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Früher, vor einer schier endlos langen Zeit, gab es für mich nichts Schöneres als nach Hause zu kommen, Jonathan der auf mich wartete und ein warmes Heim. Am Tag meines Abfluges nach New York dachte ich unentwegt an Gideon oder wie ich mittlerweile weiß, Alec. Immer wieder ließ ich seine Worte durch meinen Kopf fließen. Der beruhigende tiefe Bass verankerte sich in den hintersten Ecken meines Bewusstsein. Ich erinnere mich noch daran, dass ich in der Wartehalle des Flughafens saß, einen Becher scheußlich schmeckernder Brühe in der Hand. Das was mir als Kaffee verkauft wurde, ähnelte nur in der Farbe meinem bevorzugten Stressgetränk. Minutenlang starrte ich in die tiefschwarze und mittlerweile eiskalte Flüssigkeit. In meinem Kopf lief ein Film in Dauerschleife, der passende Titel prangte in dicken leuchtenden Lettern über meinem Kopf. Ashamed. Äußerst passend und wahnsinnig traurig.
Auch wenn ich unglaublich wütend auf Alec und ein wenig auch auf mich war, so gab ich ihm dennoch die Chance sich zu erklären. Denn ich spürte, dass ein offenes Gespräch das war, was er sich wünschte. Gebannt saß ich in einem fremden Bett, in einer Stadt die ich nicht kannte und lauschte den Worten eines Mannes, der mir offensichtlich so sehr vertraute, dass er mir die Geschichte seines Lebens erzählte. Er ging ein hohes Risiko ein, mir Details aus seinem Leben anzuvertrauen.
"Homosexualität und Spieler in den Profifussballligen dieser Welt gehören einfach nicht zusammen. Dabei sollte es nicht so sein. Aber es ist wie es ist und ich als Spieler eines namenhaften Vereins muss einen gewissen Ruf wahren. Ich war dreizehn als ich mir eingestand, dass ich schwul bin. In meiner Schule gab es einen Jungen. Ich mochte ihn sehr und fand ihn unglaublich heiß. Du kennst das, wenn die Hormone verrückt spielen und du an nichts anderes mehr denken kannst als den erstbesten Kerl aus dem Internet zu ficken um endlich das Gefühl eines männlichen Körpers unter dir zu spüren. Ich war kurz davor es zu tun. Aber ich habe mich nicht getraut. JoJo dagegen machte es mir einfach. Er war mein bester Freund und in dem Sommer als ich gerade sechzehn geworden war, fuhren wir gemeinsam ins Sommerlager. Wir verbrachten den ganzen Tag auf dem Trainingsplatz, kühlten uns am Abend im naheliegenden See ab und teilten in den Nächten das Bett. Es geschah einfach. Wir dachten nicht an die Konsequenzen. Die ersten Erfahrungen sind immer die prägensten. So war es auch bei mir. Natürlich habe ich ihn nie vergessen. Es war unsere Zeit und nach diesem Sommer blieben wir Freunde. Eine Weile trafen wir uns noch und irgendwann veränderte es sich. Ich spürte, dass er mehr wollte als heimliche Treffen und bedeutungslosen Sex. Aber das konnte ich ihm nicht geben. Meine Eltern haben mir früh beigebracht, dass ich hart für meinen Erfolg trainieren muss. Ich kämpfte und wurde belohnt", erzählte er und mit jedem Wort das er sprach, setzte sich ein klares Bild in meinem Kopf zusammen. Er, gutaussehend, talentiert, schwul. Die Erwartung der Außenwelt war nicht das, was er begehrte. Wie ein Wasserfall sprudelten die Worte aus ihm heraus und ich konnte die Last welche ein klitzekleines Stückchen von ihm abfiel, auf dem Bett neben uns liegen sehen.
"Meine Eltern erwischten uns eines Abends im Bett und darauf folgte ein langes und äußerst peinliches Gespräch. Ich outete mich offiziell vor meiner Familie als schwul. Warum hätte ich es auch leugnen sollen? Sie platzten in einem eindeutigen Moment in mein Zimmer. Ich war gerade dabei meinen Schwanz in seinem Hintern zu versenken. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Eltern bis heute traumatisiert sind. Das war so unendlich peinlich. Mein Vater tobte vor Wut und ich gab ihm das Versprechen, es für mich zu behalten. Du musst wissen, dass der Fussballplatz nicht unbedingt zu den tolerantesten Orten auf diesem Planeten zählt. Kerle vollgepumpt mit Testosteron und Adrenalin. Die Umkleide ist regelmäßig ein Eldorado an Frauen- und Sexgeschichten. Manche Menschen kennen einfach keine Grenzen", sagte er kopfschüttelnd und sammelte sich und die Erinnerung für einen kurzen Moment.
Wir schwiegen und ich klaubte imaginäre Fussel von der Bettdecke. Meine Hände suchten eine Beschäftigung, damit sie nicht in die Versuchung kamen nach seinen zu greifen. In gewisser Weise verstand ich die Beweggründe und warum er das tat. Ich wollte ihn so gerne berühren, seine Hand halten und ihm sagen, dass es okay war einen Mann zu lieben. Aber dessen war er sich bewusst.
"Es ist nichts unnormal daran einen Mann zu lieben. Du bist gut so wie du bist. Nicht wir finden die Liebe, sie findet uns. Und wir lieben nunmal Männer", sagte ich.
"Das weiß ich. Ich bin normal. Aber es geht nicht", flüsterte er und ich schluchzte lauthals. Es war mir egal das er es hörte und sah, wie ich die Fassung verlor. Ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, was Alec die letzten Jahre durchlebt hat. Er hat eine Frau geheiratet und schon damals fragte ich mich, ob sie eingeweiht war. Die Frage blieb in meinem Kopf, ich habe nie eine Antwort darauf erhalten.
Wir saßen uns nackt gegenüber, meine Knie berührten leicht die seinen und ich schloß für einen Wimpernschlag die Augen um mein aufgeregtes Herz zu beruhigen. Diesen Moment nutze er um die Kuppe seines Daumens federleicht über meine erhitzte Haut gleiten zu lassen. Ich verlor stumme Tränen und wusste nicht genau warum. Aber eines wusste ich genau, diese Nacht hatte ich mir anders vorgestellt. Und sie veränderte mich.
"Ich ging mit siebzehn nach Deutschland. Das Angebot war unglaublich. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich diese Chance nicht genutzt hätte. Fussball ist mein Leben. Mir wurde ein Platz an einem Sportinternat angeboten und ich durfte für einen der großen Vereine spielen. Bundesliga. Mit siebzehn. Sie haben mich vom Fleck weg verpflichtet. Ich platzte vor Stolz. Es war das was ich immer wollte. Ein Bein im europäischen Fussball. Ich hatte großes Glück. Das weiß ich. Aber Glück allein reicht nicht aus. Ein gewisses Maß an Talent muss schon vorhanden sein. Und das habe ich. Ich war erfolgreich mit meiner Mannschaft. Wir gewannen den Meistertitel. Zweimal. Magnus ich schwöre dir, ich war selten so glücklich. Und dann kam mein Dad, der auch gleichzeitig mein Manager ist und sagte, dass ihm ein Angebot vom FC Chelsea vorliegt. Ich dachte er verarscht mich. Seit meiner frühesten Kindheit lebte ich für diesen Verein. Es war mein größter Traum. Und er ging in Erfüllung. Ich sagte noch am selben Tag zu. Die Ablösesumme war unmenschlich und ich hatte ein schlechtes Gewissen meinen Teamkameraden gegenüber. Ich ließ sie zu Beginn einer erfolgreichen Saison allein und erntete jede Menge Hass und Spot von den Fans. Kurz trübte es meine Freude. Aber als ich das Trikot mit meinem Namen drauf in der Hand hielt, war es wie ein Befreiungsschlag."
"Mir war immer bewusst, dass ich meine sexuelle Neigung verstecken muss. Um erfolgreich zu sein, musste ich so sein wie man es von mir erwartete. Jung, talentiert, heterosexuell."
"Du lebst deinen Traum. Aber auch gleichzeitig eine Lüge. Wie schaffst du das?", antwortete ich harsch. Seine ganze Erklärung führte mir vor Augen, dass er mich benutzt hatte um ein Bedürfnis zu stillen. Es ging nicht um mich, sondern um meinen Arsch und Alec, welcher heimlich einen Kerl ficken konnte.
"Es ist kompliziert", kam prompt seine Antwort und ich schnaubte verärgert.
"Ist es nicht immer so? Glaubst du mein Leben war leicht? Niemandes Leben ist das. Umso wichtiger ist es, das wir so sein können wie wir sind." Alec streichelte über meine Wange und saugte die letzten Tränen auf. Ich atmete schnell und wusste nicht genau was richtig war. Ebensowenig wusste ich, was ich wollte. Ich hörte das kraftvolle hämmern meines Herzens und das Blut in meinen Ohren. Das Rauschen überdeckte nicht seine Worte und ich hätte es auch nicht gewollt. Obwohl mein Herz so wahnsinnig schmerzte, wollte ich doch unbedingt seine Stimme hören.
"Ich nicht. Es wäre das Ende meiner Karriere", hauchte er. Es war das Ende unseres Gespräches und somit auch dieser Nacht. Wortlos stand er vom Bett auf und suchte seine Klamotten zusammen. Innerlich bat ich Alec darum nicht zu gehen.
"Du hast die Wahl Gideon", sagte ich und kurz stoppte er seine Rückkehr in ein eingeengtes Leben. Das Shirt zwischen seinen Fingern glich einem festen Knoten, unablässig kneteten seine Hände den flauschigen Stoff.
"Nein habe ich nicht", antwortete er leise und schüttelte leicht den Kopf. Seine traurigen Augen füllten sich mit Tränen und damals wie auch heute war ich mir sicher, dass er einen kurzen Moment strauchelte.
Stumm beobachtete ich ihn dabei, wie das Shirt in einer fließenden Bewegung seinen athletischen Körper bedeckte. Gierig sog ich mit letzten Blicken auf seinen unbekleideten Körper diese Schönheit in mir auf. Es war fast surreal wie schnell wir unsere Kleidung verloren um uns dem Verlangen nach dem anderen hinzugeben. Beim Ankleiden ließ er sich Zeit, führte jede Bewegung ruhig und gelassen aus. Aber in seinem Inneren musste ein gewaltiger Sturm toben.
"Machs gut Magnus. Ich wünschte es wäre anders. Der Sex war unglaublich gut." Das Geräusch der sich öffnenden Tür und das Gefühl plötzlich einsetzender Scham verfolgt mich noch immer.
"Ich werde es keinem sagen", rief ich rasch hinterher bevor er mit einem letzten Blick und sanftem Lächeln auf den sündigen Lippen endgültig aus meinem Leben verschwand.
Ich habe nie versucht ihn zu finden. Warum auch? Er war ein schnelles Abenteuer und nicht von Belang. Jonathan war der Mann an meiner Seite und nach einem offenen Gespräch über die Tristesse unserer Beziehung glaubte ich daran, dass wir zu einem erneuerten Leben zurückkehren konnten. Wie falsch ich doch lag. Die letzten drei Jahre lebten wir nebeneinander statt miteinander. Und immer öfter kamen die Erinnerungen und Gedanken an eine Nacht in London von der ich heute weiß, dass sie nie nur ein One-Night-Stand war. Ich war Jonathan immer treu. Doch in dieser Nacht, in einem schummrigen stickigen Pub mit gröllenden Männern und schunkelnden Frauen, warf ich meine Prinzipien und somit auch meine Beziehung zu Jonathan über die Blackfriars Bridge und stürzte mich in die starken Arme eines fremden Mannes. Er raubte mir den Atem und küsste mich als gäbe es kein Morgen mehr. Jede Berührung seiner Fingerspitzen auf meiner Haut schickte elektrisierende Stöße durch meinen Leib. Kein anderer Gedanke als das er mich fickt war mehr vorhanden. Ich gab ihm alles und er belohnte mich mit einem Ritt auf dem Vulkan und ekstatischen Wellen, welche ich nie wieder gefühlt habe.
Alec Lightwood nahm in dieser Nacht ein Souvenir mit sich. Ob er sich dessen bewusst ist, mag ich zu bezweifeln. Seine ablehnende Haltung mir gegenüber schmerzt gewaltig. Noch immer hält er mein Handgelenk fest umklammert und die Nägel seiner Hand bohren sich schmerzhaft in meine Haut.
"Du hast ein Souvenir mitgenommen. Das du es ausgerechnet heute trägst", sagt er. Irritiert schaue ich in seine funkelnden blauen Iriden und folge dem Weg seiner Augen. Das Armband, welches er in dieser kalten Londoner Nacht trug, umschließt anklagend mein Handgelenk.
"Denk an dein Versprechen", sagt er kühl und lässt mich verletzt in der Einsamkeit zurück.
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