Eins
Seufzend wischte sich Amani über die schweißnasse Stirn. Ihre Hände brannten von dem stundenlangen Schrubben der Böden. Jammern half aber nichts. Zum hundertsten Mal tunkte sie den Wischlappen in den Eimer. Kleine Seifenblasen, erzeugt von der Lauge, stiegen auf und zerplatzten lautlos in der Luft.
"Amani! Wann bist du endlich fertig?" Ihre Stiefschwester Patrica stolzierte hoheitlich die Treppen hinunter. "Nein, warte! Pass auf! Sonst-." Aber es war schon zu spät. Sie setzte ihren Fuß auf den frisch gewischten Boden und rutschte aus. Kreischend landete sie auf dem Hinterteil.
Amani verkniff sich ein Lachen und half ihr hoch. Zumindest versuchte sie es. Patrica schlug ihre Hände weg und richtete sich ächzend auf. "Du bist so nutzlos! Warum bist du nicht schneller? Oder trockne den Boden wenigstens gleich!"
Amani vermied es, die Augen zu verdrehen. Als ob sie jemals einen Putzlappen in der Hand gehabt hätte. "Was ist hier los?", fragte eine herrische Stimme. Ava kam wie eine Königin mit ihrer anderen Tochter Anna ebenfalls die Treppen runter und bedachte Amani mit einem Blick, als wolle sie eine Fliege verscheuchen.
"Musst du bei der Arbeit immer so trödeln, Göre?", rief sie. "Du bringst damit sogar meine Töchter in Gefahr! Jetzt mach gefälligst deine Arbeit weiter! Wenn du bis fünf Uhr nicht fertig bist, dann bekommst kein Abendessen!"
"Und vergiss nicht mein Kleid zu bügeln!", keifte Anna hinterher und zog ihre Schwester mit ihr weg. Ava beobachtete sie noch eine Weile beim Schrubben. "Gibt es ein Problem?", murmelte Amani. Ava kniff die Augen noch weiter zusammen.
"Durchaus. Ich überlege, ob ich dich mit nach Paris nehmen soll. Schließlich können wir ein Dienstmädchen dort gut gebrauchen. Andererseits bist du so nutzlos wie eine Vogelscheuche. Passend zu deiner Frisur." Instinktiv fuhr sich Amani durch ihre rot-braunen Strähnen, die stets verstrubbelt und unordentlich aussehen.
"Was willst du in Paris?", fragte sie, ohne auf Avas Beleidigung einzugehen. Ihre Stiefmutter zog einen Brief aus der Tasche ihrer Prada-Jacke und hielt ihn hoch. "Das", begann sie bedeutungsvoll. "ist eine Einladung von Monsieur Montfalcon zur einer Gala in Paris. Er hat seine ganze Bekanntschaft aus der oberen Gesellschaft in ganz Europa eingeladen."
"Also auch euch.", schlussfolgerte sie. "Korrekt." "Tja, dann sag Bescheid ob ich auf den Ausflug mitdarf. Schließlich muss ich rechtzeitig meinen Rucksack packen!", erwiderte Amani sarkastisch und wollte sich wieder dem Putzen zuwenden. "Du solltest es als Ehre ansehen, wenn ich dich überhaupt außerhalb der Stadtgrenzen lasse, undankbare Göre!", erwiderte Ava gereizt und stieß mit ihrer Stiefelspitze den Eimer um.
Dreckiges Wasser und Seifenlaufe ergossen sich über dem Boden und Amanis Jeans. Sie unterließ es, Ava etwas hinterherzurufen. Das würde ihr nur noch mehr Arbeit bescheren. Also machte sie alles wieder sauber und wandte sich danach der Wäsche zu.
Manchmal fragte sich selbst, weshalb sich für einen Peanuts-Lohn als Sklavin ihrer Stieffamilie erniedrigte. Ava hatte ihr damit gedroht, das Haus ihres Vaters zu verkaufen, sollte sie jemals kündigen. Und davon sich Amani einfach nicht trennen.
Sie hatte bereits ihre Eltern und jegliche andere Verwandtschaft verloren. Das Haus war das Letzte, das sie als Erinnerung an ihre wahre Familie besaß. Warum hatte ihr Papa auch alles an diese Hexe von Stiefmutter überschrieben? Warum hatte er sie überhaupt geheiratet?
Sie hatte sich Amani gegenüber fürchterlich verhalten, aber ehe sie ihm das erzählen hatte können, war er an einem Herzinfarkt verstorben. Trotzdem schaffte Amani es nicht, das Schicksal zu hassen. Denn ihr Papa hatte auch immer gesagt, dass es noch Wunder da draußen gäbe.
Vielleicht war das das Einzige, das Amani noch weiterkämpfen ließ.
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