Zwölftes Türchen
Am Abend war Ymir mit ihren Freunden auf dem Weihnachtsmarkt verabredet, um die selbe Prozedur wie jedes Jahr durchzuziehen: Mandeln, kandierte Äpfel und Quarkbällchen essen, das ganze mit viel Glühwein runter spüllen und schauen, wer als erstes nicht mehr gerade gehen kann. „Ich will mit kommen!", rief Historia aufgeregt, doch ihre menschliche Krankenschwester war komplett dagegen. „Auf keinen Fall. Du bleibst hier und ruhst dich aus. Wenn du weiterhin so hyperaktiv bist, heilt dein Flügel nie", mahnte sie mit einen strengen Blick. Die Blonde ließ sich davon allerdings nicht unterkriegen und schenkte Ymir das schönste Lächeln, das sie hatte. „Ich war noch nie vorher auf einen Weihnachtsmarkt. Bitte nimm mich mit."
Etwas später liefen die beiden über den noch relativ leeren Weihnachtsmarkt. Historia hatte sie ihr, inzwischen getrocknetes, Engelskleid angezogen und einen Fake Heiligenschein aus den ein euro Laden aufgesetzt, damit jeder denken würde, dass sie nur verkleidet ist. „Es riecht so gut hier! Kann ich einen kandierten Apfel haben, Ymir?", fragte die Kleinere aufgeregt. Sie war zu einer Bude gerannt, in der glasierte Früchte verkauft wurden und drückte ihre Nase an der Scheibe vor dem Tresen platt. Da sie noch etwas Zeit hatten, bis sie sich mit den anderen treffen wollten, zückte die angesprochene widerwillig ihr Portmonee und kaufte den kandierten Apfel. Historia war überglücklich, als sie das erste Mal in ihrem Leben in den eingezuckerten Apfel am Stiel biss. Etwas von der roten Glasur blieb um ihre Mundpartie kleben. „Du...du hast da was", sagte Ymir lachend. Historia wurde rot, lachte dann aber mit. Da war etwas an diesem Engel, dass die Brünette faszinierte. Und das waren nicht die Schneeweißen Flügel auf ihren Rücken.
Als die Blonde fertig war und denn Holzstiel, der vom Apfel übrig geblieben war, in den Mülleimer geworfen hatte, gingen die beiden gemächlich zu dem Glühweinstand, an dem sie mit den anderen verabredet waren. „Wer sind denn deine Freunde?", fragte die Blonde neugierig, während sie ihren Blick über den gut besuchten Glühweinstand gleiten ließ. Ymir zeigte auf einen Stehtisch, um den sich eine Gruppe Menschen versammelt hat. „Siehst du die beiden die sich gerade Folienkartoffeln gönnen? Das sind Sascha und Connie. Die Pferdefresse und der aggressive Junge, die sich gleich Prügeln, das sind Jean und Eren. Der Junge, der verzweifelt versucht Jean zurück halten ist Marco. Die beiden Riesen da heißen Reiner und Berthold und die kleine Blonde, die neben den beiden wie ein Zwerg aussieht, ist Annie. Jetzt merk dir die Namen und sag hallo!", sagte Ymir so schnell, dass Historia etwas durcheinander kam. Ihre menschliche Freundin schubste sie leicht in Richtung des Stehtisches. „Die mit den Folienkartoffeln waren Sasha und Connie... Oder doch Reiner und Annie? Nein, die stehen auf der anderen Seite. Der aggressive ist Marco und die Pferdefresse Eren... Nein, ich glaube das war falsch", murmelte sie, während sie auf den Tisch zu ging. „Hey, ich-", weiter kam sie nicht, denn der aggressive Junge (Marco, Eren... Wie hieß er noch gleich?) fiel ihr ins Wort. „Hey, Ymir! Kannst du Jean Mal sagen, dass Pferde keinen Alkohol trinken sollten und er keinen Glühwein haben darf?", rief er der Brünetten zu. Historia und die angesprochene tauschten verwirrte Blicke aus. Langsam trat Ymir zu den anderen an den Tisch. „Könntest du vielleicht Mal diesen Streit beiseite lassen und Historia Hallo sagen?", meinte sie genervt, musste dafür allerdings einige verwirrte Blicke einstecken. Eren streckte den Kopf in die Höhe und sah rechts und links am Ymir vorbei. „Wo ist deine Historia denn?", fragte er. Historia lehnt sich über den Tisch und fuchtelte mit einer Hand vor Erens Gesicht herum. „Hier bin ich! Schau doch Mal genauer hin", sagte sie, doch der Junge schien sie gar nicht wahr zu nehmen. Was sollte das? Und das war auch der erste Moment, an dem Ymir selbst anfing zu zweifeln.
„Sehen Sie, Doc? Ich hab zu erst selbst geglaubt, dass ich mir das nur eingebildet habe, aber dafür hat es sich zu echt angefühlt", beendete die Brünette ihre Erzählung. Der Psychologe runzelte die Stirn und sah seine Patientin über den Rand der dicken Brille an. „Was genau hat sich zu echt angefühlt?" Ymir erstarrte bei der Frage, während sich ein ganz kleiner Rotschimmer auf ihren Wangen ausbreitete. „Wir müssen hier ja nicht zu sehr ins Detail gehen. Ich weiß nur, dass sie das wahrscheinlich nicht durfte, weil sie ja ein Engel ist und diese Religions Menschen sind ja immer so pröde. Wahrscheinlich darf sie jetzt gar nicht mehr in den Himmel", erklärte sie ruhig. Ihr gegenüber kritzelte etwas auf das Blatt auf seinem Klemmbrett, bevor er sich im Zimmer umsah. „So wie ich das verstanden habe, sind Sie die einzige, die Historias Präsenz wahr nehmen kann. Ist sie gerade hier in diesem Raum?"
„Nein, sie wartet im Wartezimmer."
Als die Tür zum Sprechzimmer aufging, sprang Historia sofort auf und sah ihre Freundin erwartungsvoll an. Da sie sowieso nicht gesehen werden konnte, machte sie sich keine Mühe mehr ihre Flügel zu verstecken. „Und? Wie wars?", fragte sie sofort. Ymir zuckte mit den Schultern, während sie nach ihrer Jacke griff, die an der Garderobe im Wartezimmer hing, und sie anzog. „Er hat versucht verständnisvoll zu sein, aber ich glaube er hält mich auch für verrückt.“ Historia winkte ab und setzte ihr schönstes Lächeln auf. „Die anderen können mich nicht sehen. Dass du mit mir sprichst wirkt auf andere merkwürdig und anders. Menschen haben vermutlich Angst vor Dingen, die anders sind“, mutmaßte der Engel. Ihre Freundin rang sich ein kleines Lächeln ab und nahm sie an die Hand. „Lieber anders sein als ohne dich weiter leben“, murmelte sie noch und gemeinsam verließen sie dann die Praxis.
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