9. Festnetztelefone und Eintopf
So kam es, dass ich jetzt auf der Rückbank des alten Audis meiner Großeltern sitze. Sie leben gute zweihundert Kilometer von uns und somit glücklicherweise auch vom Erdbeben entfernt.
Wir schweigen und ich höre dem ratternden Geräusch des Motors zu.
Nicht einmal Musik kann ich hören, um mich abzulenken, wie ich es sonst immer tue.
Bevor Charlie und ich uns endgültig voneinander verabschieden mussten, versprachen wir einander hoch und heilig, uns so bald wie möglich anzurufen, wenn auch nur übers Festnetztelefon.
Handys haben wir beide keine mehr.
Auf die Schnelle werde ich auch keins auftreiben, denn die Sache mit dem Geld scheint auch ziemlich kompliziert zu sein, außerdem gibt es wichtigere Dinge als meinen Internetzugang, das ist mir klar.
Auch wenn es jetzt ganz holfreich wäre, durch Youtube zu scrollen und abschalten zu können.
Seitdem ich Ma auf Pa angesprochen habe, reden wir nur noch das nötigste miteinander.
Jedenfalls hoffe ich wirklich, Charlie irgendwie erreichen zu können.
Wir haben noch weiter über unsere jeweiligen Sorgen und Probleme gesprochen, wobei ich erfahren habe, dass sein Onkel und seine Tante echt keine Menschen sind, mit denen man einen Jungen wie ihn allein lassen sollte.
Sexistische Vollidioten, habe ich sie beschimpft, nachdem Charlie mir den Fall zuende erklärt hatte.
Ich hätte noch ein paar weitere Beleidigungen auf Lager gehabt, aber da hat Charlie mit dem Thema Pa angefangen.
Und weil er mir auch alles erzählt hat, habe ich keine Details ausgespart, während ich mit dem Reden dran war.
Dummes Erdbeben, meinte er dann, weil es sonst niemanden gibt, den wir für schuldig erklären können.
Wir werden wohl eine Weile bei Oma und Opa bleiben müssen. Oder wir dürfen.
Es ist ja schon ein Privileg, nicht Wochen (oder vielleicht Monate?) in diesen Zelten pennen zu müssen.
Ich hoffe wirklich, dass es anderen so ergeht wie uns. Wir haben es gut.
Wir haben eine Bleibe, liebe Großeltern, die es sich leisten können, uns mitzuversorgen.
Es fällt mir nur eines ein, was wir nicht haben. Oder noch nicht?
Hier macht das einen riesigen Unterschied. Pa.
Eine pessimistische Stimme in meinem Kopf versucht immer, mir begreiflich zu machen, dass es keine Hoffnung mehr gibt, während eine viel leisere mir zuflüstert, dass die Hoffnung zulegt stirbt. Und Pa hoffentlich gar nicht.
Ich muss schlucken. Ob der Rest der Familie wohl auch so düstere Gedanken hegt?
Lily macht mir immer noch Sorgen. Sie ist doch das Kind hier und habe ich nich letztens noch gepredigt, wie gut Kinder darin sind, gute Laune zu verbreiten?
Ich kann es ihr nicht mal verübeln, dass sie schelcht drauf ist, aber trotzdem wünsche ich mir so sehr, sie glücklich zi sehen. Auch wenn das egoistisch ist, will ich es nocht nur um ihrer Willen, sondern, weil es mich gleich mit glücklich machen könnte.
Wenn Pa jetzt mit uns im Auto säße, würden wir bestimmt "Ich sehe was, was du nicht siehst" spielen, oder versuchen, uns Kennzeichen zu merken.
Aber wenn diese blöden Suchtrupps nicht mach Lily und mich auf 'nem verdammten Feld finden konnten, wie sollen sie dann Pa finden?
Als wir in das große Haus mitten in der Pampa stehend eintreten, erschnüffle ich sofort den altbekannten Geruch in der Luft. Ich bin hier zwar sonst nur ein paar Male im Jahr, aber der Duft nach Kaminfeuer und Tee ist unverkennbar.
Er umhüllt mich wie ein Schutzschild vor der Realität, die mir draußen noch auf den Fersen war.
Ma und Lily schlafen im Gästezimmer.
Ich kann verstehen, dass Ma auf Lily aufpassen möchte, ich war darin jetzt nicht so klasse.
Jedenfalls nehme ich gern mit der Couch im Wohnzimmer vorlieb.
Die ist groß und weich und ich habe sie ganz für mich allein.
Ma hatte schon recht. Uns zu Oma und Opa zu flüchten war eine vernünftige Entscheidung. Keine gute, das kann ich nicht sagen bei der Sache mit Pa, aver vernünftig. Und ich bin immer noch heilfroh jugendlich zu sein, und diese vernünftigen Entscheidungen nicht treffen zu müssen.
Opa kocht uns schließlich Eintopf zum Abendessen. Viel reden die Erwachsenen am Tisch nicht und Lily und ich halten uns gänzlich aus den nichtssagenden Konversationen heraus.
Die Suppe schmeckt gut. Im Lager habe ich nur ein paar Mahlzeiten miterlebt, aber so richtig sättigend oder warm waren die nicht. Und lecker schon gar nicht. Satt ins Bett zu gehen ist ein gutes Gefühl. So oft missen musste ich es zwar nicht, aber es tut trotzdem irre gut.
Zuerst klicke ich mich, allein, wie ich auf dem Sofa hocke, noch ein bisschen durch die Senderauf dem Flachbildfernseher, schaue mir noch irgendeine Reality Show an, aber irgendwann beschließe ich schließlich, das Licht auszumachen.
Mir ist warm, ich bin satt und beschützt.
Ich fühle mich schuldig dafür.
Gegenüber Pa, wie auch immer es ihm gerade gehen mag und gegenüber den Leuten, die noch im Lager festsitzen.
Schlafen kann ich auch nicht.
Ich muss zwar nicht mehr über so viele Fragen nachgrübeln wie letzte Nacht, aber ich bekomme kein Auge zu.
Mag sein, dass es von der Blaulichtstrahlung vom Fernseher kommt. Aber es kommt mir so vor, as wenn, je eeiter ich von zuhause weg bin, desto unmöglicher ist es, die Nacht zu überstehen.
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