Kapitel 3
Die Fassade des kleinen, schönen Cafés ist aus schwarzem Backstein, die Tür und die Fenster haben dazu passend einen schwarzen Rahmen. Schon duch die Fenster kann ich sehen, dass es gut besucht ist. Aber es sieht nicht nur unglaublich gemütlich aus - das ist es auch. Wir treten durch die schwarze Tür. Im Café ist es angenehm warm und uns empfängt eine Duftmischung aus Kaffee und Kuchen. Lautes Stimmengewirr strömt uns entgegen. Wir suchen nach einem freien Platz, was sich als ziemlich schwierig herausstellt, denn es ist gut besucht.
„Hi zusammen, einen Tisch für drei?" Ein junges, blondes Mädchen steht vor uns und lächelt freundlich. Ihre Haare sind zu einem Zopf gebunden, der lustig auf und ab wippt, weil sie schnell zu uns gelaufen kam, als wir das Café betreten haben.
„Jap, bitte", entgegnet Jane und lächelt zurück. Sie hakt ihre Finger in dem Gurt ihrer Tasche ein und sieht sich im Raum um. Scheinbar kennt sie hier ein paar Leute, denn ihr Gesichtsausdruck erhellt sich immer für einige Sekunden, als sie jemanden mit einem Lächeln begrüßt. Wen sie letztendlich kennt, das sehe ich nicht. Ich bin auch mehr damit beschäftigt, mich selbst im Raum umzusehen. Die Deko besteht inzwischen aus Kürbissen und bunten Herbstblättern. An den Wänden - und auch an den Fenstern - befinden sich Lichterketten, die den Raum in ein sanftes Licht tauchen. Auf den Tischen stehen Blumenvasen und kleine Windlichter, die aufgeregt flackern. Es ist warm und ich freue mich schon, wenn ich meine Jacke endlich ausziehen kann. Betty tippt ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden und verschränkt die Arme. Das Mädchen läuft wieder in unsere Richtung und Betty atmet erleichtert auf.
"Ich hatte schon Angst, dass wir keinen Platz mehr bekommen", gibt Jane zu.
"Wir hätten doch reservieren sollen, wie ich es gesagt habe", raunt Betty zurück, doch Jane kommt nicht mehr dazu, sich zu verteidigen.
„Folgt mir bitte", weist uns das Mädchen an und führt uns zu einem kleinen runden Tisch im Eck des Cafés. Auf ihm stehen noch zwei Gläser, die das blonde Mädchen abräumt. Ich schiebe ein kleines Windlicht und eine Blumenvase mit einer roten Blume zur Seite. Jane schnappt sich die Speisekarte, die zwischen der Vase und dem Windlicht eingeklemmt war. Während ich warte, dass Jane und Betty ausgesucht haben, was sie bestellen möchten, krame ich mein Handy aus meiner Hosentasche. Keine neuen Nachrichten. Kurz schaue ich auf Instagram vorbei, aber bis auf einige neuen Storys gibt es auch da nichts für mich zu entdecken.
Betty stupst mir mit ihrem Ellbogen in die Seite. Seufzend werfe ich ihr einen kurzen Blick zu und komme nicht umhin, ihre perfekte Frisur zu bewundern. Sie trägt ihre Braids heute zu einem riesigen Dutt und einigen freien Strähnen, die ihr wunderschönes Gesicht perfekt umranden. Sie sieht mich besorgt aus ihren dunklen Augen an. Ich werfe Jane einen Blick zu, die ihre dunklen Haare wiederum in einem Fischgrätenzopf trägt. Auch sie mustert mich aus ihren eisblauen Augen und runzelt die Stirn.
„Ivy?"Jane gibt mir einen sachten Tritt.
„Mh?", erkundige ich mich tonlos und suche das Café nach bekannten Gesichtern ab.
„Was war da draußen los? Wie lang haben sie dich schon belagert?", möchte Betty wissen und spielt mit ihrer Braid-Strähne, in der sich einige Perlen befinden.
Betty und ich kennen uns schon seit wir klein sind. Wir sind quasi im gleichen Krankenhauszimmer zur Welt gekommen. Jane zog mit ihrer Familie nach Hallwich Falls, als sie drei war. Dann kam sie zu uns in den Kindergarten und wir freundeten uns relativ schnell an. Praktischerweise verstehen sich auch all unsere Elternteile, wodurch wir auch an den Wochenenden viel Zeit miteinander verbringen konnten. Jane und Betty wohnen zwar beide in dem anderen Stadtteil – also der auf der anderen Seite des Flusses – aber wir verbringen dennoch so gut wie jede freie Minute miteinander. Und auch nach den vielen Jahren Freundschaft haben wir uns viel zu erzählen. Sicher, wir haben uns auch schon gestritten und uns voneinander getrennt. Aber wir haben alle gemerkt, dass es uns immer wieder zueinander zieht. Als wären wir Magneten.
Ich winke ab. „Nichts Schlimmes. Nur dummes Machtgehabe, alles gut. Mich würde ja viel eher interessieren, was das zwischen dir und Trench war." Schmunzelnd greife ich nach der Karte, verstecke mich dahinter und sehe Betty mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Ohja, same", stimmt Jane mir zu und stützt ihr Kinn auf ihrer Hand ab.
Betty wird rot und schlägt mir verlegen auf den Arm. „Nichts, nichts war da, ihr zwei. Hört auf."
Jane und ich sehen uns an ehe wir beide anfangen, zu lachen. „Ja, klar. Und ich kann fliegen", rufe ich und grinse Jane an.
„Ihr seid so doof", schmollt Betty und verschränkt die Arme.
Die Bedienung kommt und wir geben unsere Bestellung auf. Ich bestelle mir eine heiße Schokolade, denn durch die Fahrt zum Café brauche ich etwas Süßes, Warmes, um meine Hände aufzuwärmen. Ich spiele mit dem Ring an meinem Finger. Er ist ein Familienerbstück. Gold mit einem dunkelgrünen Edelstein. Mama sagt, er gehörte mal meiner Urgroßmutter, schließlich meiner Großmutter und nun mir. Passend dazu habe ich auch eine Kette mit dem gleichen Edelstein als Anhänger. Beides sind meine liebsten Schmuckstücke, weswegen ich sie zu jedem Anlass trage – eigentlich trage ich beides täglich.
„Alsoooo", murmelt Betty und kramt in ihrer Handtasche, aus der sie ihr Bullet Journal hervorholt. „Bald ist-", fährt sie fort.
„Du hast das Ding echt immer dabei, oder?", falle ich ihr ins Wort und starre auf die inzwischen schon beträchtlich gefüllten Seiten des Buches. Sie sind mit bunten Klebestreifen und kleinen selbstgemalten Bildern verziert.
Seit ich denken kann, ist Betty eine Ordnungs- und Planungsfanatikerin. Jede Stunde in ihrem verdammten Leben ist durchgeplant und strukturiert. Ich bewundere das zwar, aber ich könnte das nicht. Wenn mich etwas verrückt macht, ist es Kontrollzwang. Ich brauche Spontanität und Freiheit. Eingetragene Aufgaben und ein verplanterTag nehmen mir den Raum zum Atmen und freien Denken. Betty rutscht unruhig auf ihrem Stuhl umher und zieht einen Schmollmund.
„Das ist kein 'Ding', Ivy, sondern mein Kalender. Und ohne den Kalender wäre ich verloren. Du weißt doch, dass ich 1. viele Aufgaben habe und 2. mir das auch gegen meine Panikattacken hilft." Sie runzelt die Stirn und sieht mich stumm an.
„Sorry, B, ich wollte dich nicht verletzen. Ich bewundere dich doch dafür", wende ich ein und greife entschuldigend nach ihrer Hand. Verdammt, ich sollte endlich mal anfangen, nachzudenken, bevor ich so Sachen sage, die meine Freundinnen verletzen.
Ihr Gesichtsausdruck wird wieder weich und sie seufzt.
„Manchmal ist es anstrengend, dass du alles scheiße findest", schmunzelt sie und öffnet ihr Bullet Journal. „Also, auf jeden Fall ist ja bald Halloween. In zwei Tagen, um genau zu sein. Was machen wir?" Fragend sieht sie uns an.
Jane und ich wechseln einen Blick und zucken beide mit den Schultern.
Halloween verbringen wir seit jeher zusammen. Als Kinder sind wir noch durch die Straßen gezogen und haben nach Süßem gebettelt. Als wir älter wurden, haben wir uns immer freudig auf Alkohol gestürzt.
„Findet denn irgendwo eine Party statt?", erkundigt sich Jane und zupft ihren Pulli zurecht.
„Also...also bei Jake Ruddbone-", beginnt sie, doch ich falle ihr erneut ins Wort.
„Nein" ,sage ich bestimmt und verschränke die Arme.
„Komm schon, Ivy, das wird lustig. Jake ist bekannt für seine legendären Halloween-Partys." Jane stupst mir in die Rippen.
Doch ich schüttle den Kopf. „Ihr wisst, dass ich da nicht hingehen kann. Mein Vater springt mir ins Gesicht."
„Niemand muss erfahren, dass du dort bist. Es ist Halloween – wir verkleiden uns und niemand weiß, dass wir da sind. Und deinem Vater sagen wir einfach, dass du bei B. pennst. Ihre Eltern sind eh 24/7 im Krankenhaus und arbeiten da." Janes Augen leuchten und sie setzt ihren Dackelblick auf.
„Leute...", wehre ich ab und lehne mich zurück, weil unsere Bestellung kommt. Betty und Jane haben sich beide Kaffee bestellt und kippen sich nun Zucker in das Getränk. Synchron greifen sie nach ihrem Löffel und rühren den Kaffee um. Auch das Klirren des Löffels, als er gegen die Tasse schlägt, ist synchron und ich beobachte fasziniertdieses Schauspiel.
„Komm schon, Ivy", bettelt Jane und wechselt mit Betty einen Blick.
„Ihr könnt gerne ohne mich gehen. Ich kann da nicht hin." Ich beiße auf meine Unterlippe und starre nun in den Kakao, auf dem einige kleine Marshmallow-Kürbisse schwimmen. Meine Finger fahren über das Muster auf der Tasse. Jede von unseren Tassen ist unterschiedlich aber doch gleich – und den unverkennbaren Stil von Magenta Rossom, einer hiesigen Künstlerin, die mit Ton arbeitet, erkennt man sofort. Auf den Tassen sind bunte Blumen eingearbeitet, deren Blüten man mit den Händen nachfahren kann, da diese reliefartig hervorstehen.
Betty seufzt. „Wir suchen dir das passende Kostüme und niemand wird erfahren, dass du dort warst. Bitte, Iv. Halloween ist doch unser Abend. Den verbringen wir seit Jahren zu dritt. Du möchtest doch diese wichtige Tradition nicht brechen?" Sie zieht die Augenbrauen hoch.
Das Zusammenspiel der Mimiken der beiden ist grandios. Bettys Blick ist fordernd, während Janes bettelnd ist. Ich seufze, rolle mit den Augen und nehme einen Schluck von meiner heißen Schokolade. Ergeben sehe ich sie an.
Meine beiden Freundinnen geben sich lachend ein High Five und ich kann einfach nicht fassen, dass es ihnen schon wieder gelungen ist, mich zu etwas zu überreden. Ich hoffe einfach, dass ich diese Entscheidung nicht bereuen werde.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro