Bereit für ein kleines Abenteuer, Frau Rikken?
Das Alter des Hotelaushanges mit Ortsplan schien höher zu sein, als Sophia vermutet hatte. er war wohl längere Zeit nicht mehr aktualisiert worden. Gleichwohl hatte der Plan recht: Die vierte Straße und dann langgezogen nach Osten hin.
Dem Anschein nach, waren dies einmal Fabrikgebäude- vielleicht zur Fischverarbeitung errichtet. Doch an einem so kleinen Fischerort lohnte es wohl nicht, derartig große Hallen länger zu nutzen als es wirtschaftlich war. Zudem war Haifa auch etwas nördlich- eine richtig große Hafenstadt. Dort würden sich Betriebe dieser Größenordnung vielleicht rechnen.
Sophia schritt an das Gebäude mit der Hausnummer heran, welche auf dem Zettel notiert war. Der Metallzaun am Tor war geöffnet zu einer Hälfte, so dass man vielleicht mit einem kleineren Fahrzeug einfahren konnte. Eine nahe Tür zu einer zweigeschossigen Fabrikhalle war ebenfalls offen und rief geradezu nach Sophia, dort hinein zu gehen. Es war wie ein Wegweiser.
Sophia hatte Bedenken. Es konnte immer noch eine Falle sein- von Abstergo, von den Templern, von den Assassinen, von einer regionalen Bande, die allein reisende Frauen hierher lockte, um sie auszurauben. Doch Sophia musste über ihren Schatten springen, um ihren Weg weiter zu gehen.
So einladend diese offene Tür auch erschien- man musste allein hingehen und sie durchschreiten.
"Hallo?"
Das Innere der Fabrikhalle wirkte nicht sehr gastfreundlich. Hier lagen Glassplitter zwischen alten Holzpaletten und Kisten. Farbe blätterte von den tragenden Säulen in rissig wirkenden Streifen ab. Licht fiel durch mehrere zerstörte Scheiben in die Halle. Alles roch nach einer Mischung aus Altöl, Fisch und abgestandener Luft.
Dieser würzige Mix biss Sophia im ersten Moment sofort in die Nase, allerdings konnte man sich zur Not daran gewöhnen.
"Hallo? Ist Jemand da?"
Hinter einer breiten Säule in der Mitte der Halle hörte man Glas unter Schuhen knacken und bersten. Dann trat jemand aus dem Schutz der Säule und der dort abgelagerten Holzpaletten und winkte.
Es war Leyla Hassan, wie Sophia erkennen konnte.
"Hier entlang! Dort diese Metalltreppe herunter und im Bogen um diesen Pfeiler herum. Bitte bleiben sie im begehbaren Bereich und fassen sie dort drüben nichts an. Wir haben einige Fallen eingerichtet- für ungebetene Gäste."
Sophia tat, wie ihr geraten wurde. So mied sie es, auch nur in die Nähe des Geländer mit den Händen zu kommen und brachte einen ausreichenden Abstand zwischen sich und die erste Säule.
Leyla Hassan dirigierte Sophia den Weg entlang, bis sie nahe genug war, um eine offen stehende Metallklappe im Hallenboden erkennen konnte. Eine Metalltreppe ging dort hinab.
"Bitte! Gehen sie vor!", Dr. Hassan machte eine Geste, welche eine Einladung darstellen sollte.
Sophia verdrehte zwar deutlich die Augen, um ihren Missmut zu zeigen- auch so, dass Layla Hassan es sehen konnte, ging aber trotzdem voran in die Tiefe.
Dr. Hassan sah sich noch einmal verschwörerisch in der Halle um und zog dann die bislang aufgeklappte Deckentür dieses Versteckes zu. Sie folgte dabei mit vorsichtigen Schritten auf der Metalltreppe.
"Willkommen in Atlit!", begrüßte Leyla Hassan mit einem leichten Lächeln ihren verschüchterten Gast. Sophia zeigte sich geduckt und blickte sich um, wie Jemand, der schon in die Falle getappt war. Dr. Hassan lächelte weiter- wohl auch, weil ihr die Verunsicherung von Sophia Rikken hier im Halbdunkel des Flures aufgefallen war. "Folgen sie mir!"
Frau Hassan ging über einen langen unterirdischen Verbindungsgang an einem alten Förderband entlang. Sophia blieb ihr eng auf den Fersen.
Dieser unterirdische Korridor verband wohl die alte Verarbeitungshalle mit einer weiteren kleineren Halle nebenan. Hier ging es dann wieder aufwärts über eine Gittermetall- Treppe. doch nicht nur eine Etage, sondern auf die dritte Ebene hinauf. Man passierte einen Zuweg zu einem alten und abgebauten Kranführerhaus und ging zu einer Art von Kontrollraum. Von außen konnte man nicht hinein blicken, allerdings brannte dort schwaches Licht im Innenraum. je näher man kam, desto lauter summte ein Generator, der sich hier ebenfalls irgendwo befinden musste. Jemand hatte sich sehr viel Mühe gemacht, all dies hier in dieser Höhe aufzubauen und auch mit einer Art Not- Strom zu versorgen.
Dr. Leyla Hassan öffnete die Tür zu diesem geschützten Kontrollraum. "Willkommen in unserem kleinen Reich!"
Neugierig betrat Sophia zuerst diesen Raum, um Dr. Hassans Einladung zu folgen. Im Raum standen mehrere technische Geräte, mehrere Laptop zu deren Bedienung, Dialogführung und Feinjustierung.
Eine Frau stand an einem der Laptop, winkte kurz zu.
"Meine Kollegin, Dr. Bibeau. Sie überwacht ihren kleinen Ausflug."
"Meinen kleinen Ausflug?" Sophia Rikken war ja interessiert, eine mögliche eigene Vergangenheit zu betreten und deren Wechsel- Wirkungen zu erleben. Aber jetzt, da man ihr diese Option der eigenen Regression so nahe vor Augen hielt?
Während Leyla Hassan eine Frau von weiblicher und weicher Gestalt war, erschien es vom Aussehen der Forscherin Bibeau eher so, dass dort sehr maskulin anmutende Genetik dominierte. Dies wurde durch ihre kurze blonde Scheitelhaar- Frisur noch mehr untermauert und hätte sie nicht- wohl auf Grund der Hitze- diesen Knielangen Rock getragen, Dr. Bibeau hätte von der Statur gegebenenfalls sogar als schwächerer Mann bestehen können. Allerdings hatte ihre doch recht tiefe Stimme einen Hauch von Weiblichkeit bewahrt. Ebenso ihr Lächeln, welches sanft und weich erschien.
"Nun? Das war es doch, was sie wollten? Im Gegenzug zu ihren Informationen? Sie erinnern sich?", drängelte Dr. Bibeau.
"Victoria, bitte." Leyla Hassan beschwichtigte ihre Kollegin. "Tut mit leid, Frau Rikken. Wir sind ein wenig in Panik, weil wir Ihnen- als Vertreter des Rates der Templer- den Luxus einer Reise in den Animus ermöglichen sollen- auf Wunsch der Bruderschaft der Assassinen. Sie verstehen unsere Ängste und Sorgen?"
Sophia atmete lang und tief aus. "Ja! Nur zu gut verstehe ich das.", sagte Sophia fast schnippisch.
Und dies tat sie, da sie um die Gefahren wusste, die dieses doch erfolgreiche Forscherteam über die Zeit bedrohten. Zumindest war diese kleine Truppe von Forschern den Templern ein Stachel in der Haut. Doch auch für sie gab es genug Gefahren bei dieser Aktion. Im besten Fall waren nur Kopfschmerzen oder Erbrechen nach einer erfolgreichen Regression zu erwarten- im Schlimmsten Fall war sie hinterher lobothomisiert und sabberte nur noch- ohne jede geistige Kontrolle über all ihre Körperfunktionen. Fabelhaft. Und dazwischen gab es reichlich Facetten, welche man erreichen konnte.
Obgleich Dr. Leyla Hassan weniger besorgt wirkte und sicherlich auch gern alles schnell hinter sich bringen wollte, nahm sie sich die Zeit, Sophia auszufragen über verschiedene Aspekte ihrer 'Reise'.
"Sie wollen also in die Vergangenheit reisen- ohne Bezugspunkte oder DNA- Verwandtschaften zu kennen. Und sie wollen uns- Victoria und mich- entscheiden lassen, wieweit es in die Vergangenheit gehen darf und überlassen Uns die Überwachung ihrer Reise?"
"Ja. So ist es."
"Das ist viel Vorschusslorbeer.", warf Victoria Bibeau ein. Fast beiläufig pikste Dr. Bibeau in Sophie's Ohr und nahm an der Stelle einen kleinen Blutstropfen, welchen sie auf eine Art aufsaugendes Löschpapier auftrug und auf dem Tisch ablebte. dann- ebenso schnell- brachte sie ein kleines Pflaster am Ohr auf. Sie setzte sich zurück an den Tisch und befasste sich mit der Probe.
Zeitgleich rutschte Leyla Hassan auf einem Rollenden Hocker zwischen einer mobilen Animus- Einheit, einem Laptop und Sophia hin und her. Sie legte eine Gerätschaft auf Sophia's Kopf auf- wie ein metallenes, kaltes Stirnband fühlte es sich an. Dann klippste sie zwei Klemmen an Daumen und Zeigefinger der linken Hand Sophias, um sofort die hereinkommenden Daten auszulesen.
"Ich denke, sie wissen, was sie tun. Und sie sind die Besten! Egal aus welcher Sichtweise der Dinge."
"Aber warum?"
"Weil ich innerlich seit den Ereignissen in Madrid ein zerrissener Mensch bin. Ich arbeite für die Templer und Abstergo- innerlich jedoch bin ich ein anderer Mensch: Ein Assassine!"
Sophia bemerkte, wie Leyla Hassan kurz inne hielt. Sie blickte sich zeitgleich mit Victoria Bibeau von Auge in Auge. Offenbar erschien den zwei Wissenschaftlerinnen diese Sichtweise nicht unbekannt, wenngleich es für Sophia wohl eine Überraschung war.
Sophia beschrieb es weiter: "Als ich Callum Lynch in seiner Regression bei Abschwächung des Animus- Effektes erlebte und er sich dem KREDO verschwor, da erschien es mir, als sei mir dies alles so bekannt innerlich. Verstehen sie was ich meine? Er wirkte so fern und doch so real. Wenn man dies gesehen hat, dann kommen einem doch Fragen, oder?"
Antworten bekam Sophia nicht. Die Forscherinnen machten sich an ihren Apparaturen zu schaffen.
"Ich habe hier tatsächlich etwas.", warf Dr. Victoria Bibeau plötzlich und merklich überrascht ein. "Sogar zwei mögliche Optionen. Weiter geht es derzeit nicht zurück!"
"Schick mir doch bitte mal die Werte und Daten.", bat Dr. Hassan.
"Schon geschickt! Sie dir das doch einmal an! Diese Zeitlinie- eine klare Übereinstimmung. Das ist einfach unglaublich! Ja, und hier- hier verlaufen die DNA- Verkettungen in die zwei Linien. Victoria? Du weißt, was das bedeuten kann?"
Dr. Bibeau nickte Dr. Hassan zu, sah danach direkt in Sophias Augen. Sophia beantwortete die von Hassan gestellte Frage für alle im Raum: "Direkte Blutlinie- Kind von zwei Assassinen in der Vergangenheit!"
Sophia blieb der Mund fast offen stehen, als sie selbst dies ausgesprochen hatte.
Dies erklärte einiges.
Und warf neue Fragen auf.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro