✿Lithsexualität✿
,,Komm jetzt, wir müssen langsam los!", rief Aisha aus dem Erdgeschoss nach oben. Genervt schnaubte Victoria und trug noch den Rest ihres Lippenstiftes vor dem Spiegel auf, bevor sie schließlich mit ihrer Handtasche in der Hand die Treppe herunter stieg.
,,Papa, wir sind dann weg!", rief sie in Richtung Wohnzimmer und hörte die Stimme ihres Vaters sogleich antworten:,,Ist gut, viel Spaß. Aber übertreibt es nicht und schreib mir, wenn du dich auf den Rückweg machst."
,,Mach ich!", erwiderte Victoria, zog ihre Schuhe an und verließ dann mit ihrer besten Freundin das Haus. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Bushaltstelle und fuhren damit an den Stadtrand, wo Samuel, ein Freund und Mitschüler der beiden wohnte.
Er feierte heute seinen achtzehnten Geburtstag und deshalb hatten seine Eltern, die ein großes Haus besaßen, ihm erlaubt, dort eine Party zu schmeißen. ,,Was meinst du, wieviele Leute da sein werden?", fragte Victoria Aisha, nachdem sie aus dem Bus gestiegen waren und die letzten Minuten zu Samuels Haus zu Fuß zurück legten.
,,Eine Menge!", antwortete ihre beste Freundin. ,,Ich hab gehört, er hätte fast die ganze Stufe und noch ein paar andere Leute eingeladen. Das kann ich mir ehrlich gesagt auch vorstellen. Man wird schließlich nur einmal achtzehn!"
,,Stimmt, aber wir haben auch nicht so groß gefeiert, als wir achtzehn geworden sind. Ich frage mich, ob das wirklich nötig ist.", entgegnete Victoria. Aisha zuckte mit den Schultern.
,,Aber nur, weil wir nicht so viel Platz und Geld haben wie Samuels Familie. Wenn er es will, kann er es doch machen. Und ich finde: je größer die Party, desto mehr Leute kann man kennenlernen."
Victoria lachte:,,Bist du etwas schon wieder auf der Suche?" ,,Nicht nach was festem, aber ein bisschen Spaß haben kann man ja. Dafür sind solche Partys schließlich auch da. Solltest du auch Mal ausprobieren.", meinte ihre beste Freundin und Victoria wusste, dass sie es absolut ernst meinte.
Aisha hatte bereits eine kurze Beziehung gehabt, als sie sechzehn gewesen war und ließ sich auf Partys gelegentlich mit attraktiven Typen ein. Victoria störte das nicht, sollte ihre beste Freundin ruhig ihren Spaß haben, schließlich war Aisha auch ein Jahr älter als sie und wusste in der Regel, was sie tat.
Victoria's eigenes Liebes- und Sexleben hingegen war jedoch deutlich langweiliger, eigentlich war es sogar nicht existent.
Zwar fand sie auf manchen Partys immer wieder Jungen verdammt attraktiv und dachte auch gelegentlich darüber nach, Sex mit ihnen zu haben, aber dennoch war es bis jetzt nie zu Knutscherein, geschweige denn sexuellen Handlungen gekommen.
Das störte Victoria nicht sonderlich, aber dennoch schien sie damit im Vergleich zu vielen ihrer Altersgenossen weit zurück zu hängen. Tatsächlich beobachtete sie entsprechende Typen eher aus der Ferne oder unterhielt sich ganz normal mit ihnen.
Eigentlich musste sie ihre Vorstellungen gar nicht unbedingt ausleben. Sie war so auch ziemlich zufrieden.
Aber dennoch war sie erst einmal offen für alles, vielleicht würde ja auf dieser Party etwas passieren. ,,Mal schauen, wie sich die Dinge entwickeln.", antwortete Victoria.
,,Ich muss mich aber nicht so zurückhalten, wie du, oder?", fragte Aisha scherzhaft. ,,Natürlich nicht, mach worauf du Bock hast!", lachte Victoria. Schließlich kamen sie am Haus von Samuel an, wo dessen bester Freund Max gerade ein paar ihrer Mitschülern hereinließ.
,,Hey, Max, wo ist das Geburtstagskind?", fragte Aisha grinsend, als sie vor der Haustür standen. ,,Drinnen, ich glaube er wollte ein paar Leute herumführen. Da habe ich hier für ihn übernommen.", erklärte Max, während die beiden an ihm vorbei in das Haus gingen.
,,Na dann suchen wir ihn Mal, bis später.", rief Victoria und bahnte sich dann mit ihrer besten Freundin einen Weg durch die Menschengruppen, die sich bereits gebildet hatten und den Durchgang blockierten. Tatsächlich fanden sie Samuel kurz darauf im Garten, gratulierten ihm dann und übergaben ihre Geschenke.
Er schien sich sehr über ihr Kommen zu freuen, aber gleichzeitig ein wenig überfordert mit den vielen Gästen zu sein. Auf Nachfrage der beiden Mädchen, ob sie ihm irgendwie helfen konnten, lehnte er jedoch ab.
Also drängten sie sich wieder nach drinnen und wollten sich etwas zu trinken holen. ,,Meine Güte, so viel Alkohol.", meinte Victoria als sie den Tisch mit Getränken erreicht hatten. ,,Ich hab da eigentlich nichts gegen.", sagte Aisha grinsend und nahm sich ein Bier.
Ihre beste Freundin ließ es eher langsam angehen und entschied sich zuerst für ein Glas Cola. Dann folgten sie dem Klang der Musik in das riesige Wohnzimmer und die Feier nahm ihren Lauf.
Sie tanzten, lachten und unterhielten sich mit Menschen, die sie vorher noch nie gesehen hatten. Nach einer Weile setzte sich Victoria auf ein Sofa um kurz zu verschnaufen und hielt Aisha einen Platz frei, die erneut Getränke für die beiden holen wollte.
Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen und entdeckte mehrere Meter weiter einen ziemlich attraktiven Jungen. Er hatte blondes kurzes Haar, war schlank und schien ungefähr so groß wie sie selbst zu sein.
Victoria war begeistert. Verträumt beobachtete sie ihn ein paar Minuten und stellte sich vor, wie sein Körper wohl unter dem karierten Flanellhemd und der weiten Jeans aussah.
,,Na, wäre der was für dich?", meinte Aisha, die plötzlich wieder neben ihr stand. ,,Vielleicht, warum eigentlich nicht?", murmelte Victoria immer noch ein wenig in Gedanken, während sie den Becher annahm, den ihre beste Freundin ihr reichte.
,,Trink aus und dann sprichst du ihn an.", schlug sie ermutigend vor und Victoria nickte, bevor sie fragte:,,Und du? Ist dir auch schon jemand ins Auge gesprungen?"
,,Einer, aber der schien nicht wirklich an mir interessiert zu sein.", antwortete Aisha und ohne darüber nach zu denken fragte Victoria, was daran denn so schlimm sei.
Ihre beste Freundin sah sie nur verwirrt an und da begriff sie schon, wie unlogisch dieser Gedanke gewesen war. Trotzdem war er irgendwie intuitiv in ihrem Kopf aufgetaucht und jetzt wunderte sie sich selbst darüber.
Sie hatte eben kein Problem damit, wenn jemand den sie attraktiv fand, nichts von ihr wollte. Aber für Aisha und vermutlich jede andere Person war das sehr wohl ein Problem. Denn schließlich war für Sex beidseitiges Interesse von Nöten.
,,Ach, Vergiss es.", murmelte Victoria, während sie versuchte, diese seltsamen Gedankengänge zu vertreiben und kippte den Rest ihres Bieres in einem herunter. Dann stellte sie den Becher zur Seite und stand vom Sofa auf.
,,Schnapp ihn dir!", rief Aisha ihr motivierend hinterher. Also lief Victoria in Richtung des Jungen, der inmitten einer Gruppe aus Jugendlichen, die sie nicht kannte, tanzte.
Zuerst tanzte sie nur in seiner Nähe und wartete darauf, dass er sie bemerkte. Das schien tatsächlich auch der Fall zu sein und schließlich traute sie sich, ihn anzusprechen.
Die beiden kamen ins Gespräch und mit jeder Sekunde fand sie den Jungen, der sich mittlerweile als Florian vorgestellt hatte, immer attraktiver. Sie bemerkte seine leicht muskulösen Arme, einen rasierten Bartansatz an seinem Kinn und vor allem wie cool und sympathisch er mit ihr umging.
Schließlich zog Florian sie aus der Menschenmenge heraus und gemeinsam gingen sie in den Garten, wo deutlich weniger los war als im Haus. Auf dem Weg entdeckte sie auch Aisha, die auf dem Boden in einem Sitzkreis mit anderen Jungen und Mädchen saß.
Draußen angekommen nahm Florian auf einer kleinen Steinmauer Platz und Victoria setze sich so nah wie möglich neben ihm. Sie genoss seine Gesellschaft und die Nähe zu seinem verdammt attraktiven Körper.
War er vielleicht der Junge, mit dem sie das erste Mal auf einer Party Sex haben würde? Mittlerweile hatte Victoria auch schon etwas mehr Alkohol intus, was dazu beitrug, dass sie sich schließlich traute, ihre Gefühle ihm gegenüber zu benennen.
,,Du bist vermutlich der heißeste Typ, dem ich seit langem begegnet bin.", meinte sie mit einer Flirtstimme, die sie sonst noch nie so benutzt hatte. Florian grinste. ,,Das kann ich nur erwidern. Ich habe schon lang keinen so attraktiven Körper mehr gesehen, ich frage mich, wie er wohl ohne Kleidung aussieht."
Er griff in seine Hosentasche und zog ein kleines quadratisches Plastikpäckchen heraus.
Er wollte mit ihr schlafen, Florian fand sie genauso anziehend wie sie ihn. Eigentlich müsste sie sich freuen.
Doch es war, als wäre ihre gesamte sexuelle Anziehung zu ihm von einem auf den anderen Moment verschwunden. Victoria wusste nicht warum, doch der Gedanke, dass er ihre Anziehung erwiderte, stieß sie zu tiefst ab.
Sie rückte von ihm ab und stand auf. ,,Tut mir leid, das geht nicht.", meinte sie und lief davon. Florian sah sie mit einem verwirrten Blick an, doch auch wenn Victoria in diesem Moment nur weg wollte, war ihre eigene Verwirrung vermutlich dreimal so groß, wie seine.
Wieder drinnen im Haus, suchte sie sich eine ruhige Ecke, was gar nicht so einfach war und atmete tief durch. So froh sie auch war, der Situation entkommen zu sein, nun fühlte sich Victoria unheimlich schlecht, dass sie ihn ohne wirklichen Grund sitzen gelassen hatte.
Florian hatte es nicht verdient, dass sie ihn so verarschte. Aber eigentlich hatte sie das ja gar nicht, Victoria hatte ihn wirklich verdammt toll und attraktiv gefunden und nie darüber nachgedacht, ihm einen Korb zu geben.
Ihre Anziehung war ganz plötzlich verschwunden, sie konnte es sich selbst nicht erklären.
Eigentlich war Florian ein ziemlich toller Typ, es gab keinen rationale Grund, warum sie ihn so plötzlich nicht mehr anziehend finden könnte.
Und doch war es passiert.
Was war los mit ihr?
Wieso konnte sie sich nicht einfach auf einen netten, attraktiven Jungen wie ihn einlassen? Warum musste sie sich das Leben selbst immer so schwer machen?
Hatte sie Bindungsängste? Oder simmte etwas nicht mit ihr?
Tausend Gedanken und Fragen strömten durch Victorias Kopf. Florian hatte nichts falsch gemacht, absolut rein gar nichts, er hatte eigentlich doch sogar genau das getan, was jeder vernünftige Mensch sich in so einer Situation wünschen würde.
Und eigentlich hatte Victoria geglaubt, dass sie selbst sich auch genau das gewünscht hatte. Aber irgendetwas hatte nicht gepasst und sie wollte unbedingt herausfinden, was das war.
Sie wollte ihre Gefühle verstehen, sie musste es, um mit sich selbst wieder im Reinen zu sein, denn irgendeine Sache unterschied sie von vermutlich allen anderen Menschen auf dieser Party.
Sie wusste nur noch nicht genau, was genau es war.
Also entschied sie, dass es an der Zeit war, diese Feier zu verlassen. Hier konnte sie nicht in Ruhe nachdenken und gleichzeitig würde sie an diesem Abend vermutlich keinen Spaß mehr haben, wenn sich ständig all diese Fragen in ihrem Kopf tummelten und sie alles in Frage stellte, was sie bis jetzt gegenüber Jungen empfunden hatte.
Also machte sie sich auf die Suche nach Samuel und Aisha, zumindest von den beiden wollte Victoria sich verabschieden. Den Gastgeber fand sie in Wohnzimmer mit mehreren Leuten um den Couchtisch sitzend.
,,Hey, Samy, ich würde jetzt wahrscheinlich gehen.", sagte Victoria, nachdem sie Samuel auf die Schulter getippt und er sich zu ihr umgedreht hatte. ,,Was, jetzt schon? Ist alles okay?", wunderte er sich.
Sie hatte keine Lust auf große Erklärungen, deshalb entschied sich Victoria für eine kleine Notlüge:,,Naja, ich fühle mich um ehrlich zu sein nicht so gut. Aber die Party war wirklich toll, ich gehe einfach lieber nach Hause und Ruhe mich aus. Viel Spaß noch und danke für die Einladung!"
,,Oh, dann ist es wahrscheinlich besser, wenn du gehst. Gute Besserung.", verabschiedete sich Samuel.
,,Danke, bis dann.", erwiderte Victoria, während sie sich schon nach Aisha umsah.
Ihre beste Freundin fand sie schließlich am Getränketisch mit einem großen, hübschen Asiaten, bei dem sie sicher war, ihn schon einmal gesehen zu haben. ,,Oh, hey, da bist du ja wieder!", begrüßte Aisha sie fröhlich und man merkte ihr an, dass sie bereits ein wenig betrunken war.
,,Ich bin gleich wieder da.", murmelte sie dem Jungen zu, ging dann mit Victoria ein paar Schritte weiter und wollte wissen:,,Wie lief es mit deinem Traumprinzen?"
,,Am Anfang echt toll, aber... Um ehrlich zu sein fühle ich mich nicht so gut und würde lieber nach Hause.", antwortete sie.
Aisha legte den Kopf schief. ,,Das es dir schlecht geht, glaube ich dir nicht, aber wenn du willst erzähle ich es allen, die nach dir fragen. Und morgen sagst du mir dann, was los ist." Victoria musste ein bisschen lächeln. ,,Danke."
,,Kein Ding, dann ab nach Hause mit dir.", grinste Aisha. ,,Alles klar, viel Spaß noch.", verabschiedete sie sich schließlich auch von ihrer besten Freundin, die mit den Worten "Werde ich haben!", wieder zu dem Jungen zurück ging.
Dann verließ Victoria endlich das große Haus und traf auf dem Weg nach draußen zum Glück niemanden mehr, der sie fragte, was los war. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie sich sehr beeilen oder sehr lange warten müsste, um den nächsten Bus zu erwischen.
Victoria entschied sich dafür, ein Stück zu rennen und war in diesem Moment froh darüber, keine hohen Schuhe angezogen zu haben.
Tatsächlich verspätete der Bus sich um ein paar Minuten und es stellte sich heraus, dass sie sich die Eile hätte sparen können, doch sie war trotzdem froh, schließlich in das große, fast leere Verkehrsmittel steigen zu können.
Sobald sie einen Sitzplatz gefunden hatte, zog Victoria wieder ihr Handy heraus, und schrieb ihrem Vater, dass sie sich auf den Rückweg gemacht hatte. Dann öffnete sie Google, doch hielt einen Moment inne.
Als sie sich entschieden hatte, wie sie ihr Problem ausdrücken wollte, gab sie es in die Suchleiste ein und stürzte sich auf alles, was sie finden konnte. Doch meistens war Victoria nicht wirklich zufrieden mit dem, was sie fand, oder es passte einfach nicht zu ihr.
Manche Internetseiten sagten ihr, dass sie tatsächlich eine Persönlichkeitsstörung hatte, doch dem schenkte sie nicht allzu viel Glauben, da viele der Symptome doch nicht wirklich auf sie zutrafen.
Mehrmals versuchte sie, ihr Anliegen unzuformulieren, um andere Antworten zu erhalten. Von ,,Wieso finde ich ihn auf einmal nicht mehr attraktiv?" über ,,Meine Gefühle verschwinden ohne wirklichen Grund" bis zu ,,Er mag mich, aber ich ihn plötzlich nicht mehr." war alles dabei und sie kam sich selbst teilweise etwas lächerlich dabei vor.
Erst, als der Bus an ihrer Haltestelle angehalten hatte und Victoria aussteigen musste, fand sie etwas interessantes, das bei ihrer bisherigen Suche noch nicht aufgetaucht war.
Sie öffnete die Internetseite und las den Anfang des ersten Satzes:,,Lithsexualität ist eine sexuelle Orientierung auf dem asexuellen..." Verwirrt runzelte Victoria die Stirn und hörte auf zu lesen.
Nein, das konnte nicht stimmen. Sie wusste, dass ihre sexuelle Orientierung heterosexuell war. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich zu einem anderen Geschlecht als dem männlichen hingezogen gefühlt.
Das Internet hatte sich sicherlich geirrt. Sie wollte den Tab schließen und ihre Suche fortsetzen, doch irgendwie interessierte sie die sexuelle Orientierung auf die sie gestoßen war, jetzt schon irgendwie.
Zumindest war es das erste Ergebnis, das ihr nicht sagte, sie solle etwas an sich ändern, müsse ihre Ängste überwinden oder psychologische Hilfe aufsuchen. Vielleicht war es doch noch einen Versuch wert.
Mittlerweile war sie aber fast wieder Zuhause angekommen. Also schaltete Victoria ihr Handy kurz wieder aus und beschloss, zuerst nach Hause zu gehen, bevor sie sich genauer damit auseinander setzte. Als sie die Haustür aufschloss wurde sie überrascht von ihrem Vater begrüßt.
,,Hast du meine Nachricht nicht gelesen?", wunderte sie sich, aber er meinte:,,Doch, habe ich. Aber sonst kommst du nie so früh von Partys wieder. Ist etwas passiert?"
Victoria hatte das starke Bedürfnis, ihm die Wahrheit zu sagen, doch so lange sie nicht genau wusste, was mit ihr los war und was ihre Gefühle zu bedeuten hatten, hielt sie es für das Klügste, den Vorfall vorerst für sich zu behalten.
,,Nein, eigentlich nicht. Ich bin nur sehr müde und fühle mich nicht so gut, ich glaube, ich gehe direkt ins Bett.", log sie und ging dann schnell die Treppe nach oben in ihr Zimmer. ,,Okay, dann gute Nacht, Schatz.", rief ihr Vater ihr, bevor sie seine Schritte in Richtung Wohnzimmer verschwinden hören konnte.
Nachdem sie ihre Zimmertür verschlossen hatte, ließ sie sich auf ihr Bett fallen und schaltete ihr Handy wieder an. Dann las sie die gesamte Definition von "Lithsexualität" und fand sich darin überraschenderweise fast vollständig wieder.
Wenn sie tatsächlich lithsexuell war, würde das so einiges erklären. Zwar war sie sich noch nicht hundertprozentig sicher, schließlich hatte sie gerade erst von diesem Begriff erfahren, aber er beschrieb ihre Gefühle fast perfekt.
Wie Victoria gerade erfahren hatte, bezeichnete Lithsexualität Menschen, die sich keine Erwiderung ihrer sexuellem Anziehung zu jemandem wünschten und manche sogar ihre Gefühle für eine Person verlieren konnten, wenn diese das selbe fühlte.
Nun wurde ihr klar, dass sie genau das im Grunde immer empfunden hatte, nur eben unterbewusst und ohne es wirklich zu verstehen. Dies war der Grund dafür, dass sie attraktive Jungen auch gerne aus der Ferne betrachtete und gar nicht unbedingt mit ihnen interagieren wollte.
Dies war der Grund dafür, warum sie plötzlich keinerlei Bedürfnis oder Gedanken mehr daran gehabt hatte, mit Florian zu schlafen, als sie erfuhr, dass er genau das von ihr wollte. Dass er sie attraktiv fand und sich zu ihr hingezogen fühlte.
Jetzt machte alles so viel mehr Sinn.
Doch Victoria hatte sich schon immer zu viele Gedanken gemacht, oft war sie von Aisha und auch ihrer eigenen Familie als "Overthinkerin" bezeichnet worden. Und das auch aus gutem Grund, denn schon machten sich neue Fragen und verwirrende Einfälle in ihrem Kopf breit.
Beim Verlieben zum Beispiel war es nie so gewesen, dass sie sich keine Erwiderung ihrer Gefühle gewünscht hatte und verloren hatte sie diese auch nicht, als ihr damaliger Schwarm ihr vor zwei Jahren gesagt hatte, dass er sie auch mochte. Obwohl aus ihnen letztendlich nie ein Paar geworden war, war Victoria unheimlich glücklich gewesen, als sie erfahren hatte, dass er dasselbe empfand.
Passte denn der Begriff lithsexuell dann überhaupt zu ihr?
Und noch mehr: Konnte sie überhaupt heterosexuell sein, wenn sie lithsexuell war? Konnte man zwei sexuelle Orientierungen haben?
Sie merkte, wie sie sich erneut in die Sache hineinsteigerte und fand nach zwanzig Minuten intensiver Recherche endlich die erfreuliche Antwort: Ja, all das war der Fall.
Offenbar bezog sich Lithsexualität tatsächlich nur auf die sexuelle Anziehung und hatte nichts mit romantischer Liebe zu tun. Und genauso konnte sie sowohl lithsexuell als auch heterosexuell sein, weil diese beiden Begriffe vollkommen unabhängig voneinander ihre sexuelle Orientierung beschrieben.
Endlich konnte sie wieder tief durchatmen und freute sich über das erleichternde Gefühl, endlich zu wissen, was es mit ihrem Empfinden und Verhalten auf sich gehabt hatte. Sie war nunmal sehr wahrscheinlich lithsexuell und dass ein einziges Wort, wie dieses, sie eines Tages so freuen und ihr Leben so viel leichter machen würde, hätte Victoria nie gedacht.
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