✿Greyromantik✿
,,Tim, bitte, komm schon. Du hast doch am Samstag sowieso nichts zu tun.", versuchte sein bester Freund Aaron ihn zu überreden. ,,Ich weiß nicht, bin ich da nicht irgendwie fehl am Platz?", murmelte Tim.
Vor wenigen Minuten hatte sein bester Freund ihm vorgeschlagen, ihn auf einen CSD am morgigen Tag mitzunehmen. Sein langjähriger bester Freund Aaron war schwul und wollte die Parade unbedingt besuchen.
Mit der Homosexualität seines besten Freundes hatte Tim keineswegs ein Problem. Als er sich vor drei Jahren bei ihm geoutet hatte, hatte sich an ihrer Freundschaft nichts geändert, auch wenn Tim anfangs nicht ganz gewusst hatte, wie er damit umgehen sollte.
Doch mittlerweile unterstützte er Aaron vollkommen und hatte über ihn bereits noch andere queere Menschen kennengelernt. Aber darüber, ob er wirklich zu so einer Parade wollte, war sich Tim etwas unsicher.
Er hatte keine Ahnung wie so ein CSD ablief. ,,Nein, du bist überhaupt nicht fehl am Platz. Jeder kann da mitlaufen, solange er nicht homophob oder transphob ist. Und es macht immer sehr viel Spaß.", antwortete Aaron.
,,Aber ich bin sowas von straight, das ist doch eigentlich mehr für queere Leute, oder?" hakte Tim nach. Er war noch nicht wirklich überzeugt.
,,Ursprünglich schon, aber es kann, wie gesagt, eigentlich jeder kommen. Auch Heteros die uns unterstützen sind immer willkommen, tatsächlich freuen sich die meisten Leute sogar sehr darüber.", meinte Aaron und als Tim darauf nichts erwiderte, fuhr er fort:
,,Kiara kommt auch mit, ihr versteht euch doch gut. Es wird sicher cool und falls es dir doch nicht gefällt, werde ich dich auch nie wieder bitten, mitzukommen. Versprochen. Um 11 Uhr geht es los, wir holen dich eine Stunde vorher ab, okay?"
,,Aaron, ich hab doch noch gar nicht zugestimmt-", protestierte Tim doch sein bester Freund verabschiedete sich und keine Sekunde später legte dieser auf.
Tim seuftzte und legte sein Handy zur Seite. Er wusste noch immer nicht, was er beim Gedanken an den morgigen CSD fühlen sollte.
Doch womöglich hatte sein bester Freund ja Recht und es würde ihm tatsächlich Spaß machen. Aber was machte man auf so einem CSD überhaupt? Tim kannte nur Bilder, auf denen Menschen Regenbogenflaggen und die verschiedensten anderen Fahnen schwenkten.
Das konnte ja nicht alles sein.
Er versuchte sich selbst zu beruhigen. Es würde schon alles gut gehen und er entschied, sich darauf einzulassen, wenn er Aaron damit eine Freude machen könnte.
Ein Blick auf die Uhr zeigte Tim, dass es schon sehr spät war. Eigentlich hatte er schon vor einer halben Stunde ins Bett gehen wollen, doch dann hatte Aaron ihn angerufen. Wenn er ihn und Kiara morgen tatsächlich auf die Parade begleiten wollte, sollte Tim wohl besser ins Bett gehen.
Und nachdem er sich umgezogen, seine Zähne geputzt und seinen Wecker auf neun Uhr gestellt hatte, tat er das auch. Eine Weile lag er noch wach und grübelte über das Ereignis des nächsten Tages, doch glücklicherweise schaffte er es irgendwann, einzuschlafen.
Doch kaum war Tim am nächsten Morgen dank seines Weckerklingelns um kurz nach neun aufgewacht, schlichen sich wieder die seltsamen Gedanken vom Abend zuvor in seinen Kopf.
Er versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren, aber als er sich angezogen, gefrühstückt und daraufhin gemerkt hatte, dass es erst Viertel vor zehn war, konnte er sie nicht länger verdrängen.
Tim war sich sicher, dass er heterosexuell war. Und zwar zu einhundert Prozent. Noch nie hatte er sich zu einem Jungen hingezogen gefühlt und eigentlich wunderte es ihn, dass diese Zweifel ihn jetzt ganz plötzlich plagten.
Er war ein ganz normaler, siebzehnjähriger Hetero-Typ. Zwar hatte er sich noch nicht oft in Mädchen verliebt, wirklich starke Gefühle für sie oder den Wunsch nach einer Beziehung hatte er ebenfalls meist nie entwickelt.
Aber das spielte doch eigentlich keine Rolle. Oder etwa doch?
Trotzdem wusste er, dass er sich sowohl romantisch als auch sexuell nur zum weiblichen Geschlecht hingezogen fühlen konnte.
Nur war zumindest Ersteres bis jetzt kaum oder nicht besonders stark bei ihm vorgekommen. War er einfach zu wählerisch und hatte zu hohe Standards?
Aufgrund seiner meist schwachen Anziehung hatte sich Tim bis jetzt auch noch nie wirklich eine Beziehung gewünscht. Hatte er Bindungsängste oder so etwas in der Art?
Und trotzdem wusste er, dass er sich, wenn überhaupt, nur in Mädchen verlieben konnte.
Was das Thema Sex anging, bezog sich seine Anziehung zwar ebenfalls definitiv nur auf Mädchen, aber in diesem Bereich spürte er meist viel schneller viel Mehr.
Bis jetzt hatte Tim auch noch keinen Sex gehabt. Einerseits, weil es nunmal sein erstes Mal sein würde und er unsicher war, andererseits, weil er eben keine Beziehung und somit keine Freundin hatte, mit der er hätte schlafen können.
Er fühlte zwar grundsätzlich zu den verschiedensten Mädchen hin und wieder sexuelle Anziehung, aber seine romantische Anziehung zu ihnen oder zum weiblichen Geschlecht generell, hielt sich deutlich in Grenzen.
Er wollte nicht so ein typischer "Fuckboy" werden und fühlte sich fast schlecht, weil er sich nicht einfach ganz normal verlieben konnte. Eigentlich konnte er es ja schon, aber aus unerfindlichen Gründen passierte das nur sehr selten und dann waren seine Gefühle nie besonders stark.
Um sich nicht noch mehr in diese Gedanken hineinzusteigern, ging Tim zurück in sein Zimmer und packte einen kleinen Rucksack. Viel nahm er nicht mit, schließlich wusste er auch nicht, was genau ihn erwarten würde.
Aber sein Handy, seinen Haustürschlüssel, sein Portemonnaie und eine Flasche Wasser würde er auf jeden Fall mitnehmen. Da es Juni und dementsprechend sehr warm war, verzichtete er auf eine Jacke und hoffte, dass er in seiner kurzen Jeans und dem T-Shirt nicht schwitzen würde.
Mit dem Rucksack über der Schulter ging Tim nun zurück in den Flur, wo er anfing, seine Schuhe anzuziehen. Glücklicherweise klingelte es kurz darauf schon an der Tür.
Tim sagte seiner Mutter, die gerade aus der Küche kam, bescheid, dass er verabredet war und öffnete dann die Haustür. Draußen standen sein bester Freund und dessen gute Freundin Kiara, mit der sich Tim selbst auch gut verstand, auch wenn die beiden wenig miteinander zu tun hatten.
,,Bist du bereit für deinen ersten CSD?", grinste Aaron und Tim zuckte mit den Schultern. ,,Keine Ahnung. Bereit bin ich eher nicht, aber auf jeden Fall gespannt, wie es wird.", antwortete er wahrheitsgemäß.
,,Keine Sorge, die Leute da sind alle ganz lieb. Und wir passen schon auf dich auf.", meinte Kiara und lachte. Tim rollte mit den Augen und ging nicht darauf ein, sondern fragte stattdessen:,,Wo genau müssen wir denn hin?"
Aaron zog sein Handy hervor und schien darauf nach etwas zu suchen. Dann hielt er Tim den Handybildschirm vors Gesicht. Darauf befand sich ein Stadtplan, auf dem mit rot eine Route eingezeichnet war und dessen Anfang durch einen dicken, roten Punkt gekennzeichnet war.
,,Da geht es los.", antwortete Aaron und zeigte auf den Punkt.
,,Zu Fuß brauchen wir... velleicht eine halbe Stunde.", überlegte Tim. ,,Wieso holt ihr mich dann so früh ab, wenn es eigentlich erst um elf losgeht?"
,,Abgesehen davon, dass wir nicht zu spät kommen wollen, bin ich dort auch noch mit jemand anderem verabredet und meistens dauert es ein bisschen, bis man sich gefunden hat.", erklärte Kiara und fügte hinzu:,,Deshalb sollten wir vielleicht langsam mal los."
Aaron nickte zustimmend und gemeinsam setzten sie sich in Bewegung. Erst jetzt schenkte Tim der Kleidung der beiden genauere Beachtung. Sein bester Freund trug zusätzlich zu einer normalen Shorts und einem T-Shirt helle Turnschuhe aus denen oben weiße Socken mit Regenbogen-Rand hervorragten.
Auf dem Rücken trug er einen kleinen Rucksack an dem oben eine große Regenbogenfahne befestigt war, so dass sie hinter ihm her wehte. Kiara war fast noch bunter gekleidet.
Zwar trug sie ein schwarzes ärmelloses Top und eine schwarze, kurze Hose doch diese hatte sie mit einem regenbogenfarbenen Gürtel befestigt. Außerdem hing über ihrer Schulter eine regenbogenfarbene Tasche und um ihre Hüfte hatte sie sich eine etwas kleinere Fahne gebunden.
Diese war jedoch keine typische Regenbogenflagge sondern bestand aus den Farben rosa, pink, lila, dunkelblau und hellblau. Tim überlegte, aber wusste nicht, was diese Farbkombination bedeutete. Sehr viele verschiedene Pride-flaggen kannte er aber auch nicht.
,,Was ist das eigentlich für eine Flagge, die du da hast? Ist das die für Bisexualität?", traute er sich schließlich zu fragen und glaubte, sich zu erinnern dass die Bisexuelle Flagge auch aus pinke, lilafarbene und blaue Streifen besaß.
Kiara schüttelte den Kopf. ,,Nein, Omnisexualität." Tim war verwirrt. Davon hatte er bereits gehört, aber was dieser Begriff bedeutete, wusste er nicht.
,,Du weißt nicht, was das ist, oder?", meinte Aaron grinsend und Tim nickte. ,,Es bedeutet im Grunde, dass man auf alle Geschlechter steht.", antwortete Kiara kurz und knapp, aber Tim wunderte sich. ,,Ich dachte, das hieße pansexuell."
Kiara stieß einen Laut aus, der wie genervtes Stöhnen klang. ,,Ihr glaubt nicht, wie oft ich diese Unterhaltung schon führen musste. Aaron, du darfst." Dieser lachte und wandte sich seinem besten Freund zu.
,,Also, der Unterschied ist folgender. Pansexuelle stehen nur auf den Charakter und eigentlich spielt das Geschlecht für sie gar keine Rolle, da sie sich zu allen Geschlechtern hingezogen fühlen können. Bei Omnisexualität hingegen spielt das Geschlecht für die Anziehung eine Rolle, auch, wenn man grundsätzlich ebenfalls auf alle steht, und Omnisexuelle können auch geschlechtliche Präferenzen haben. Das war jetzt die Kurzversion. Hast du es verstanden, oder muss ich noch weiter ausholen?", wollte er von Tim wissen.
Dieser verneinte, während er sich die Erklärung nochmal durch den Kopf gehen ließ. ,,Nein, es macht schon irgendwie Sinn." ,,Gut, aber das wird wahrscheinlich nicht das letzte sein, was wir heute werden erklären müssen.", meinte Kiara.
,,Du meinst, was DU heute wirst erklären müssen. Ich bin auch kein absoluter Experte, ich kenne nur die Basics.", meinte Aaron mit einem halb entschuldigenden, halb neckenden Grinsen.
,,Wir treffen bestimmt noch genug andere queere Personen, die Lust haben für Tim Lexikon zu spielen.", erwiderte Kiara. ,,War es eure Absicht, dass ich mich jetzt verdammt dumm fühle?", fragte Tim und sah sie prüfend an.
Aaron und Kiara lachten. ,,Nein, eigentlich nicht, aber du wirst hier heute vermutlich seeeehr viele neue Begriffe kennenlernen.", antwortete sie. ,,Und Flaggen wahrscheinlich auch.", fügte Aaron hinzu.
Tatsächlich hatte er damit nicht ganz unrecht. Denn seit ein paar Minuten entdeckte Tim hin und wieder immer mehr Menschen, die mit Regenbogenflaggen oder anderen bunten Fahnen geschmückt waren.
Die meisten Farbkombinationen sagten ihm tatsächlichen absolut gar nichts und wie erwartet fühlte sich Tim ein wenig fehl am Platz. Wahrscheinlich würde er der einzige sein, der von alldem so gut wie keine Ahnung hatte.
Aber jetzt war er schon hier und er hatte bereits zugestimmt, also wollte er keinen Rückzieher machen. Sie gingen weiter und irgendwann konnte er in der Ferne eine Ansammlung von Menschen und tausend Farben erkennen. ,,Sind wir schon da?", erkundigte er sich.
Aaron nickte. ,,Ja, fast. Aber die Parade ist sehr lang, wir müssen Mal schauen, an welcher Stelle wir uns dazu stellen. Und außerdem wollte Kiara ja noch jemanden suchen."
Am Straßenrand parkte ein Polizeiauto und Uniformierte hatten begonnen, die Straße abzusperren. Alles und jeder hier schien sich auf die Parade vorzubereiten.
Als sie die Menschenmenge erreicht hatten und zum stehen gekommen waren, war Tim beeindruckt, wie viele Menschen sich hier eingefunden hatten.
So weit das Auge reichte, sah er bunte Farben und die verschiedensten Personen. ,,Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele queere Menschen gibt.", brachte er erstaunt heraus.
Kiara grinste. ,,Es gibt weitaus mehr von uns, als man vielleicht denkt. Und das sind immer noch nicht alle, schließlich besucht nicht jede queere Person einen CSD."
,,Aber woran liegt das, dass man die Menge so falsch einschätzt?", wunderte sich Tim, während Kiara angefangen hatte, ihr Handy nach etwas zu durchsuchen. Aaron schien kurz zu überlegen, antwortete aber dann:
,,Hm, ich denke, es liegt vor allem daran, dass viele nicht-queere Menschen gar nicht wissen, was es alles gibt. Du selbst kanntest zum Beispiel nicht Mal den Begriff Omnisexualität und viele wissen genauso wenig oder sogar deutlich weniger. Gleichzeitig existieren aber auch viel mehr sexuelle und romantische Orientierungen wie auch Geschlechtsidentitäten, als die meisten wissen.
Die wenigen bekannten Begrifflichkeiten, sind vor allem schwul, lesbisch, bi eventuell pan und natürlich trans. Aber mehr kennt kaum jemand, wenn er nicht selbst mit dem Thema zu tun hat. Ich denke unter anderem dadurch entsteht diese Fehleinschätzung."
Kiara sah von ihrem Handy auf und nickte zustimmend. ,,Ich habe Annas Nachricht gefunden. Sie meint, sie stehen mehr in der Mitte der Parade, wir müssen also noch ein Stück weiter nach vorne.", sagte sie dann.
Mittlerweile standen sie in einem lichteren Teil der riesigen Personenansammlung, aber da setzte Kiara sich schon wieder in Bewegung und marschierte geradewegs noch weiter in die Menge hinein. Aaron griff nach ihrem Handgelenk, während sie sich durch die Menschen drängte und auch Tim hielt sich schnell hinten am Rucksack seines besten Freundes fest, um die beiden nicht im Getümmel zu verlieren.
Eine Weile gingen sie nur geradeaus und Tim konzentrierte sich hauptsächlich auf den Boden unter seinen Füßen, so dass er bald schon nicht mehr wusste, wohin sie eigentlich gegangen waren. Er hielt sich also weiterhin dicht an Aaron und bemerkte schließlich, wie Kiara sich von diesem löste.
Sie winkte fröhlich mit den Armen und lief dann alleine ein Stück vor. Als Tim und sein bester Freund wieder zu ihr aufgeholt hatten, stand sie neben einem Mädchen mit kinnlangen blonden Haaren, das eine Flagge um ihre Schultern trug, die aus den Farben schwarz, grau, weiß und lila bestand. Das musste Anna sein.
Hinter ihr und Kiara stand eine kleinere Gruppe aus Menschen, die die verschiedensten Flaggen bei sich trugen, aber keine davon kam Tim bekannt vor. Das einzige was ihm auffiel, war dass die meisten ihrer Fahnen schwarz, weiß und grautöne oder häufig entweder lila oder grün beinhalteten.
Ob dies etwas zu bedeuten hatte? Vielleicht hatten all diese Menschen eine ähnliche sexuelle Orientierung, aber vielleicht war es auch nur ein Zufall.
,,Da haben sich aber welche gefunden.", sagte Aaron lachend zu Anna und nickte mit dem Kopf in Richtung der Gruppe. ,,Ja, wir haben uns tatsächlich alle für den CSD verabredet, ihr könnt euch aber gerne zu uns stellen.", antwortete diese und führte sie drei auf die Gruppe zu, wo sie vor einem großen braunhaarigen Jungen mit blauen Haarsträhnchen stehen blieb. ,,Das ist übrigens Frederik."
Frederik begrüßte die drei Neuankömmlinge und Tim fühlte sich mittlerweile nicht mehr ganz so verloren auf dieser gigantischen Parade voller fremder Menschen.
,,Ich muss kurz auf die Toilette, bevor es los geht. Gibt es hier welche?", erkundigte sich Kiara und ließ den Blick über die Menge schweifen. ,,Ich glaube, ich habe dahinten öffentliche Toiletten gesehen, soll ich dir zeigen, wo?", meinte Aaron und Kiara nickte dankbar.
,,Ich muss auch, ich komme mit.", fügte Anna hinzu und ehe Tim sich versah, drängten die drei sich wieder zurück in die Menschenmenge. ,,Bis gleich!", rief Aaron ihm zu, aber das half auch nicht wirklich.
Nun war Tim wieder so gut wie alleine, obwohl er doch gerade angefangen hatte, sich wohlzufühlen. Er seuftzte. ,,Alles in Ordnung?", fragte Frederik und zupfte an der Fahne herum, die um seine Hüften geschlungen war.
Diese bestand aus dunkelgrünen, hellgrünen, weißen, grauen und schwarzen Streifen aber Tim kannte diese Farbkombination genauso wenig.
,,Ich fühle mich ein wenig fehl am Platz und jetzt haben mich auch noch die einzigen zwei Leute, die ich hier gut kannte, stehen gelassen.", antwortete er wahrheitsgemäß.
,,Ach, sie kommen doch gleich wieder.", meinte Frederik. ,,Außerdem finde ich, dass sich bei einem CSD niemand fehl am Platz fühlen sollte. Es geht ja eigentlich genau darum, endlich irgendwo dazuzugehören und Gleichgesinnte zu finden, sowie unsere Unterschiede wertzuschätzen."
,,Aber ich habe trotzdem das Gefühl, ich sollte nicht hier sein." ,,Wieso das denn?" ,,Ich bin zu einhundert Prozent hetero und cis. Aaron hatte mich gebeten, mitzukommen, deshalb bin ich hier. Aber eigentlich habe ich keine Ahnung von alldem.", erklärte Tim.
Frederik lächelte. ,,Das ist doch nicht schlimm, du kannst ja etwas dazu lernen und ich finde vorallem die Atmosphäre bei CSDs einfach immer sehr schön. Ganz egal, wer du bist oder worauf zu stehst. Und manche Menschen bemerken hier sogar, dass sie selbst doch nicht ganz so straight sind, wie sie gedacht hatten."
Tim zog die Augenbrauen zusammen.,,Das ist sicher nett gemeint, aber wie gesagt, ich bin mir sehr sicher, dass ich nur auf Mädchen stehe und mich auch ausschließlich als Junge identifiziere."
Frederik lachte etwas und schon wieder fragte sich Tim, ob er etwas falsch verstanden hatte. ,,Du weißt nicht, wofür diese Fahnen stehen, oder?", fragte Frederik grinsend und Tim seuftze erneut etwas genervt.
,,Nein, bitte klär mich auf." ,,Hast du schonmal etwas von Asexualität oder Aromantik gehört?" Tim nickte eifrig.
,,Gut, dann weißt du sicher auch was diese beiden Dinge bedeuten. Anna zum Beispiel ist asexuell, das erkennst du an der Flagge, die sie sich umgehangen hat. Und ich bin aromantisch.", fuhr Frederik fort und zupfte an seiner eigenen Fahne.
,,Okay, cool, aber was hat das jetzt mit mir zu tun? Ich bin keins von beiden, ich kann mich in Mädchen verlieben und sie sexuell anziehend finden.", erwiderte Tim und wurde zunehmend verwirrter. Was genau wollte Frederik ihm mitteilen?
,,Warte, ich war noch nicht fertig.", sprach dieser schon weiter. ,,Es gibt noch mehr als diese zwei Dinge. Aromantik und Asexualität sind ein Spektrum. Wenn man vollkommen aromantisch ist, verspürt man gar keine romantische Anziehung, wenn man vollkommen asexuell ist, verspürt man gar keine sexuelle Anziehung. Das weißt du ja schon.
Es gibt aber auch Menschen, die nur sehr wenig oder sehr schwache Anziehung empfinden können. Diese zählen dann ebenfalls zum aromantischen oder asexuellen Spektrum. Genauso auch Personen, die nur unter bestimmten Bedingungen oder nur auf bestimmte Art Anziehung spüren können."
Tim erstarrte. Nur sehr wenig oder sehr schwache Anziehung, hatte Frederik gesagt. War es nicht genau das, was Tim immer erlebte, wenn er sich in Mädchen verliebte? Schließlich empfand er nur selten etwas und wenn dann, war es nicht besonders stark.
,,Und gibt es auch einen Namen dafür, wenn man nur wenig oder nur schwache Anziehung empfindet?", hakte Tim vorsichtig nach. Frederik bejahte. ,,Natürlich, das nennt sich je nach dem entweder Greyromantik oder Greysexualität. Kommt eben darauf an, ob es sich auf die romantische oder die sexuelle Anziehung bezieht."
Wieder grübelte Tim einen Augenblick und traute sich dann, weiter zu fragen:,, Also... Also wenn ich mich nur sehr selten verliebe, dann meist nur wenig empfinde und deshalb fast nie das Bedürfnis nach einer Beziehung habe... Bin ich dann Greyromantisch?"
,,Ja, dann bist du definitiv Greyromantisch.", antwortete Frederik sofort und grinste. Tim verstand, was dieser sagte, aber irgendwie wollte diese Informationen noch nicht so wirklich in seinen Kopf hinein. ,,Ich... Ich bin tatsächlich Greyromantisch?" Frederik nickte. ,,Wenn du das empfindest, was du mir eben beschrieben hast, ja."
,,Das erklärt so einiges...", murmelte Tim schließlich und fragte sich, wie er das so lange nicht hatte merken können. Aber eigentlich hatte er diese Gefühle ja bemerkt.
Er hatte einfach nur gedacht, sie hätten keinerlei Bedeutung und würden irgendwann vergehen. Doch so wie es aussah, würden sie es nicht, denn Tim wusste, dass er weder an seiner sexuellen noch an seiner romantischen Orientierung etwas ändern konnte.
,,Aber... wir kennen uns erst seit ein paar Minuten. Woher wusstest du dann, dass ich mich ebenfalls auf dem aromantischen Spektrum befinden könnte?", fragte er schließlich verwundert an Frederik gewandt.
Dieser fing wieder an zu grinsen und erwiderte:,,Ich wusste es nicht. Aber es gibt verdammt viele Menschen, die nichtmal wissen, dass sie queer sind, weil ihnen kein Name für ihre Gefühle bekannt ist. Und im asexuellen und aromantischen Spektrum kommt soetwas meiner Erfahrung nach noch um einiges häufiger vor. Einen Versuch war es wert und offenbar konnte ich dir damit ja helfen."
Er zuckte mit den Schultern und lächelte Tim an. ,,Ja, das konntest du auf jeden Fall.", meinte dieser.
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