Kapitel 48
Ich hatte meine Mutter noch am selben Abend angerufen und ihr zugesagt. Jedoch nur unter zwei Bedingungen:
Erstens musste sie mir alles erzählen, was sie über den Tod meines Vaters wusste.
Und zweitens - das war Kevins Idee gewesen - musste sie mir garantieren, dass ich, falls Sie den Prozess gewann, ein Teil des Lebens meiner Geschwister sein dürfte.
Sie war ziemlich überrascht über meine Forderungen gewesen. Hatte aber schliesslich, wenn auch etwas zögerlich, zugestimmt.
Von da an rief sie beinahe jede Woche an, meistens weil ihr Anwalt irgendetwas wissen musste oder sie sonst irgendetwas von mir brauchte. Das war einerseits ungewohnt und teilweise auch ziemlich unangenehm, doch es gab mir auch die Möglichkeit mehr oder weniger mit meinen Geschwistern zu sprechen. Und das war wichtig, denn für einen Besuch reichte es aktuell leider nicht. Dafür war viel zu viel los.
Kevin hatte noch vier weitere Vorstellungsgespräche gehabt und bereits in der ersten Märzwoche eine Zusage von der UC San Diego und der UCLA erhalten. Yale hatte auch kurz darauf zugesagt, während Julliard und die Tisch ihn ablehnten. Darüber war der Braunhaarige allerdings nicht lange enttäuscht gewesen, da direkt schon am nächsten Tag ein Brief von der Carnegie Mellon University ins Haus flatterte. Die Universität in Pittsburgh war von Anfang an eine seiner Favoriten gewesen und so war es keine Überraschung, dass Julliard und Tisch nach der Annahme in Pittsburgh kein Thema mehr waren.
Fangs hatte sich auch noch an zwei weiteren Colleges in Pittsburgh beworben und war an die Vorstellungsgespräche gegangen, doch er hatte noch nichts gehört. Zumindest nicht, bis Sweets am 29. März von seinem Vorsprechen für eine Ausbildungsstelle in Greendale zurück kam und mit der Post einen Brief für den Schwarzhaarigen mitbrachte. Es waren gute Nachrichten: Er war nicht nur noch im Rennen sondern wurde auch für ein volles Stipendium diskutiert. Das war auch der Grund, weshalb sich die Entscheidung hinzog. Doch sie versicherten ihm, dass er bis zum Ende der Woche per E-Mail Bescheid bekommen würde. Der offizielle Brief sollte dann in der Woche danach folgen.
So sassen Fangs, Sweet Pea und ich am Freitag zu Dritt im Wohnzimmer um Fangs Smartphone herum, während dieser alle zwei Minuten seinen Posteingang aktualisierte.
"Scheisse Mann, ich glaub ich bin nervöser als du", stöhnte Sweets und holte sich noch ein Bier aus der Küche.
Ich konnte ihn verstehen. Auch ich hatte den ganzen Tag über immer wieder einen Blick auf mein Handy geworfen, um zu sehen ob Fangs angerufen hatte. So oft, dass Abe mich schliesslich schon um 16 Uhr nach Hause schickte. Nun war es kurz vor 18 Uhr und der Schwarzhaarige hatte immer noch nichts von der Uni gehört.
"Wisst ihr was, lasst uns eine Pizza in den Ofen schieben. Das Ganze macht so keinen Sinn", schlug Fangs schliesslich vor und steckte sein Handy wieder in die Hosentasche. Sweets stöhnte, nickte dann aber und auch ich folgte den beiden zu unserem Kühlschrank. Da wir sowieso nur noch zwei Tiefkühl-Pizzen im Gefrierfach hatten - Salami und Schinken mit Pesto - gab es auch keine lange Diskussion, welche wir nehmen sollten. Fangs schmiss den Ofen an während Sweets die Bleche mit Backpapier auslegte und ich den Tisch deckte. Zumindest hatte ich das vor, bis es an der Tür klingelte. Sweets und Fangs machten keine Anstalten an die Tür zu gehen. Da Fangs Schwester aktuell in Pittsburgh war und Toni nie unangekündigt vorbei kam, gab es eigentlich nur noch eine Person, die uns regelmässig hier besuchte. Und diese kam für mich.
Ich zog die Tür auf, ohne zuerst durch den Türspion zu, schauen und liess den Braunhaarigen eintreten. "Hey, was machst du denn hier?"
Kevin trug die hellbraune Jacke, die er bereits bei unserem ersten Treffen im Drive in getragen hatte und seine Haare waren in der üblichen Weise nach rechts oben gestylt. Doch anstatt dem Lächeln, dass sonst eigentlich immer auf seinen Lippen lag, wenn wir uns sahen, zierte eine tiefe Furche seine Stirn und sein Mund war zu einem dünnen Strich verzogen. "Wir müssen reden."
Er schlüpfte aus seinen Schuhen und hängt seine Jacke an den dafür vorgesehenen Nagel in der Wand, während ich ihn etwas verwirrt beobachtet. 'Wir müssen reden', was sollte das denn jetzt heissen? Wahrscheinlich nichts Gutes, wenn ich sein Verhalten deutete.
"Wie -", begann er und vergrub seine Hände in den Hosentaschen seiner Jeans, wurde dann jedoch von einem lautstarken Jubel aus der Küche unterbrochen. Nur Sekunden später stolperten Fangs und Sweets in den Gang. Fangs hielt sein Handy fest gegen seine Brust gedrückt, während der andere Serpent versuchte es ihm weg zu nehmen. Und sie hätten mit ihrem Gerangel wahrscheinlich auch noch Kevin angerempelt, wenn ich mich nicht in den Weg gestellt hätte. Ich sah den Braunhaarigen entschuldigend an und wandte meinen Blick dann auf das Handy, dass Fangs mir nun entgegenstreckte.
Sehr geehrter Mr. Fogarty
Im Namen der University of Pittsburgh freut es mich Ihnen für Ihre Zulassung zum Herbstsemester 2019/20 zu gratulieren. Nach einem langen...
Weiter kam ich nicht und es war auch irrelevant. Fangs hatte es geschafft! Obwohl Kevins komisches Verhalten immer noch in meinem Hinterkopf spukte, konnte ich meine Freude über diese guten Nachrichten kaum zurückhalten. "Alter, ja! Ich gönn's dir so Fangs, das hast du echt verdient."
Ich umarmte meinen besten Freund und drückte ihn einmal fest. Sweets schien das als Einladung zu sehen seine langen Arme ebenfalls um uns beide zu legen und uns beinahe zu erdrücken. Wir lachten alle und für einen kurzen Moment hatte ich das besorgniserregende Verhalten meines Freundes vergessen, doch als wir uns dann wieder voneinander lösten und auch Kevin kurz Fangs drückte, fiel mir auf, dass das Lächeln aus seinen Augen verschwand, als diese Meine trafen. Irgendetwas stimmte nicht und ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich in Kevins Augen schuldig dafür war.
Als Sweets dann allerdings verkündete, dass das nach einer Runde Shots rief und er einen Arm sowohl um Meine als auch um Kevins Schultern legte, war das Lächeln zurück auf dem Gesicht des Northsiders und er nickte eifrig.
"Ich bin auch dabei, gebt mir nur schnell einen Moment. Ich will Miri anrufen", entschuldigte Fangs sich und verschwand in seinem Zimmer. Etwa gleichzeitig begann der Backofen zu piepsen und so blieb mir nichts anderes übrig als Kevin kurz Sweet Pea zu überlassen, während ich zur Pizza eilte. Die Beiden traten kurz darauf ebenfalls zu mir in die Küche und Sweets fischte die Shotgläser aus dem Kasten über der Spüle. Dann reichte er ihm auch noch den Tequila und wandte sich dann direkt einer ganzen Zitrone zu. Er hatte anscheinend vor, es nicht bei einem Shot zu belassen.
Ich schnitt schnell die Pizzen in Stücke und legte sie auf zwei Teller, ehe ich damit zum Esstisch im Wohnzimmer hinüber ging, wo Kevin bereits begonnen hatte die Shotgläser mit Tequila zu füllen. Da wir und ich nun mehr oder weniger alleine waren - auch wenn Sweets in der Küche wahrscheinlich jedes unserer Worte hörte - sprach ich meinen Freund nochmals auf die Sache von vorhin an. Falls wirklich irgendetwas war, wollte ich es wissen. Jetzt. "Worüber wolltest du reden?"
Der Braunhaarige stellte die Tequila-Flasche ab und drehte den Verschluss zu. Ich konnte ihm ansehen, dass ihn irgendetwas ziemlich beschäftigte. Er atmete einmal ziemlich tief ein und drehte sich dann zu mir um. "Wie kann es sein, dass ich von Sierra erfahren muss, dass du nächste Woche Geburtstag hast?!", platzte es aus ihm heraus. Darum ging es? Er war wegen meinem Geburtstag so aufgebracht? Ich hatte mit viel Schlimmerem gerechnet, weshalb dieses Thema nun komplett absurd wirkte und ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte. Kevin war darüber überhaupt nicht amüsiert, doch bevor ich mich entschuldigen konnte, kam Sweets bereits mit dem Salz und den Zitronen aus der Küche. "Sag bloss, du weisst das noch nicht? Joaquin feiert keinen Geburtstag."
Ich verdrehte meine Augen. Da hatten sich ja Zwei gefunden. Sweet Pea und Fangs hatten mir Anfangs wochenlang in den Ohren gelegen, dass sie feiern wollten. Zugegeben, Sweets wollte wahrscheinlich einfach die Chance nutzen, um eine Party zu schmeissen. Doch nach ein paar Jahren war das kein Thema mehr gewesen. Zumindest bis jetzt.
Kevin sah verwirrt und empört zwischen mir und Sweet Pea hin und her. Schliesslich blieb sein Blick jedoch an mir hängen. "Du willst nicht feiern? Schön, das diskutieren wir später. Aber ich fühl mich schon ziemlich hintergangen, dass du so etwas Sierra erzählst und mir nicht."
Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand durch meine Haare. "Ich hab's ihr nicht erzählt. Sie hat mir geholfen das eine Formular auszufüllen, dass der Anwalt meiner Mutter brauchte. Erinnerst du dich? Und da war das halt eines der Felder", erklärte ich und liess mich auf meinen Stuhl fallen.
"Du hättest mich nur fragen müssen, dann hätt' ich's dir schon gesagt."
Ich streckte meine Hand nach Kevins aus und er nahm sie, ohne gross zu zögern. Das war ein gutes Zeichen. "Von mir aus. Joaquin, wann hast du Geburtstag?"
"Am 11. April. Und ich werde 21, aber das weisst du ja schon."
"Joaquins Geburtstag? Schlechtes Thema", trat nun Fangs wieder zu uns und liess sich ebenfalls auf einen der Stühle fallen. Ich verdrehte meine Augen und warf ihm kurzerhand einen der Zitronenschnitze auf dem Tisch vor mir an. "Ihr seid alle nur eingeschnappt, weil euch wegen mir ein Grund zum Saufen entgeht."
Sweets grinste und verteilte die Shotgläser unter uns. "Falsch. Das was wirklich weh tut, ist dass wir uns nicht auf deine Kosten besaufen könnten", scherzte er und hielt sein Shotglas in die Höhe. "Auf Fangs!"
Auch ihm warf ich als Strafe dafür einen Zitronenschnitz an, doch Sweets fing diesen mit dem Mund auf und grinste triumphierend. Dieses Lächeln verschwand jedoch sehr schnell, als er realisierte, dass er während seines Manövers mehr als die Hälfte seines Tequilas auf seinen Jeans verteilt hatte. Sein Blick war unbezahlbar und liess uns alle laut loslachen.
Nachdem wir angestossen und auch die inzwischen nur noch lauwarme Pizza verdrückt hatten, schenkte Sweets noch eine Runde aus und ich legte meine Beine quer über die Beine meines Freundes, der links von mir sass. Kevin lächelte leicht und hielt Sweets sein Glas entgegen. Fangs und er waren sich inzwischen gewöhnt, dass Kevin und ich selten komplett die Finger voneinander lassen konnten. Während wir uns anfangs von Sweet Pea einige liebevoll stichelnde Kommentare zum Thema 'nehmt euch ein Zimmer' und 'ihr Kletten' anhören mussten, liess der Schwarzhaarige uns inzwischen im Grossen und Ganzen in Ruhe. Viel interessanter war dagegen die Tatsache, dass zwei der vier anwesenden wohl im nächsten Jahr in derselben Stadt zur Uni gehen würden. "Warte mal, heisst das Ganze jetzt eigentlich, dass ihr beide nächstes Jahr in Pittsburgh sein werdet?"
Kevin und Fangs sahen sich kurz an, nickten dann aber. "Sieht ganz so aus."
Ich leerte meinen Tequila und legte meine Hand dann auf Kevins Unterarm. "Ich mag's. Dann brauch ich nur einmal da hoch zu fahren, um euch beide zu sehen."
Wir redeten noch eine ganze Weile, bis Fangs schliesslich nochmals in seinem Zimmer verschwand, da seine Tante ihn anrief und Sweets in die Küche ging, um den Abwasch zu machen. So blieben Kevin und ich alleine im Wohnzimmer zurück und der Braunhaarige legte seine Hand auf mein Knie. "Magst du mir erzählen, weshalb du dich weigerst deinen Geburtstag zu feiern?"
Ich verdrehte meine Augen und legte meinen Kopf in den Nacken. Die Decke schien plötzlich sehr interessant.
"Joaquin?"
Ich seufzte und sah zurück zu Kevin. "Wieso feierst du deinen Geburtstag?"
Etwas perplex sah der Braunhaarige mich an, gab jedoch keine Antwort. Das überraschte mich nicht. Die meisten Menschen feierten einfach Geburtstag, weil es Tradition war und weil es dann Geschenke gab. Einen Grund gab es nicht wirklich.
"Siehst du, du feierst Geburtstag, weil man das 'halt eben so macht'. Weil es Tradition ist. Und daran ist auch nichts falsch. Aber wenn wir ganz pragmatisch sind, ist der Geburtstage eine Möglichkeit für die Familie, die Geburt ihres Kinds zu Feiern. Wenn du die Eltern aus der Geschichte rausnimmst, bleibt nicht mehr viel übrig. Ich hatte zu lange keine Familie, die wusste, wann mein Geburtstag war oder sich darum gekümmert hätte. Also gab es für mich nie eine Tradition das zu feiern und ich hab' keinerlei Bedürfnis jetzt damit anzufangen."
Kevins Finger auf meinem Knie zuckte, doch er reagierte nicht. Stattdessen starrte er Löcher in die Luft, wahrscheinlich darüber nachdenkend, was ich gerade gesagt hatte. Als er dann schliesslich jedoch seinen Mund öffnete, kam etwas heraus, was ich nicht erwartet hatte.
"Nein."
Verwirrt sah ich zu meinem Freund hinüber und entfernte langsam meine Beine von seinem Schoss. "Was 'nein'? Ich denke es ist mein Geburtstag, dann sollte ich doch auch entscheiden können, ob ich feiern will oder nicht."
Kevin schüttelte entschieden seinen Kopf. "Nein. Dein Geburtstag ist eine Gelegenheit für Menschen, denen du wichtig bist, dein Leben zu feiern. Und falls du es noch nicht bemerkt hast, du bist mir sehr wichtig. Ich werde mir nicht verbieten lassen, dich zu feiern."
"Hört, hört", mischte Sweet Pea aus der Küche sich ein und ich verdrehte meine Augen. Kevin sah entschlossen aus, sich nicht von seinem Entscheid abbringen zu lassen.
"Ich habe Bedingungen", lenkte ich deshalb ein und fuhr mir mit einer Hand durch die inzwischen beinahe schulterlangen Haare. Ich sollte die wirklich bald einmal wieder schneiden lassen. "Keine Party, keine Kerzen, keine Geschenke. Und wenn du 'Happy Birthday' singst, verschwinde ich und verbringe den Rest des Wochenendes auf dem Schrottplatz."
Der Braunhaarige schmollte einen Moment, begann dann aber urplötzlich breit zu grinsen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Genauso wie die Tatsache, dass er es sofort sehr eilig hatte, sich zu verabschieden. "Sehr schön, ich schreibe dir wo du zu sein hast", verkündete er noch und schlüpfte in seine Schuhe, während ich ihn weiterhin Böses ahnend vom Tisch aus beobachtete.
"Ach ja, Sierra lässt noch ausrichten, dass du gerne am Sonntag zum Mittagessen kommen darfst. 12 Uhr wie immer."
Ich nickte und erhob mich nun auch von meinem Stuhl. "Ich werde da sein. Aber Kev, bitte versprich mir nichts zu Verrücktes zu machen für meinen Geburtstag." Das Wort fühlte sich immer noch falsch an in meinem Mund. Doch der Northsider verweigerte mir diese Bitte. Stattdessen drückte er mir nur einen kurzen Kuss auf die Lippen und erinnerte mich daran, dass ich ihn liebte und mich freiwillig darauf eingelassen hatte, bevor ich die Tür hinter ihm schliessen konnte. Dios mío, was hatte ich da nur für ein Monster freigelassen?
Die zwei weiteren Male, die ich Kevin zwischen diesem Freitagabend und meinem Geburtstag am Samstag in der folgenden Woche sah, erwähnte er diesen kein einziges Mal. So hatte ich schon beinahe Grund zu hoffen, dass er sich seine Idee - was auch immer sie war - wieder aus dem Kopf geschlagen hatte. Doch als ich am Freitag darauf aus meinem Overall schlüpfte und mein Handy checkte, hatte ich eine neue Nachricht, die Anderes andeutete.
Hol mich morgen um 14 Uhr bei mir ab, Geburtstagskind.
Die Nachricht an sich klang harmlos. Doch alles, was ich über meinen Freund wusste, sagte mir, dass Schlichtheit überhaupt nicht seinem Typ entsprach und ich mich deshalb wohl auf einen eher unangenehmen Nachmittag einzustellen hatte. Ich hasste es im Mittelpunkt zu stehen.
Dieser Vorahnung entsprechend unsicher und auch etwas nervös, fuhr ich am nächsten Tag vor Kevins Haus vor. Es war ein schöner April-Nachmittag. Warm genug, dass meine Finger nicht mehr festfroren, wenn ich ohne Handschuhe auf dem Motorrad sass. Eigentlich hatte ich erwartet, dass der Braunhaarige vor mir stehen würde, sobald er den Motor meiner Maschine in die Einfahrt biegen hörte. Doch im Haus tat sich gar nichts, sodass ich schliesslich doch an der Tür klingelte.
Kevin war offenbar noch nicht ganz fertig gewesen, denn als er an der Tür erschien trug er weder Schuhe noch Jacke. Nichts desto trotz, schien er sehr glücklich darüber mich zu sehen.
"Hey Geburtstagskind! Ich brauch noch eine Minute, komm doch noch schnell rein."
Ich verdrehte meine Augen, trat dann jedoch doch durch die Tür. "Nenn mich noch einmal so und ich dreh gleich wieder-" warnte ich ihn, wurde jedoch von einem lauten Ausruf unterbrochen.
"Joooaquiiiiiiiiiin!"
Bevor ich die Stimme überhaupt zuordnen konnte, tauchte auch schon ein kleiner, mir sehr vertrauter, schwarzhaariger Junge hinter der Ecke zum Esszimmer auf und rannte direkt auf mich zu. Ich hatte sofort einen schweren Kloss im Hals und musste gegen die Tränen kämpfen. Damit hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet. Kevin hatte mich kalt erwischt. Ich konnte ihm nur noch einen ungläubigen Blick zuwerfen, ehe ich mich wieder auf den kleinen Mann konzentrierte, der geradewegs in meine Arme lief und sich von mir hochheben liess. Ich musste einmal nachgreifen, um ihn nicht fallen zu lassen. Ricky war nicht nur gewachsen, er war auch einiges schwerer als ich ihn in Erinnerung hatte. Doch dann hatte ich meinen kleinen Bruder gegen meine Brust gedrückt und konnte mein Gesicht in seinen Haaren vergraben.
"Hola hombrecito, te has hecho muy grande", murmelte ich ihm zu und drückte ihm einen kurzen Kuss auf den Kopf, ehe ich über seine Schulter hinweg zu meinem Freund hinüber sah und meine Lippen zu einem stillen 'Danke' bewegte. Ich hatte keine Ahnung, wie er geschafft hatte was ich bereits seit Weihnachten versuchte aber immer wieder wegen der Arbeit oder meiner Mutter verschieben musste. Aber das war auch ziemlich egal. Meine Geschwister waren hier.
Da Ricky echt schwer geworden war, konnte ich ihn nicht mehr lange hochhalten, weshalb ich ihn auch wieder auf seine eigenen Füsse stellte und seine Hand in Meine nahm, ehe ich mich von ihm in die Richtung des Esszimmers ziehen liess. "Komm, Kuchen!"
Als wir um die Ecke kamen, sah ich dann auch endlich meine Halbschwester. Ada sass mit Fangs und Sweets am Esstisch um einen Kuchen herum - ohne Kerzen, daran hatte Kevin sich gehalten. Die zwei Serpents begrüssten mich ebenfalls grinsend, doch meine Schwester blieb still und hatte einen wesentlich düstereren Gesichtsausdruck als die Anderen. Etwas verwirrt von ihrer dunklen Miene, liess ich Rickys Hand los und ging neben ihrem Stuhl in die Knie, damit ich ihr ins Gesicht schauen konnte.
"Hey, magst du mir nicht hallo sagen?"
Sie wandte jedoch trotzig ihren Blick ab. "Du bist uns nicht besuchen gekommen. Du hattest es versprochen! Du bist ein Lügner."
Es wäre eine weitere Lüge gewesen, wenn ich behauptet hätte, dass ihre Worte mich nicht direkt ins Herz getroffen hatten. "Ich weiss. Und es tut mir wirklich leid", erwiderte ich leise und hielt ihr meine offene Hand hin. "Vergibst du mir?"
Ada sah mich einen Moment lang direkt an, schob dann jedoch meine Hand weg und rannte aus dem Raum. Ich seufzte, sie war immer schon eine kleine Dramaqueen gewesen. Ich kannte dieses Trotzverhalten. Und trotzdem verletzte es mich.
"Soll ich schauen, wo sie hin ist?", bot Fangs an, doch ich schüttelte meinen Kopf.
"Nein, ich mach das schon. Könnt ihr noch einen kurzen Moment mit Kuchen warten, ich krieg sie bestimmt umgestimmt."
Ohne eine Antwort abzuwarten, folgte ich der Braunhaarigen und fand sie schliesslich im Wohnzimmer hinter dem grossen Sessel. Sie hatte ihre Beine an den Körper gezogen und den Kopf darauf gestützt.
"Darf ich mich zu dir setzen?"
Keine Reaktion. Also tat ich es einfach.
"Adelina, es tut mir leid, dass ich nicht früher zu euch gekommen bin. Glaub mir, ich wollte es wirklich, aber es ist leider immer etwas dazwischen gekommen. Aber jetzt seid ihr hier. Möchtest du wirklich den Rest des Tages über streiten?", versuchte ich es nochmals.
Sie drückte ihren Kopf demonstrativ fester gegen ihre Knie, damit ich ihr Gesicht nicht länger sehen konnte. Einen Moment lang, war sie still. Dann murmelte sie etwas, was ich leider nicht verstehen konnte.
"Wenn du willst, dass ich das höre, musst du's mir schon direkt sagen", stupste ich sie vorsichtig an, doch das hätte ich wohl besser nicht getan. Denn nun löste sie ihren Kopf von den Knien und sah mich wütend an. "Du bist doch auch nur einer von denen!"
"Denen?"
"Den Erwachsenen. Ihr lasst uns alle alleine!"
Nun war ich gleichermassen komplett verwirrt und besorgt. Ich wusste nur zu gut, wie es war als Kind alleine gelassen zu werden. Schliesslich war ich etwa in ihrem Alter gewesen, als unsere Mutter mich alleine bei den Serpents zurück liess. Aber Ada hatte nicht nur ihre Mutter sondern auch ihren Vater, der aktuell um sie kämpfte. Weshalb fühlte sie sich dann alleine?
"Wer lässt dich alleine?", fragte ich vorsichtig nach und zog ebenfalls meine Beine an. Die Braunhaarige zögerte einen Moment, begann dann allerdings zu schluchzen.
"Alle. Zuerst kommst du nicht mehr nach Hause, dann zieht Papa aus und jetzt ist Mama auch immer weg...", murmelte sie zwischen zwei Schluchzern und ich konnte nicht länger einfach da sitzen und meiner Schwester beim Weinen zuschauen. So zog ich sie einfach in meine Arme, egal wie sehr sie sich anfangs dagegen wehrte. Schnell wurde sie jedoch ruhiger und krallte schliesslich ihre Hände sogar an meinem Shirt fest, als ich wieder etwas von ihr wegrücken wollte, um sie anzusehen.
"Es tut mir leid, dass ich euch nicht erklärt hab, weshalb ich weg bin. Ricky ist einfach noch zu klein dafür... Aber das ist keine Entschuldigung dafür, dass ich dir nichts gesagt hab. Das ändert aber nichts daran, dass ich euch beide ganz fest lieb hab'", flüsterte ich ihr zu und fuhr sanft über ihren Hinterkopf. "Und was Mama angeht, ich werde mit ihr sprechen. Das verspreche ich dir."
Ada beruhigte sich langsam und löste sich schliesslich von mir.
"Ich bin aber immer noch wütend auf dich", stellte sie dann klar, ihr Gesicht sprach jedoch eine andere Sprache. Sie lächelte.
"Mhm... Gibt es eine Möglichkeit das wieder gut zu machen?", erwiderte ich und fuhr mir durch die Haare. Und da kam mir die perfekte Idee, wie ich unsere kleine Hobbyfriseurin aufmuntern konnte. "Lass uns einen Deal machen. Du bist nicht mehr wütend auf mich, dafür darfst du meine Haare schneiden."
Ihre Augen wurden gross und sie streckte ihre Hand sofort nach einer Strähne meiner Haare aus. "WIRKLICH?"
"Versprochen. Aber erst gibt's Kuchen. Ist das ein Deal?"
Sämtlicher Trotz war nun aus ihren Augen verschwunden und sie strahlte mich förmlich an. "Ja!"
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro