16🏳️🌈
"Na sieh mal einer an. Unser kleiner Streuner", begrüßt mich Raphael lachend und bevor meine Füße die Schwelle übertreten, zieht er mich in eine feste Umarmung. Ich habe das vermisst, ihn und seine lockere Art. Wie immer verströmt er einen leichten Duft nach Freiheit und das unverwechselbare Aromagel mit schwarzen Pfeffer, Zitrone und Ingwer hebt die Herznote Basilikum mit Veilchen harmonisch hervor. Es ist Raphael und augenblicklich erwacht das heimelige Gefühl in mir. Geborgen und behütet wurde ich durch meine Eltern immer. Auch Ragnor trug einiges dazu bei, dass ich nie einen spontanen Ausbruch teenagerhafter Verzweiflung durchlebte und in einem Anfall wutentbrannten Zorn das Haus und meine Familie verließ. Wir waren keine Bilderbuchfamilie, auch wir hatten Meinungsverschiedenheiten und sind aneinander geraten. Aber wir konnten immer miteinander reden und das bedeutete mir unendlich viel.
"Ich habe dich vermisst", sage ich leise und höre Raphael seufzen.
"Wir dich auch." Beruhigend reibt Raphael über meinen Rücken, ich spüre seinen Herzschlag, langsam, ruhig. Raphael.
"Jonathan und ich hatten Streit. Es war heftig und er hat mich rausgeschmissen", säusele ich nah an seinem Ohr. Erst jetzt wird mir das volle Ausmaß deutlich. Er hat mich vor die Tür gesetzt und ich brauche eine neue Bleibe. Ganz toll. Als hätte ich nicht schon genug Probleme.
"Spencer bezieht gerade das Bett. Yorick ist nicht da. Er übernachtet bei seinen Mums."
"Danke", hauche ich und lasse mich nur zu gerne in die von ihm angebotene Umarmung fallen. Wie ein Baby wiegt er mich hin und her und die bleiernde Müdigkeit, welche mich bereits im Taxi in die Knie zwang, ist wieder da. Herzhaft gähne ich und blicke erschrocken in das belustigte Gesicht von Spencer.
"Lange Nacht gehabt?", fragt er und Raphael schiebt mich wortlos zu seinem Mann. Spencers Griff um meinen Körper ist stark und fest, seine langen muskulösen Arme umschlingen meinen Leib und ich lasse mich einfach fallen. Hier bin ich sicher und ich fühle mich geborgen.
"Jetzt komm erstmal rein und dann erzählst du uns alles. Möchtest du einen Tee? Oder lieber etwas Stärkeres?", fragt Spencer und schiebt mich sanft tiefer in ihr Haus.
"Kein Alkohol. Das ertrage ich heute nicht. Nachher sitze ich hier und heule über die Ungerechtigkeit des Universums. Nein danke. Ich will euch auch nicht zu lange auf der Tasche liegen", sage ich prompt und beide verdrehen unisono die Augen. Ein kleines Lächeln legt sich auf meine Mundwinkel. Sie sind bezaubernd.
"Du kannst bleiben solange du uns erträgst", ertönt die dunkle Stimme Spencers und wie so oft in den letzten Jahren frage ich mich, womit ich solche Freunde verdient habe.
"Ich mach mal Kaffee", entgegnet Raphael und verschwindet in der angrenzenden Küche.
Neugierig blicke ich mich um. Es hat sich nichts verändert. Das Haus sieht noch genau so aus wie bei meinem letzten Besuch und wieder einmal staune ich über ihren außergewöhnlichen Geschmack und das feine Händchen für Details. Raphael ist in Amerika geboren, aber seine Wurzeln liegen im sonnigen Portugal. Sein Mann dagegen, hat frostiges Eiswasser anstelle von Blut in den Adern. Die Einrichtung zeigt deutlich seine Herkunft. Helles Holz dominiert, ebenso die Möbel und in jedem Fenster des Hauses steht eine kleine Lampe, dessen Licht niemals erlischt. So sind die Skandinavier. Sie lieben die raue Erde und die stürmische See, vermissen die Sonne und genießen das Leben.
Nur zu gut erinnere ich mich an den Tag, an dem Spencer in mühevoller Kleinarbeit die Wände des Wohnbereiches mit weißlackierten Holzpanellen versah. Es war staubig, roch nach Holzspäne und Schweiß, harter Arbeit und Lebensfreude. Das hier, ist sein Traum von klein auf und mit Raphael an seiner Seite, wurde dieser Wirklichkeit. Das Sofa mit beigen Überzug ist ein importiertes Originalmöbelstück einer alteingesessenen schwedischen Polsterei. Spencer zahlte eine Menge Geld für erlesene Möbel aus seiner Heimat. Doch es hat sich gelohnt, definitiv und das Sofa harmonisiert liebevoll mit dem kleinen Tisch aus weißlackierten Eichenholz und wunderschön gedrechselten Beinen. Handarbeit. Alt. Ein Vermögen wert. Blumen auf dem Tisch und Familienbilder an den Wänden. Ein Traum und deutlich schöner und wohnlicher als der grauenvolle 70er Jahre New York Style. Der Sessel ist neu und andächtig streiche ich über den leicht rauen Stoff und nehme Mr Brumm auf meinen Schoß, bevor ich mich in die weichen Polster kuschele. Die Rückenlehne hat die ideale Höhe und schmiegt sich wunderbar perfekt an meinen Rücken. Ich seufze und streiche gedankenverloren über das kuschelige Fell von Mr Brumm.
"Ich erinnere mich noch genau an den Tag von Yoricks Geburt. Ihr wart so aufgeregt und habt die halbe Geburtstation auf Trab gehalten. Nie habt ihr glücklicher ausgesehen als mit dem kleinen blonden Engel im Arm. Das war schön", sage ich gedankenverloren und fixiere ein Bild an der Wand mir gegenüber. Yorick mit seinen Dads und Mr Brumm. Er war gerade erst ein paar Stunden Zuhause und ich habe ihm zaghaft den Teddy in seine viel zu große Wiege gelegt. Damals war er so klein, zerbrechlich und unschuldig. Ein kleiner Engel mit eisblauen Augen und blonden Locken. Mr Brumm wacht seit sieben Jahren über den kleinen Mann und meine beiden Freunde verlieben sich jeden Tag mehr in ihren Sohn.
"So, dann erzähl mal", sagt Spencer, lässt sich auf das Sofa mir gegenüber nieder und klatscht freudig in die Hände.
"Nein!", ruft Raphael aus der Küche. Ich weiß was jetzt passiert.
"Wartet auf mich. Die... fuck heiß... der Kaffee ist gleich fertig. Ich verpasse sonst den Anfang", ruft Raphael uns entgegen.
"Wir warten Schatz", bestätigt Spencer seinem Mann.
"Wie läuft das Schreiben?", frage ich um die aufkommende Stille zu überdecken. Ich habe das Gefühl, dass mich Stille gerade nur weiter in die Spirale aus tausend Gedanken ziehen würde.
"Gut. Ich werde Kjell sterben lassen", haut er einfach frei heraus und ich zucke erschrocken zusammen.
"Was?", frage ich piepsig. Warum?
"Warum? Wie? Das kannst du nicht machen", entrüste ich mich bei meinem Freund. Das wäre mein emotionaler Tod.
"Weil ich es kann. Er ist mein Held und ich will das er stirbt. Ich weiß auch schon wie."
"Verrätst du es mir?" Die Information kann ich schwer verarbeiten. Fuck. Kjell.
"Sein Bruder wird ihn im Kampf töten."
"Damit er einen Platz in Valhalla neben Odin und seinem Vater bekommt", antworte ich nickend.
"Genau", bestätigt Spencer freudig. Seine eisblauen Augen strahlen und sämtliche Müdigkeit ist seinem Gesicht entwichen. Das hat mir gefehlt. Dieses Strahlen, das Funkeln, Unbeschwertheit und Leben. Pures Glück und Leben.
"Ich habe da eine tolle Szene im Kopf. Du wirst begeistert sein. Es ist ein bisschen wie Ivar in York, aber egal. Künstlerische Freiheit", sagt er euphorisch und gespannt lausche ich seinen Worten. Es ist perfekt.
"Kjell, blutbefleckt mit zorneskalten Augen und Egil, der Mann mit roten Haaren und einem langen wuchernden Bart liefern sich einen Kampf umgeben von Tod und Gestank. Der Regen prasselt hart auf ihre mit Leder bedeckten Körper nieder, der schwammige Boden bietet kaum Halt unter den Füßen und das Geräusch des Metall von Axt und Schwert hallt über die weite Ebene. Sie kämpfen um ihr Leben und die Herrschaft über Norwegen und Schweden. Einmal König der Nordlande sein, das ist ihr großer Traum und Kjell zerbricht das Herz, als die Spitze seines Schwertes durch den Spalt in Egils Harnisch gleitet, Haut sich spaltet und Muskeln in Fetzen gerissen werden. Egil knurrt und seine Augen liegen anklagend auf denen seines Bruders. Mörder. Brudermord. Dabei ist es immer gleich und schon so oft in der Geschichte der Wikinger passiert. Kjell weint und hält seinen kleinen Bruder wiegend im Arm. Plötzlich schwindet die Kälte um ihn herum und warm fließt das Blut aus seiner Brust. Egil hält einen mit Gold und Edelsteinen besetzten Dolch in seiner Hand und drückt die Spitze des Beutestückes mit gleichbleibenden Tempo, langsam und schmerzlich, in seine Brust. Es brennt und Kjell blickt aus geweiteten Augen in das höhnisch grinsende Gesicht seines Bruders. Immer tiefer bohrt sich das kalte Metall in seinen brennenden Leib, das Blut rauscht in den Ohren und die einsetzende Ohnmacht erlöst den König der Nordlande von seinem Leid. Er hat alles verloren, sein Land, seine Liebe, seine Familie. Doch eines konnten ihm seine Feinde nicht nehmen. Die Legende von Kjell dem Riesen, König der Nordlande und gerechter, starker Herrscher." Mit geschlossenen Augen lausche ich Spencers Erzählung, rieche das metallische Blut und die feuchte Erde, spüre Kjells Schmerz und Egils Leid. So deutlich, so klar. Es wird mir das Herz in der Brust zerquetschen und insgeheim freue ich mich wahnsinnig darauf es zu lesen.
"Das lese ich nicht", sage ich und verschränke demonstrativ meine Arme vor der Brust.
"Komm schon. Du bist Kjells und mein größter Fan."
"Ich dachte, das bin ich?", sagt Raphael empört und Spencer schüttelt energisch den Kopf.
"Nein Schatz, das ist definitiv Magnus. Du bist mit mir verheiratet und liebst mich. Du bist nicht wirklich objektiv."
"Da ist was dran", beendet Raphael die Diskussion und stellt zwei Tassen heißen dampfenden Kaffee auf den kleinen Tisch. Spencer reicht er eine Tasse Tee und gemeinsam warten sie auf meine Berichterstattung.
"Also?", fragen sie zeitgleich und kichernd stelle ich fest, dass sich so gar nichts verändert hat. Obwohl ich längere Zeit nicht in diesem gemütlichen Haus war, fühlt es sich nicht falsch an.
"Wo soll ich anfangen?", sage ich mehr zu mir und doch ist es Raphael der spürt, wie schwer dieses Gespräch wird.
"Ich schreibe schnell Sharon das sie Yorick bitte noch ein oder zwei Tage nehmen soll. Wie schlimm ist es?"
"Ich habe jemanden kennengelernt."
"Oh", entweicht es Spencer. Raphael unterbricht die fließende Bewegung seiner Finger und blickt mich aus geweiteten Augen und leicht geöffneten Mund an. Meine Reaktion wäre nicht anders ausgefallen.
"Oh trifft es gut. Das ist bereits drei Jahre her", gestehe ich.
"Was?", fragt Spencer.
"Wen? Wo? Drei Jahre?" Sie sind leicht geschockt. Kein Wunder.
"Es tut mir leid. Ich habe mit Ragnor darüber gesprochen und ich wollte es euch erzählen. Aber irgendwie wollte ich euch nicht in dieses Chaos mit hinein ziehen. Keine Ahnung."
"Schon gut. Wir sind froh das du hier bist", nimmt Raphael mir den Druck und ich atme einmal tief durch. Nun bin ich es, der eine Geschichte erzählt.
"Ich habe ihn in London kennengelernt. In einem Pub. Ich habe ihn gesehen und es war vorbei. Sowas von vorbei. Ich hatte keinen klaren Gedanken mehr und glaube auch einen Moment in dem mein Herz nicht mehr richtig arbeitete. Es war heftig und schön. Wir sprachen nicht viel. Er gab mir ein Bier aus, nannte mir seinen Namen und ich ihm meinen. Verstohlene Blicke, kleine zufällige Berührungen und ich dachte, er steht einfach nicht auf Intimitäten in der Öffentlichkeit. Irgendwann fragte ich, ob er noch ein Bier möchte. Er sah mich an und fuck ich habe geglaubt jeden Moment zu kollabieren. Seine Augen, so blau, strahlend wie der Ozean und in ihnen lag eine Sehnsucht nach mehr. So viel Verlangen. Er beugte sich vor und seine Lippen streiften hauchzart mein Ohr. Ich musste meine Augen schließen um das zu verarbeiten und als er mir sagte, dass er lieber etwas anderes möchte, verließ ich fast fluchtartig den Pub. Zu meinem Glück verstand er meinen Abgang richtig und stand plötzlich neben mir auf der Straße. Die Hände hatte er tief in den Hosentaschen vergraben und eine unausgesprochene Frage beantwortete ich mit den Worten: "Mein Hotel ist nur zehn Gehminuten von hier." Und das war es. Wir gingen ins Hotel und hatten Sex. Richtig guten Sex."
"Wow", haucht Spencer und beide sehen mich fasziniert an.
"So wie du über ihn sprichst. Das, ich weiß nicht. Das ist mehr als nur ein Fick oder? Was ist passiert?", fragt Spencer.
"Er ist verheiratet. Das hat er mir nach unserem Sex gesagt. Und... fuck ich sollte nicht darüber sprechen", sage ich und ringe so sehr mit mir. Ich will keine Geheimnisse mehr, ich will es meinen beiden ältesten Freunden erzählen.
"So schlimm?", fragt Raphael. Ich weiß es gerade nicht.
"Eigentlich nicht. Aber für ihn, ja. So schlimm. Hab ich euer Vertrauen? Kein Wort, zu niemanden", sage ich beschwörend.
"Kein Wort." Raphael.
"Zu niemanden." Spencer
Scheiße ich liebe sie und hau mir gerade selbst eine herunter, dass ich so lange gewartet habe.
"Er spielt Fußball. In London. Sehr erfolgreich anscheinend."
"Warte", ruft Spencer aufgeregt.
"Oh bitte nicht. Magnus, was hast du getan?", sagt Raphael seufzend.
"Was denn?" Ich bin verwirrt, was habe ich getan? Spencer hämmert euphorisch auf das Display seines Telefon ein. Was sucht er?
"Wo spielt er?", fragt er plötzlich und kurz sind alle Informationen über Alec wie weggeblasen.
"Ähm...", stammele ich.
"Ach komm schon. Ich finde ihn. Also. Welcher Verein?"
"Damals?", frage ich unnötigerweise. Spencer sieht mich genervt an.
"Nein. Als er sechs war. Natürlich damals." Raphael sitzt gemütlich mit seiner Tasse Kaffee auf dem Sofa, die Beine im Schneidersitz überkreuzt und schmunzelt. Ich nicht, denn ich bin eindeutig sehr verwirrt.
"Er war gerade nach London gezogen", sinniere ich. Wie viel Fußball wird in London gespielt?
"Na super. London hat sieben Vereine in der Premiere League. Arsenal, Tottenham Hotspurs, Watword, Chrystal Palace zum Beispiel. Chelsea nic..."
"Chelsea", rufe ich und Spencer klatscht freudig in die Hände.
Es dauert nicht lange, da verändert sich seine lächelnde Mimik in ungläubiges Starren.
"Scheiße. Den hätte ich auch gevögelt." Was?
"Was?", krächzt Raphael und hustet. Der Kaffee ist im wortwörtlich im Halse stecken geblieben.
"Oh glaube mir, selbst du hättest ihn gewollt."
"Ich will nur dich", geht Raphael sofort dazwischen.
"Woher willst du wissen, dass es der Kerl ist?", frage ich Spencer, doch dieser ignoriert mich geflissentlich. Stattdessen klicken sich Raphael und er durch eine Reihe Fotos - vermutlich- und Spencer hatte eindeutig Recht. Raphael ist interessiert.
"Hast Recht. Magnus, der ist echt heiß... warte, geh nochmal zurück. Ist das echt? Fuck." Was? Ist? Hier? Los?
"Lasst ihr mich daran teilhaben?", frage ich beleidigt. Beide schauen mich nach einer gefühlten Ewigkeit an und in ihren Augen erkenne ich die Tropfen Mitleid. Fuck. Was haben sie entdeckt?
"Ich weiß das er verheiratet ist", sage ich tonlos. Und der Gedanke an Alec mit einer Frau ist widerlich schmerzlich.
"Das ist es nicht. Drei Jahre sagst du?", fragt Spencer mitleidig. Ich nicke, traue mich nicht zu sprechen. Die Kehle schnürt sich mir zu und auf das Kommende bin ich nicht vorbereitet. Ich spüre es, ihre Blicke sind eindeutig.
"Alec, richtig?" Ich nicke stumm. Woher weiß er das? Wie hat er ihn so schnell gefunden?
"Alexander Gideon Lightwood, 27 Jahre alt, geboren in New York, USA. Verheiratet mit Sara Lightwood. Beide wohnen in einem Vorort von London zusammen..."
"Bitte nicht", hauche ich den Tränen nahe. Eine Ahnung beschleicht mich und die Übelkeit der vergangenen Nacht kehrt schlagartig zurück.
"... mit ihrem gemeinsamen Sohn Mason Blue Lightwood. Er ist acht Jahre alt, Magnus."
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