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Es war bereits spät am Abend als David und ich uns mit einem großen Wasserkanister und mehreren Packungen Butterkeksen auf den Weg zurück zu unserem provisorischen Lager machten. Der lange erste Einsatztag hatte sich gelohnt. Der Kanister war sehr schwer, das Gebäck schon abgelaufen und halb zerbröselt, aber wir durften nicht wählerisch sein. Wir hatten in Pasadena in der Nähe eines alten Herrenhauses einen in die Jahre gekommenen Brunnen entdeckt, den man mit etwas Glück reparieren konnte. Durch die umliegenden Gebäude gut geschützt, wäre das eine ideale Wasserquelle für uns.
Wir würden Eric morgen früh mit zu dem Brunnen nehmen. Er war früher Rohrleitungsbauer gewesen, das war also sein Fachgebiet. Bei der Arbeit auf der Baustelle hatte er auch David kennengelernt. Eric würde uns sagen können, ob der Brunnen wieder zum Laufen gebracht werden konnte.
In einem Umkreis von fünf Meilen gab es keine Anzeichen dafür, dass dort Menschen lebten. Natürlich mussten wir noch weitere Gebiete erforschen, doch ich war zuversichtlich. Fürs Erste konnte sich unsere heutige Ausbeute allerdings sehen lassen. Die Kinder würden sich über die Kekse freuen, unser Wasservorrat war vorerst aufgestockt und wir hatten vielleicht eine dauerhafte Bleibe gefunden. Besser hätte der Tag unter diesen Umständen gar nicht laufen können.
David bedeutete mir stehenzubleiben. Wir hielten an und stellten den Wasserkanister ab. David wischte sich mit dem unteren Ende seines T-Shirts den Schweiß von der Stirn. Obwohl es bereits dunkel war, kühlte die Luft nicht ab.
»Lass uns weitergehen, wir sind bald da«, drängelte ich.
»Ja, ist ja gut. Man wird ja wohl nochmal durchatmen dürfen.«
»Na gut, aber nur ausnahmsweise«, zog ich ihn auf.
»Da hat aber jemand gute Laune.«
»Klar. Du etwa nicht?«
»Doch schon, aber – ach ich weiß nicht. Das lief heute alles einfach zu perfekt«, sagte David nachdenklich.
»Vielleicht haben wir einfach mal Glück.«
»Vielleicht.«
David ging wortlos weiter. Seine Körperhaltung war angespannt. Diese Stimmung war untypisch für ihn – irgendwas musste ihn bedrücken.
Schweigend führten wir unseren Weg fort. Das Wasser in dem Kanister schwappte bei jedem Schritt.
»Vielleicht hätten wir früher herkommen sollen«, unterbrach David stockend die Stille zwischen uns.
»Dafür hätten wir unsere sichere Position aufgeben müssen. Strategisch ungünstig.«
»Dem Massaker sind wir trotz der ›sicheren Position‹ nur mit knapper Not entkommen«, erwiderte David bitter und verzog das Gesicht.
Diesmal blieb ich stehen und sah ihm fest in die Augen. »Jetzt hör mir mal genau zu: Es konnte niemand ahnen, dass wir angegriffen werden. Wir waren sicher und gut versorgt. Diese … Leute haben uns aus unserem Zuhause verjagt. Ja, die Verluste sind schwer zu verkraften. Ich trauere auch um jeden Einzelnen von ihnen. Aber wir müssen weitermachen. Für uns und für sie. Aufgeben ist keine Option.«
In Davids Augen glitzerte es verdächtig. Sein Blick ging zum Himmel. »Ich weiß. Aber ich vermisse meinen kleinen Bruder so sehr.«
»Ich vermisse ihn auch.«
»Ich hätte besser auf ihn aufpassen müssen.«
»Du hast dein Bestes gegeben. So wie immer.« Ich nahm ihn in den Arm. Zögernd ließ er sich von mir trösten.
»Danke«, schniefte David, als er sich von mir löste.
»Gern geschehen.«
»Wie weit ist es noch?«
Ich lachte. »Da fragst du die Falsche. Ohne dich würde ich den Rückweg gar nicht finden.«
Er lachte ebenfalls. »Ich tippe, es ist noch circa eine halbe Meile.«
»Gut, ich bin nämlich ziemlich kaputt«, gab ich zu.
»Ich auch, aber das kurze Stück schaffen wir jetzt auch noch.« David klang jetzt deutlich motivierter.
»Klar doch.«
Nach etwa zehn Minuten erreichten wir den Eingang zu unserem Versteck. Wie durch ein Wunder hatten wir gestern unterwegs diese kleine Höhle auf einer kleinen Anhöhe entdeckt und kurzerhand unser Lager darin aufgeschlagen. Versteckt zwischen einigen Bäumen und vielen Büschen war der Eingang nur mit geübtem Auge zu erkennen. Der schmale Eingang war leicht zu verteidigen und im Inneren war es schön kühl. Wir hatten während unserer Reise an weitaus schlechteren Plätzen campiert.
Am Höhleneingang saß Chase und hielt Wache. Im Dunkeln war er nur schwer zu erkennen, doch meine Augen waren schon an die Dunkelheit gewöhnt. So sah ich, dass sein schlaksiger Körper zusammengesunken und mit verschränkten Armen auf einem Stein saß und den Blick zum sternenklaren Horizont richtete.
Er ist mit seinen fünfzehn Jahren noch viel zu jung für so etwas, schoss es mir durch den Kopf. Zwar war er damit nur acht Jahre jünger als ich, dennoch sah ich in ihm immer noch einen kleinen Jungen. Doch das war Chase leider längst nicht mehr. Die grausame Realität hatte ihn viel zu schnell erwachsen werden lassen.
»Ihr seid spät«, sagte Chase, als er uns entdeckte. »Wir haben uns schon Sorgen gemacht.«
»Jetzt sind wir ja da. Und wir haben auch was mitgebracht«, witzelte David und hob den Kanister etwas höher.
Die Augen des Jungen wurden größer. »Ich hoffe, ihr habt noch mehr gute Nachrichten. Dad wird sich freuen. Geht zu ihm, er ist noch wach.«
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und schlüpften an Chase vorbei in die Höhle. Peter, Chase‘ Vater, war früher bei den Marines gewesen. Seine Erfahrungen waren in diesen Krisenzeiten Gold wert.
Im Inneren bewegten wir uns leise, da die meisten schon im hinteren Teil der Höhle schliefen. Peter war noch wach und saß etwas abseits von den Schlafenden. Vor im brannten die Überreste eines Lagerfeuers. Wir stellten den Wasserkanister und unsere Rucksäcke ab und schlichen zu ihm hinüber.
»Da seid ihr ja endlich. Ich hab schon angefangen mir Sorgen zu machen.« Während er das sagte, reichte er jedem von uns eine kleine Schüssel mit Gemüse und Reis. Das Abendbrot. David fing direkt an zu essen. Die Berichterstattung überließ er gerne mir.
»Der Stadtrand ist sauber. Keine Spur von Menschen. Allerdings leben dort ein paar Tiere. Sie sind nicht sehr scheu, das bedeutet, es haben sich über einen längeren Zeitraum schon keine Menschen mehr in diesem Gebiet aufgehalten. Die Geschäfte sind größtenteils geplündert, aber nicht sehr gründlich. Ein zweiter Blick lohnt sich bestimmt. Bei unserer ersten flüchtigen Erkundung konnten wir aber schonmal etwas Wasser, Butterkekse und Zahnseide mitnehmen.«
»Von der Zahnseide wusste ich ja gar nichts«, mischte sich David ein. Ich ignorierte ihn und sprach weiter.
»Außerdem haben wir einen kleinen Brunnen gefunden, der oberflächlich nur geringe Schäden aufweist. Bestimmt kann Eric prüfen, ob er repariert werden kann. Es wäre gut, wenn er uns morgen begleiten könnte. Die Lage des Brunnens ist optimal. Rundherum stehen mehrere Häuser, die leicht zu verteidigen sind.«
»Das sind doch mal erfreuliche Nachrichten«, merkte Peter an, während ich nun auch endlich anfing zu essen. Ich hatte so einen Hunger. Leider wusste ich, dass er auch nach dem Essen noch da sein würde. Daran mussten wir uns wohl alle gewöhnen. Er war unser ständiger Begleiter geworden.
»Dann begleitet Eric euch morgen. Wann wollt ihr aufbrechen?«
»So wie heute.«
»Gut. Dann legt euch hin und schlaft. Das wird morgen wieder ein anstrengender Tag für euch.«
Ich spülte die Reste des Essens mit einem Schluck Wasser hinunter. »Geht klar«, antwortete ich. David und ich standen auf und machten uns auf den Weg zu unseren Schlafsäcken, die direkt an der Höhlenwand lagen.
»Gute Nacht, Samantha«, flüsterte David mir noch zu, bevor er sich neben Eric legte und ihn liebevoll in den Arm nahm. Er war wie immer wach geblieben, um auf David zu warten. Die beiden waren so süß. Ich bekam noch mit, wie sie sich leise unterhielten. Die einzelnen Worte verstand ich nicht, aber ich vermutete, dass David Eric erzählte, dass er morgen mit uns kommen musste. Ich rückte ein Stück von den beiden ab, damit sie etwas mehr Privatsphäre hatten und kuschelte mich in meinen Schlafsack. Die hoffnungsvolle Vorfreude auf den morgigen Tag ließ mich schnell einschlafen.
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