Sechzehntes Türchen
Durch die große Glasscheibe sah ich ein Flugzeug in die Luft abheben. Mit dem Cockpit voran und und den Rädern, die langsam eingefahren wurden, erhoben sich viele Kilo Metall in die Lüfte und waren bald durch die dicke Wolkenschicht verschwunden. Wie die das wohl schafften, soetwas in die Luft zu bekommen? Das nächste Flugzeug wurde langsam über das Flughafengelände zur Startbahn geführt, bereit in den nächsten zehn bis fünfzehn Minuten abzuheben. „Moblit! Komm her und schau dir das an!“, rief ich meinem Freund zu, der auf einen der schwarzen Sitze im Terminal saß und nicht gerade gesund aussah. Er war blass und Panik spiegelte sich in seinen Augen wieder. „Nein, danke“, murmelte er so, dass ich es gerade noch verstehen konnte. Es war doch nicht meine Schuld, dass seine Schwester uns über Weihnachten in ihr Ferienhaus in England eingeladen hat! Wir hätten auch nach Frankreich fahren und von dort aus die nächste Fähre zur britischen Küste nehmen können, aber das wäre ein riesen Aufwand gewesen, der absolut nichts gebracht hätte, weil Moblit vor einer Überfahrt genausoviel Angst hat wie vor dem Fliegen. Es ist eigentlich schon immer so gewesen, dass ich das Abenteuer gesucht habe, während er verzweifelt versucht hat, mich vor dem Tod zu bewahren. "Letzter Aufruf für die Maria Air nach London" tönte es aus den Lautsprechern und sofort verspannte Moblit sich noch mehr. Seine Hände krallten sich in den blauen Rucksack auf seinen Schoß, während unsere Mitreisenden sich schon, mit dem Pass und der Bordkarte in der Hand, in einer Reihe aufstellten. Behutsam nahm ich meinem Freund den Rucksack aus der Hand und kramte unsere Unterlagen hervor, bevor ich ihm aufmunternd die Hand hinhielt. „Komm, das wird lustig!“, rief ich aufgeregt und zog ihn mit zu dem Ende der Schlange. „Was wenn ein Getriebe ausfällt oder der Pilot ein psychisch kranker Selbstmord Attentäter ist?“, fragte Moblit panisch. Ich setzte ein schockiertes Gesicht auf, so als ob ich vorher noch gar nicht an diese Möglichkeiten gedacht hätte. „Oh mein Gott, du hast recht! Und was wenn wir von einen Backstein erschlagen werden oder ein Auto uns anfährt. Oder schlimmer noch: Was wenn nackte riesen Kannibalen über die Menschheit herfallen und wir unser Dasein künftig hinter einer dicken Mauer fristen müssen, um nicht gefressen zu werden?“, packte ich ein Horror Szenario nach dem anderen aus und langsam aber sicher fühlte mein Freund sich wohl verarscht. „Sehr witzig, Hanji. Die Wahrscheinlichkeit, dass riesige Kannibalen uns fressen, ist nicht so groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass wir heute abstürzen und draufgehen“, murrte er. Dabei bemerkte er gar nicht, dass ich der Stewardess bereits unsere Bordkarten hinhielt und diese uns kurz darauf durch lies. „Eine Studie hat bewiesen, dass der Flugverkehr sicherer ist, als der Straßenverkehr“, sagte ich grinsend, während wir durch den Tunnel auf das Flugzeug zu gingen. „Mach so weiter und du bekommst mich demnächst nicht mal mehr in ein Auto!“, drohte er. Am Ende des Tunnels war eine offene Tür, die direkt in das Flugzeug hinein führte. Eine weitere Stewardess hieß uns willkommen und schon waren wir im inneren Moblits schlimmster Albträumen. „Nicht zu fassen, dass ich mich hab dazu überreden lassen“, murmelte er und kämpfte sich mit mir durch den engen Gang. Andere Passagiere standen mitten im Gang und waren noch dabei, ihr Gepäck und ihre Jacken in den Hohlraum über ihren Sitzen zu räumen, weshalb es etwas schleppend voran ging. Immer wieder wanderte mein Blick von den Bordkarten zu den Nummern über den Sitzen, bis zwei Nummern schließlich mit denen auf der Karte übereinstimmten. „Willst du am Fenster sitzen?“, fragte ich ihn neckend und wie zu erwarten lehnte er ab. Grinsend nahm ich den Fensterplatz in Beschlag, während Moblit sich neben mich setzte und den Sicherheitsgurt so fest zog, dass ich kurz Angst hatte er könnte sich das Blut abschnüren. Als alle auf ihren Plätzen waren, halte die freundliche Stimme einer Stewardess durch die Lautsprecher: „Meine Damen und Herren, ich heiße sie herzlichst willkommen auf der Maria Air. In wenigen Minuten werden wir unseren Flug nach London beginnen. Ich bitte Sie daher, Ihren Sitz in eine aufrechte Position zu bringen, ihren Sicherheitsgurt umzulegen, alle technischen Geräte auszuschalten, ihren Tisch hochzuklappen und aufmerksam der folgenden Einweisung in die Sicherheitsvorkehrungen zuzuhören. Im Namen der ganzen Crew wünsche ich Ihnen einen angenehmen Flug.“ Da ich in der Vergangenheit schon öfters geflogen war und mich mit den Sicherheitsvorkehrungen bestens auskannte, hörte ich der Einweisung in diese gar nicht mehr zu und sah aus den Fenster. Das Flugzeug bewegte sich und fuhr langsam zur Startbahn. Moblit krallte sich so fest in die Armlehnen, das seine Knöchel weiß heraustraten. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine und lächelte ihn aufmunternd zu. Er würde schon noch sehen, wie toll fliegen eigentlich ist. Auf der Startbahn angelangt kam das Flugzeug kurz zum stehen, bevor es sich wieder in Bewegung setzte. Erst so langsam wie zuvor, doch dann immer schneller. Mein Freund biss sich auf die Unterlippe, woran ich erkannte, dass er am liebsten schreien würde. Der Flughafen zog an uns vorbei und im nächsten Moment erhob die Maschine sich, mit der Spitze voran, gen Himmel. Ich drückte Moblits Hand fester, während die Häuser, Autos und Felder aus dem Fenster nur noch aussahen wie Spielzeug Modelle. Da es sehr bewölkt war, konnten wir die Erde unter uns bald nicht mehr sehen. Wir flogen wirklich über den Wolken und diese Wolken erweckten den Eindruck, als ob wir nur wenige Meter über eine Schneelandschaft fliegen würden. „Moblit, schau dir das an!“, rief ich aufgeregt, doch Moblit weigerte sich aus den Fenster zu schauen. Er wusste wirklich nicht, was er sich entgehen ließ. Die Lampen auf der Anzeige über uns blinkte und zeigte uns, dass wir die optimale Höhe erreicht hatten. Wir durften also unsere Sitze verstellen, die Tische runter klappen und uns abschnallen. Grinsend öffnete ich den Gurt und holte einen Manga, mit einen rosa Umschlag aus meiner Tasche. Die zwei küssenden Jungs auf dem Cover verrieten wohl alles über das Genre. „Wir fliegen in unseren sicheren Tod und du hast nichts besseres zu tun als nen gay Porno zu lesen?“, fragte Moblit abwertend. Ich ignorierte diesen Kommentar und lehnte mich mit dem Kopf an seine Schulter. Ohne ihn anzusehen wusste ich, dass er rot wurde und zwar nicht nur wegen dem plötzlichen Körperkontakt, sondern auch, weil er jetzt freie Sicht auf die Handlung in meinen Manga hatte. „Achtzehn Plus?“, fragte er nervös. „Achzehn Plus“, bestätigte ich grinsend und blätterte eine Seite weiter. Moblit wurde ohnmächtig, keine Ahnung ob wegen des Mangas oder wegen der Angst, aber wenigstens würde er dann nicht so viel von dem Flug mit bekommen.
Ganz unbeschadet kamen wir dann allerdings nicht davon, denn in London hatte es geschneit und die Straßen waren dementsprechend glatt. Der Fahrer des Taxi, dass vor dem Flughafen auf uns wartete und nach Sussex bringen sollte, verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und krachte in eine Straßenlaterne rein. Moblit und ich sahen uns an. Den Fahrer ging es gut, uns ging es gut, niemand war verletzt, nur das Auto war dahin. „Sagtest du nicht der Straßenverkehr wäre gefährlicher als der Flugverkehr?“, fragte mein Freund vorsichtig. „Das habe ich wohl gesagt.“ Während der Taxifahrer den Abschleppwagen anrief und Moblit seiner Schwester schrieb, dass wir uns verspäten würden, musste ich etwas lachen. Das ganze hätte zwar ins Auge gehen können, aber es ist schon ein tolles Gefühl recht zu haben.
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