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Abgabe zum Schreibwettbewerb von @Katlyn1257



Das hier ist meine Abgabe zum One-Shot Wettbewerb von der lieben Katlyn1257
Dir vielen lieben Dank, dass du diesen Wettbewerb ausrichtest! ^•^

1. Punkt noch: Ich weiß, das hier ist mein Artbook, aber ich lade diese Geschichte hier hoch, weil ich es persönlich auch als große Kunst bezeichnen würde... .

Und mich hat dieser Text viel Zeit, Gedanken, Gefühle und viel Akku meines Kopfhörers gekostet (;
Also bitte würdigt ihn genauso wie meine Zeichnungen (würde mich freuen ^~^)

Was toll ist: Während dem Lesen das Lied „Tattoo" - von Loreen hören (könnte gut klingen oder halt nicht -> hab's noch nicht ausprobiert)

Das Thema ist folgendes:
Ist das alles noch real?

!!!ACHTUNG!!!
TRIGGERWARNUNG: es kommt Blut vor (nicht zuuu doll ausgeschweift), es geht um Mobbing, Gewalt und auch Amokläufe
Also wenn diese Themen nichts für dich sind, bitte ich dich, dir ein anderes Kapitel zu nehmen und vielleicht die Zeichnungen in diesem Buch anzusehen... (?).

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Text













































IST DAS ALLES NOCH REAL?

16.10.2023

„NORA!!! KOMM SOFORT RUNTER UND WEHE WENN NICHT!!!!!", tobte die wütende Stimme meines Vaters durch den Flur und über das Treppenhaus an meine geschlossene Zimmertür.

Verdammt.
Er hatte es gesehen.

Die wilden Wörter hämmerten gegen das verschrammte Eichenholz und warteten gierig nur darauf, dass ich die Klinke nach unten drückte und sie mich überrennen konnten. Ich seufzte tief und schlurfte zum Ausgang des Raums. Mein Kopf hing schlaff nach unten und ich betrachtete unbedeutend die Socken, die ich heute trug.

Weiß. Meine Lieblingsfarbe. Warum das so war? Hm ... es war ein klein wenig Hoffnung, die ich auf ein endlich friedliches Leben setzte. Doch bisher hatte sich das nicht gerade gut bewehrt.
Gedehnt schritt ich die zahlreichen Stufen hinunter, im Wunsch, sie würden niemals enden.

„AUF DER STELLE!!!", ergänzte mein Vater aufbrausend und stapfte im Flur hin und her. Er wartete, jedoch nie sonderlich lang. Bald hatte ich die Hälfte der Treppe geschafft und beschleunigte meine Schritte, da die Strafen nur umso größer wurden, wenn ich ihn warten ließ.

Unten angekommen trat ich in das Sichtfeld meines Vormunds und wagte es nicht, ihm eine Entschuldigung vorzulegen. Den Kopf hielt ich weiterhin gesenkt und riskierte keinen Blickkontakt mit seinen zornig blitzenden Augen. Hastig führte er mich in das Wohnzimmer, wo er mich an den Tisch zerrte und mir ein Papier unter die Nase hielt.

Ich wusste, was das war und wusste eigentlich auch, dass ich das nicht gewesen war. Doch das verstand mein Vater nicht.

Er fuchtelte damit wild vor mir herum und zerknitterte es in seiner Wut so ziemlich komplett in seinen großen Händen. Zögernd las ich die riesige Sechs in dem Kästchen neben meinem falsch geschriebenen Namen. „WAS IST NUR LOS MIT DIR???", schrie mich mein Vormund tobend an, „HAST DU EINEN KNALL??? EINFACH EINE SECHS ZU SCHREIBEN!!!"

„Ich kann nichts dafür", versuchte ich ihm kleinlaut zu erklären, doch das spornte ihn nur noch mehr an, herumzubrüllen. „JAJA!!! NATÜRLICH!!! ICH KANN AUCH NICHTS DAFÜR DASS DU HIER SITZT!!! WIR HÄTTEN SO EINE MISSGEBURT WIE DICH NIE ERSCHAFFEN DÜRFEN!!! DEINE NOTEN WERDEN MOMENTAN IMMER SCHLECHTER!!! DU SCHAFFST NOCH NICHTMAL EINE 1- !!!"

Darauf wusste ich mal wieder nichts schlagkräftiges zu erwidern. Doch eine Sache musste ich ihn noch möglichst freundlich fragen: „Könntest du mir die Arbeit bitte unterschreiben? Sonst darf ich sie nicht abgeben." „UNTERSCHREIBEN??? ICH??? DAS UNTERSCHREIBE ICH DIR VIELLEICHT IN DEINEN TRÄUMEN, ABER NICHT IN DER REALITÄT!!! WACH ENDLICH AUF, MÄDCHEN!!!"

Mit diesen Worten reichte er mir die Mathe-Arbeit, die ich normalerweise mit einer 1+ bestehen würde, und schmiss mich in den Flur. Nun wurde er ruhig und kochte innerlich weiter. Ich wusste nur all zu gut, was jetzt kam. „Gürtel her", keifte er leise und streckte gierig seine vor Wut zitternde Hand aus. Ein schummriges Gefühl befiel mich von Kopf bis Fuß.

Langsam öffnete ich den eng gebundenen Strang um meine Hüfte und fädelte ihn aus den Schlaufen meiner zerschlissenen Hose. „SCHNELLER!!!", schrie er plötzlich und ich zuckte angsterfüllt zusammen. Mit einem Mal hatte ich den Gürtel los und reichte ihn meinem Vater. Der riss ihn mir aus der Hand und deutete auf meine Hände.

Kurz und nur ganz leise wagte ich einen Seufzer und senkte den Kopf. Vorsichtig streckte ich meine Arme aus und öffnete die Handflächen nach unten.

Der erste Schlag.
Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Körper.

Der zweite.
Wieder traf er mich auf den Handrücken.

Der dritte Schlag.
Der Gürtel schnalzte bedrohlich durch die Luft.

Der vierte.
Dieser traf mich auf die Handgelenke, zuckte durch meine Arme.

Ein fünfter folgte.
Er fuhr mir durch Mark und Bein, ließ mich erzittern.

Der sechste.
Vater hob mein Gesicht und ließ den Gürtel quer hinüber schnellen. Meine Wangen brannten, ich spürte wie mir etwas flüssiges über den Nasenrücken lief.

Der siebte.
Ich unterdrückte meine Tränen, der Schmerz durchzuckte mich, fiel in meine Gedanken ein und traf mitten durch mein gebrochenes Herz.

Der achte Schlag.
Er schlug so fest auf meine Arme auf, dass ich auf die Knie fiel und keuchend am Boden lag.

„Erinnere dich immer daran, dass du mir untergeordnet bist! Du wirst nie an mich rankommen!", meinte mein Vormund. Er bückte sich und wickelte mir den Gürtel um die Hände, band sie mir zusammen und zurrte sie fest. Das war der Grund, warum ich mir nur Gürtel mit Löchern über das gesamte Leder kaufen durfte.

Als er meine Arme zugeschnürt hatte, ließ er sie achtlos fallen und meine zerrissenen Hände krachten mit einem dumpfen Schlag auf den Steinboden. Dann verschwand er im Wohnzimmer und ließ mich allein auf dem Boden liegend zurück.

Eine halbe Ewigkeit lag ich nur da, tat nichts. Meine Sinne waren getrübt. Ich wusste nicht, wie lang ich dort gelegen hatte, ich besaß ja keine Uhr. Gedankenleer kauerte ich auf dem kalten Untergrund, dachte an nichts. Die Zeit verstrich und ich starrte nur auf die um 90 Grad gedrehten Schuhe.

Inzwischen war ich es gewohnt, nach jeder schlechten Note geschlagen zu werden. An mir ließ Vater alle Wut aus, die er mit sich herumtrug. Selbst wenn ich nichts dafür konnte, wenn ein Brief des Anwalts gekommen war, wenn er zu wenig Geld hatte um sich Zigaretten und Alkohol zu holen. Er war ein Säufer, richtig erkannt.

Er hasste mich, genauso wie den Rest der Welt, meinte, niemand würde ihn verstehen und jeder würde ihm bei allem in die Quere kommen. Wenn er erneut solche Gedanken mit sich umher trug, wurde ich automatisch zum Sündenbock.

Nach einer Weile hatte ich wieder genug Kraft in mir gesammelt, um mich auf meine wackeligen Beine zu kämpfen und stützte mich sofort an das hölzerne Geländer. Langsam und vorsichtig, Schritt für Schritt mühte ich mich die Treppe hoch. Mehrmals brach ich wieder zusammen und fiel auf die kantigen Stufen. Ich schlug mir bei dem Versuch, eine weitere Erhöhung zu passieren, das rechte Knie heftig auf und spürte noch nicht einmal mehr, wie die warme Flüssigkeit mein Bein hinunter rann.

Endlich in meinem Zimmer angekommen, hatte ich keine Kraft mehr die Tür zu zuschlagen, deswegen ließ ich es sein. Ich fiel auf mein Bett und weinte.

Weinte weiter.
Und weiter.

Es tat so weh.
Es tat so unglaublich weh.








17.10.2023

Schule. Mal wieder.

Ich hasste sie nicht, nein. Doch ich verabscheute die Personen. Es gab ein paar nette Lehrer, aber auch diese wenigen schafften es nicht, mir den Alltag schöner zu machen. In diesem Gebäude voller fremder Gesichter fühlte ich mich einsam, allein gelassen von einfach allen, die mich kannten. Inzwischen lief ich nur noch mit gesenktem Kopf durch die Gänge, aus Angst, sie könnten mich finden. Aus Angst vor den gaffenden Blicken.

Warum war der Weg zum Klassenzimmer nur so unendlich weit? So viele Menschen sahen mich, blickten auf mich herab, oder tuschelten hinter meinem Rücken, wie seltsam ich aussehen würde. Ich war es gewohnt, doch das machte es nicht besser.

Angekommen.
Ich ließ mich, abseits von den anderen, an einer Wand hinunter gleiten.

Frau Sperling kam, schloss den Raum auf. Die meisten strömten hinein, ich folgte zögernd. Langsam ging ich zu meinem Tisch und zog meine Sachen hervor. Jeder plauderte mit seinen Freunden und manche rannten wild umher. Ich saß wie gewöhnlich nur da, und wartete.

Gerade eben hatten wir noch Chemie, nun begann Mathe.
Mein Lieblingsfach.
Wie immer, meldete ich mich nicht.
Als ich einmal aufgerufen wurde, zuckte ich nur mit den Schultern. Auch jetzt hob ich nicht den Kopf. Ich wagte es nicht, irgendwen anzusehen.

Frau Sperling betrachtete mich manchmal etwas länger, das spürte ich. Ihr Blick fiel bei den Aufgaben meistens auf mich und wenn sie sich meine Ergebnisse ansah, staunte sie nur und meinte: „Wow! Du hast alles richtig! Super!" Dabei lächelte sie immer freundlich. Doch ich erwiderte nichts. Ich saß weiterhin nur da, wartete und hoffte.

Ich hoffte, dass der Unterricht niemals enden würde. War ich zu feige? Oder war es aus Angst vor den Schmerzen, die mich erwarteten?

Es klingelte. Nun musste ich also doch in die Pause.
Langsam ging ich aus dem Zimmer, um die Ecke und suchte mir eine ruhige Stelle im oberen Geschoss.
Zu früh gefreut.
Da kamen Amira, Boris, Oliver und Yuni.

Mist.
Jetzt war hier niemand sonst mehr.
Niemand, der das sehen würde.

„Mach es nicht so auffällig! Verhalte dich gefälligst normal und sei nicht so zurückhaltend! Sonst schöpft noch irgendwer Verdacht!!!", befahl mir Amira, die Anführerin der Clique. Oliver zog direkt mit: „Genau! Mach's nicht so auffällig!" Daraufhin erntete er einen wütenden Blick des älteren Mädchens und verstummte augenblicklich.

Ich wusste genau, was sie meinte. Das Mobbing. Vor mehr als zwei Jahren kam die erste Nachricht. Das erste „Mann bist du hässlich!" am 08.10.2021, meinem 14. Geburtstag. An diesem eigentlich schönen Tag fing das Mobbing an und hatte bis heute noch nicht aufgehört.

Damals hatte ich es noch für einen dämlichen Scherz gehalten, der allerdings immer weiter ausartete. Es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde.

Und immer mehr stellten diese vier Personen mein Gemüt auf die Probe, testeten wie weit ich gehen würde und nutzten mich aus. Sie schlugen mich, erpressten mich, zwangen mich zur Stille. Inzwischen hatten sie mir alle schönen Erlebnisse, sofern ich welche hatte, aus dem Gedächtnis gezogen und versaut. Ich hatte keine Gedanken mehr denken können, hatte seit zwei Jahren niemandem mehr in die Augen gesehen.

Wusste ich überhaupt noch, wie diese aussahen? Wie sie geformt waren, welche Augenfarbe mein Vater hatte? Nein. Doch das schlimmste war, sie trieben es weiter, hatten nie genug.

Amira nickte Boris kurz zu, der sofort fies grinste. Langsam schlenderte er auf mich zu und mit einem Mal packte er mich am Hals und presste mich gegen die steinerne Wand. Ohne ein Wort zu verlieren, rang ich nach Luft, währenddessen griff Oliver sich meine rechte Hand und riss sie zu sich heran. Er fummelte in seiner Hosentasche umher und ließ im nächsten Moment ein Messer aufschnappen.

Angsterfüllt starrte ich ihn an, als er die kalte Klinge an meinen Handrücken ansetzte. Mit einem gekonnten Zug ließ er das scharfe Metall über meine Haut schnellen. Ich zuckte schmerzdurchströmt zusammen und kniff die Augen zu. Keine Sekunde später quoll auch schon roter Saft aus dem Schnitt und lief über meine Finger. Um mich tretend versuchte ich mich vergeblich aus dem Griff des Größeren zu befreien.

Ein zweites Mal schlitzte Oliver mit Vergnügen in meiner Hand umher und verursachte ein wildes Streifenmassaker. Nach gefühlten Ewigkeiten ließ mich Boris plötzlich fallen und stampfte mich zu Boden. „Kommt Jungs", befahl Amira, „wir sind hier fertig!" Mit diesen Worten ging sie zurück zum Treppenhaus, gefolgt von ihrer Truppe.

Regungslos lag ich da, doch als die vier gerade gehen wollten, drehte sich Oliver auf einmal um und rannte auf mich zu. Kurz vor mir bremste er, grinste schelmisch und schlug mir kräftig ins Gesicht. „Jetzt sind wir fertig", verbesserte er grölend. Mir lief ein Strahl Blut aus dem linken Nasenloch und benetzte meine Lippen. Gedankenverloren lag ich da und tat nichts.

Meine Nase pochte und mein Hals schmerzte.
Ich hatte keine Kraft mehr, war völlig ausgelaugt.

Zwei Jahre lang, lag ich des öfteren auf dem Boden, so wie heute. Blutverschmiert, fast bewusstlos, allein gelassen. Doch eines hatte mir immer wieder genügend Kraft gegeben, um aufzustehen und weiter zu leben. Die Musik. In meinem Kopf spielte sich leise, und immer lauter werdend, „Tattoo" von Loreen ab.

I don't wonna go

But baby, we both know

Ächzend kämpfte ich mich wieder auf die Beine.

This is not our time

It's time to say goodbye

Immer weiter, stützte ich mich an den Wänden in Richtung Treppe. Bald würde es zur nächsten Stunde läuten.

Until we meet again

Cause this is not the end

Ich fasste ein wenig neue Entschlossenheit und kraxelte die Stufen hinunter.

It will come a day

When we will find our way

Der Gong.
Die Melodie verblasste zwischen den schreienden Kindern und das Lied verklang im Gang. Frau Sperling war schon aus der Pause zurück, wir hatten sie noch zwei Stunden. Als ich die Schuhe der Mobber knapp vor mir erblickte, zuckte ich kurz zusammen und meine Hand schmerzte sofort wieder gewaltig. Die bösen Erinnerungen waren wieder da, die Angst und der dauerhafte Schmerz.

Ich versuchte unauffällig zu meinem Platz zu gelangen, als schließlich die helle Stimme unserer Lehrerin erklang: „Bitte gebt mir noch die Mathe-Arbeit zurück, das habe ich in der ersten Stunde vergessen." Murrend erhoben sich ein paar Schüler und trotteten vor, um die Probe abzugeben. Ich trat hinterher, jedoch langsam und still.

Als ich als Vorletzte bei Frau Sperling ankam, die Klasse schon wieder durch die Gegend brüllte, legte ich ihr das Papier vor. „Nora, du musst es von deinem Vater unterschreiben lassen. So kann ich sie nicht nehmen", ein klein wenig verständnislos versuchte sie mir in die Augen zu schauen, doch ich starrte nur auf den Boden und wandte meinen Kopf ab.

„Komm, versuch es nochmal. Sonst muss ich deinen Vater anrufen und es ihm sagen", redete sie weiter auf mich ein. Schließlich wollte ich das Blatt wieder mitnehmen, als in diesem Moment ein Tropfen Blut aus meiner Nase auf das Pult der Lehrerin platschte. Schnell griff ich mit der rechten Hand hinterher und wollte die Flüssigkeit mit meinem Ärmel wegwischen, als Frau Sperling mich entsetzt ansah und meinen Handrücken betrachtete.

Als ich meine Finger noch schnell wegziehen wollte, packte sie sanft nach dem Handgelenk und hielt es fest. Wie versteinert fragte sie: „Was ist passiert? Vor der Pause war das noch nicht da!" Hinter mir tauchte Amira mit ihrer Eins in der Mappe auf, die ich ihr geschrieben hatte. Sie trat mir unauffällig auf den Fuß, als Zeichen, ich solle nichts sagen. Ich antwortete nicht.

„Komm schon! Sag was! Antworte mir, Nora!", wurde die Stimme der Lehrerin fester. Sie zog mich heran, schob Amira bei Seite und hob mein Gesicht in ihre Richtung. Als sie den roten Streifen auf meinen Wangen und der Nase entdeckte, schreckte sie kurz zurück und sah mich besorgt an. Ich schloss die Augen und schwieg. Noch einmal versuchte sie sich daran, Worte aus mir herauszuquetschen und sprach leise: „Nora, du kannst mit mir über alles reden! Was ist passiert?"

Innerlich leer zuckte ich mit den Schultern und löste mich aus ihrem lockeren Griff. Amira's Blicke wüteten weiterhin auf meinem Rücken, weshalb ich mir meine Probe schnappte und mich auf den Rückweg zu meinem Platz machte. Frau Sperling schaute mir besorgt und völlig bestürzt hinterher.

Erneut meldete ich mich kein einziges Mal.
Die nächsten Aufgaben schrieb ich auf mein Blatt.
Diesmal blutverschmiert.

Die Stunde rauschte an mir vorbei, schon bald war der Unterricht aus.
Am Ende ging ich raus, an Frau Sperling vorbei, und spürte wieder einmal den Blick der Frau auf meinem Pulli kleben. Doch diesmal wirkte er irgendwie anders.

Frau Sperling's Gedanken kreisten wie ein wilder Sturm in ihrem Kopf und sie überlegte, Was ist nur los mit Nora? Warum hält sie sich so verschlossen, obwohl ich ihr doch nur helfen möchte? Ist sie krank und niemand weiß etwas davon, oder wieso verhält sie sich seit Ewigkeiten schon so? Wenn ich mal so darüber nachdenke, habe ich sie seit über einem Jahr nicht mehr lächeln sehen. Geschweige denn den Kopf heben sehen. Was soll das? Sie kann sich doch nicht vor der ganzen Welt verstecken! Vor wem rennt sie überhaupt davon? Und wie bei bestem Willen schafft sie es, alle Aufgaben richtig zu machen, wenn sie doch nichts vom Unterricht mitbekommt? Außerdem, was war mit ihrer Hand los? Komplett kaputt und das ganze Blut! Das sah noch nicht mal so aus, als wäre sie hingefallen. Es wirkte, als wäre es Absicht. Doch wieso sollte sie sich selbst wehtun. Noch dazu kommt sie immer mit blauen Flecken und Verletzungen in die Schule. Das muss alles vor dem Unterricht und in den Pausen passieren, wie sollte es sonst funktionieren? Was ist nur los, mit ihr? Was? Schmeißt sie sich selber immer wieder von großen Felsen runter? Pfff, darüber kann man doch nur lachen! Aber was ist, wenn das wer anderes macht? Was ist, wenn sie vergewaltigt wird??? Oh nein!

Am Nachmittag redete die Lehrerin mit der Schulpsychologin, teilte ihr ihre Gedankengänge mit und fragte sie nach einer Lösung. Doch Frau Kiess schlug ihr nur vor, sie solle mich weiter beobachten und zurückkommen um weitere Wege zu besprechen. Als ihr das aber zu ungenügend vorkam, gingen sie gemeinsam zum stellvertretenden Schulleiter.

Sie erklärten ihm alles, doch dieser wusste keine andere Lösung, als mit den Eltern zu telefonieren. Also beschlossen sie, bei mir zu Hause anzurufen. Doch mein Vater wies sie knallhart ab, verfluchte sie und brüllte ihnen noch Drohungen durch die Leitung zu, bevor er wutentbrannt auflegte. Daraufhin wussten die Erwachsenen nicht mehr zu reagieren.

„Und was ist mit der Mutter?", fragte Frau Kiess alternativ. Daraufhin antwortete meine Lehrerin: „Vor einem halben Jahr gestorben." Seufzend setzte die Schulpsychologin sich auf ihren Drehstuhl und atmete tief durch. Nach einer langen Zeit beschlossen sie, öfters bei uns zu Hause anzurufen. Doch jedesmal erneut schrie mein Vormund sie weiter an.

Schlussendlich meinte die Schulleitung, die sie anschließend mit ins Boot holten: „Dann bleibt uns nur noch eine Möglichkeit."







21.12.2023

Das letzte Training vor dem neuen Jahr. Es wollte zwar immer nur eine Person mit mir spielen, und die war fast nie da, aber immerhin konnte ich beim Volleyball endlich alle Sorgen vergessen und einfach nur meiner Leidenschaft nachgehen! Deswegen war das Training wahrscheinlich so das einzige, worauf ich mich noch freuen konnte.

Ich pauerte mich jedes Mal aus, überschritt meine Grenzen und testete, wie weit ich noch kam. Seit acht Jahren spielte ich nun schon, fast süchtig nach dem Mutmacher dreimal in der Woche. Egal wie schlimm meine Verletzungen waren, ich ging IMMER zum Training! Einfach immer! Vielleicht floh ich einfach nur vor dem Leben, rannte davon, dort hin, wo ich mich sicher und geborgen fühlte.

Einen Unterschied zu den anderen „normalen Spielern" gab es aber dennoch. Ich blieb jedes Mal noch in der Halle. Auch als alle bereits weg waren, blieb ich, schnappte mir wieder einen Ball und trainierte weiter. Meinem Vater war es völlig egal, wenn ich erst 22:30 Uhr ungefähr nach Hause kam, davon bekam er sowieso selten was mit.

Meistens spielte ich mehr als drei Stunden länger, im Gegensatz zu den anderen. Die Trainingszeit von zwei Stunden überschritt ich regelmäßig. Doch das machte mich glücklich. Es gab mir das Gefühl, nicht wehrlos zu sein. Es beschützte mich.








12.01.2024

Dies war der schicksalhafte Tag, der Tag an dem ich das letzte Mal verletzt auf einem der Gänge meiner Schule lag.

Er begann erneut in der Schule. In der Pause hatten sich Amira und ihre Clique mal wieder Boris' Kraft ermächtigt. Mein Arm war rot, gequetscht worden von Oliver. Aus drei langen Schnitten war Blut ausgetreten, doch sie waren bereits relativ schnell verkrustet. Nun saß ich da, an die Wand geschmiegt und kauerte in dieser Ecke.

Niemand war da, der mir sagen konnte, dass es keinen Sinn hatte, mich schlecht zu fühlen, dass es unnötig war, Amira und alle die, die mir wehtun wollten, noch zu beachten. Niemand würde merken, wie ich verschwinde.
Ich hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, einfach davon zulaufen. Doch wem machte ich denn etwas vor? Ich war zu feige, ich war zu schwach. Sie hätten mich ohnehin vermutlich spätestens einen Tag nachdem ich vermisst werden würde gefunden.

Zudem fragte ich mich selbst ständig: „Ist das überhaupt alles noch real?"

Meine Mutter war tot. Autounfall, hatte es geheißen, jedoch wusste ich es besser. Andere würden es Mord nennen, wenn sie wüssten, was passiert war.

Niemand mochte mich.

Ich wurde gemobbt, ausgenutzt, vergewaltigt.

Mein Vater schlug mich fast täglich.

Verletzungen, das einzige, was ich momentan noch an mir sah.

Ein Leben ohne Frieden, gab es das überhaupt?
Keine Sicherheit, ich hatte ständig Angst, dass sie mich finden würden. Jederzeit, konnten sie zu mir nach Hause kommen und mich solange quälen, bis sich auch der Letzte daran satt gesehen hatte.

Wie hatte ich es nur bis jetzt überstanden?
War das wirklich noch die Realität?

Als die Pause zu Ende war und ich nun im Klassenzimmer saß, hatten wir wieder einmal Musik, ebenfalls bei Frau Sperling. Die Klasse war wild und dauerhaft hatte ich das dumme Gefühl, meine Lehrerin würde mich beobachten. Schon wieder. Als ich gerade anfing, mein Zeug herauszuholen, kam plötzlich die Durchsage, die mein Leben für immer verändern würde.

„Achtung. Dies ist keine Übung. Eine Bedrohung ist im Schulhaus und gefährdet die Personen in dem Gebäude. Bitte bleiben Sie ruhig, verlassen Sie nicht die Klassenzimmer und schließen Sie die Türen ab. Fenster bitte geschlossen halten und eine Entwarnung wird hoffentlich bald kommen."

Auf einmal wurden alle Schüler um mich herum unruhig, sie wurden panisch, sprangen auf. Ich blieb einfach nur still sitzen. Frau Sperling wusste auch nicht, wie sie die Klasse noch halten konnte. Keine 10 Minuten nach der Durchsage, hastete unvorhergesehen ein Mann an der Glasscheibe es Raumes vorbei. Er schenkte uns nur einen kurzen, grimmigen Blick und verschwand dann aus meinem Sichtfeld.

Doch mit einem Mal lugte ein Kopf hinter der Wand hervor und glotzte meine Mitschüler und mich ungläubig an. Der Typ kehrte langsam komplett zurück und stellte sich schließlich ganz nah an das Glas. Vergeblich versuchte er kurz die Türklinke zu drücken, doch diese war zugeschlossen. Als er in seine Tasche griff und der Lauf einer Pistole aufblitzte, wurde es plötzlich mucksmäuschenstill um mich herum.

Er zückte die Schusswaffe und zielte auf das Hindernis zwischen ihm und uns. Alle stürmten in den hinteren Teil des Raumes, um von der Tür aus nicht erreichbar und nicht sichtbar zu sein. Die Lehrerin scheuchte alle in die letzten Reihen und rief: „Bleibt von den Wänden weg und geht nicht in die Schussbahn!" Ich blieb sitzen, in der dritten Reihe. Dort würde er mich nicht groß erreichen von der Scheibe neben der Tür.

Ohne darüber nachzudenken, hielt ich mir die Ohren zu. Meine Klasse war laut und alle schrieen panisch durcheinander. Urplötzlich ertönte der Knall. Ich presste meine Hände stärker an den Kopf, hoffte, dass mich der Schall nicht durchdringen würde.

Der Mann hatte abgedrückt, die Kugel durchbohrte die Scheibe und mit einer irren Geschwindigkeit flog sie ebenfalls durch die riesige Fensterfront nach draußen. Diese zerbarst in abertausende kleine Splitter und Teile. Mit einem sauberen Tritt durchstieß der Fremde den restlichen Teil der Scheibe und stieg hindurch. Nun schützte uns nichts mehr vor ihm.

„Raus", erklang die tiefe und raue Stimme des Amokläufers, „Bewegt euch, na los! Alle nach draußen, sofort!" Niemand tat etwas, alle waren immer noch eingeschüchtert und in Panik versetzt worden. „Da, geht durch das Fenster, los! Worauf wartet ihr noch? Auf eine schriftliche Einladung?", stach die Stimme durch die Luft. Doch als sich auch dann noch niemand regte, hob er die Waffe und richtete sie auf die Menge.

Nun war es Frau Sperling, die alle anschob und durch die ursprüngliche Glasfront leise nach draußen trieb. Ich erhob mich unauffällig und folgte den anderen. Zumindest lag unser Klassenzimmer im Erdgeschoss, sodass wir nicht aus dem Fenster springen mussten.

Der Mann scheuchte uns weg von dem Gebäude und an den Rand des Schulgeländes. Unser Schulgebäude war wie ein rechtwinkliges Dreieck aufgebaut, nur ohne die Hypotenuse. Die meisten Zimmer waren in Richtung des Schulhofes ausgerichtet, sodass fast alle Klassen nach draußen schauen konnten.

Der Amokläufer setzte uns wie auf den Präsentier-Teller. Dort standen wir nun und wurden weiter von dem angespannten Typen kommandiert. Ich verstand nicht, welches Ziel er hatte und was er beabsichtigte, doch eines wusste ich: er hatte ähnlich viel Angst wie meine Mitschüler.

Schließlich wurde er ungeduldig und schrie: „Du da! Komm her!" Er deutete mit seinem dünnen Finger auf Amira, die sich jedoch nicht bewegte. Wütend knurrte er und marschierte auf sie zu. Mit einem gekonnten Griff packte er sie am Kragen und das Mädchen ließ sich wimmernd mitschleifen. Genervt stellte der Mann sie an eine Stelle auf dem Hof und drehte sich ein paar gute Schritte von ihr entfernt um.

Ich sah, wie in Amira die nackte Angst emporstieg und sie nicht wusste, was sie machen konnte. Obwohl sie mich mobbte, musste ich ihr irgendwie helfen. Oder sollte ich es lieber sein lassen? In diesem Moment erhob der Typ seine Pistole und richtete den Lauf auf die zitternde Schülerin. Ich erfasste die Situation, sah wie er seinen Finger am Abzug langsam anspannte.

Mit einem Mal ging plötzlich alles so schnell. Ohne darüber nachzudenken rannte ich seitlich auf den Fremden zu und gerade als er den Abzug drückte, rammte ich ihn so unglücklich von der Seite, dass der Schuss hoch in den Himmel ging und wir beide auf dem Boden landeten.

Das ohrenbetäubende Geräusch wurde durch den speziellen Bau der Schule verstärkt, schallte an den Wänden entlang und drang in meinen Kopf ein. Ich erschrak sofort. Es wirkte, als hätte ich für diesen Augenblick meine Lebensenergie wieder gefunden. Sie war zurückgekehrt, und mit ihr meine Wut gegen diesen Mann, der aus einem unerfindlichen Grund Menschen bedrohte.

Die Waffe war ein Stück weiter auf dem Boden entlang geschlittert und lag nun mindestens fünf Meter von dem Typen entfernt auf den kantigen Kieseln. Bedrohlich knurrend rappelte sich der Typ wieder auf und gedehnt schallte seine hässliche Stimme über den Hof: „Na, dann machen wir es halt ohne die." Er deutete auf die Waffe in seiner Nähe. „Ich warne dich nur vor Mädchen. Ich bin stark, im Gegensatz zu dir!", stellte er belustig und gemein fest.

Auf einmal herrschte Stille an der Schule, niemand wagte es auch nur ein Wort zu verlieren. Selbst die ganzen Schüler und Lehrer in den Klassenzimmern, die das alle sehen konnten, hielten sich zurück. Niemand öffnete ein Fenster, keiner rührte sich. Ich nickte kurz seitlich, wusste nicht, was ich von seiner Aussage halten sollte. Doch eines wusste ich: dieser Mann würde nach dem allen hier niemals wieder eine Schule angreifen!

Bedächtig schob ich meinen Fuß über die kleinen Kiesel, die sich träge unter dem Material bewegten. Viele Meter lagen zwischen dem Mann und mir. Ich hatte gute Chancen ihn mit dem ersten Schwung zu treffen. Langsam trat ich mich im Boden fest, suchte guten Halt. „Nein! Nora, hör auf und komm zurück!!!", schrie Frau Sperling mir noch zu, bevor der Amokläufer den ersten Schritt tat und auf mich zu rannte.

Den Startschuss hatte ich verpasst, na toll. Schnell spannte ich meine Beine an und drückte mich so gut es ging von der Erde ab. Wie in Zeitlupe rasten wir aufeinander zu, die Umgebung um mich herum verschwamm in einem einzigen Farbenmeer. Und ich nur noch ihn und mich. Es wirkte wie ein Wettstreit, auf Leben und Tod. Ein Spiel, dass ich unmöglich gewinnen konnte.

Allerdings hatte ich einen Plan.
Ich würde genügend Zeit schinden können, bis die Polizei eingetroffen war und den Typen überwältigte. Dafür musste ich mich aber auf die anderen verlassen. Irgendwer musste sie anrufen, die 110 kontaktieren und die Schule retten. Eine bessere Idee hatte ich nicht.

Mit einem dumpfen Schlag trafen wir aufeinander. Er schlug zuerst mit der Faust in Richtung meines Gesichts, zum Glück konnte ich rechtzeitig ausweichen. In mir kochte die Wut hoch, die ich jahrelang auf andere Personen in mir sammelte, ballte und nun als riesigen Feuerball zurückschoss. Mit einem kräftigen Kick stieß ich dem Mann meinen Fuß in die Rippen, sodass er keuchend nach hinten taumelte.

Überrascht von meinem Treffer, fasste er sich wieder und kam erneut auf mich zu. Als er mich visierte, blitzten seine Augen gefährlich auf und versprachen Rache. In ihm kochte der Killer-Instinkt hoch, trat an die Oberfläche und spuckte glühende Funken. Es war nicht schwer es dem Menschen anzusehen: er war nicht sonderlich begeistert. Langsam aber sicher wurde er warm, jedoch nutzte er seine Kraft nur oberflächlich.

Das war mein einziger Vorteil, ich wusste mit meinem Körper umzugehen und war flinker als der Typ, der gerade vor mir begann, wild um sich zu fuchteln. Wieder rammten unsere Seiten an die andere und der Fremde schnappte sich blitzschnell mein Handgelenk. Er verdrehte damit meinen gesamten Arm und zog mich so zu sich heran. Ich schrie schmerzerfüllt und riss die Augen weit auf.

Immer fester packte er zu und quetschte meine Haut unbewusst zwischen seinen Fingern ein. Gequält biss ich die Zähne aufeinander. „Du bist ein Nichts...", hauchte der Typ mir ganz leise in das linke Ohr. Damit verdrehte ich die Augen und konterte: „Das funktioniert nicht bei mir, du Holzkopf!" Mit diesen Worten schmetterte ich ihm meinen Ellenbogen in die Brust und befreite mich aus seinem plötzlich gelösten Griff. Verbissen krümmte sich der Fremde.

JETZT WAR SCHLUSS MIT LUSTIG!!! In meinem Kopf ertönte ganz leise wieder die Melodie von dem einen Lied. Tattoo.
Sie wurde lauter und füllte schon bald meinen ganzen Kopf aus.

Violins playin' and the angels cryin'
Schnell nahm ich Anlauf und schmiss ihn gekonnt um. Der Mann erhob sich abermals und holte aus. Schließlich schlug er mir gegen die rechte Schulter und schmiss mich somit um.

When the stars align, then I'll be there
Krampfhaft richtete ich mich auf und ging auf's Neue auf ihn los. Während ich die Distanz zwischen uns rasant zurücklegte, spreizte und beugte ich nun meine Finger zu spitzen Krallen, wie die einer Katze.

No, I don't care about them all
Immer schneller wurde ich, beschleunigte auf dem Weg zu ihm und sprang endlich ab. Der Mann duckte sich, ich flog über seinen Kopf hinweg und krallte mich in sein T-Shirt. Der Teer kam immer näher. Blitzartig drehte ich mich so, dass ich geschickt abrollte und dabei den Typen mitzog.

Cause all I want is to be loved
Er wurde über mich hinweg geschleudert und gerade, als er kurz vor dem Aufprall war, versetzte ich ihm einen heftigen Stoß in den Rücken, sodass er nun noch weiter weg von mir aufkam. Mit einem grauenvoll kratzenden Geräusch schlitterte er über ein paar kleinere Steine und blieb schlussendlich liegen.

And all I care about is you
Der Fremde schien definitiv angeschlagen zu sein, denn er verharrte ein paar Sekunden in seiner Position, bis er sich wieder erholt hatte. Abgerackert stellte ich mich wieder auf meine Beine und keuchte außer Atem vor mich hin.

You're stuck on me like a tattoo
Der Mann fasste neue Kraft und kam wieder auf die Füße. Völlig aufgebraust trampelte er nochmals auf mich zu. Plötzlich bekam ich wieder Angst. Wieso gab der nicht auf? Wild schnaubend erreichte er mich und griff sich meinen Oberarm. Mit viel Wucht wirbelte er mich durch die Luft und ich prallte an eine Laterne.

No, I don't care about the pain
Wimmernd lag ich da. Regte mich erst nicht und unterdrückte die vielen Tränen, die ich vergießen musste. Doch kurz schluchzte ich auf, bevor ich meine Handflächen in den Untergrund presste und tief durchatmete. In mir tobte aller Schmerz, den er mir zugefügt hatte, alles Leiden. Und dies bündelte ich. Mit einem Mal hatte ich wieder Kraft, sprang auf und fiel den Fremden wiederholt an.

I'll walk through fire and through rain
Binnen weniger Sekunden zog ich mein Bein weit an und streckte es schließlich, um dem Angreifer mit voller Wucht von der Seite umzuhauen. Er flog hin, fiel auf die Knie, jedoch gab er nicht auf. Wie sollte ich das noch schaffen? Ein fieses Gefühl rann meinen Rücken hinab, bis in die Kniekehlen und erschwerte meine Schritte. Ich drehte mich leicht, ohne mein Umfeld zu beachten.

Just to get closer to you
Dies nutzte der Typ und drosch mir mit der flachen Hand an den Kopf. Plötzlich verschwamm meine Sicht und ich bemerkte nur noch, wie mir die unscharfe, dunkle Fläche vor mir immer näher kam und ich kippte. Mit einem miesen Geräusch klatschte ich auf den Teer und schlug mir den Kopf auf.

You're stuck on me like a tattoo
Rote Flüssigkeit rann meine Stirn hinab und verkleinerte mir die Sicht. Ich hievte mich auf meine Schienbeine und saß gebeugt da. Auf einmal traf mich unerwartet ein Schlag auf den Rücken, ein stechender Schmerz durchzuckte meine Muskeln und ließ mich erschaudern. Ich konnte nicht mehr.

Langsam tauchte vor mir wieder das Schulgebäude auf. Die Umgebung formte sie ebenfalls zu ihrer alten Gestalt zurück. Nicht weit von mir entdeckte ich auch meinen Gegner, der schnaufend auf mich herab sah. Meine Rippen schmerzten fürchterlich und mein Sichtfeld flimmerte beträchtlich.

Ganz vorsichtig richtete ich mich ein letztes Mal auf, zeigte dem Fremden die kalte Stirn und sammelte all meine letzte Kraft in meinem zerbrochenen Herzen. Schwerfällig kam ich auf meine Füße zurück, schleppte meinen schmerzenden Arm auf die selbe Höhe, wie meine herabhängenden Schultern und fixierte mein Ziel. Das Herz des Biests, das meine Klassenkameraden bedroht hatte.

Eine unerträgliche Stille legte sich über diesen Moment, flutete meine Adern und durchströmte meinen brummenden Schädel.

Ein allerletztes Mal strengte ich meine Beine an, wusste nicht, ob ich es überhaupt zwei Schritte weit schaffen würde, ohne zusammenzubrechen. Meine Beine trugen mich, brachten mich zu ihm, dem Monster, und beschleunigten. Pure Wut spiegelte sich in meinen Augen, viele kleine Tränen flogen durch die Lüfte, ohne dass ich es noch steuern konnte.

Der Mann richtete die bereits wiedergeholte Pistole auf mich, zielte vermutlich auf mein Herz. Ich wusste es nicht, erkannte ihn nicht mehr.

Der Anlauf war nicht lang, der Abstand verringerte sich. Mein Ziel? Keine Ahnung.
Aber als ich den letzten Schritt vor dem Sprung tat, entdeckte ich im Augenwinkel auf einmal verschwommene, blau gekleidete Punkte, die sich schnell auf uns zu bewegten. Ich nahm es nicht wirklich wahr, vielleicht war ich zu sehr auf den Schlag konzentriert, der mir die Freiheit schenken würde.

Ein letztes Mal abspringen, so wie im Training vor dem Schlag, der den Gegner pulverisierte. Ich drückte mich kaum mehr spürbar vom Untergrund ab, flog förmlich durch die Luft und schwebte für ein paar Augenblicke in meinen eigenen Gedanken. Die Zeit flatterte durch meine wehenden Haare, ließ mich nicht mehr merken, wie ich dem Ziel näher kam.

Die Melodie des Liedes ertönte nur noch dieses eine Mal.

You got my heart in your hand
Das war der letzte Satz, den ich denken konnte, bevor der Fremde den Abzug drückte, mein Herz um Längen verfehlte und mir eine Kugel durch das linke Bein jagte. Der Knall der Zündung zersplitterte die Luft, drang explosionsartig in meine Ohren ein und zersprengte mein Vorhaben.

Er hatte wirklich auf mich geschossen. Ein unweigerlicher Schmerz durchforstete meinen Körper, auf der Suche nach restlichem Leben, dass er noch zerstören konnte. Es fühlte sich an wie ein düsteres Wesen, tief in schwarzem Nebel verborgen, das sich durch meine Seele fraß, sich an meinen Rippen festklammerte und nicht mehr loslassen wollte.

Ich kippte zur Seite um, konnte nicht mehr beeinflussen was nun geschah und lag einfach nur weinend da. Der Gedanke an die Einsamkeit in meinem Leben raubte mir die letzten fröhlichen Erinnerungen, die ich wahrscheinlich schon längst nicht mehr besaß.

Unaufhörlich quoll Blut aus dem Loch in meinem Oberschenkel, durchbohrt von einer winzigen Patrone. Mein Blick schmolz dahin, genauso wie die Zeit, die verging. Ich bekam nicht mit, was direkt nach dem Schuss geschehen war, nur sah ich noch wie die blauen verschwommenen Strichmännchen sich das schwarz gekleidete schnappten, dass eben noch neben mir gestanden hatte.

Wusste jemand, dass ich hier lag? Hatte jemand mitbekommen, was geschehen war?
Ein weiterer Vers von Tattoo ertönte in meinem Kopf.

Don't lose it, my friend
Mein Bein pochte an der Stelle, wo eben noch das ganze gesunde Gewebe gewesen war und nun ein gewaltiges Loch klaffte.
Es war nur eine weitere Wunde, von vielen, stellte ich müde fest und bemerkte noch schwach, wie jemand zu mir geeilt kam.

Der Fleck sah aus wie meine Lehrerin, das bunte Farbgemisch war aufgeregt und rief noch etwas Ähnliches wie: „Hilfe! Wir brauchen einen Arzt! Schnell!"

Eine andere Person kam angerannt, dich trotz der grottigen Sicht, war sie unverkennbar.
Amira schmiss sich vor mir zu Boden und presste ihre warmen Hände auf die suppenähnliche Stelle, aus der immer mehr roter, triefender Saft drang.

Wollte sie mir helfen?

Meine Umgebung waberte schlimmer als zuvor vor meinen Augen. Ich spürte nicht mehr, wie ich keuchte und schwerfällig versuchte noch Luft in mich aufzunehmen.

Mein rasselnder Atem stockte, mehrere Personen um mich herum kreischten, schluchzten oder schrieen mir meinen Namen zu.

Mein Herzschlag wurde langsamer.

Die Wunde pochte unaufhaltsam.

Ich keuchte hustend.

Die Umgebung verblasste immer weiter.

It's all that I got
Der letzte Gedanke, den ich noch hatte, bevor mein Herz das letzte Mal vor seiner ewigen Ruhe schlug.
Mein letzter Atemzug.
Eine allerletzte Träne rann meine Wange hinunter, sie spiegelte die Wahrheit wieder, glänzte in der Sonne.
Schließlich schrumpfte mein Sichtfeld, verschwand in der ewigen Dunkelheit und mir wurde schwarz vor Augen.

Die kleine Flamme, die mir noch genügend Lebensenergie geschenkt hatte so lange Zeit, brauchte sich nun nicht mehr um mich zu kümmern.
Ein winziges Fünkchen, erlosch im untergehenden Licht der Welt und verschwand für immer.

Eine Brise spielte mit den goldbraunen Haaren meines leblosen Körpers und mit dem Tod, wurde meine Seele vom Wind davon getragen. Dort hin, wo ich endlich den ersehnten Frieden fand.








19.01.2024

„Erschossen.
Schlagader getroffen und anschließend verblutet, hieß es vom Gerichtsmediziner.
Nora Kibaro war eine außerordentlich begabte Schülerin. Nett, fürsorglich, hilfsbereit, und verschlossen. Doch wieso war sie so leise? War das wirklich alles real, was da zwei Jahre lang geschehen ist? Dass sie jedes einzelne Mal eine Eins in Mathe geschrieben hat, obwohl sie seit zwei Jahren kein einziges Mal mehr auf die Tafel gesehen hatte, wusste niemand, da eine Person es verhindert hat. Sie hat die Tests nicht für sich so gut geschrieben, sondern für diesen einen Menschen, der sie dazu gezwungen hat.
Sie wurde gemobbt. Hat das irgendwer bemerkt? Nein! Ist sie aus jeder Pause blutend wieder in den Unterricht gekommen? Ja! Zwei Jahre lang wurde sie jeden Tag geschlagen, verprügelt, zu schlimmen Sachen gezwungen. Zuflucht und Heilung zu Hause bei einem Vater zu finden, der sie für alles schlug, war schwierig.
Verspottet, verwundet und immer erneut verletzt musste sie ihr Leben führen, ihr kurzes Leben von 16 Jahren, 3 Monaten und 4 Tagen.
Sie ist nicht für sich gestorben, um ihrem extrem verhauenen Leben aus dem Weg zu gehen, nein! Sie hat der Tod ereilt, damit diese eine Person weiterleben konnte.
Sie hat ihr Leben für das des Mobbers gegeben.
Für mich.
Zwei unfassbar lange Jahre habe ich andere dazu gebracht, sie zu schlagen, so zu demolieren, dass sie kaum noch kaufen konnte, sie auszunutzen. Ich war das! Nur ich allein! Und es ist mir nie aufgefallen, wie man sich fühlen muss, wenn man alleine ist, wenn man niemanden hat, um ein Versteck zu finden, bevor das Schicksal einen ereilt. Ich weiß nicht, wie ich so ein assozialer Mensch geworden bin, wie ich so unmenschlich werden konnte. Es ist doch eigentlich alles nur Neid. Ich war neidisch auf sie, weil sie bis zu ihrem 14. Geburtstag immer freundlich empfangen wurde, gut in Mathe war und einfach eine super Person darstellte.
Doch ich hatte mich von ihr an den Rand gedrängt gefühlt.
Wie kann solcher Egoismus einen so extrem beherrschen, dass ich blind für die Wahrheit wurde: Sie war das Opfer, nicht ich!

So ein selbstloser Mensch ist mir zuvor noch nie begegnet!
Sie hat ihr Leben für MICH geopfert! Sie hat mir das ermöglicht, was sie nie wirklich konnte.
Leben.
Obwohl ich sie so kaputt gemacht habe, psychisch als auch physisch!
Ihr Blut klebte an meinen Händen und ich habe keine Möglichkeit mehr, das rückgängig zu machen, es ist meine Schuld!
Ich habe gesehen, wie sie ihren letzten Atemzug tat!
Ich habe gesehen, wie sie gestorben ist!
Und ich habe ihr diesen ganzen Schmerz zugefügt!

Ich weiß nicht, wie ich mich bei ihr entschuldigen kann, wie ich wieder zu mir selbst finde und wie ich ihr danken kann. Es ist mein Fehler, den ich nie wieder ablegen können werde.

Also denken Sie alle hier immer an Nora Kibaro, die ihr Leben für das ihrer Feindin hergab.
Denken Sie immer an Nora, wenn Ihnen so ein ekelhafter Mensch wie ich über den Weg läuft.
Schenken Sie ihr eine Schweige-Minute! Lassen Sie sie wieder aufleben!

Danke."

Das Mädchen beendete ihre Rede über die selbstlose Lebensretterin, die Trauerfeier in der Schule war zu Ehren dieser ausgetragen worden.

Amira ging zügig von der Bühne, blendete die eisige Stille, die sich wie ein fieses Insekt in ihren Körper fraß und festbiss, aus.
Als sie die drei Stufen passiert hatte, begann sie zu weinen. Im Laufen fing Frau Sperling sie ab und das Mädchen fiel traurig in die Arme der Lehrerin.

Sie weinte einfach weiter.

Und weinte.





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—> 6737 Wörter (nur der Text)

Wie hat euch der Text so gefallen?
Ich weiß, es ist kein einfaches Thema... :] :] :]



~Löwi~

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