✘o6. Ich weiß ja nicht, ob du eine Brille brauchst.✘
Gegen zehn Uhr, kurz nachdem der Nachtdienst alle Patienten auf ihre Zimmer verwiesen hatte, schlich Harry durch die beiden Gänge zu Louis' Zimmer und klopfte vorsichtig an dessen Tür. Sein Herz hämmerte so heftig in seiner Brust, dass er Angst hatte, es könnte seinen Brustkorb zertrümmern.
„Louis?"
Er hob seinen Kopf unter der Bettdecke hervor und begann zu grinsen, obwohl sein ganzer Körper mit Angst gefüllt war. „Sekunde", Louis rappelte sich auf und kletterte aus seinem Bett, bevor er nach seinen Schuhen griff. „Los."
„Der Nachtdienst ist gerade in unserem Zimmer", flüsterte Harry, „Ich habe Niall und Liam gesagt, sie sollen uns eine kleine Zeitreserve verschaffen."
„Sie wissen davon?", Louis sah ihn überrascht an.
Harry nickte. „Sie haben mir versprochen, niemandem etwas zu sagen."
„Das will ich hoffen", seufzte er so leise er konnte und schlüpfte an Harry vorbei zur Tür hinaus. „Bist du dir sicher dass er nicht gleich um die Ecke kommen wird?"
„Ja", antwortete Harry und schloss die Tür hinter sich.
„Womit wollen wir uns überhaupt von der Stelle bewegen?", Louis richtete sich fragend an seinen Komplizen.
Dieser zuckte beide Schultern. „Keine Sorge", versuchte er ihn zu beruhigen, „Mir wurde gesagt, dass mein Wagen auf dem Parkplatz des Krankenhauses steht."
„Und wie willst du fahren, wenn du keinen Schlüssel hast?", ein entnervter Laut drängte sich aus Louis' Brust und Harry schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Verdammt."
„Ja, verdammt", vorsichtig schlichen sie sich an der Wand entlang, während sie darüber diskutierten, wie sie an Harry's Autoschlüssel kommen konnten.
„Er ist in den Korb mit meinen persönlichen Gegenständen, zusammen mit meinem Handy", erklärte er und deutete auf die Kanzel, die in diesem Moment unbesetzt war.
„Dann beeil dich, bevor er zurückkommt", drängte Louis, „Sobald er bemerkt, dass du nicht in deinem Bett bist, hast du nämlich ein Problem."
Harry rollte beide Augen. „Hör auf, mich so zu hetzen", scherzte er und warf einen Blick um die Ecke um zu sehen, ob die Luft rein war.
„Du kannst dich gerne dabei erwischen lassen, von hier abzuhauen", zischte Louis zurück und musterte ihn dabei, wie er in die Kanzel rannte und bei den Körben mit persönlichen Gegenständen nach seinem Namen suchte.
„Ich finde ihn nicht", flüsterte er zu Louis hinüber und dieser zeigte auf einen anderen Schrank. „Die blauen Körbe sind die mit den Gegenständen der Jungs."
„Oh", stieß er schließlich hervor und schlich zu dem nächsten Schrank.
„Hab' ihn", triumphierend hielt er seine Autoschlüssel in die Luft, und suchte weiter in seinem Korb.
„Was zur Hölle machst du da?"
„Ich suche mein Handy", gab er zur Antwort, und Louis rollte erneut beide Augen. „Wir haben keine Zeit, komm zurück."
Als er schließlich sein iPhone in der Hand hielt, schob er es in seine Hosentasche und suchte in dem Schrank weiter nach Louis' Korb.
„Harry", fauchte dieser und warf ihm einen warnenden Blick zu, „Wir haben keine Zeit."
„Ich suche nach deinem Handy", erklärte er, „Ein einfaches Danke, Harry hätte es auch getan."
Als er sein Handy schließlich gefunden hatte, warf er erneut einen Blick um die Ecke und schlich schließlich zurück zu Louis, der in der Zwischenzeit zu der Glastür gerannt war, durch die sie verschwinden wollten.
Als Harry die Klinke nach unten drückte, staunte Louis: Sie war tatsächlich nicht abgeschlossen. Sie führte auf eine andere, offene Station.
Eigentlich hätte Louis nicht damit gerechnet, dass sie überhaupt so weit kommen würden. Er hatte geglaubt, sie würden viel früher erwischt werden.
Gemeinsam drängten sie sich durch die Tür und schlossen sie so leise wie nur irgendwie möglich wieder hinter sich.
„Scheiße", fluchte Harry, „Da vorne ist noch eine Kanzel."
„Ja", Louis hatte sie auch gesehen. „Und der Nachtdienst sitzt in ihr."
„Verdammte Scheiße", fluchte Harry und schien für einen Moment ratlos zu sein. Er dachte nach. „Wenn diese Frau ihren Kopf in unsere Richtung dreht, sieht sie uns."
„Was du nicht sagst", Louis' Pessimismus kehrte zurück.
„Wir können nicht warten, bis sie ihren nächsten Kontrollgang macht. Bis dahin wird man drüben längst nach uns suchen."
Louis kam sich vor, wie in einem schlechten Krimi. Als wären sie auf der Flucht aus einem Gefängnis, weil sie irgendetwas ganz Schreckliches getan hatten.
„Aber sieh nur, wie vertieft sie in ihre Schreibarbeit ist", Harry deutete in die Richtung der Frau, während er etwas zur Seite ging um nicht direkt in ihrem Blickfeld zu stehen. Dabei war die Kanzel um die fünfzehn Meter von ihm entfernt.
„Du willst dich nicht ernsthaft an ihr vorbeischleichen, oder?"
„Wir haben keine Wahl, Louis", er bedachte ihn mit einem eindringlichen Blick. „Sie wird uns nicht bemerken."
„Da wäre ich mir nicht so sicher."
„Wir können jetzt nicht wieder umkehren."
Harry ging voraus, und Louis folgte ihm einfach. Er wusste nicht weshalb er sich nicht mehr dagegen auflehnte, sich einfach an der Nachtwache der anderen Station vorbeizuschleichen.
Jetzt gab es allerdings kein Zurück mehr, darüber war er sich absolut im Klaren.
Ein kleiner Wandvorsprung ermöglichte es ihnen gerade noch, sich hinter ihm zu verstecken, als die Krankenpflegerin kurz aufsah - viel mehr ermöglichte er es Harry, hinter ihn zu springen und Louis ruckartig zu sich zu ziehen. Louis glaubte, sein Herz könnte jeden Moment aussetzen, so heftig pochte es in ihm, als Harry ihn von hinten an seine Brust drückte und ihm den Mund zuhielt.
Das erschöpfte Herz schlug ihm bis zum Hals.
Einen Moment lang sahen sie sich einfach nur an, und für einen Moment schien die Welt um sie herum verschwunden zu sein.
Harry nahm schließlich seine Hand von Louis' Mund und legte einen Finger auf seine Lippen. Louis allerdings begann sofort, zu schimpfen wie ein Rohrspatz.
„Wie war das noch gleich? Sie wird uns nicht entdecken?", zischte Louis und fuhr sich mit beiden Händen über das erschöpfte Gesicht.
„Bis jetzt hat sie uns noch nicht entdeckt."
„Ich weiß ja nicht, ob du eine Brille brauchst", fauchte Louis, „Aber wir müssen direkt an der Kanzel vorbei."
Der Essensraum und die Küche befanden sich auf dieser Station direkt vor der Kanzel.
„Da drin ist es total dunkel", Harry lugte hinter dem Wandvorsprung hervor, um zu sehen, ob sie wieder schrieb. „Sie wird uns nicht sehen."
Er griff nach Louis' Hand und legte seinen Zeigefinger erneut auf seine Lippen um ihm zu deuten, dass er still sein sollte, und rannte los.
Gerade als Louis anfangen wollte zu protestieren, hatten sie den Weg an der Kanzel vorbei schon hinter sich.
„Harry", fauchte er schließlich, als sie längst außer Sichtweite waren. „Was sollte das denn?"
„Wenn ich darauf gewartet hätte, dass du voraus gehst, wären wir morgen Früh immer noch hinter der Wand gestanden", er grinste Louis amüsiert an, als dieser seine Augen rollte.
„Da hinten ist die Tür, die aus der Station führt", Harry deutete auf eine Tür an der linken Seite der Wand. „Siehst du das Treppenhaus?"
„Na, dann los", drängte er, als er plötzlich wieder das Gefühl hatte, sie könnten gesehen werden.
Harry drückte die Klinke nach unten, und hielt ihm die Tür auf. „Alter vor Schönheit."
Aus irgendeinem Grund konnte Louis sich ein Kichern nicht verkneifen. „Du bist ein Idiot."
„Dieser Idiot hat dich gerade aus der Psychiatrie geschafft", belustigt setzte auch er nun einen Schritt nach dem anderen aus der Station, bis er im Treppenhaus angekommen war. „Ein einfaches Dankeschön hätte es auch getan."
Allein an seinem Tonfall konnte Louis erkennen, dass es ihm damit nicht ernst war, aber er fand trotzdem, dass Harry irgendwie recht hatte. „Dankeschön."
Sein Grinsen wurde noch größer, und er hielt Louis die nächste Tür auf, bevor sie Stufe für Stufe die Treppen hinter sich ließen.
Sie kamen in ein unzähliges Labyrinth aus Gängen, die nicht aussahen, wie man sie sich in einem gewöhnlichen Krankenhaus vorstellte. Ganz im Gegenteil: Sie waren verglast, die Leisten hatten ein helles Grün. Wenn man nach links sah, konnte man den Garten des Klinikums sehen.
Schwarz-weiß gescheckte Fließen zierten den Boden und machten jeden ihrer Schritte hörbar.
„Wenn uns jemand hört, sind wir erledigt", Louis sah sich alarmiert um.
„Wir sind fast da, entspann dich", Harry ging etwas langsamer als er.
„Mich entspannen? Wir sind gerade aus dem Krankenhaus abgehauen."
„Weshalb bist du so unentspannt?"
„Weshalb bist du so entspannt?"
Nun war Harry derjenige, der kurz seine Augen verdrehte. „Da vorne ist der Ausgang."
Louis sprintete voraus und wartete eine gefühlte Ewigkeit darauf, dass sein Komplize nachkam.
„Warte", Louis hielt ihn zurück. „Wir müssen noch an der Pforte vorbei."
„Ich bitte dich", Harry lachte kurz auf, „Der Typ telefoniert. Wenn wir uns ducken schaffen wir es locker unbemerkt zum Ausgang."
„Ich hasse dich", scherzte Louis, und zum ersten Mal ging er voraus. Er wusste, dass eigentlich nichts mehr schief gehen konnte – also nutzte er den Mut, der ihn in dem Moment packte, weil er ganz genau wusste, dass sich das jeden Moment ändern konnte.
Schließlich allerdings hatten sie beide es unbemerkt an der Pforte vorbei geschafft und betraten den Parkplatz.
Harry konnte kaum glauben, dass er seine Füße zum ersten Mal wieder in die Freiheit setzen konnte.
Triumphierend zog er seine Autoschlüssel aus der Hosentasche. „Lass uns mein Auto suchen."
„Wie sieht das denn aus?"
„Schwarz."
„Wow", Ironie spiegelte sich in Louis' Stimme. „Was für eine detaillierte Beschreibung."
„Da hinten", Harry zeigte auf einen mittelgroßen, schwarzen Wagen und ließ die Scheinwerfer kurz aufblinken, um ihm zu zeigen, welches Auto er meinte.
„Steig ein", wies er ihn an, während er ihm die Tür aufhielt.
„Scheiße", fluchte Louis und zeigte auf den Eingang, „Sieh nur, Harry. Da hinten..."
Harry drehte seinen Kopf in die Richtung des Eingangs. Und da sah er sie auch: Zwei Betreuer ihrer Station.
Ohne auch nur einen Moment lang zu zögern, ließ er die Reifen so laut quietschen, dass Louis kurz zusammenzuckte. Er lenkte den Wagen vom Parkplatz und ließ die Krankenpfleger verwirrt zurück.
Und keine Minute später befanden sie sich auf der Straße, auf dem Weg in eine Richtung, von der sie selbst nicht wussten, wohin sie führte.
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Hallo, meine lieben Leserchen :)
Ich hoffe wie immer natürlich, dass euch das Kapitel gefallen hat und ich freue mich schon sehr auf eure Rückmeldungen :)
Ich wünsche euch noch einen schönen Sonntag!
All the love xxx
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