Kapitel 60
Einfach nur mit Kevin befreundet zu sein, stellte sich als einfacher heraus als erwartet. Zumindest so lange er noch in Pittsburgh und damit hunderte Meilen entfernt war. Dass er während der Weihnachtsferien zurückkommen würde, hatte ich gewusst. Doch da ich meiner Mutter und den Kids versprochen hatte die Weihnachtstage bei ihnen in Centerville zu verbringen, war ich nicht davon ausgegangen, den Braunhaarigen überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Doch da lag ich falsch.
Offenbar veranstaltete der Besitzer des Hauses rechts neben dem der Kellers jedes Jahr am Freitag vor Weihnachten ein kleines Fest, bei dem das ganze Quartier zum Kosten seines hausgemachten Eierlikörs eingeladen wurde. Ich hatte mir erst nicht viel dabei gedacht, als der Zettel eines Morgens aufgrund des fehlenden Briefkastens an der Tür zum Haus hing. Doch Kevin war belehrte mich bald des Besseren.
"Wenn du nicht willst, dass die ganze Strasse über dich tuschelt, musst du kommen", erklärte er, als wir zwei Tage darauf telefonierten. "Sara sagt, eine ganze Menge Leute hätten sie schon darauf angesprochen, wer das alte Haus gekauft habe."
Ich verdrehte meine Augen und stellte den Anruf auf Lautsprecher um, damit ich beide Hände frei hatte, um das Scharnier der Tür zum Küchenschrank zu lösen, der vor mir auf dem Boden lag. "Du weisst schon, dass das das Ganze nicht gerade attraktiver macht, oder?"
Der Braunhaarige am anderen Ende lachte. "Wenn es irgendetwas hilft: Sara und ich werden auch da sein. Und vielleicht sogar Josie, wenn sie den Zug erwischt."
Das half in der Tat ein wenig. Zumindest würden es demnach nicht alles neue Gesichter sein. "Von mir aus", lenkte ich ein und löste nun vorsichtig die ganze Front des Schrankes ab. Diese würde ich auf jeden Fall wiederverwenden. Mit einem neuen Anstrich sah es bestimmt ziemlich gut aus. "Aber ich halte mich an die alkoholfreien Getränkeoptionen. Soll ja schliesslich am nächsten Tag nach Centerville fahren."
Hätte ich geahnt, dass ich diesen Vorsatz ziemlich schnell komplett über Bord werfen würde, wäre ich wahrscheinlich zu Hause geblieben. Doch ich hatte ja auch nicht ahnen können, dass direkt eine ganze Reihe an Anwohnern mit dem 'Neuling' anstossen wollten. Und wenn sie mir dabei einen Becher Likör in die Hand drückten, konnte ich wohl kaum 'Nein' sagen.
Zu meiner Erheiterung ging es Kevin allerdings nicht viel besser, als ich mich endlich durch die neugierigen Blicke und Fragen zu ihm vorgekämpft hatte. Sara hatte ihn in Beschlag genommen. Offenbar hatte sie am Nachmittag einen üblen Streit mit ihrem Freund - von dem ich zum ersten Mal hörte - gehabt und wollte den Kummer nun ersäufen. Und zum Leidwesen des Northsiders, tat sie dies nur ungern alleine.
"Joaquin, du bist gekommen!" Die Blonde erhob sich und taumelte auf mich zu. So stark, dass ich sie auffangen musste.
"Wow, vielleicht wäre der Kinder-Punsch doch besser gewesen?"
"Liebeskummer", erklärte Kevin und erhob sich nun ebenfalls von der Bank, auf der sie gesessen hatten. Er schien einiges besser auf den Füssen zu sein, auch wenn seine geröteten Wangen und die glasigen Augen verrieten, dass auch er längst nicht mehr nüchtern war.
"Dieses Arsch hat allen Ernstes behauptet, ich engagiere mich nicht genug für unsere Beziehung", lallte die Blondinein in mein Ohr und gestikulierte dabei wild herum.
"Muss ich das verst-", doch bevor ich überhaupt aussprechen konnte, fiel sie mir auch schon in Wort.
"Was ist mit euch? Ich dachte ihr seid nicht mehr zusammen."
"Sind wir auch nicht", stellte Kevin schnell klar und ich nickte zustimmend.
"Wir sind bloss Freunde."
"Und weil wir auch deine Freunde sind, bringen wir dich jetzt ins Bett." Kevin griff sich Saras zweiten Arm und legte ihn ebenfalls über seine Schulter.
"Hat sie einen Schlüssel bei sich?", harkte ich nach und der Braunhaarige blieb kurz stehen, ehe er die Richtung wechselte. "Mein Zimmer. Ist sowieso näher."
So verfrachteten wir die inzwischen beiahe im Stehen einschlafende Blondine in Kevins Zimmer. Sie wehrte sich nicht und hatte sich bereits in das Kissen eingekuschelt, als wir die Tür hinter ihr zuzogen.
Auf dem Weg nach unten, hielt sich Kevin plötzlich den Kopf und stöhnte leicht. "Mann, ich glaub' ich hatte auch ein Paar zu viel gehabt. Magst du auch ein Glas Wasser?"
Ich nickte und folgte ihm wortlos in die Küche. Ein Weg, den ich gut genug kannte. Anstatt ihm jedoch komplett in den Raum zu folgen, blieb ich im Türrahmen stehen und beobachtete, wie er zwei Gläser aus dem einem Schrank nahm und dann unter dem Wasserhahn volllaufen liess. Ich schob es auf den Alkohol, dass ich dabei meine Augen nicht einen Moment von ihm lösen konnte. Verdammter James-Dean-Verschnitt, weshalb musste er so unverschämt gut aussehen?
Als Kevin sich dann jedoch umdrehte und seine grünen Augen auf Meine trafen, wandte ich den Blick schnell ab und konzentrierte mich stattdessen auf das Wasser, dass er mir hinhielt. Ich leerte dieses in ein paar grossen Schlucken, jedoch nicht hastig genug um es so aussehen zu lassen, als ob ich schnell weg wollte. Dennoch hatte Kevin seines noch kaum angerüht, als ich das nun mittlerweile leere Glas auf der Ablage abstellte. Dieses Mal war er es, der mich anstarrte.
"Ist was?", fragte ich und lächelte leicht, als er genauso schnell wie ich zuvor plötzlich das Glas in seinen Händen viel zu interessant fand. Zumindest für einen kurzen Augenblick. Dann stellte er es ebenfalls hinter sich auf der Ablage ab und sah mich wieder direkt an. "Ist wahrscheinlich der Alkohol, aber ich will dich gerade echt heftig küssen."
Ich biss mir auf die Unterlippe und musterte den Braunhaarigen. Offenbar gehörte er zu der Sorte Mensch, die ehrlich wurde, wenn sie betrunken waren. Noch ehrlicher, als er sonst schon war. Ich gehörte da eher zu der Sorte, die unvorsichtig wurde. Und in diesem Moment war das eine ziemlich gefährliche Mischung.
"Wir sind alt genug. Wir können das tun und einfach Freunde bleiben, oder?", entglitt es mir und bevor ich mich versah, hatte Kevin auch schon die Distanz zwischen uns überwunden und seine Lippen gierig auf Meine gelegt. Ich erwiderte den Kuss ohne zu zögern und liess mich von dem Dunkelhaarigen gegen die Wand in meinem Rücken drücken. Seine Hände fanden halt in meinen Haaren, während meine über seinen Rücken fuhren. Die Muskeln, die sich unter seiner Jacke bewegten verrieten mir, dass er trotz dem Wegfallen der wöchentlichen Trainings im Riverdale High Wrestling Team nicht ausser Form gekommen war. Seine Lippen wanderten tiefer und entlockten mir ein leises Stöhnen, als sie sanft über die besonders empfindliche Stelle direkt unter meinem Ohr glitten.
"Scheisse hab ich das vermisst", erwiderte der Braunhaarige darauf mit kratziger Stimme und ich löste schnell eine Hand von seinem Rücken und liess diese stattdessen auf seine Brust wandern, damit ich ihn etwas von mir wegdrücken und ansehen konnte.
"Was?"
Kevin grinste nur und drückte seine Lippen wieder auf Meine, jedoch nicht ohne davor zu hauchen: "Wie du klingst, wenn du stöhnst."
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und stiess ihn nun spielerisch ganz von mir und in Richtung des Wohnzimmers. "Lass uns mal sehen ob du mich daran erinnern kannst, wie das Ganze bei dir so klingt."
Der Braunhaarige zog mich grinsend an einer Hand mit und wir schafften vielleicht die Hälfte des Weges bis zur Couch, bevor ich zu ihm aufschloss und seine Lippen wieder mit Meinen versiegelte. Er liess sich davon jedoch nicht verunsichern und dirigierte uns zielstrebig zur Couch, während meine Finger bereits damit beschäftigt waren, den Reissverschluss seiner Jacke aufzuziehen. Dies gelang mir schliesslich auch, gerade rechtzeitig bevor er mich mit sich auf das Sofa zog. Wir lachten leise in den nächsten Kuss hinein, während seine Hände nun auch etwas aktiver wurden und mir zuerst die schwarze Jeansjacke von den Schultern streiften und sich dann auch an meinem Pulli zu schaffen machten. Ich dagegen war gerade damit beschäftigt ihm den Schal vom Hals zu ziehen, als plötzlich die Eingangstür klickte und Schritte zu hören waren.
Kevin reagierte schnell. Bevor ich mich versah, rollte er uns Beide von der Couch hinunter und hielt mir warnend die Hand über den Mund. Ich konnte mir ein Lächleln nicht verkneifen und hauchte ihm einen Kuss auf die Innenfläche seiner Hand, blieb jedoch still während die Schritte näher kamen.
"Kevin?", rief Sierra, die nur noch ein paar Meter von uns im Flur stehen konnte. Da jedoch keine Antwort kam, entfernten sich Ihre Schritte bald wieder und das Klicken eines Lichtschalters war zu hören. Das Licht in der Küche ging aus.
"Ist er da?", klang nun auch die Stimme seines Vaters von der Tür und Sierra's Schritte kamen wieder etwas näher.
"Nein, vorhin sass er noch mit Sara auf der Bank. Hast du sie gesehen? Vielleicht", ihre Stimmen wurden leiser, als sie sich entfernten und verstummten schliesslich ganz als sie die Tür wieder hinter sich zuzog.
Wir atmeten beide auf und der Braunhaarige nahm endlich seine Hand von meinem Mund weg.
"Was war das denn?", fragte ich und setzte mich auf, während Kevin sich an der Couch hochzog.
Er lächelte entschuldigend und fuhr sich einmal durch die Haare. "Sierra und Dad mögen dich ziemlich, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Ich will nicht, dass sie sich falsche Hoffnungen machen, wenn wir-"
Ich schnitt ihn mit einem Kopfnicken ab und setzte mich neben ihm auf das Sofa. Durch das Adrenalin der letzten Minuten waren die prominentesten Effekte des Alkohols aus meinem Körper gewichen und mein sonst ziemlich vorsichtiges Gewissen bahnte sich einen Weg zurück. "Ist wahrscheinlich auch besser so. Das hier hätte die Ganze 'lass uns Freunde sein'-Geschichte ziemlich verkompliziert."
Kevin reichte mir meine Jacke. "Willst du es immer noch? Ich meine, dass wir Freunde sind?"
Ich nickte und schlüpfte wieder in den dunklen Stoff.
"Gut", meinte er daraufhin und lächelte wieder. "Aber lass uns ausmachen, dass wir in Zukunft den Alkohol weg lassen, wenn wir uns treffen."
Ich erwiderte sein Lächeln. "Guter Plan."
Ich war froh, direkt am nächsten Tag nach Centerville zu fahren. Es machte es einfacher, das was passiert war zu vergessen und wieder zurück in unsere Routine von einigen Nachrichten plus ein bis zwei Mal wöchentlich ein Telefonat zurück zu fallen. Und viel zu erzählen gab es nach den Weihnachtstagen definitiv.
Als wir das erste Mal telefonierten, riss Josie beinahe das gesamte Gespräch an sich und erzählte eine Menge von New York. Und beim zweiten Mal, am Abend des 26. bevor ich wieder zurück nach Riverdale fuhr, wollten die Kids unbedingt Kevin sehen und ihm all ihre neuen Spielsachen zeigen. Der Northsider machte geduldig mit, was ich ihm wirklich hoch anrechnete.
Die nächsten Tage waren ruhig und ich war froh darum. Schliesslich wusste ich, dass die Silvestertage zusammen mit Fangs und Sweet Pea definitiv nicht ruhig werden würden.
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