Kapitel 75
Dunkelgrün, fast schwarz erhob sich der dichte Wald links und rechts der engen Straße. Bedrohlich neigten sich einzelne Bäume nach unten, durch den anhaltenden Regen geschwächt und kurz davor, unter der Last zusammenzubrechen.
"Ich hatte ganz vergessen, wie einsam es hier draußen ist.", sinnierte Jin beim Blick in das tiefdunkle Dickicht zwischen den eng an eng gewachsenen Laubbäumen. Dort, wo kein Stamm einen Platz gefunden hatte, wurde der Boden von Moos und meterhohem Farn überwuchert. Ein Durchkommen schien unmöglich.
"Hier draußen hört dich keiner schreien.", meinte Namjoon trocken, während er stur die Straße im Blick hielt und immer mal wieder heruntergefallenen Ästen auswich.
Allerdings sehr langsam.
Jin runzelte jedesmal die Stirn, wenn er aus dem Augenwinkel auf den Tacho sah und die Nadel nicht über 60 ging.
So würden Sie niemals ankommen. Zumindest nicht innerhalb der nächsten Stunde.
"Willst du mir damit irgendwas sagen?", erkundigte sich der Reporter zynisch.
Namjoon deutete ein Kopfschütteln an: "Nur, dass dieser Yoongi hier draußen leichtes Spiel hätte."
"Die Leichen wurden aber alle in der Stadt gefunden.", widersprach Jin. "Es würde also keinen Sinn machen, wenn er sie erst hier raus lockt, um sie dann schlussendlich wieder in die Stadt zu bringen und dort zu töten."
"Als ob diese ganze Sache irgendeinen Sinn ergibt.", meinte der Ermittler düster.
Erneut begann es zu regnen.
Das gewaltige Blätterdach über ihnen milderte zwar viel ab, aber zwischendurch wurde der Wagen immer wieder von einem derart heftigen Guss erfasst, dass die Windschutzscheibe komplett überflutet wurde und ihre Fahrt einem Blindflug gleichkam.
In diesen Momenten war Jin tatsächlich froh, dass sie nur äusserst vorsichtig und langsam fuhren.
Und dass ihm seine Eltern nicht, wie erst beabsichtigt, ein Cabrio geschenkt hatten.
"Hälst du ihn für verdächtig?", hakte Jin nach einer Weile nach.
"Zumindest hatte er so viel Kontakt zu den Opfern, dass sie entweder seine Karte besitzen oder auf seiner Party ins Gras beißen.", überlegte Namjoon laut, fügte nach einer Weile noch hinzu: "Und er vögelt diesen Taemin. Wahrscheinlich gegen Bezahlung."
Nachdenklich kaute Jin auf seiner Unterlippe.
Schon wieder Taemin. Immerzu war dieser Name in die Ereignisse verwickelt. Und scheinbar hatte so gut wie jeder irgendeine Verbindung zu ihm.
Von Taehyung bis hin zu Jimin.
Letzteres bereitete ihm die meisten Sorgen.
Jin wollte mit allen Mitteln verhindern, dass sein langjähriger Freund in dieselben Kreise abrutschte und irgendwann womöglich auch zum Opfer des Killers werden könnte.
Richtig war, dass jedes Opfer aus der Musikbranche kam.
Auch, dass jeder von ihnen sich in den üblichen Kreisen bewegte. Und so irgendwann unweigerlich ihrem Mörder über den Weg lief.
Aber das könnte überall der Fall gewesen sein.
In der Agentur, auf einer Show. Selbst im Purple Heart, wo man mit den nötigen Kontakten auch als Rookie Zutritt hatte.
"Ist es das?", fragte Jin, als sie endlich vor einem modern geschnittenen Gebäude abbremsten.
Viel Glas, viel Beton. Klar geschnittene Linien. Und so fehl am Platz in diesem ansonsten noch wild und natürlich wuchernden Wald.
Namjoon zuckte mit den Schultern: "Ist das einzige Haus weit und breit. Und sieht exakt so aus, wie das, in dem damals diese Party war, zu der du mich geschleift hast."
Der Reporter verengte die Augen.
Sollte das gerade ein Vorwurf sein?
Auch, dass er die Villa nicht auf Anhieb erkannt hatte?
Es war immerhin schon dunkel gewesen. Und das Gebäude verlassen hatte er ja damals auch auf anderem Weg, als zuvor betreten.
Jin wollte gerade aussteigen, betätigte bereits den Türöffner. Als er von Namjoon am Oberarm gepackt und zurück in den Sitz gedrückt wurde.
Überrascht öffnete der Reporter den Mund, um sich zu beschweren, warum er so grob angefasst wurde. Da spürte er bereits Namjoons Hand, mit der er Jin den Mund zuhielt.
Der Ermittler selbst hatte sich unter dem Armaturenbrett abgeduckt und lag nun halb auf seinem Beifahrer.
Irritiert hob Jin den Blick und stellte fest, dass just in diesem Moment dieser Min Yoongi sein Heim verließ. Mit Taemin im Schlepptau.
Zusammen gingen sie zu einem abseits geparkten schwarzen BMW.
"Wenn man vom Teufel spricht.", flüsterte Namjoon. Der Druck seiner Hand auf Jins Gesicht ließ nach und er richtete sich vorsichtig wieder auf.
"Was machen wir jetzt? Willst du einbrechen?", fragte der Reporter gespannt, beobachtete, wie die Rücklichter des BMW aufleuchteten und sich dieser langsam in Bewegung setzte.
Der Ermittler warf ihm einen skeptischen Blick zu: "Ich bin Polizist."
"Naja, aber in Krimiserien...", begann Jin, wurde allerdings jäh unterbrochen.
"Bitte sieh dir sowas nicht immer an. Ich werde nicht in fremde Häuser einbrechen, wenn ich keinen Grund dazu habe.", erklärte Namjoon genervt.
Das Gesicht des Blonden hellte sich auf: "Aber wenn du einen Grund hättest, würdest du es machen."
Der Ermittler schloss kurz die Augen, atmete tief durch.
"Wir verfolgen jetzt erstmal die beiden da und finden raus, warum sie zusammen unterwegs sind. Und besonders wohin.", erklärte er, sprach nach einer kurzen Pause weiter. "Und wenn du mich weiter zu Straftaten animieren willst, lass ich dich hier im Wald zurück, verstanden?"
"Das ist nicht witzig.", beschwerte sich Jin murmelnd.
"Glaub mir, das war kein Witz.", erwiderte Namjoon ernst. Damit schien das Gespräch für ihn beendet. Er startete den Motor, fluchte kurz über dessen Lautstärke und fuhr schließlich im gewaltigen Abstand hinter dem BMW her.
Fast eine Stunde waren sie unterwegs.
Und scheinbar war Yoongi ein genauso mieser Fahrer wie Namjoon.
Nicht nur, dass er ebenso schlich. Immerzu fuhr er in kleinen Schlangenlinien, wankte mit dem Wagen hin und her.
"Also entweder er ist betrunken, oder...", zwischen Namjoons Augen bildete sich eine tiefe Furche.
"Oder?", erkundigte sich Jin neugierig.
"Ich hatte so ein Fahrverhalten in meiner Ausbildung bei der Verkehrspolizei erlebt. Ein junger Mann, der nicht die Spur halten konnte, obwohl die Straße stur geradeaus verlief.", sagte der Ermittler. Mitlerweile runzelte er nicht mehr die Stirn, sondern versuchte, sich ein Grinsen zu verkneifen. "Es stellte sich heraus, dass seine Freundin auf dem Beifahrersitz saß, die ihn nebenher mit dem Mund befriedigt hatte."
"Ist das dein Ernst?", schnappte Jin fassungslos nach Luft. "Willst du mir erzählen, dass die beiden da vorne das genauso machen?"
Namjoon zuckte mit den Schultern: "Er hatte bei der Befragung doch selbst erwähnt, dass zwischen den beiden was läuft. Warum sollte er das auf einer langweiligen Autofahrt nicht ausnutzen?"
Der Reporter schob die Unterlippe vor: "Willst du mir damit irgendwas sagen?"
Beinahe schockiert dreinblickend drehte der Ermittler sein Gesicht für einen kurzen Moment zu ihm.
"Großer Gott, nein.", schüttelte er abwehrend den Kopf. "Wir überschlagen uns, wenn du damit anfängst."
Ein Grinsen unterdrückend biss Jin sich auf die Unterlippe.
"Übrigens wäre es eh zu spät. Wir scheinen nämlich angekommen zu sein.", erwähnte Namjoon und bremste den Wagen vorsichtig ab. "Wie überraschend."
Das war tatsächlich eine Überraschung.
Mit großen Augen blickte Jin auf das blinkende Leuchtschild des Purple Heart.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro