Kapitel 59
"Du bist auch hier?", flüsterte Jin.
Taemin lachte bitter auf: "Was hast du erwartet?"
Ja, was eigentlich?
Eric hatte ihm vorausgesagt, dass Taemin hier sein würde. Er war einer der Gründe, weshalb er überhaupt zugesagt hatte.
"Ich...", stotterte Jin unsicher. Er traute sich kaum, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen.
Immer wieder blitzten in seinen Gedanken einzelne Sequenzen aus dem Video auf.
"Eigentlich hab ich nichts erwartet.", gab Jin nun doch zu. "Also zumindest nicht sowas."
Er blickte durch die Scheiben ins Innere des Saals. Je später der Abend wurde, umso höher kochte die Stimmung. Bedingt durch den ausgeschenkten Alkohol waren alle wie im Rausch.
Jin würde sich auch nicht wundern, wenn noch andere Aufputschmittel konsumiert wurden.
Anders konnte er sich die leeren Gesichter einiger angebotener Idols einfach nicht erklären.
"Wirst du es ihm sagen?", fragte Taemin plötzlich. Seine Stimme war unglaublich ruhig.
"Wem?", fragte Jin, obwohl er die Antwort bereits kannte.
Das petrolfarbene Haar zurückwerfend hob sein Gegenüber den Kopf: "Wir wissen beide, wen ich meine."
Jin biss sich auf die Unterlippe, schüttelte den Kopf.
"Er würde es mir eh nicht glauben.", erwiderte er. "Er mag dich."
"Das widerum finde ich unglaublich.", sagte Taemin nachdenklich.
Fragend legte der Reporter den Kopf schief: "Ich verstehe nicht ganz."
"Es gibt nicht viele Menschen, die mit mir befreundet sein wollen. Zumindest nicht ohne Gegenleistung.", etwas leiser fügte er hinzu. "Eigentlich ist Jimin der Einzige."
Der traurige Unterton ließ Jins Magen sich zusammenziehen. Irgendwie tat ihm Taemin leid. Etwas an der Art, wie er da vor ihm saß, den Blick über die Balkonbrüstung in den dunklen Himmel gerichtet.
"Magst du ihn auch?", frage der Reporter vorsichtig.
Taemin verzog den Mund zu einem Lächeln, das aber seine Augen nicht erreichte.
"Du sorgst dich um ihn.", stellte er fest.
Jin nickte: "Natürlich. Und nachvollziehbar.", mit einer Geste zeigte er auf das mitlerweile orgienhafte Treiben im Inneren der Wohnung.
Taemin folgte seinem Blick. Im gegensatz zu ihm selbst, blieb seine Mimik jedoch ausdruckslos, einer Maske gleich.
"Ich würde ihn niemals mit hier reinziehen.", versicherte er. "Diese Welt ist nichts, was man sich antun sollte."
"Warum tust du es dir dann an?", kam Jin automatisch über die Lippen. Am liebesten wollte er sich auf die Zunge beißen.
Taemin schenkte ihm einen nachdenklichen Blick: "Es ist scheinbar das Einzige, was ich gut kann."
Jin stutzte.
"Das stimmt doch gar nicht. Deine Musik...", widersprach er, wurde jedoch durch eine abwehrende Handbewegung seines Gegenübers unterbrochen.
"Ist zweitranging.", beendete Taemin den Satz. "Es gibt hunderte durchaus bessere Sänger als mich."
Die Stirn in Falten gelegt sah Jin auf den zerbrechlich dünn wirkenden Mann vor sich hinunter. Durch einige Recherche hatte er inzwischen herausgefunden, dass Taemin gerade einmal ein Jahr jünger als er selbst war.
"Willst du es überhaupt?", fragte er schließlich vorsichtig.
Sein Gegenüber zuckte müde mit den Schultern: "Diese Frage stelle ich mir schon lange nicht mehr."
Der Regen hatte wieder zugenommen. Das Rauschen war minutenlang das einzige Geräusch, welches zu hören war.
"Was ist damals in der Villa passiert? Dieser Yoongi hat gemeint, du warst ebenfalls dort.", Jin musterte den Mann bei seiner Frage. Vielleicht in der Hoffnung, ein verräterisches Blinzeln oder Zucken zu erkennen.
Aber nichts passierte. Taemin war entweder ein verdammt guter Schauspieler oder ließ tatsächlich keinerlei Gefühle zu.
"Traust du mir einen Mord zu?", fragte dieser ausdruckslos.
"Meine Ansichten über viele Menschen haben sich geändert.", gab Jin offen zu. "In der letzten Zeit. Ich habe so viele Dinge gehört und gesehen."
Taemin schmunzelte trocken: "Diese Stadt ist der Vorhof zur Hölle. Trotz der vielen Lichter. Selbst der Himmel hört nicht auf zu weinen."
"Sehr theatralisch.", meinte Jin zynisch.
"Jemand hat diese Worte einmal zu mir gesagt und ich fand sie irgendwie passend.", Taemin hob den Blick. "Du kennst ihn auch. Dein Polizist hat ihn vor dem Café festgenommen."
Schon wieder diese Bezeichnung.
Warum glaubte eigentlich jeder, dass er und Namjoon mehr waren als Arbeitskollegen?
"Er ist nicht mein...", Jin stockte, als er die Worte noch einmal Revue passieren ließ. "Du meinst diesen Hoseok? Woher kennst du ihn?"
"Er hatte etwas, das mir gehört. Als ich es mir zurückgeholt habe, bin ich auf seine Vorliebe für junge Idols aufmerksam geworden. Besonders, wenn die noch relativ unbekannt sind.", erklärte Taemin mit geheimnisvollem Blick.
Jin starrte fasziniert die Augen des Mannes an, die in diesem Winkel wie dunkelblau wirkten und sich leuchtend von der hellen porzellanfarbenen Haut abhoben.
"Hier bist du.", Eric trat zu Jin, sah sich kurz um und entdeckte schließlich auch Taemin. "Ihr habt euch bereits bekannt gemacht?"
Jin nickte nur stumm, konnte nur schwer seinen Blick von Taemin lösen.
"Ich hab dir was Alkoholfreies mitgebracht.", Eric reichte dem Reporter ein Glas Orangensaft, welches der dankbar annahm und direkt in einem Zug leerte.
Seine Kehle war wie ausgedörrt.
"Ihr seid zusammen hier?", erkundigte sich Taemin.
Bevor Jin etwas dazu sagen konnte, hatte bereits Eric das Wort ergriffen: "Wir kennen uns schon länger. Daher hat Jin mir den Gefallen getan, meine Begleitung zu mimen. Um nicht wieder irgendwelche Angebote zu erhalten."
"Die du selbstverständlich ausgeschlagen hättest.", Teamin erhob sich von seinem Platz, kam langsam auf die beiden Männer zu.
Den Blick auf Eric gerichtet, sprach er mit ruhiger, fast sanfter Stimme weiter: "Hälst du es für richtig, wenn du Unbeteiligte in so etwas mit hinein ziehst?"
Der dunkelhaarige Sänger lachte auf: "Und du bist plötzlich besser?"
Jin verstand überhaupt nicht, worum es hier gerade ging.
Sein Kopf brummte. Ein dumpfes Ziehen direkt hinter seiner Stirn.
Das alles hier machte ihn müde. Diese ganze Welt.
Er registrierte, wie Taemin sich zu ihm beugte, die Lippen bewegte und erst zeitversetzt die Stimme dazu einsetzte: "In Zeiten wie diesen solltest du dir genau überlegen, wem du vertraust."
Irritiert blickte Jin ihm nach, bis dieser in der Menge verschwunden war.
Was meinte er damit?
"Ist alles okay mit dir?", erkundigte Eric sich besorgt.
Gerade noch rechtzeitig fing er Jin auf, dessen Beine plötzlich weich wie Gummi waren und nachgaben.
Was zur Hölle war los mit ihm? Er hatte kaum noch Kontrolle über seinen Körper und war dankbar, dass Eric hier war.
"Ich bringe dich hier raus, in Ordnung?", sagte dieser, als er ihn stützend an sich zog.
Jin nickte nur stumm.
Zu mehr war er nicht in der Lage.
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