Dreizehntes Türchen
Mit einen Rucksack und einen kleinen Koffer bepackt stand ich im Flur unserer kleinen Wohnung und versuchte die letzten Minuten in der Zivilisation auszukosten. Ich checkte die Nachrichten auf meinem Handy, verabschiedete mich auf WhatsApp bei meinen Freunden und sah ein letztes Mal hoffnungsvoll zu meiner Mutter. „Zwing mich nicht dazu“, flehte ich, doch sie ließ sich nicht erweichen. „Es ist doch nur für eine Woche, Levi. Außerdem ist das jetzt schon seit Wochen geplant“, meinte meine Mutter lächelnd. Schnell rückte sie noch die blaue Wollmütze zurecht, die meinen Undercut bedeckte und vor der grausamen Kälte draußen schützen sollte. „Jetzt zieh nicht so nen Flunsch, das wird lustig“, versuchte sie mich aufzumuntern. Meine Mutter hatte echt gut reden, immerhin würde sie nicht eine Woche in einer muffigen Berghütte verbringen. Es klingelte an der Tür und auch wenn ich null Motivation hatte, bediente ich den Türsummer und ließ die Person unten rein. Ich öffnete die Wohnungstür und hörte, wie sich schwere Schritte, Etage für Etage, nährten. Schließlich stand er da vor mir und lächelte dieses Lächeln, das ich überhaupt nicht abkonnte. Es wirkte immer so aufgesetzt und unecht. Ein Mann, mittleren Alters, mit blauen Augen und etwas längeren, braunen Haaren. Er war für sein Alter Recht klein und so habe ich seine Größe und die, meist genervten, Gesichtszüge von diesem Mann geerbt. „Hey, Dad“, murmelte ich, während er bereits nach seinem Koffer griff. „Hey, Kurzer“, witzelte mein Vater und wuschelte mir durch die Haare, als ob ich irgendwie fünf Jahre alt wäre. Eine Woche mit diesem Mann in den Bergen, abgeschnitten von der Zivilisation und ohne technische Geräte. „Bitte sag mir, dass es da wenigstens nen Staubsauger gibt“, flehte ich noch. Er lachte nervös und sah hilfesuchend zu meiner Mutter... Antwort genug für mich. „Levi Schatz, du hast Omas Staubwedel eingepackt. Reicht das denn nicht?“, fragte sie vorsichtig. Ich wollte ihr gerade fünfhundert Gründe um die Ohren hauen, warum man einen Staubsauger nicht durch einen Staubwedel ersetzen kann, als Papa schon mit einen Bein auf der Treppe stand. „Komm jetzt, Levi“, sagte er nervös. Meine technologie und Putzsüchtige Teenagerseele hatte sie wohl in Bedrängnise gebracht. „Viel Spaß ihr beiden!“, rief meine Mutter, während ich widerwillig meinem Vater folgte. Als Trennungskind war ich es gewohnt zwischen Mutter und Vater hin und her geschoben zu werden, aber in die Berge? Das ging wirklich zu weit.
Nach einer halben Ewigkeit in Papas stickigen Auto, kamen wir an der alten Holzhütte aus, die wohl eigentlich meiner Großtante gehört oder so. Rustikal, romantisch, nichts für einen Vater - Sohn Ausflug. In der Hütte roch es nach feuchtem Holz und es war Arsch kalt. „Jetzt sag mir bitte nicht hier gibt es keine Heizung“, meinte ich, kaum dass wir drin waren und Papa die Koffer abgestellt hatte. „Mit einer Heizung kann ich nicht dienen, aber dafür mit einen Kamin“, meinte er und deutete auf den Kamin in der Ecke des Zimmers. Ja geil, Brennholz hacken soll ich auch noch oder was? Skeptisch fuhr ich mit Zeige- und Mittelfinger über ein Regal, woraufhin ich fast einen Nervenzusammenbruch erlitt, weil meine Fingerkuppen unter der Staubschicht fast nicht mehr zu sehen waren. „Papa... Das ist ekelhaft“, murrte ich und ging in die angrenzenden Küche, um mir die Hände zu waschen, doch am Spülbecken war eine Art Pumpe befestigt. „Du musst pumpen, wenn du Wasser haben willst“, rief mein Vater aus dem Wohnzimmer. Das konnte doch nicht sein ernst sein. Wütend tat ich etwas, voran ich sonst nicht Mal im Traum denken würde: Ich wischte mir die Finger an der Hose ab, ging zurück ins Wohnzimmer, griff wortlos nach meinem Koffer und stieg die morsche Treppe zur ersten Etage hinauf.
Oben wartete allerdings die nächste böse Überraschung auf mich: Ein einziges Schlafzimmer, in dem ein einziges Bett stand. Ich hatte ja nichts dagegen mir ein Zimmer mit meinen Vater zu teilen, aber ein Bett? Schwere Schritte waren auf der Treppe zu hören und kurz darauf stand Papa im Türrahmen. „Oh“, murmelte er, als er das Bett sah, „das ist absolut kein Problem, Kurzer. Ich schlafe einfach auf dem Sofa.“ Da war es wieder. Dieses "Kurzer". Im Kindergarten fand ich es noch lustig, wenn er mich so genannt hat, immerhin war es da noch normal "kurz" zu sein. Jetzt bin ich sechzehn und seitdem gefühlte zwei Zentimeter gewachsen. Da ist das nicht mehr so lustig. Ohne meinem Vater wirklich zu antworten, holte ich Omas Staubwedel aus dem Koffer und schob den Koffer unter das Bett, denn bis ich nicht wenigstens den Kleiderschrank in der Ecke geputzt hätte, würde ich lieber aus dem Koffer leben, als meine Kleidung da rein zu legen.
Man konnte es drehen wie man wollte, dieser Ausflug blieb der reinste Reinfall. Mal abgesehen davon, dass die Hütte scheiße war, mussten wir alles putzen, kochen, Holz hacken und Wasser pumpen. Ich kam mir ein wenig so vor, als ob man uns 2000 Jahre in die Vergangenheit geschleudert hätte.
Ich weiß, dass es am selben Abend zum Streit zwischen uns kam. Es war merkwürdig, dass mein Vater seine Stimme gegen mich erhob. Immerhin war ich bei meiner Mutter aufgwachsen, so dass Papa mich nie zurechtweisen musste. Aus irgendeinem Grund machte mich das nur noch wütender. Er schrie mich an, dass er nur versuchen würde unser Verhältnis zu bessern und ob ich nicht noch etwas anderes außer meckern könnte. „Wenn du es hier so schlimm findest, warum gehst du dann nicht einfach?“, fragte er. Gute Frage eigentlich. Wütend warf ich den Staubwedel hin, zog mir meine Jacke und Schuhe an und stampfte, ohne meinen Vater eines weiteren Blickes zu würdigen, raus in die verschneite Berglandschaft.
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