27🏳️🌈
„Du musst dich schützen. Ich verstehe das. Aber du solltest auch versuchen mich zu verstehen. Das ist nur fair. All das was du mir erzählt hast, ich werde nie wieder darüber sprechen. Es sei denn, du möchtest es. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Was ebenso sicher ist, ist die Tatsache, dass ich mich nicht verstecken werde. Meine Beziehung zu Jonathan ist für den Arsch. Er hasst mich und ich hätte das zwischen uns viel eher beenden sollen. Nein, müssen. Ich war nicht ehrlich zu ihm und habe uns beide immer weiter in diese beschissene Spirale getrieben. Dass es so endet... wer hätte das gedacht. Ich nicht."
„Vielleicht sollten wir es als Chance sehen", sagt Alec.
„Wie meinst du das?", frage ich und spüre die bleierne Müdigkeit über mich hereinbrechen. Die letzte Nacht war kurz, zu kurz und Alecs Erzählungen machen schwindelig. Mein Kopf ist schwer und die Last seiner Worte kaum zu tragen.
„Es muss etwas bedeuten, dass wir uns wiedergetroffen haben. Ich wusste nichts über dich. Meine Chance dich zu finden war gleich null und du hast anscheinend nicht einen Gedanken daran verschwendet..."
„Alexander, was hätte ich denn tun sollen?", unterbreche ich ihn. „Dich suchen und mir dein ach so perfektes Leben anschauen? Aus der Ferne und dann? Was hätte es mir gebracht?", frage ich zornig. Er hält meinem Blick stand und schweigt, doch so leicht kommt er mir nicht davon, auch wenn es mich alle Mühe kostet. Ich will das nicht.
„Nichts, gar nichts. Außer Schmerz und dem Wissen, das deine Frau das Leben lebt, mit dir, was mir immer verwehrt bleiben wird. Dieser Gedanke ist unerträglich, auch wenn ich weiß, dass du keine Gefühle für sie hast."
„Das stimmt so nicht", setzt Alec zu einer Rechtfertigung an. Wir drehen uns im Kreis. Wieder und immer wieder. Seufzend lasse ich meinen Kopf hängen, starre erneut auf das stechende Grün unter meinen Händen.
„Natürlich empfinde ich etwas für Sara. Wir sind seit fast zehn Jahren verheiratet und haben ein gemeinsames Kind. Was denkst du dir? Das ich sie einfach so fallen lasse? ‚Danke das du meine Fake-Frau gespielt hast, aber nun will ich nur noch einen Kerl und bitte da ist die Tür? Lass Mason hier, denn mein Freund ist jetzt seine neue Mutter.' Glaubst du wirklich, dass ich dieses Arschloch bin?", presst er wütend heraus. Nein, das ist er nicht und genau da liegt das Problem. Sein ganzes Leben hat er nach anderen ausgerichtet, sich verbogen und eine Mauer um sein Herz errichtet. Alec würde den Ausweg nicht mal erkennen, wenn er direkt vor ihm liegen würde. Es könnte so einfach sein, ein Wort, ein Kuss vor den Augen ausgewählter Menschen. Menschen, die ihm wohlgesonnen sind und kein Problem mit seiner Sexualität haben. Alec ist nicht so weit diesen Schritt zu gehen und mich beschleicht das ungute Gefühl, dass er es nie sein wird.
„Das Ganze ist emotional belastend. Mein Outing wäre ein enormer Kraftakt. Es müssen Vorbereitungen getroffen werden, Gespräche mit meinem Club, den Bossen, Marketing, mein Anwalt würde sich die Hände reiben über die Gage, welche er von mir kassiert. Mein Management würde mir den Arsch aufreißen, ich bräuchte einen neuen Berater, meine Karriere... ich weiß nicht, ob ich das überstehe. Die Presse würde sich auf mich und meine Familie stürzen. Sara wäre dem Spott der Leute ausgesetzt. Und Mason? Wie würden seine Mitschüler reagieren? Die Eltern? Er hat es so schon nicht leicht mit mir als Vater. Wenn dann noch heraus käme das ich schwul bin... nicht auszudenken." Da ist es wieder. Er senkt den Kopf, wirkt traurig und reibt sich über die feuchten Augen. Er hat seine Seele vor mir freigelegt, mir alles gegeben. Schonungslos, ehrlich. Alec macht sich Sorgen um seine Familie. Zurecht? Ich weiß es nicht.
„Mason ist mein ganzes Glück. Ich versuche ihn, soweit es geht, aus der Öffentlichkeit rauszuhalten, aber das ist nicht so einfach. Denn zu Beginn unserer Ehe war meine Frau sehr offen mit unserem Privatleben. Es war ihr egal was meine Berater sagten, die Konsequenzen und das Masons unschuldiges Leben in Gefahr war. Für sie zählten nur die Likes und das jede Woche neue Pakete und Anfragen kamen, Werbung für Babykram auf ihrem Social-Media Account zu machen. Das ist nicht meine Welt. Ich habe jemanden, der sich um meinen Account kümmert. Nichts geschieht ohne mein Einverständnis, aber ich sitze nicht vor dem Bildschirm und lade Bilder hoch oder verfasse irgendwelche geistreichen Texte. Dafür habe ich auch keine Zeit. Ich steh den ganzen Tag auf dem Platz, bin im Kraftraum, bei Spielbesprechungen, Presseterminen und die restliche Zeit des Tages verbringe ich mit meinem Sohn. Aber Sara ist da anders, war sie schon immer gewesen. Nicht nur ich habe von einer Heirat profitiert, sie auch. Mittlerweile haben wir eine für uns beide gute Übereinkunft getroffen. Aber damals, war das eben noch nicht so. Sie hatte ihr Ziel erreicht, meine Bekanntheit machte auch sie ‚berühmt' und ganz ehrlich, was hätte ich machen sollen? Sara ist eine erwachsene Frau und was sie über sich preisgab war mir egal. Sie war mir egal. Als Mason geboren wurde, hatten wir einen handfesten Streit. Es kam so weit, dass ich ihr drohte den Geldhahn zuzudrehen, wenn sie weiterhin Fotos von Mason veröffentlichen sollte. Ich habe mich selten so... ich weiß nicht, verraten gefühlt. Sie lachte mich aus und sagte, dass sie auf mein Geld nicht angewiesen sei. Aber ich auf sie und damit hatte sie sowas von recht. Du kannst dir nicht vorstellen wie sehr Magnus. Meine Welt ist mit nichts zu vergleichen."
„Ich bin nicht perfekt. Du bist nicht perfekt. Wir alle haben unsere Fehler. Dennoch musst du dich für einen Weg entscheiden. Ich werde nicht länger so tun als wärst du mir egal. Denn bei Gott, dass bist du nicht. Aber ich bitte dich, denke darüber nach was du willst und ob du bereit bist, es auch zu leben. Zusammen könnten wir so viel bewegen, verändern und Jungs wie dir helfen zu verstehen, dass es okay ist einen Mann zu lieben. Dass Sport und Homosexualität sehr wohl zusammen funktionieren."
„Der Gedanke ist schön", sagt Alec leise.
„Ja. Es ist leicht die Worte zu sagen." Alec schnaubt, schüttelt den Kopf und schließt für einen Moment die Augen.
„Das ist es ganz und gar nicht, Magnus. Es ist so schwer für sich einzustehen, wenn einem immer wieder gesagt wurde, wie man zu sein hat. Ich habe meine Sexualität akzeptiert, ich bin schwul. Aber ich kann einfach nicht vor der Öffentlichkeit dazu stehen. Ich habe Angst. Angst, vor allem, der Zukunft, der Reaktion der Fans, Sponsoren die abspringen, Hass und Ausgrenzung. Fußball ist die beliebteste Teamsportart in Europa. Das kannst du nicht wissen, darum versuche ich dir zu erklären, wie das System funktioniert und ich habe das Gefühl, dass es dir egal ist, wie es mir geht. Was meine Beweggründe sind. Der Fußball bestimmt nicht nur mein Leben, sondern auch das Leben von Millionen Menschen auf diesem Planeten. Die Zuschauerzahlen sind astronomisch hoch im Vergleich zu anderen Sportarten. Fußball ist der Spiegel der Gesellschaft, ein Massenphänomen, ein Ort, an dem Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten der Gesellschaft aufeinandertreffen. Im Alltag haben diese Menschen nichts gemeinsam, aber in den neunzig Minuten des Spieles, sind sie wie Brüder, vereint durch die Liebe zu ihrem Verein und dem Ball unter meinen Füßen."
„Eigentlich ziemlich verrückt, oder?", entgegne ich.
„Wie meinst du das?", fragt er verwundert.
„Naja, dieses Spiel und die Begeisterung dafür. Wie du über den Fußball sprichst. Als hänge dein Leben davon ab und in gewisser Weise, ist es das. Ich verstehe es Alec, das ist deine Welt, dein Leben. Und doch kann ich nicht leugnen, dass ich mir wünschen würde, es wäre nicht so. Dass wir uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten und ich dich nicht lieben würde."
„Als Frauen hätten wir es leichter. Zumindest was das Ausleben der Sexualität betrifft", entgegnet er deutlich leiser. Ist das so?
„Warum?", frage ich. „Was ist anders?" Ist es der Fakt, dass es Frauen sind und sie damit nicht den gleichen Stellenwert wie Männer haben?
„Es gibt geoutete Spielerinnen und da ist es den Fans oder Sponsoren egal ob sie eine Frau küssen. Oder heiraten. Ich war im letzten Jahr auf der Hochzeit einer guten Freundin. Sie ist Torhüterin in der Nationalmannschaft und spielt in der Frauenmannschaft meines alten Vereins. Ihre Frau dagegen hat mit Sport nichts am Hut. Buchhalterin, ganz brav mit Brille, Hochsteckfrisur und eleganten Hosenanzügen. Die Hochzeit war ein Traum in Weiß und sie hätten sich keinen perfekteren Tag aussuchen können. Warm schien die Sonne auf unsere Haut, die Gäste trugen leichte fließende Stoffe, barfuß am Strand und der exotisch-blumige Duft von unzähligen Frangipani Blüten machte mich schwindelig und nahmen mir die Luft zum atmen. Ich war den Tränen nahe als sich das Paar das Ja-Wort gab und ich wusste, das werde ich nie haben können. Du fragst mich was anders ist? Außer der Bezahlung? Frauenfußball hat nicht solch einen hohen Stellenwert wie der Männersport. Was totaler Schwachsinn ist, wenn du mich fragst. Frauen sind nicht weniger talentiert als Männer. Leider fragt mich niemand, dabei hätte ich so viel zu sagen."
„Was denkst du, woran es liegt? Warum denken die Menschen so?", frage ich interessiert.
„Naja, das liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit an dem veralteten Weltbild, welches noch immer bei vielen Menschen vorhanden ist. Davon, wie ein Mann zu sein hat und eine Frau." Alec hat Recht. Totaler Schwachsinn.
„Wie denn? Dauergeil und obszön?", antworte ich schnaubend. Das ist es doch, was man uns Männern untersagt. Egal ob Hetero oder schwul.
„Mutig, aktiv, durchsetzungsfähig, mit Kraft und Verstand", beantwortet er meine bissige Frage.
„Und eine Frau? Schwach?" Alec nickt. Natürlich. Das Geschlechterklischee schlechthin und seufzend verdrehe ich die Augen.
„Zurückhaltend und emotional nicht gefestigt. Dabei gibt es so viele mutige, starke, durchsetzungsfähige Frauen da draußen. Frauen, Mütter, die alles geben, Tag um Tag und doch nicht als das was sie sind und leisten gesehen werden."
„Klassische Rollenbilder. Wer hat sich das ausgedacht? Das wüsste ich gerne. So ein Schwachsinn", sage ich verachtend. Ich hasse es, so sehr. Diese Klischees und wüsste ich es nicht besser, dann könnte man meinen, Alec glaubt ebenfalls an diesen Scheiß.
„Genau. Die Welt ist nicht bereit für Männer, die aus ihren typischen Geschlechterrollen ausbrechen. Nicht in meiner Welt. Frauen dürfen Hosen tragen, Mädchen auch. Sie spielen Fußball und gelten automatisch als lesbisch oder Mannsweiber. Diskriminierung findet nicht nur bei uns Männern statt. Die Frauen sind ebenso davon betroffen. Rassismus, Sexismus, Homophobie. Ich habe alles erlebt. Auf dem Platz und auch daneben. Beschimpfungen, weil ich als Amerikaner in Europa spiele und den eingesessenen Stammspielern ihren Platz in der Startmannschaft streitig mache. Hast du Talent, bist du ständig unter Beobachtung. Jeder Fehltritt wird ausgeschlachtet, die Medien stürzen sich auf jede noch so kleine Verfehlung und die Spieler sehen ihre Chance, dich vom Thron zu stoßen. Der Zusammenhalt auf dem Feld ist gut, ausreichend, aber hinter all dem ist sich jeder selbst am nächsten. Ich liebe wen ich will, aber ich darf es niemanden sagen. Ich muss immer härter trainieren, jeden Tag meine Maske tragen und der dumpfe Schmerz in meiner Brust ist schon längst mein Schatten geworden. Alle sagen immer, Jungs haben es im Leben leichter. Aber was ist, wenn der Junge gerne im Rock in die Schule möchte..."
„Dann ist er die widerliche Schwuchtel, nicht männlich genug und abartig. Er ist das Ziel für die Frustration von homophoben Arschlöchern und versteckt sich vor den Prolls, damit sie nicht in sein Mittagsessen rotzen oder einen versuchen mit dem Wasser in der Kloschüssel zu ertränken. Du musst nichts sagen. Wenn einer weiß, wie es ist von anderen gemobbt zu werden für das was man ist, dann bin ich es." Ich kenne das nur zu gut und noch heute verfolgen mich die Bilder.
„Das tut mir leid Magnus. Du hast Recht, das kleinste Anzeichen von Schwäche ist wie ein Tropfen Blut in einem Haifischbecken. Fußball ist eine reine Männerdomäne und dabei besteht der Sport aus den größten Berührungsängsten von heterosexuellen Männern. Klammern, Decken, Festhalten, beim Torjubel in den Armen liegen. Oftmals frage ich mich, ob meine Teamkameraden mich auch noch so umarmen würden, wenn sie wüssten, dass ich auf Männer stehe."
„Wahrscheinlich nicht. Aber wer weiß, vielleicht finden sie auch Gefallen daran. Probiere es aus und sag mir wie sie reagiert haben." Alec schweigt. Allumfassende Stille. Es braucht nicht viel um diesen Mann zu mögen, sich zu verlieben ist um weiten einfacher. Ebenso wenig ist nötig, um ihn aus tiefsten Herzen zu hassen. Es ist nicht wichtig, wohin wir gehen, welchen Weg wir einschlagen. Es sind die Menschen, die uns begleiten. Zwei Wimpernschläge lang schweigen wir, fixieren den Blick des anderen, es ist alles gesagt und doch habe ich das Gefühl, dass noch so viel zwischen uns steht.
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