Kapitel 17
Ohne gross nachzudenken, ging ich in meinen Wohnwagen und zog mich schnell um. Meine Serpentjacke zu tragen, gab mir wieder etwas Sicherheit, aber auch diese war nur kurzlebig. Irgendwo im Hinterkopf hatte ich die ganze Zeit über gewusst, dass das hier passieren konnte... Aber ich wollte es einfach nicht wirklich wahrhaben. Und jetzt war es passiert.
Als ich aus der Anzugshose schlüpfte und meine Jeans anzog, fiel mein Blick auf das Display meines Handys. Keine neue Nachricht, weder von Kevin, noch von FP oder Mustang. Das konnte ein gutes Zeichen sein. Wenn FP bereits gestanden hätte, wäre die Polizei schon längst hier. Oder Kevin hätte von seinem Vater erfahren was los war und mich sicher ziemlich wütend angerufen. Wenn ich etwas glück hatte, bedeutete das, dass ich noch etwas Zeit hatte. Vielleicht genug Zeit um zu verschwinden. Im Kurzschluss packte ich deshalb eine Sporttasche mit den wichtigsten Dingen und setzte mich erneut auf mein Motorrad. Ich musste aus der Stadt. Noch hatte ich keine Ahnung wohin, aber einfach weg reichte für den Moment auch.
Nachdem ich Riverdale hinter mir gelassen hatte, fand ich ziemlich schnell den Weg auf die Interstate und fuhr einfach weiter. Es war dunkel und ohne viel Strassenbeleuchtung musste ich mich wirklich stark auf das Fahren konzentrieren. Und das war auch gut so, denn darüber nachdenken was passiert war oder was noch passieren konnte, wollte ich gerade wirklich nicht.
Ich brauste sicher schon etwa drei Stunden lang Vollgas südwärts, als meine Müdigkeit die Panik vertrieb. Anfangs ging es noch, doch schon bald konnte ich keine gerade Linie mehr halten und musste anhalten. Kurzerhand wählte ich Ausfahrt auf eine Raststätte und stellte mein Motorrad auf einem Parkplatz ab. Die Raststätte war verlassen, nur ein paar Trucker schliefen in ihren Lastwagen. Ich war ziemlich neidisch auf diese doch da ich echt k.o. war, war ich nicht mehr wirklich wählerisch und sogar die Parkbank sah ziemlich einladend aus. So liess ich mich dann auch darauf fallen, legte meinen Rucksack unter den Kopf und dämmerte innert weniger Minuten weg.
Ich wusste nicht wie lange ich geschlafen hatte, doch am niedrigen Stand der Sonne konnten es höchstens ein paar Stunden sein, als mein Handy mich weckte. Noch im Halbschlaf nahm ich den Anruf an und murmelte meinen Namen. Die Stimme am anderen Ende, liess mich dann jedoch schlagartig wach werden: "Hör mir gut zu Joaquin: Vergiss die Versicherung. Es ist zu gefährlich." Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. Um ehrlich zu sein hatte ich die Tasche mit Jason's Jacke, die ich als Versicherung für einen solchen Fall verstecken sollte, in meiner Panik gestern komplett vergessen gehabt. "Hast du mich verstanden Junge?", rüttelte mich FP aus meinen abschweifenden Gedanken stotterte: "Ja, hab ich. Was ist mit...?", doch bevor ich ihn danach fragen konnte, was jetzt mir mir passieren würde, war der Anruf beendet.
Ziemlich ratlos sah ich zuerst auf mein Display: ich hatte noch einige weitere Nachrichten, von Fangs, Sweet Pea, Toni und Kevin. Doch Keine deutete darauf hin, dass FP geredet hatte. Fangs, Sweet Pea und Toni berichteten mir alle in ihren eigenen Worten was passiert war und fragten danach, wo ich stecken würde. Anscheinend war die Stimmung im Serpent-Lager ziemlich angespannt und alle fragten sich, wo ich steckte. Und Kevin entschuldigte sich dafür, dass er gestern einfach so weggelaufen war und fragte wo ich hin sei, da er mich nicht mehr auffinden konnte. Nichts deutete auch nur im geringsten darauf hin, dass die Polizei bei meinem Wohnwagen aufgekreuzt war oder dass FP geredet hatte. Hiess das ich konnte zurück? Es gab keinen Weg sicher zu sein, doch ich hatte auch keine wirkliche Alternative. Zwar hatte ich es kurz in Betracht gezogen, nach San Junipero zu fahren - an den letzten Ort von dem ich wusste, dass meine Mutter mal da gewesen war. Aber das war nicht wirklich eine Option. Und so fand ich mich dann schliesslich doch wieder auf dem Rückweg nach Riverdale.
Ausser dem gelben Band an FPs Tür, welches inzwischen zerrissen war, wahrscheinlich weil einer von uns in den Wohnwagen wollte, schien alles ziemlich normal im Wohnwagenpark. Dennoch verzichtete ich darauf meine Tasche auszupacken und versteckte sie so wie sie war hinter der Couch. Falls ich doch noch schnell abhauen müsste, hätte ich sie direkt zur Hand. Ich hatte kaum Zeit sie in die Enge zwischen Couch und Wand zu schieben, als es schon an der Tür polterte. Dieses Mal war es vom Klopfen her eindeutig nicht Kevin sondern Fangs, der da an meiner Tür rumpolterte. Ich seufzte und zog die Tür gerade in dem Moment auf, als er nochmals darauf einschlagen wollte, sodass er das Gleichgewicht verlor und sich an meinen Stufen abstützen musste. Sweet Pea stand neben ihm und sah genauso angepisst aus wie mein bester Freund hier.
"Wo warst du, Mann? Hast du eine Ahnung was hier alles abgeht?", fuhr Sweets mich direkt an und ich schubste ihn weg damit ich an ihm vorbei auf die Strasse treten konnte. "Ich bin jetzt da und ganz ehrlich, was willst du mir vorwerfen? Gibt ja eh nichts was wir tun können oder was ist dein grossartiger Plan?", knurrte ich als Antwort bloss und schlug den Weg in Richtung Whyte Wyrm ein. Ich hatte gerade echt keine Lust mich mit Sweet Pea anzulegen. Fangs jedoch hielt mich auf und legte eine Hand auf meine Schulter. "Wo warst du Joaquin? Du musst selber zugeben, dass es ziemlich verdächtig ist, dass du am selben Abend verschwindest an dem FP verhaftet wird. Was läuft da zwischen euch? Weshalb warst du so oft bei ihm die letzten Wochen?", wollte er wissen und ich biss mir auf die Unterlippe um die Angst zurückzudrängen, die bei seinem Worten in mir aufkam. Stattdessen setzte ich ein Pokerface auf und drehte mich zu ihm um. "Wenn du's unbedingt wissen willst: Ich hab mich gestern mit Kevin gestritten und musste einfach raus hier. Okay?"
Ich wusste genau, dass keiner der Beiden sich in meine Beziehungsprobleme einmischen würde - auch wenn diese nur erfunden waren. Naja, halbwegs erfunden. Wenn die Wahrheit ans Licht kam, wären Beziehungs-"Probleme" wohl nicht mehr ausreichend... Dann konnte man wohl eher von einem Beziehungs-"Supergau" sprechen, weil Kevin bestimmt gar nichts mehr mit mir zu tun haben wollen würde. Und ich konnte ihm das nicht einmal übel nehmen. Da keiner der beiden Anstalten machte, daraufhin etwas zu erwidern, stampfte ich durch den verschlammten Wohnwagenpark von Ihnen weg auf die Bar zu. Ich war beinahe am Wyrm, als plötzlich mein Handy klingelte. Ich nahm ab ohne auf das Display zu schauen, weil ich einen zweiten Anruf und neuen Instruktionen von unserem Schlangenkönig gerechnet hatte. Doch die Stimme am anderen Ende, war eine ganz Andere.
"Joaquin, wir müssen..." , hörte ich Kevin sagen, doch weiter kam er nicht. Es gab ein Rascheln am anderen Ende und eine kurze Pause, ehe eine weibliche Stimme erklang. "Joaquin, hier ist Veronica. Wir wissen, dass FP dich aus dem Gefängnis angerufen hat. Triff uns bei Archie und wag es ja nicht, gar nicht erst aufzutauchen. Wenn du kneifst wissen wir, dass du was verheimlichst", drohte die Schwarzhaarige und mir lief es bei der Forderung kalt den Rücken herunter. FP hatte Recht gehabt, die Kids waren gefährlicher als der Sheriff.
Ich hatte jetzt zwei Möglichkeiten, entweder ich ging zu meinem Wohnwagen zurück, schnappte mir meine Tasche und verschwand. Oder ich fuhr zu Archies Haus und gestand alles... So oder so würden sie die Wahrheit herausfinden. So oder so, würde das was ich getan hatte, Kevins Herz brechen. Aber wenn ich zu Archie ging, hatte ich wenigstens noch die Chance mich bei ihm zu entschuldigen. Und das hatte er verdient. "Ich werde da sein", antwortete ich deshalb nur und hängte auf.
Als ich fünfzehn Minuten später vor Archies Haus vorfuhr - den Weg kannte ich noch von der Geburtstagsparty für Jughead - hatte ich mich mit der Realität der Situation abgefunden. Egal was ich tat, es machte keinen Unterschied mehr. Ich konnte wegrennen oder auspacken bevor FP das tat. Und selbst wenn wir beide still hielten, irgendetwas sagte mir, dass Kevins Freunde selber dahinter kommen würden. Mein Leben hier und meine Beziehung mit Kevin war so oder so vorbei. Alles was ich jetzt noch tun konnte, war wenigstens zum Ende ehrlich mit ihm zu sein. Mit diesem Gedanken im Kopf und dem festen Vorsatz ehrlich zu sein, stellte ich meinen Motor aus.
Doch der Vorsatz verschwand ziemlich schnell, als Archie und Veronica auf mich zu kamen und mich in die Garage dirigierten, welche sich zu meiner Überraschung als Musikraum herausstellte. Ihre Blicke sprachen Bände und ich wusste genau was sie dachten. Ohne, dass sie mich überhaupt kannten, hatten sie bereits entschieden, dass ich schuldig dessen war, was sie sich in ihren Köpfen ausgemahlt hatten. Ich war halt eben nur ein Serpent. Southside-Müll. Ich hatte mein Leben lang mit diesen Vorurteilen gelebt, bis ich Kevin getroffen hatte. Er hatte mir gezeigt, dass nicht alle so waren und durch ihn hatte ich für einen Moment lang vergessen, wie die Rangordnung in der Stadt schon immer gewesen war. Doch nun, da ich mit ihren vorwurfsvollem Ton konfrontiert war, löste der in mir die typisch abweisende Haltung aus und mein Vorsatz schwand einer Trotzreaktion.
Genau aus diesem Trotz kam dann auch die Lüge, die ich erzählte als Archie mich fragte, was FP mit seinem Anruf bei mir gewollt hatte. Es war nicht wirklich klug und wenn ich darüber nachgedacht hätte anstatt aus purer Konfrontationslust zu handeln, hätte ich auch gewusst, dass sie nicht darauf reinfallen würden. Doch so dachte ich gerade nicht. Sie hatten mich in eine Abwehrhaltung gedrückt und da gab es für mich nur eine Reaktion: dagegen halten. "Niemand nutzt diesen einen Anruf um zu sagen 'bleib ruhig'", entgegnete Veronica sofort und ich verdrehte nur meine Augen. Herzukommen war ein Fehler gewesen und den Beiden würde ich bestimmt nichts erzählen. Ich war ja sowieso eigentlich nur wegen Kevin hier.
"Joaquin, jetzt pass mal auf", mischte sich genau in diesem Moment der Braunhaarige ein und das erste Mal seit ich angekommen war, traute ich mich in anzusehen. "Ich frag dich das jetzt nicht als dein Freund, sondern als der Sohn des Sheriffs", fuhr er fort doch ich wandte meinen Bick wieder ab. Ich brauchte ihn nicht mehr anzusehen um zu wissen, dass das zwischen uns vorbei war. Seine Stimmlage und Wortwahl sprach Bände. "Hat FP Jason getötet?"
Die Frage so direkt gestellt zu bekommen, liess mich erschaudern und ich fixierte meinen Blick auf den Boden vor ihm, während ich versuchte die Kraft zu finden um ihn ein letztes Mal anzulügen. Das war alles, was es brauchte. Eine letzte, richtig gute Lüge. Doch ich schaffte es nicht. Das schlechte Gewissen, welches mich die ganzen letzten Wochen - seit FP nach unserem ersten Kuss hinter dem Zaun aufgetaucht war - geplagt hatte, lag einfach zu schwer auf meinem Herzen. Kevin war echt etwas besonderes. Er hatte mich von Anfang an nie verurteilt und es tat mir weh zu wissen, dass ich sein Vertrauen missbraucht hatte. Dass ich es sein würde, der ihm klar machte, dass wir Serpents halt doch alle gleich waren. Auch wenn es nicht mehr viel helfen würde, wusste ich, dass ich wenigstens etwas besser schlafen könnte, wenn ich am Schluss ehrlich zu ihm war.
So atmete ich einmal tief ein und richtete meinen Blick wieder auf den James-Dean-Verschnitt in den ich mich in so kurzer Zeit Hals über Kopf und gegen all meinen Verstand verliebt hatte. "Ja", kam es etwas trocken aus meinem Hals und mir entgingen nicht die zweifelnden Blicke, die sich die drei Northsider dabei zuwarfen. Deshalb hängte ich noch schnell an: "Ich meine, ich nehm' es an." Kevin drehte sich nun komplett von mir weg und verwarf die Hände: "Das gibt's doch nicht!" Doch Veronica und Archie gaben nicht so schnell auf, Ihre Blicke waren immer noch fest auf mich gerichtet: "Hast du gesehen wie er geschossen hat?" Ich schüttelte meinen Kopf und begann mit meinen Fingern zu spielen. Die Situation war mir echt unangenehm und ich wäre viel lieber irgendwo alleine mit Kevin gewesen, wo ich ihm das alles erklären konnte. Doch diesen Luxus hatte ich nun einmal nicht. "Nein, Herrgott nein...", antwortete ich schliesslich auf ihre Frage und als Archie dann weiter nachharkte, weshalb ich zu diesem Schluss kam, wusste ich, dass jetzt alles raus musste. Die ganze Wahrheit. Auch wenn ich überhaupt kein Interesse daran hatte, dass die Zwei sie ebenfalls erfuhren. Doch mir blieb nun mal nichts Anderes übrig.
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