Kapitel 97
Montag, 12. März
Ich will nach Hause. Die erste Stunde hat zwar noch nicht begonnen, aber ich habe keine Lust, da ein aggressiver und ignoranter Junge vor mir sitzen wird. Oder es geschieht ein Wunder und er kommt heute nicht und morgen und übermorgen auch nicht. Gar nicht mehr, das wäre perfekt! "Was war am Freitag los?", fragt mich Viyan. Ich schnalze mit der Zunge und verdrehe die Augen. Wenn ich schon allein an seine Augen denken muss, werde ich wütend. "Dieser Junge ist gestört, krank, dumm, einfach alles!", zische ich. Ich habe ihnen vom Vorfall am Freitag nichts erzählt und habe auch keine Lust es zu tun. "Die kommen gerade", informiert Saliha mich, woraufhin ich seufze. Wenn man vom Teufel spricht. Ramazan und Malik setzen sich vor uns und lächeln mich aufmunternd an, woraufhin ich schulterzuckend meine Augen verdrehe. Was passiert ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. "Es ist ein schöner Tag heute", kommentiert Malik, da niemand von uns redet. "Es gab schon bessere", gebe ich dezent bissig von mir und zwinge mich, nicht zu Can zu sehen und ihn mit meinen Blicken zu töten. "Die Sonne scheint heute so toll. Gelb ist eine tolle Farbe", kommt es nun von Ramazan. "Ich hasse gelb", sage ich trocken und klimpere mit meinen Nägel auf dem Metallgitter herum. "Wir haben heute Biologie", versucht Ramazan mich mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck aufzuheitern. "Can, Elif und Aleyna", gebe ich zynisch von mir und schaue nun Can giftig an, der nichts anderes tut, als mich seelenruhig anzuschauen. Kein zurück giften? Keinen Spruch ablassen? Wo ist Elif überhaupt? Hier stimmt etwas nicht. Ich schaue zu Malik, der nur mit den Schultern zuckt. Vielleicht ist Can ja krank und hoffentlich verreckt er daran. Wir erheben uns, als es klingelt und laufen zu Herrn Markus in den Raum. Im Raum angekommen setzen wir uns und schauen zu unserem Lehrer, der uns etwas sagen möchte. "Ich habe mit den Kollegen geredet und jetzt steht es fest, dass wir nach Spanien fahren. Vor den Sommerferien werde ich euch die weiteren Informationen geben und auch die Formulare, damit wir das schon einmal hinter uns haben. Zudem dachte ich mir, es wäre gut, wenn wir nach den Sommerferien mit den Planungen beginnen, sodass ihr dann keinen Stress beim Lernen für die Abschlussprüfungen habt", erzählt Herr Markus uns, dem ich aufmerksam zuhöre. "Gut, das war es nun auch. Holt bitte eure Bücher raus", sagt Herr Markus und verteilt Arbeitsblätter. Ich habe keine Lust zu arbeiten. Hätte ich die erste Stunde geschwänzt. Während des Schreibens vertue ich mich und seufze, da mich heute alles nervt. "Hat jemand Tipp-Ex?", frage ich monoton und kriege von Malik einen zugeschmissen, den ich aber dank meiner ach so tollen Fangkünste nicht fange und mich deswegen unter den Tisch bücken müsste. Die Betonung liegt auf müsste, denn Can übernimmt das Ganze für mich und hält mir den Stift hin. Mit einem etwas misstrauischen Blick nehme ich das Tipp-Ex aus seiner Hand. Nachdem ich den Korrekturstift genutzt habe, will ich ihn zu Malik schmeißen, werde aber von Can gefragt, ob ich ihn ihm geben kann, was ich dann auch tue und schreibe dann meine letzten Sätze zu Ende. Ich lehne mich nach hinten und strecke mich etwas, bevor ich gedankenverloren anfange mit meiner Unterlippe zu spielen, bis ich aus dem Augenwinkel erkenne, dass Can ebenfalls fertig ist und sich seitlich zu mir dreht. Was guckt er so? Ich lasse mich davon nicht beirren und spiele weiter, doch irgendwann wird mir sein Blick zu penetrant. "Hast du irgendein Problem?", frage ich dann endlich und schaue ihn genervt an. "Nein", gibt er ruhig von sich und schüttelt etwas verdutzt den Kopf. "Kannst du wo anders hingucken?" Can schürzt für einen Augenblick seine Lippen und nickt dann. Wieso hört er auf mich? Du warst gemein zu ihm, trichtert mir mein Unterbewusstsein ein, auf das ich nicht hören will, es mir aber nicht mehr aus dem Kopf geht. War ich wirklich gemei-, was denke ich da?! Habe ich vergessen, was er getan hat oder bin ich einfach nur blöd geworden? Ich hole aus meiner Tasche meine Flasche raus und stelle fest, dass die leer ist. Herrlich! "Saliha, hast du was zu trinken?", flüstere ich, woraufhin sie mit dem Kopf schüttelt. Einige Sekunden später steht eine große Mineralwasserflasche vor mir. Was will dieser Junge bloß? "Nein, danke", gebe ich etwas patzig von mir. "Das Wasser ist nicht vergiftet. Trink, du hast Durst", gibt er ruhig, nein sogar lieb von sich und lächelt sogar etwas. Dieser Junge ist krank geworden, aber richtig krank. Bestimmt hat er Fieber und durch das Fieber auch Halluzinationen. Mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen nehme ich die Flasche und will sie öffnen, doch dieser Junge hat sie sehr feste verschlossen, weswegen ich sie nicht aufkriege. Er bemerkt mein Problem und öffnet die Flasche mit seinem Daumen und Zeigefinger. Ich betone: Daumen und Zeigefinger. Diese Flasche hat meine Handinnenfläche zum Brennen gebracht und bei ihm scheint es wohl das einfachste der Welt zu sein. Schmunzelnd hält er mir die Flasche hin, die ich ihm stutzig entnehme, daraus trinke und die Flasche Can wieder gebe, der mich immer noch beobachtet. Habe ich irgendetwas im Gesicht? Noch fünf Minuten, dann muss ich ihn nicht mehr sehen. Ich packe schon mal meine Sachen ein und lege meinen Kopf auf den Tisch für die wenigen Minuten.
Auf den Weg zum Pädagogikunterricht kann ich nicht anders und muss Malik fragen. "Ist Can krank?", frage ich leise, was ihn lachen lässt. "Nein, wieso fragst du?" Ich zucke mit den Schultern. "Er verhält sich so komisch, so nett." Nun zuckt Malik mit den Schultern. Als ob er nichts weiß. Vielleicht weiß er ja wirklich nichts. Die ganze Pädagogik Stunde habe ich gegrübelt, warum Can solche Gesten gemacht hat. Will er irgendwelche Annäherungsversuche machen? Pff, soll er es versuchen! Er kann lange warten, nachdem was er abgezogen hat, werde ich ihm doch nicht direkt in die Arme springen. "Willst du auch was?", reißt mich jemand aus meinen Gedanken. Can, um genauer zu sein. "Was?", gebe ich etwas bissig von mir, weswegen er kurz seinen Kiefer anspannt. "Wir gehen zum Netto, möchtest du auch etwas haben?", fragt er ruhig und rau. Ich kneife für einen Augenblick meine Augen zusammen und nicke dann. "Bringt mir eine kleine Flasche Mineralwasser mit", sage ich matt, krame nach Kleingeld und will es gerade Ramazan geben, als alle drei weggehen. "Hallo? Das Geld?", rufe ich ihnen hinterher und stehe auf. "Ca-, Ramazan, Malik! Nehmt das Geld!", rufe ich und will Cans Namen nicht sagen. Diese beiden Idioten fangen wie Bekloppte an zu rennen, nur Can nicht. Das ist doch geplant! Sie wollen uns wieder zusammen bringen, natürlich! Ich renne doch jetzt nicht zu ihm und gebe ihm da Geld, aber ich will nicht, dass er für mich bezahlt - mal wieder! Toll, jetzt kämpft Stolz gegen Stolz, was soll ich tun? Ich renne verkrampft auf Can zu und halte ihn fest. Sein Grinsen sehe ich schon und senke den Blick, als er sich zu mir dreht. Schnell greife ich nach seiner warmen, großen Hand und lege das Geld da hinein, bevor ich seine Hand zu einer Faust balle und so unnötig Körperkontakt schaffe, weswegen ich schnell seine Hand schnell loslasse und zurück gehe. Das haben diese Idioten sowas von geplant! "Was war denn das?", fragt Saliha belustigt. "Frag nicht", gebe ich seufzend von mir. "Elif ist heute gar nicht gekommen", stellt Viyan fest, woraufhin Saliha nickt. "Ja, sie meint, ihr geht es nicht gut", informiert uns Saliha, die dann anfängt über ihre Punkte zu diskutieren, weil sie findet, dass sie in Französisch eine bessere Note verdient hätte. So schnell wie die Jungs gegangen sind, so schnell sind sie wieder aufgetaucht. Ich sehe keinen der Jungs an, nehme still mein Wasser entgegen und tue es in meine Tasche. Ich drehe mich um und zucke kurz zusammen, da sich Cans Hand vor meinem Gesicht befindet. Ist das da etwa mein Geld? Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und versuche nicht auszuticken. Die Jungs versuchen auch wirklich alles. "Was soll ich damit?", gebe ich matt von mir und schiebe seine Hand zur Seite. "Mit Geld kann man sich Sachen kaufen", erklärt mir Can, ohne Sarkasmus in seiner Stimme. Wo ist dieser scheiß Sarkasmus hin?! "Brauche ich nicht. Ich habe das, was ich brauche", sage ich barsch, schiebe seine Hand wieder weg, als er sie ein zweites Mal zu mir geschoben hat und laufe ins Gebäude, als es schellt. Ich laufe alleine die Treppen hoch und versuche die richtige Etage zu finden. Ich bin immer mit Ramazan gelaufen und da habe ich nie, wirklich nie auf den Weg geachtet. "Shana, eine Etage tiefer!", ruft mir Ramazan lachend zu. Also laufe ich eine Etage runter und schenke Ramazan einen mürrischen Blick, bevor ich an ihm und Can vorbeilaufe und mich an die Wand lehne.
"Redest du nicht mit mir?", fragt mich Ramazan, dem ich nicht antworte. Dieser Esel stellt sich einfach gegen mich. "Shana, rede mit mir", schmollt Ramazan und kneift mir in die Wange. Ich zucke kurz mit dem linken Mundwinkel und laufe zur Tür, als Frau Schnitzler den Raum aufschließt. "Shana", säuselt Ramazan und pikst in meine Wange. Nicht lachen, Shana. "Shana." Er pikst mir wieder in die Wange. "Shana, Shana, Shana, Shana!", grölt er jetzt, wie ein Höhlenmensch und wird von Frau Schnitzler ermahnt, weswegen ich lachen muss. "Ihr werdet ein Thema bekommen und darüber ein kurzes Referat halten. Drei Personen mindestens." Frau Schnitzler scheint wohl nicht gut gelaunt zu sein. "Nicht alle Themen basieren auf unserem jetzigen Thema. Setzt euch zu dritt zusammen und zieht ein Los." Frau Schnitzler ist gar nicht gut gelaunt und wenn sie nicht gut gelaunt ist, dann machen wir keinen richtigen Unterricht, wirklich nie. "Can! Komm her", schnurrt Ramazan, weswegen ich aufstöhne und aufstehe. "Du bleibst hier", sagt Ramazan und zieht mich am Arm zurück. "Ich will mit ihm kein Referat halten", widerspreche ich. "Shana! Setzen!", ruft Frau Schnitzler. "Ich will mich umsetzen?!", sage ich verständnislos. "Du hast Ramazan und Can als Partner." Ich will anfangen zu diskutieren, werde aber dann von hinten auf den Stuhl gedrückt, woraufhin mir dann mein Mund zugehalten wird. "Shana hat es verstanden", sagt Ramazan freundlich, während ich in seine Finger beiße. Ich entferne seine Hand und beleidige diese Frau von A bis Z in meinen Gedanken. Blöde, alte Schachtel. Can kommt zu uns an den Tisch und lächelt. Das sehe ich zumindest aus dem Augenwinkel. Ganz ruhig bleiben, Shana. Noch sechs Stunden, dann kann ich endlich nach Hause! Die miesepetrige Biologielehrerin kommt zu uns, damit wir ein Los ziehen können. Schnell greife ich zu und ziehe das Herz als Thema. "Wir haben das Herz", informiere ich die beiden und spiele an meinen Haaren. "Du hast schöne Haare", sagt Ramazan grinsend und wuschelt in meinen Haaren herum. "Ramazan!", meckere ich und versuche eine Strähne, die sich in meinem Ohrring verfangen hat zu entwirren. "Lass mich mal", sagt Can sanft und will mir helfen, doch ich weiche zurück. "Nein, brauchst du nicht", lehne ich ab und mache weiter, bis Ramazan sich an mich schmiegt und meine Arme runterdrückt, woraufhin Can sich um meine Strähne kümmert. "Ramazan, ich bring dich um!", zische ich und versuche die Gänsehaut zu ignorieren, die durch Cans Berührungen entsteht. "Ich liebe dich auch." Sie wollen mich ernsthaft dazu bringen, mich mit Can zu vertragen. Solange er sich nicht aufrichtig entschuldigt, wird gar nichts passieren. Aber, als ob Can sich entschuldigt. Ich habe keine Lust auf Sport. Mit Sport verbinde ich keine positiven Ereignisse und das wird für eine Zeit auch so bleiben. Mir wird von jemanden die Tür aufgehalten, bei dem ich mich nicht bedanke, da ich weiß, dass es sich um Can handelt. Diese kleinen Gesten sind irgendwie süß, aber ich will es ihm nicht so einfach machen. Ich will ihm eigentlich gar nicht verzeihen, aber ich weiß, dass wir uns eh wieder irgendwie vertragen werden.
Nach den letzten vier Stunden, in denen alles unauffällig verlief, fahre ich nach Hause und schmeiße mich direkt in mein Bett. Dieses Jahr ist so verdammt komisch! Voller Emotionen und das kann nicht gut enden. Wieso will Can sich mit mir vertragen? Er hat mich doch angeschrien und mich beschuldigt, wieso kommt er dann wieder zu mir? Und was zum Teufel haben die Jungs noch vor? Ich verstehe diesen Jungen immer noch nicht und will immer noch seine Gedanken lesen können. Was genau denkt er jetzt in diesem Moment? Was hat er gedacht, als wir uns gestritten haben und wie hat er sich gefühlt, als ich ihm gesagt habe, dass ich ihn hasse? Dieses Jahr wird viel neues mit sich bringen und irgendwie möchte ich das nicht, aber irgendwie habe ich Hoffnungen, dass es etwas Gutes sein wird. Zu allem Bösen, gibt es etwas Gutes.
Hoffen wir auf das Beste.
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