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Ein Kuss ist ein oraler Körperkontakt und gilt in vielen Kulturen als Ausdruck von Liebe, Freundschaft und Ehrerbietung. Neurotransmitter und Glückshormone wie Serotonin, Adrenalin und Endorphine überfluten uns, wenn Lippen sich berühren. Das Herz schlägt schneller, der Puls kommt in Fahrt, Blutdruck und Körpertemperatur steigen. Der ganze Körper wird durch das Küssen in einen positiven Stress versetzt. Unterschiedliche Menschen haben eines gemeinsam, Küssen. Küsse sind existenziell für das Fortbestehen der Menschheit und seinem Wohlergehen.
Egal ob ein scheuer, heimlicher, ängstlicher, zarter, süßer, inniger, herzlicher, langer, heißer, leidenschaftlicher, feuriger, rascher, flüchtiger oder heuchlerischer Kuss. Der erste Kuss des Lebens, wird immer unvergesslich bleiben. Manchmal mit guten positiven Erinnerungen, welche den Körper in sanftes Vibrieren versetzt. Manchmal dunkel, düster, lieber nicht darüber nachdenken und die Kiste weit hinten in die letzte Ecke des Bewusstsein schieben. Es gibt den Kuss der Liebe, der Versöhnung, aus Angst und Verzweiflung oder Trauer.
Und dann gibt es Küsse unter Freunden, unschuldig und rein. Federleichtes berühren, kaum zu spüren, ohne Druck und Feuerwerk in den Lenden. Solch ein Kuss ist es, welchen Alec mit den mir noch immer unbekannten Mann tauscht. Beide lächeln und führen eine stumme Konversation. Ich kenne solche Momente, Männer, die sich ausdrucksstark in die Augen blicken, Zungen miteinander kämpfen, so tief im Rachen des anderen Mannes, das man glauben könnte, sie hätten die Welt um sich herum vergessen. Und in den meisten Fällen, ist dem auch so. In Alecs Augen sehe ich zum ersten Mal etwas anderes als Verlangen und Angst. Dankbarkeit, Zuneigung, Freundschaft.
Sie sind Freunde und Alec in einem geschützten Raum. Hier kann er sein, wer er im Herzen wirklich ist. Er muss sich nicht verstecken, so tun als würden ihn die Ärsche anderer Männer nicht interessieren. Alec muss nicht den harten Macho geben und eine Frau nach der anderen abschleppen, nur um in der Welt da draußen bestehen zu können. Hier, in der Billardhalle seines Freundes, ist er einfach nur Alec, der einen Mann küsst und niemanden es interessiert. Der Himmel bricht nicht laut krachend über unseren Köpfen zusammen, keine Frösche fallen wie Sturzbäche Regenwasser hinab, der Boden unter unseren Füßen ist ruhig und weit und breit kein Höllenschlund in Sicht. Nichts daran ist schlecht, moralisch verwerflich oder abartig. Wir lieben wen wir lieben und niemand hat das Recht darüber zu entscheiden, ob diese Liebe es wert ist. Liebe ist immer wertvoll.
„Ist er das?", fragt der unbekannte Mann und ich sehe Alec mit einem bezaubernden Lächeln auf den Lippen und dieser verführerischen sanften Röte auf den Wangen.
„Das ist Magnus. Magnus, das ist Christian, ein alter Freund aus Deutschland."
„So alt bin ich nun auch wieder nicht", entgegnet Christian lachend und die kleinen Lachfältchen um seinen Augen lassen das helle Grau intensiver strahlen. Gewitterwolken, mit feinen Tropfen moosgrüner Hoffnung. Es ist eines dieser ehrlichen warmen Gesten und du weißt, in diesem Menschen steckt nicht ein Körnchen Böses. Dennoch fällt es mir schwer, eine präzise Einschätzung des Mannes vorzunehmen. Sein Alter steht nicht im Verhältnis zu der faltenfreien Haut und dem ergrauten Haar. Ich schätze ihn auf Ende vierzig, aber sicher bin ich mir nicht. Muskeln drücken sich unter dem Stoff hervor, Bilder mit schwarzer Tinte feinsäuberlich unter die Haut gestochen erregen meine Aufmerksamkeit und kopfschüttelnd unterdrücke ich ein herzhaftes Lachen. Spencer trägt voller Stolz die Bilder auf seiner Haut und Christian erinnert mich in diesem Punkt an meinen einfühlsamen Freund. Harte Schale, weicher Kern.
„Was ist so lustig?", fragt Christian und ich räuspere mich, bevor mein Blick sich wieder auf seine Augen fokussiert.
„Entschuldige. Hi, ich bin Magnus." Forsch ergreift Christian meine Hand und der Druck seiner Finger sprengt die Grenzen meiner Belastbarkeit. Sein Griff ist fest und meine Finger schmerzen bereits, doch Christian denkt nicht einmal daran, mich aus seinen Fängen zu entlassen.
„Woah", ächze ich und Alec räuspert sich tadelnd. Erleichtert atme ich aus, als warmes Blut durch meine Adern strömt und die Beweglichkeit meiner Gliedmaßen nicht gelitten hat.
„Er gefällt mir", entgegnet Christian lachend und wendet sich ohne ein weiteres Wort ab. Thomas sieht liebevoll seinem Partner entgegen und gemeinsam verlassen sie die Billardhalle durch eine unscheinbare Tür hinter dem Tresen.
„Wo gehen sie hin?", frage ich.
„In ihre Wohnung. Es gibt einen direkten Zugang. Eine schöne Wohnung haben die zwei. In hellen Farben und leider auch viel Kitsch. Ich kann dem gar nichts abgewinnen, aber Sara würde es lieben. In unserem Haus hängt ein riesengroßer Spiegel über dem Esstisch. Das Ding ist so hässlich. Aber meine Frau, wollte dieses Monster unbedingt kaufen. Ich weiß noch, wie sie sagte: 'Alec, der Rahmen besteht aus dem Holz des amerikanischen Tulpenbaumes und die Schnitzereien im klassischen Barockstil sind opulente, aber elegante Akzente. Das Blattgold ist so viel schöner als schlichtes Holz. Stell es dir vor. Dazu die beiden vergoldeten Altarleuchter mit den passenden Kerzen, hochwertiges Porzellan mit Goldrand und Silberbesteck.' Und Gott, der über mich und meine perverse Neigung richtet, dachte ich im gleichen Atemzug. Meine Frau wurde streng katholisch erzogen. Die ersten Jahre hing ein Kreuz über unserem Bett im Schlafzimmer und ich lag nächtelang wach und starrte auf das dürre Klappergest... Magnus?"
Ich will es nicht hören, sein manipuliertes Leben, tiefe Abgründe, heuchlerische scheinheilige Bitch. Die Geschichten über seine Frau und ihre ach so heile Glamourwelt. Es macht mich krank, vergiftet meinen Geist mit Bildern von dieser Frau in den Armen meiner Liebe und heiß pulsierend, schmerzhaft drückt mein Herz bei jedem Schlag gegen die Brust. Jeder Atemzug ist wie Feuer in meinen Lungen. Alecs andere Hälfte ist eine wunderschöne gertenschlanke blonde Frau. Strahlende Augen, kirschrote volle Lippen und unschuldig. Sie trägt keine Schuld, einzig Alec und seine Lügen.
„Lass das", entgegne ich tonlos. Alec ignoriert meine Worte. Seine Hand gleitet unter den Saum des zu engen Shirts, streichelnde Finger auf viel zu warmer Haut und Alecs Daumen, welcher langsam über den Streifen ungeschützter Nacktheit gleitet. Es erregt mich, kann schwer leugnen das der warme Atem an meinem Ohr und die entschuldigenden Worte mich nicht berühren. Das tun sie, viel zu sehr und ich wünschte, dem wäre nicht so.
„Bitte lass das Alec."
„Was ist los? Darf ich nicht..."
„Nein", unterbreche ich ihn energisch. Nein, darf er nicht. Ich will das nicht, nicht so und mit diesen zweifelhaften Fragen in meinem Kopf. Es genügte eine Nacht, ein Wimpernschlag und hauchzarte Küsse, um die Welt um uns herum in Flammen aufgehen zu lassen. „Nein darfst du nicht. Ich will das nicht. Also eigentlich will ich schon und noch so viel mehr. Doch da ist auch diese riesige Bergkette, die zwischen uns und einem Happy End steht. Ich bin mir nicht sicher, ob mir gefällt was du zu sagen hast. Bisher endete jedes deiner Worte mit Chaos."
In Alecs Blick liegt Verwirrung, Fragen und alles dreht sich im Kreis. Seit unserem Wiedersehen hat die Welt aufgehört sich in ihren gewohnten Bahnen zu drehen und ich habe Angst vor dem, was Alec mir erzählen wird. Wollte ich vor ein paar Stunden noch all den finsteren Geheimnissen um Alec Lightwood, dem größten Fußballtalent der letzten Jahre auf dem Grund gehen, so jagt mir der kleinste Gedankenfunke an die ungeschönte Wahrheit eiskalte Schauder über den Rücken. Schmerzhafte Stiche sind die Folge der Erwähnung seiner Frau. Ihr Name, er brannte sich wie ein Mal in mein Gedächtnis. Sara, die Fürstin, die Prinzessin, die Herrin. Ist es das? Ist sie das für Alec? Seine Prinzessin?
„Was hat sich verändert? Gestern war es dir noch egal ob uns jemand sieht und überhaupt, verhältst du dich seltsam. So kenne ich dich gar nicht."
„Du kennst mich nicht", sage ich.
„Du weißt rein gar nichts über mich."
„Dann erzähle es mir. Erzähle mir was passiert ist."
„Sag du es mir", antworte ich zornig und viel zu laut. Meine Stimme hallt an den vertäfelten Wänden ab, steht anklagend zwischen uns.
„Du bist einfach verschwunden und hast mich dastehen lassen, als wäre ich der widerliche Dreck unter deinen Stiefeln." Alles in mir schreit, ich habe mich verloren, in ihm, seinen Augen, den starken Händen, unserer kleinen Welt. Und doch bin ich so wütend über das alles, seine unbeschwerte Art, die Naivität und dieser Umgebung. Beim ersten Blick auf Alec und das Arrangement auf dem kleinen Tisch vor ihm war klar, dass hier ist nicht einfach nur eine Aussprache. Es ist ein Date und fühlt sich so unsagbar falsch an.
„So war das doch gar nicht", verteidigt er sich.
„Ach nein? Ich hätte dich gebraucht. Gegen Jonathan. Seine Wut galt auch dir. Du hast ihn immer nur enttäuscht. Und er ist sich sicher, dass du mir das Herz brechen wirst. Weißt du was Alexander? Ich denke, er hat recht. Nur ist es bereits geschehen." Ich war stets rastlos, ein Getriebener meiner Lust. Ich habe geliebt, gelebt, verloren und gekämpft. Alec weckte Sehnsüchte, das Verlangen nach unsterblichen Leben, jeden kostbaren Augenblick zu genießen, mit allen Sinnen in schwindelerregenden Höhen. Doch der Preis, den wir zahlen, ist unvorstellbar hoch.
„Warum bist du dann hier?", fragt Alec gekränkt. Die Stimmung ist drückend, schwer und alles andere als leicht für mich zu ertragen.
"Ich habe zugesagt und ich halte mich an Vereinbarungen."
"Hmhm. Setz dich, bitte. Lass uns reden. Magst du ein Glas Wein? Ich weiß, es ist noch früh und... trinkst du überhaupt Wein?", fragt Alec. Er ist nervös, ich kann es ihm nicht verübeln. Seine Hände zittern leicht als er nach der Flasche aus grünem Glas greift. Er stockt in seiner Bewegung und sieht mich abwartend an. Ein Blick auf das Etikett, hochwertig, kein nach Essigwasser und Pisse schmeckendes Gebräu. Erstklassige Ware, mehrere hundert Dollar wert. Alecs feingliedrige Finger, helle Haut auf smaragdgrünen Glas umfassen den robusten Korpus.
"Manchmal", antworte ich, blicke zu dem freien Platz Alec gegenüber. Meine Augen gleiten über die Szenerie und ich schlucke trocken. Es ist ein Date, eindeutiger könnten die Hinweise gar nicht sein.
Auf dem kleinen Tisch vor Alec steht ein silberner Kerzenleuchter mit filigran ineinander geschwungenen Haltern und Blütenweisen Kerzen. Die Flammen tanzen unruhig auf dem kleinen Meer aus flüssigen Wachs. Ein Arrangement aus verschiedenen Käsesorten, umrahmt von süßlichen Trauben, blau und Feigensenf. Ich hasse Käse. Wie kann man saure Milch mögen und das auch noch als die unverzichtbare kulinarische Köstlichkeit verkaufen?
„Thomas hat eine Kleinigkeit für uns gezaubert. Ich wusste nicht was du magst und er war der Meinung, mit einer Käseplatte macht man nichts falsch."
„Ich hasse Käse. Also wenn dein Plan war mich zu vertreiben, herzlichen Glückwunsch." Alec schweigt. Der Sarkasmus in meinen Worten ist schwer zu überhören und nach jedem gesprochenen Wort, tut er mir augenblicklich leid. Thomas hat sich Mühe gegeben, jedes Detail liebevoll arrangiert, doch ich kann mich nicht darüber freuen.
„Ich denke, du hast einiges mehr zu sagen als ich. Mein Leben ist wahrlich nicht so aufregend glamourös wie deines. Umgeben von Hype und Fame und jede Menge schönen Menschen."
„So denkst du über mich? Das ist mir alles nicht wichtig. Ich will nur das machen was ich am besten kann. Und das ist nun mal Fußball zu spielen. Also Magnus, was willst du hören? Das ich ein wütender Teenager war? Das ich meinen Frust auf dem Platz ausgelassen habe und meine Gegner in den Boden gestampft habe? Das ich ein unfairer Spieler war und alles für den Erfolg getan hätte? Sogar meine Freunde zu hintergehen und sie einfach ohne ein Wort des Abschieds zu verlassen? All das könnte ich dir erzählen und doch wäre es nur die halbe Wahrheit. Ja es stimmt, ich war ein wütender Teenager. Aber wer war das nicht. Doch meine Wut richtete sich nicht gegen die materialistische Gesellschaft oder spießige Eltern und nervige Lehrer. Ich war das Problem. Nur ich und niemand konnte mir helfen. Mein ganzes Leben war auf den Fußball ausgerichtet. Ich kenne nichts anderes und ich wollte es auch nie anders. Das ich auf Kerle stand und mir regelmäßig kotzübel bei den Weibergeschichten meiner Teamkameraden wurde, ist nur eines der Dinge, die mich veranlassten härter zu trainieren. Alles geben, immer, auch wenn ich regelmäßig vor Schmerzen kaum noch stehen konnte. Ich habe mich selbst bestraft, mir die Haut vom Körper geschält um einfach zu ihnen zu passen. Den testosterongesteuerten Kerlen, meinem Team. Und was hat es mir gebracht? Nichts. Was bringt mir all der Ruhm, wenn ich nicht so sein kann wie ich bin und doch kann ich nicht ohne ihn leben. Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht, wo ich anfangen soll dir von meinem Leben zu erzählen. Es gibt so viele Dinge über die ich sprechen möchte, aber ich würde zu viel preisgeben und das kann ich nicht riskieren."
„Das bist du mir schuldig."
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