Zwanzigstes Türchen
Kennys Auftritt erregte zum Glück nicht allzu viel Aufmerksamkeit. Es gab schon Tage, da kam er völlig betrunken oder halb tot geprügelt irgendwo an, doch das blieb der Familie Ackermann und ihrer gesamten Dienerschaft an diesem Heligeabend zum Glück erspart, denn der groß gebaute Mann sah irgendwie adrett aus. Seine Haare schienen ausnahmsweise mal gewaschen zu sein und perfekt zu sitzen, seine Kleidung war sauber, die Schuhe geputzt und selbst die Krawatte sah aus wie eine Krawatte und nicht wie ein hässlicher Knoten, wie es sonst der Fall war, wenn der Mann sich mal eine Krawatte band. „Du siehst ja wirklich mal gepflegt, Brüderchen. Ich bin beeindruckt“, neckte Mikasas Vater seinen großen Bruder, wofür er allerdings nur wütende Blicke von diesem bekam. „Dir auch fröhliche Weihnachten, unerträgliche Zumutung. Und euch anderen natürlich auch“, meinte Kenny genervt und klopfte einmal auf die große Tafel, um nicht jeden einzeln begrüßen zu müssen. „Hey, Große. Was dagegen, wenn ich mich neben dich setzte?“, fragte er seine Nichte und ohne eine Antwort abzuwarten, zog er sich einen Stuhl zurück und nahm neben Mikasa platz. Eren schenkte in der Zeit den Wein aus und sah dabei aus dem Augenwinkel zu seinen Herrn. Ob er es wirklich wagen würde vor versammelter Mannschaft die Verlobung aufzulösen? Leider war nicht mal Levi derjenige der das Thema "Hochzeit" anschnitt, sondern Mikasas Mutter. „Habt ihr euch jetzt eigentlich mal überlegt wann die Trauung stattfinde soll? Wir müssen das ganze ja auch noch planen“, meinte sie ruhig. Mikasa spannte sich sofort an und Levi verschluckte sich fast an dem Tee, den Eren ihm gerade eingeschenkt hatte. „Mutter, können wir das organisatorische bitte nicht heute besprechen? Levi wird morgen erst 16, ich erst in zwei Monaten und außerdem ist Weihnachten. Du redest jetzt schon seit Wochen von nichts anderen mehr als diese verdammte Hochzeit“, meinte die Schwarzhaarige in einem Ton, der alle Anwesenden zusammenzucken ließ. Selbst Kenny rückte erschrocken ein Stück von seiner Nichte weg. „Was ist das denn für ein Ton, junges Fräulein? Hast du vielleicht heimlich an Kennys Wein genippt? Ich glaub' ich werd nicht mehr“, dröhnte die Stimme von Mikasas Vater durch den Speisesaal. Das Mädchen schnalzte nur genervt mit der Zunge und ignorierte das Gezeter ihres Vaters. Levi fand schon immer, dass seine Cousine nicht in das Bild einer jungen Dame passte, welches die Gesellschaft ihnen vorgab. Sie war sturköpfig, klug, stark und eigensinnig. Das allgemeine Bild von der gefügigen Frau, die sich um die Erziehung der Kinder kümmerte und den Haushalt schmiss, das war Mikasa nicht und diese Tatsache versuchten ihre Eltern zu vertuschen. „Beruhig dich, Brüderchen. Wenn deine Tochter sich mal auskotzen will, dann lass sie doch. Alles in sich hineinzufressen ist nicht gut für die Gesundheit und führt zu Missverständnissen“, versuchte Kenny den Konflikt zu schlichten, während Mikasas Mutter ihren Ehemann beruhigend an den Oberarm fasste. „Sie hat ja recht. So ein Thema gehört nicht an den Esstisch, schon gar nicht an Weihnachten. Das war unhöflich von mir“, räumte sie ihren Fehler ein, doch auch das schien Mikasa kaum zu interessieren. „Gut, meinetwegen, aber da reden wir später noch drüber. Ich dulde solch ein Verhalten nicht“, meinte Mr. Ackermann streng. Levi hingegen verspannte sich nur noch mehr, weil seine Tante das Hochzeits Thema so eben für ungültig am Heiligabend erklärt hat. Wie sollte er jetzt diese verdammte Verlobung auflösen?
Nach dem Essen erhob Levi sich von seinen Platz und hielt Mikasa die Hand hin. Die Schwarzhaarige sah angewidert auf die Hand und rührte sich erst nicht, bis Levi sich räusperte. „Mylady, würdet Ihr mich auf einen abendlichen Spaziergang begleiten?“, fragte er so hochgestochen wie möglich. Das Mädchen sah fragend zu ihren Eltern. Levis Onkel runzelte die Stirn, doch seine Tante nickte ihrer Tochter aufmunternd zu, woraufhin sie ihre Hand in Levis behandschuhte legte und sich von ihm mit nach draußen ziehen ließ. „Seit wann gehst du denn mit mir spazieren? Liegt Klein Levi was auf dem Herzen?“, fragte das Mädchen neckend. „Mir liegt tatsächlich etwas auf dem Herzen, aber lass uns erst mal raus gehen. Die Wände hier sind dünn wie Pappmaché und du weißt ja, dass Neugier in unserer Familie liegt“, meinte Levi, darauf bedacht die Sticheleien seiner Cousine zu ignorieren. Sie stiegen die Marmor Treppe runter in die Eingangshalle, wo sie sich schnell ihre Mäntel von dem Jackenständer schnappten und raus in die eisige Kälte stapften. „Also, was gibt es?“, fragte die Schwarzhaarige. Ihr Atem war sichtbar, doch die Kälte schien ihr trotzdem nichts auszumachen. „Es geht um das Thema, dass jetzt eigentlich nicht mehr an Heiligabend angeschnitten werden darf. Ich weiß ja nicht wie du das siehst, aber ich denke, dass du und ich als Eheleute... Das funktioniert einfach nicht“, erklärte er, woraufhin Mikasa sich nur mit der flachen Hand vor die Stirn schlug. „Ach, auch schon bemerkt? Aber was soll ich jetzt machen? Hast du gerade mitbekommen, wie Vater ausgerastet ist, nur weil ich gesagt habe, dass ich ausnahmsweise mal nicht über diese Hochzeit reden will? Der bringt mich um, wenn ich ihm jetzt noch sage, dass ich dich hasse und nicht heiraten will. Jedenfalls noch nicht und schon gar nicht dich“, sprudelten die Worte mit einen mal aus dem Mädchen heraus. Am heutigen Abend hatte er sie mehr reden hören, als jemals zuvor. „Ich will einfach nicht noch mehr Probleme haben, als es ohnehin schon der Fall ist. Wir wurden in diese Welt hineingeboren und sofort wurde uns ein Stempel aufgedrückt. Wer sich seinen Schicksal nicht beugt, Gerät nur in Schwierigkeiten, also versteh bitte mein Widerstreben.“ Levi seufzte und massierte sich genervt die Schläfen. Seine Cousine hat doch sonst immer gegen die Gesellschaft rebelliert, also warum ausgerechnet jetzt nicht mehr? „Also gut, ich hatte eigentlich vor das zu vermeiden, aber du lässt mir keine anderen Wahl. Komm her“, sagte er in einem strengen Ton. Mikasa sah erst überrascht aus, doch dann verzog sich ihr Gesichtsausdruck zu einer wütenden Grimasse. „Was fällt dir ein so mit dir zu sprechen? Ich bin immer noch deine Verlobte!“
„Ganz genau“, murmelte der Schwarzhaarige, „und als solche solltest du dich schon mal daran gewöhnen meinen Befehlen zu folgen. Jetzt komm her!“
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