze Pause.«
Seine blauen Augen leuchten, als er mir zunickt. »Es war mir ein Vergnügen.«
Bevor ich ihn doch noch nach seiner Nummer fragen kann, reiße ich mich los und verlasse die Bar mit einem letzten Lächeln und dem Cocktail in meiner Hand.
Ich finde die Person, nach der ich eigentlich suchen wollte, einige Räume weiter. Als die Gastgeberin dieser Party mich erblickt, legt sich ein Strahlen auf das Gesicht der etwa 70-jährigen Dame, die auch heute nichts von ihrer Schönheit eingebüßt hat.
»Aah, Miss Camargo! Schön, dass Sie es geschafft haben.«
Tief durchatmend, dränge ich alle Gedanken, die mich ablenken könnten, in die hinterste Ecke meines Hirns und schalte um in den Geschäftsmodus.
»Boa noite, Senhora Monet!« Ich trete an sie heran und begrüße sie mit zwei gehauchten Küssen auf der Wange. »Herzlichen Dank für Ihre Einladung. Ich soll Sie von meinem Vater grüßen und die besten Wünsche ausrichten.«
Sie freut sich sichtlich. »Oh, vielen Dank! Sehr schade, dass er nicht hier sein kann. Wie geht es ihm?«
»Den Umständen entsprechend«, antworte ich. Mrs Monet weiß nur einen Bruchteil über meinen Vater und die Umstände seines Unfalls. Das, was wir bewusst an Informationen herausgegeben haben. »Er hätte sich sehr gefreut, hier zu sein.«
Sie nickt und mustert mich dann ungeniert, wie es nur jemand tut, der glaubt, alles erlebt und gesehen zu haben. Ich lasse es über mich ergehen, ohne mit der Wimper zu zucken oder mir Unsicherheit anmerken zu lassen. Etwas, was ich schnell habe lernen müssen ist, niemals Schwäche oder Unsicherheit zu zeigen.
Nach ihrer Musterung nickt sie erneut zufrieden und lächelt mir milde zu. »Als mir mitgeteilt wurde, dass Sie die Geschäfte ihrer Familie übernehmen, war ich zunächst skeptisch. Wie alt sind Sie, wenn Sie mir die direkte Frage verzeihen?«
Nein, eigentlich kann ich genau das nicht ausstehen, weil es immer um mein Alter geht. Und wenn nicht darum, dann um mein Geschlecht. Eine junge Frau an der Spitze des Familienimperiums ... es gibt viele, die mir von vornherein allein wegen dieser beiden Eigenschaften absprechen, dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Aber ich bin fest entschlossen, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
»Dreiundzwanzig, antworte ich dennoch ehrlich. »Aber das Alter sagt nichts über meine Fähigkeiten aus.«
Sie nickt wissend. »Lassen Sie sich nichts anderes einreden! Ich habe gehört, Sie studieren noch?«
Ich nicke. »Ich werde an der UCLA meinen MBA machen.«
»Sehr vernünftig. Das ist eine gute Basis. Für alles andere sitzen Sie ja eh an der besten Quelle. Aber nun kommen Sie. Ich will Ihnen das Objekt zeigen, weswegen Sie hier sind.«
Wir stellen unsere inzwischen leeren Gläser beide ab. Sie hakt sich bei mir unter und führt mich tiefer in die Villa hinein. Während wir die breiten Treppen hinaufsteigen, gibt sie mir eine ausführliche Führung durch ihr Reich. Sie zählt die Schlafzimmer und Badezimmer auf, berichtet von weiteren Räumen (ein Schwimmbad im Keller mit angrenzendem Fitness- und Saunaraum, ein kleiner Kinosaal, in dem sie mit ihrem Mann gerne die alten Hollywood-Filme angeschaut hat, ein Freizeitraum mit Billardtisch und so weiter und so weiter). Vermutlich will sie mich damit beeindrucken und ich tue ihr den Gefallen und zeige mehr Begeisterung, als ich eigentlich empfinde. Ich animiere sie geschickt durch Nachfragen dazu, mir Informationen zu geben, die sie vermutlich sonst eher für sich behalten hätte und erhalte so einen ziemlich detaillierten Eindruck von der Villa, inklusive des eingebauten Sicherheitssystems. Nicht, dass ich den nicht vorher bereits gehabt habe.
Im zweiten Stockwerk angekommen, erreichen wir eine Tür, die ziemlich massiv aussieht. Sie tritt an ein Tastenfeld heran und gibt einen sechsstelligen Code ein. Es piepst zweimal und das Schloss gibt ein leises Knacken von sich.
Der Raum, in den sie mich mit einem stolzen Gesichtsausdruck hereinbittet, ist dann doch beeindruckend und verschlägt mir für einen kurzen Augenblick den Atem. Nicht wegen seiner besonderen Architektur oder der Möbel, sondern wegen der Kunstschätze die hier lagern.
Ich trete stumm mitten hinein und dreht mich einmal im Kreis, um mir einen Überblick zu verschaffen. Der Raum ist riesig und durch geschickt platzierte, indirekte Lampen herrlich ausgeleuchtet. Überall stehen Vitrinen in unterschiedlichster Größe herum, die Kunstgegenstände beinhalten. Ich sehe Skulpturen, Schalen, Vasen, Schmuck, Tafeln und in einer Vitrine jede Menge Schmuck. Ein Sammelsurium, das einem Museum Konkurrenz macht. Allen Gegenständen ist eines gemeinsam: Sie stammen aus Lateinamerika. Die Kunst unterschiedlichster Epochen und Kulturen vereint sich hier in diesem Raum.
Filippa Monet geht auf eine Vitrine zu und deutet auf die braune, bauchige Keramik in ihrem Inneren. Ich trete näher heran.
Es handelt sich dabei um ein typisches Steigbügelgefäß der Moche, einer Kultur, die zwischen dem 1. und dem 8. Jahrhundert auf dem heutigen Gebiet Perus lebte. Das Gefäß ist in einem warmen Braunton gehalten. Seitlich ist der markante Steigbügelhalter angebracht, an dessen Halbrund ein kleiner Ausguss angesetzt ist. Das Gesicht eines Menschen ist auf dem Gefäß zu sehen, mit markanter Nase, Mund und Kinnpartie. Anhand des modellierten Zubehörs muss es sich um einen Priester handeln.
Woher ich das alles weiß? Nun, es ist mir gewissermaßen in die Wiege gelegt worden und nun gehört es zu meinem Job. Genau damit verdient meine Familie seit Generationen ihr Vermögen: Mit dem Handel von Kunstgegenständen und Schmuck alter lateinamerikanischer Kulturen.
Mrs Monet öffnet die Vitrine, ich ziehe aus meiner Handtasche meine Baumwollhandschuhe heraus und besehe mir die Figur genauer.
Meine Aufgabe hier und heute ist die Besichtigung und Bewertung des Objektes, das Filippa Monet veräußern will. Ich sondiere vor, alles Weitere werden dann unsere Mitarbeiter übernehmen. Natürlich bin ich keine Expertin auf dem Gebiet. Wer kann das schon von sich behaupten, bei so vielen Kulturen und Epochen? Aber ich bin durchaus in der Lage, lohnenswerte Objekte von billigem Touristenkram zu unterscheiden. Und dies hier ist tatsächlich ein sehr vielversprechendes Objekt. Definitiv original und sehr sehr alt.
Nach einer gründlichen Untersuchung stelle ich die Keramik vorsichtig wieder zurück und ziehe die Handschuhe aus. Mrs Monet verschließt die Vitrine und sieht mich abwartend an.
Ich nicke. »Ich denke, wir kommen ins Geschäft, Mrs Monet. Einer meiner Mitarbeiter wird sich dann die kommenden Tage bei Ihnen melden, um die endgültige Bewertung durchzuführen und mit Ihnen alles Vertragliche abzusprechen.«
Sie strahlt mich an. »Sehr schön! Dann lassen Sie uns auf das Geschäft anstoßen.«
Ich nicke lächelnd. »Gerne, wenn Sie mir noch eine Bitte gewähren.«
Sie runzelt die Stirn, dann hellt sich ihr Gesicht auf, weil sie natürlich genau weiß, worauf sich meine Bitte bezieht. »Kommen Sie. Hier drüben ist es.«
Sie führt mich an eine Vitrine am Fenster, über der eine tief hängende Leuchte angebracht ist, die das Objekt darin strahlend hell erleuchtet.
Ehrfürchtig trete ich an die schmale Vitrine heran. Ich spüre, wie mein Herz einen kurzen Augenblick aussetzt und dann bedeutend schneller weiterschlägt, als ich das Kleinod entdecke. Dort liegt es vor mir. Ein Amulett aus apfelgrüner Jade. Es zeigt das kunstvoll geschnitzte Antlitz eines Würdenträgers mit nach unten gerichteten Augen, einer Höckernase und breiten Lippen. Geschmückt war der Kopf mit einem gezackten Kragen, Ohrmuscheln und einem mehrschichtigen, weit ausladenden Kopfschmuck. Der Anhänger ist an einem kunstvoll geflochtenen und mit Perlen versehenen Lederband angebracht, das hervorragend zu dem Anhänger passt, jedoch definitiv nachträglich hinzugefügt worden war.
»Es ist wunderschön«, flüstere ich ehrfürchtig. »Ein beeindruckendes Meisterwerk. Sie können sich sehr glücklich schätzen, dass Ihr Mann dieses Kunststück für Sie erstanden hat.«
In ihre Augen tritt ein wehmütiger Ausdruck. »Das bin ich. Allein deswegen hüte ich es, wie meinen Augapfel. Außer dem einen Mal habe ich es nie wieder getragen.«
»Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Auch, dass Sie nicht bereit sind, es zu verkaufen.«
Sie lächelt mich milde an. »Das Amulett hat für mich auch immer einen ideellen Wert, weil es von meinem Mann kam. Ich bezweifle, dass ich jemals in der Lage sein würde, es zu veräußern. Egal, wie schlecht es mir finanziell geht. Dafür hänge ich emotional viel zu sehr daran.«
Ich nicke und zwinkere ihr dann zu. »Falls Sie doch noch Ihre Meinung ändern sollten, haben Sie ja meine Nummer.«
Ich habe inzwischen einen ganz guten Eindruck meiner Gesprächspartnerin und wie erwartet, nimmt sie mir den Spruch nicht übel, sondern lacht hell auf. Gemeinsam verlassen wir den Raum und begeben uns wieder nach unten, wo Filippa Monet sofort eine Kellnerin herbeiwinkt und zwei Gläser Champagner ordert.
Wir unterhalten uns noch eine ganze Weile über lateinamerikanische Kunst und ich erkenne einmal mehr, welch glühende Begeisterung sie für diese hegt. Etwas, das wir definitiv gemeinsam haben. Ich habe mich zwar im Vorhinein ausführlich über meine Kundin informiert, aber diese Leidenschaft überrascht mich dann doch. Nach einem langen und phasenweise etwas nerdigen Gespräch, für das wir vermutlich einige schräge Blicke geerntet haben, verabschiedet sie sich von mir, um sich um ihre weiteren Gäste zu kümmern.
Ich tausche den kaum angerührten Champagner, der inzwischen keinerlei Kohlensäure mehr innehaben kann, gegen ein Glas Wasser aus und suche mir einen Platz, etwas abseits des ganzen Trubels.
Ich nutze den kurzen Augenblick der Ruhe, um einige Male tief durchzuatmen und mich zu sammeln. Dann komme ich endlich dazu, nach meinem Smartphone zu schauen. Die Vibration habe ich bereits vor einer ganzen Weile gespürt. Ich ziehe es aus der kleinen Tasche, die ich bei mir trage, und entsperre das Display.
Pronto quando você estiver! - Bereit, wenn du es bist!
Mein Herzschlag beschleunigt sich sofort. Die Zeit ist gekommen.
Ich kontrolliere gründlich, ob mich jemand beobachtet. Mein Blick bleibt dabei an der Bar hängen, an dem jungen Mann, dessen Stimme mich so fasziniert hat. Aber er ist gerade damit beschäftigt, Kundschaft zu bedienen.
Dann ziehe ich mich in die Schatten zurück und verschwinde unbemerkt.
Ich habe noch einen Job zu erledigen, und jetzt ist der perfekte Zeitpunkt.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro