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✿Cupioromantik✿

Es war Freitagnachmittag und die sechste Stunde hatte gerade begonnen. Zum Glück würde es auch für Bahar die letzte Unterrichtsstunde des Tages sein und danach konnte sie endlich das Wochenende genießen.

Normalerweise war sie immer recht motiviert, doch an diesem Freitag ließ auch ihre eigene Motivation für den Unterricht zu wünschen übrig, denn sie hatte eine anstrengende Woche hinter sich.

Bahar sah sich im Klassenzimmer um und bemerkte - kaum zu ihrer Überraschung - dass es auch den Jugendlichen an jeglicher Begeisterung für den Unterricht fehlte.

Als sie sich entschlossen hatte, Lehrerin zu werden, hatte Bahar sich vorgenommen, ihren Unterricht immer so interessant wie möglich zu gestalten. Sie wusste, dass interessanter Unterricht, der abwechslungsreich und gelegentlich auch lustig war, sich sehr positiv auf die Lernbereitschaft und Leistung auswirken konnte.

Nur leider war ihr während des Lehramtstudiums und des Refendariats bald aufgefallen, dass das leider nicht in jeder einzelnen Unterrichtsstunde möglich war. Sie selbst liebte ihre Fächer Geschichte und Mathematik, doch sie konnte verstehen, dass ihre Schüler*innen sich spannenderes vorstellen konnten, als in der letzten Stunde des Schultages noch einen dreiseitigen Text über Karl Marx zu lesen.

Die Stimmung im Klassenraum war unruhig und Bahar bemerkte, dass mindestens die Hälfte der Jugendlichen bereits in Gespräche mit ihren Sitznachbarn vertieft waren, die sicherlich nichts mit dem Marxismus zu tun hatten.

Sie warf einen Blick auf die Uhr und bemerkte, dass ihr noch fünfzehn Minuten bis zum Ende der Stunde blieben. Vermutlich hatten ihre Schüler*innen nur ungefähr die Hälfte des Textes gelesen, doch Bahar hatte mittlerweile auch keine wirkliche Lust mehr. Sie war einfach ziemlich erschöpft.

,,Kommt, wir besprechen jetzt den Inhalt des Textes und wenn das schnell geht, machen wir danach Schluss!", verkündete sie zur allgemeinen Freude des Kurses.

Die Hoffnung auf ein verfrühtes Ende des Unterrichts schien die meisten ihrer Schüler*innen zu motivieren und tatsächlich streckten sich erstaunlich viele Hände in die Luft, als Bahar darum bat, die im Text genannten Ereignisse chronologisch zu erläutern.

Sie war gerade dabei, die aufgezählten Aspekte stichpunktartig auf die Tafel zu übertragen, während ihre Schüler*innen weitere Antworten gaben.

Als sie zuende geschrieben hatte, drehte sich Bahar wieder zu ihrem Kurs um und erwartete, weitere nach oben gestreckte Hände zu sehen. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, doch niemand meldete sich. Nicht einmal die Person, welche sonst immer am aktvisten dem Unterricht folgte.

Bahar kannte Lenya nun schon seit drei Jahren und in dieser Zeit hatte sich immer wieder eine starke Begeisterung für das Fach Geschichte bei dieser gezeigt. Sie wusste, dass ihre Schülerin nie eine Gelegenheit ausließ, am Unterrichtsgeschehen teilzunehmen und ihr Wissen über historische Fakten kund zu tun.

Doch heute nicht. Heute war Lenya still und da bemerkte Bahar, dass sie dies eigentlich schon seit Beginn der Unterrichtsstunde gewesen war. Sie saß auf ihrem Platz in der zweiten Reihe und schien langsam und halbherzig die genannten Punkte von der Tafel abzuschreiben.

Natürlich konnte jeder Mensch mal einen schlechten Tag haben oder erschöpft sein, doch in den drei Jahren, die Bahar Lenya nun schon kannte und unterrichtete, hatte sie diese noch nie in einem solchen Zustand erlebt. Irgendetwas stimmte nicht mit ihrer Schülerin und Bahar begann, sich ernsthaft Sorgen zu machen.

Da sich niemand mehr meldete und die wichtigsten Aspekte bereits genannt worden waren, entschloss sich Bahar schließlich, den Unterricht nun - zehn Minuten früher - für beendet zu erklären.

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, begannen die Jugendlichen auch schon, ihre Materialien in ihre Rucksäcke zu packen. Nach wenigen Sekunden liefen schon die ersten aus dem Raum und manche verabschiedeten sich dabei noch mit einem schnellen „Schönes Wochenende, Frau Ahmadi" bei ihr.

Auch wenn es nicht alle ihrer Schüler*innen so eilig hatten, fiel Bahar trotzdem erneut Lenya auf, die sich fast schon dagegen zu sträuben schien, ihre Tasche zu packen. Bahar sah zu, wie diese langsam ein Buch nach dem anderen in ihren Rucksack packte und dabei den Blick stets gesenkt hielt.

Lenyas Sitznachbarin sagte etwas, das Bahar aus der Entfernung und aufgrund des Lärms der herauslaufenden Jugendlichen nicht ganz verstand, aber sie konnte beobachten, wie diese mit einem Kopfschütteln von Lenya abgewimmelt wurde.

Während sie selbst ihre Umhängetasche packte und ihren Schlüsselbund herauskramte, um das Klassenzimmer abzuschließen, leerte sich der Raum allmählich immer mehr.

„Bitte beeilt euch ein wenig, dann kann ich schon abschließen.", bat sie ihre Schüler*innen und glücklicherweise zeigten sich die übrig gebliebenen kooperativ. Auch Lenya packte ihre restlichen Materialien etwas schneller ein und verließ dann zwar als letzte, aber nur knapp hinter ihren Mitschüler*innen den Raum.

Bahar steckte den passenden Schlüssel in das Schloss der Tür und sah aus dem Augenwinkel, wie Lenya sich langsam über den Flur entfernte. Sie überlegte einen Moment. Sollte sie ihre Schülerin auf ihre Verhaltensauffälligkeit ansprechen?

Sie wollte nicht zu aufdringlich sein, schließlich war sie immer noch einfach nur Lenyas Lehrerin. Aber hatte sie als diese nicht auch eine gewisse Verantwortung gegenüber den ihr anvertrauten Kindern und Jugendlichen?

Lenya hatte fast die Tür am Ende des Ganges erreicht, als Bahar eine Entscheidung fasste. „Lenya, bitte warte doch einen Moment!", rief sie der Jugendlichen hinterher.

Diese drehte sich erstaunt um und wirkte etwas verwundert über Bahar, die gerade eilig auf sie zu gelaufen kam. Sie wollte zumindest versuchen, mit Lenya zu sprechen und ihre Hilfe anzubieten. Wenn diese ablehnte, hatte sie aber immerhin alles in ihrer Macht stehende getan.

„Hör mal, ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich dich das frage, aber du warst heute ganz anders als sonst und ich habe mir ein wenig Sorgen gemacht. Ist alles in Ordnung?", fragte Bahar und hoffte, dass ihre Frage nicht zu persönlich war.

Lenya zögerte einen Moment. Doch bevor auch nur ein Wort ihren Mund verlassen hatte, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie begann, bitterlich zu weinen.

Obwohl Bahar bereits erahnt hatte, dass ihre Schülerin etwas belastete, mit so einer Reaktion hatte sie wirklich nicht gerechnet.
Ein wenig überfordert sah Bahar ihr für ein paar Sekunden zu.

Dann stellte sie ihr Umhängetasche neben sich auf den Boden ab und beugte sich etwas zu ihrer Schülerin nach vorne. „Hey, soll ich dich mal in den Arm nehmen?", erkundigte sie sich vorsichtig.

Sie wusste, dass Körperkontakt zwischen Lehrkräften und Lernenden an Schulen zwar nicht grundsätzlich verboten war, aber dennoch eher vermieden werden sollte.

Natürlich war ihr bewusst, das dies vor allem mit der Prävention von körperlichen und sexuellen Übergriffen begründet war und daher durchaus einen Sinn hatte, aber dennoch hielt sie diese Vorgabe für nicht besonders sinnvoll.

Denn gleichzeitig hatte sie im pädagogischen Teil ihres Lehramtstudiums auch etwas über die essentielle Bedeutung von körperlicher Nähe für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gelernt und war sich daher durchaus bewusst, dass durch Berührungen wie beispielsweise eine Umarmung viele positive Auswirkungen hervorgerufen werden konnten und vor allem soziale Unterstützung vermittelt wurde.

Bahar wartete ruhig die Antwort ihrer Schülerin ab, welche sich gerade ein paar Tränen aus dem Gesicht wischte. Dann nickte diese langsam und Bahar legte behutsam ihre Arme um die Jugendliche.

In diesem Moment war sie - vorallem aufgrund der Vorgaben für Lehrkräfte und der gesamtgesellschaftlichen Situation - ziemlich froh, dass es sich bei Lenya um eine weibliche Schülerin handelte.

Würde sie als erwachsene Lehrerin einen Jungen im Alter von vierzehn Jahren umarmen, würde ihr der ein oder andere womöglich bereits andere Intentionen unterstellen oder sie zumindest schief anschauen.
Und noch schlimmer wäre es wahrscheinlich für einen Lehrer, der ein Mädchen mit einer Umarmung zu trösten versuchte.

Ein paar Sekunden lang hielt sie Lenya fest und strich ihr dabei ein wenig über den Rücken. Dann ließ Bahar sie wieder los.

„Gibt es etwas, das dich belastet? Möchtest du mir erzählen, was los ist?", fragte die junge Lehrerin dann. Wieder zögerte Lenya eine Sekunde. So schüchtern und verunsichert kannte Bahar sie gar nicht.

Dann antwortete ihre Schülerin:„Ich- Ich weiß nicht... Ja, aber... Ich mag Sie wirklich sehr gerne, Frau Ahmadi, aber ich weiß nicht, ob Sie das verstehen würden." Dann senkte sie den Blick etwas.

Bahar war verwirrt. Sie hatte sich in ihrer Zeit als Lehrerin immer so aufgeschlossen wie möglich gezeigt. Sie wollte eine Bezugsperson darstellen, mit der die Kinder und Jugendlichen auf Augenhöhe sprechen konnten, ohne ihnen das Gefühl zu geben, sie müssten etwas verheimlichen.

Natürlich gab es persönliche Dinge, die man vielleicht nicht mit seiner Lehrerin besprechen wollte, aber trotzdem wunderte und kränkte es sie ein wenig, zu hören, dass Lenya sich nicht traute, mit ihr über das zu sprechen, was sie belastete.

„Mhm, ich verstehe. Du musst auch natürlich nicht mit mir sprechen, wenn du das nicht möchtest.", erwiderte Bahar rücksichtsvoll. „Aber was lässt dich denken, ich würde kein Verständnis für dein Problem aufbringen können?"

Lenya blickte zur Seite, ihre Antwort schien ihr fast unangenehm zu sein. „Naja, also es ist wegen Ihrer Religion.", gab sie zu.

Als junge Lehrerin mit Kopftuch war Bahar immer wieder Vorurteilen begegnet: von systematischer Andersbehandlung nur aufgrund ihres Aussehens bis hin zu unangebrachten Sprüchen oder Annahmen über ihre Person.

Häufig war sie in ihren Fähigkeiten unterschätzt worden, oder man hatte ihr automatisch Eigenschaften und Weltanschauungen zugeordnet, die sie zuvor nie geäußert hatte.

Bahar wusste, dass Lenya es wahrscheinlich nicht böse meinte. Vermutlich wusste sie es einfach nicht besser. Sicherlich war es wahr, dass einige muslimische Menschen bestimmte konservative Weltanschauungen verfolgten von denen auch nicht alle gut zu heißen waren.

Aber nur, weil Bahar selbst entschied, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Islam ihr Haar zu bedecken, musste dass ja nicht bedeuten, dass sie ihre Religion unfassbar streng auslebte oder ebenfalls jegliche konservativen und teilweise extremen Ansichten vertrat.

Sie überlegte einen Moment, wie sie Lenyas vorurteilsbehaftete Aussage richtig stellen, aber gleichzeitig freundlich und verständnisvoll bleiben konnte.
„Ich verstehe, dass du da besorgt bist.", begann sie.

„Aber nur weil ich gläubige Muslima bin, heißt das nicht, dass ich alles gutheiße und bedingungslos unterstütze, was im Koran steht. Also was auch immer es ist, was du dich nicht zu sagen traust, ich verspreche dir, dass ich dich nicht dafür verurteilen werde.

Selbst wenn es dem wiederspricht, was ich glaube oder selbst tun würde. Und abgesehen davon bin ich deutlich offener und progressiver, als du vielleicht denkst."

Sie grinste ein wenig und sah zu, wie Lenya langsam den Kopf hob und nickte. „Danke.", sagte diese. „Ich... Ich glaube, ich möchte doch mit Ihnen darüber sprechen."

„Das freut mich.", erwiderte Bahar und schlug dann vor:„Sollen wir vielleicht zurück in den Klassenraum gehen? Hier auf dem Flur ist es doch ein wenig ungemütlich." Lenya stimmte zu und gemeinsam gingen die beiden zurück in den Klassenraum, den sie noch vor wenigen Minuten verlassen hatten.

Bahar setzte sich ans Lehrerpult und ihre Schülerin zog sich einen Stuhl heran, auf dem sie anschließend Platz nahm.
„Wissen Sie, es ist gestern einfach sehr viel passiert...", fing Lenya an, kaum saßen sie beide.

„Ich hatte noch nie ein besonders gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Ich meine, sie behandeln mich gut, eigentlich fehlt es mir an nichts, aber trotzdem gab es schon immer so viele Streitpunkte.

Meine Mutter ist einfach ständig beschäftigt und interessiert sich dann auch nur für ihre eigenen Probleme. Mein Vater nimmt sich zwar manchmal Zeit für mich und ich habe auch das Gefühl, dass er durchaus versucht, eine anständige Beziehung zu mir zu haben, aber meistens endet unsere gemeinsame Zeit dann darin, dass er mir Vorwürfe macht.

Ich habe einfach das Gefühl, seinen Erwartungen nie gerecht zu werden. Egal was ich erreiche, er hat immer noch etwas zu meckern oder sagt, was ich doch hätte anders oder besser machen sollen."

Sie machte eine kurze Pause und Bahar, die aufmerksam zugehört hatte, fragte:„Und ist es das, was dich so belastet oder ist noch etwas anderes passiert?"

Sie wunderte sich ein wenig, was diese Thematik mit ihrer Religion zu tun haben könnte, aufgrund der Lenya anfangs zögerlich gewesen war, aber hatte eine Vorahnung, dass das noch lange nicht alles gewesen war. Ihre Schülerin nickte.

„Schon seit einer Weile fragen meine Eltern mich ständig, ob ich denn einen Freund hätte. Mein älterer Bruder hatte auch in meinem Alter seine erste Beziehung, vermutlich sind sie deshalb auf diese Idee gekommen.

Aber aus dem ständigen Fragen wurden dann langsam fast schon Forderungen. Und irgendwann hat mein Vater begonnen, in fast jedem einzelnen Gespräch, das wir führen, zu erwähnen, dass es für mich doch an der Zeit wäre, mal einen netten Jungen kennenzulernen.

Ich verstehe einfach nicht, warum er sich so sehr in mein Leben einmischen muss und das nicht aus Interesse, sondern nur aus Wunsch nach Kontrolle."
„Ich verstehe, das dich das wütend macht.", antwortete Bahar.

„Mein eigener Vater ist und war zum Glück nie so. Ein Grund, warum er mit unserer Familie Recht früh aus dem Iran nach Deutschland migriert ist, war auch, dass er mir, meiner Schwester aber auch unserer Mutter ein freies Leben garantieren wollte.
Er sagt immer, dass wir selbst entscheiden sollten, wann oder ob wir heiraten.

Allerdings habe ich ein paar Tanten, die gelegentlich versuchen, mich zu verkuppeln, weil sie der Meinung sind, es sei für mich doch an der Zeit, zu heiraten. Und das kann schon ziemlich nervig sein."

Sie hoffte, dass diese kleine Erzählung aus ihrem eigenen Leben Lenya nicht denken ließ, sie würde sich selbst zum Mittelpunkt des Gesprächs machen. Das wollte Bahar natürlich auch gar nicht. Sie wollte ihrer Schülerin nur zeigen, dass sie ihre Gefühle sehr gut verstehen konnte und nutzte gleichzeitig die Gelegenheit, um ein paar Vorurteile über ihre Kultur und Religion zu widerlegen.

"Aber Sie können immerhin selbst entscheiden, ob Sie mit Ihren Tanten Kontakt haben wollen. Ich bin noch vollständig von meinen Eltern abhängig.", warf Lenya da ein und Bahar nickte. „Da hast du leider Recht. Möchtest du weiter erzählen?"

Also setzte die Jugendliche ihre Erzählung fort und auch wenn Bahar ihr versichert hatte, sie für nichts zu verurteilen, was sie ihr eröffnen könnte, merkte die junge Lehrerin, wie Lenya zunehmend nervöser wurde.

„Irgendwann war ich dann aber so genervt von den ständigen aufdringlichen Kommentaren meines Vaters, dass ich beschlossen habe, dem ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Oder zumindest dachte ich, dass ich das damit erreichen könnte.

Eigentlich hatte ich schon länger überlegt, meinen Eltern davon zu erzählen, aber dann hat mir doch immer der Mut gefehlt. Nur in dieser Situation ist mir dann der Kragen geplatzt und ich habe es einfach gesagt.", berichtete Lenya, hielt dann aber einen Moment lang inne und Bahar bemerkte erneut ihre Nervosität.

„Du kannst mir sagen, was es ist. Ganz ehrlich.", versuchte diese ihre Schülerin zu beruhigen und legte ihr kurz bestärkend eine Hand auf die Schulter. Lenya nickte. „Okay.", sagte sie und atmete noch einmal tief durch, bevor sie weiter sprach:

„Dann habe ich... Dann habe ich meinem Vater gesagt, dass ich nie einen Freund haben werde und das auch gar nicht will, weil ich lesbisch und - naja, das kennen Sie wahrscheinlich sowieso nicht... Also weil ich lesbisch bin."

Bahar wollte ihre Schülerin ungern unterbrechen, doch Lenyas Andeutung hatte sie neugierig gemacht. „Bist du dir sicher, dass ich das - was auch immer du meinst - nicht kenne?", hakte sie nach. Lenya runzelte die Stirn.

„Ähm, also das nennt sich Demisexualität, ich bezweifle, dass Sie schon einmal davon gehört haben. Es bedeutet im Grunde, dass ich keine sexuelle Anziehung verspüren kann, bevor ich eine enge emotionale Bindung zu jemandem habe.", erklärte sie dann vorsichtig.

Da musste Bahar etwas grinsen. „Oh, keine Sorge, ich weiß, was Demisexualität ist.", eröffnete sie ihrer Schülerin. Diese staunte ein wenig. „Tatsächlich?", fragte sie ungläubig und Bahar nickte lächelnd.

„Ich sagte doch, ich bin deutlich aufgeschlossener und progressiver, als man denken könnte. Möchtest du weiter erzählen?" Lenya fuhr fort, doch nach ein paar Worten begann ihre Stimme ein wenig zu Zittern.

„Naja... Also mein Vater hatte dafür gar kein Verständnis. Er meinte, dass das alles Unsinn sei und dass ich viel zu jung wäre, um zu wissen, dass ich lesbisch bin. Er sagte, ich würde mir das einbilden und diese Phase würde wieder vorüber gehen.

Und den Begriff 'demisexuell' hat er überhaupt nicht verstanden, er meinte, das gäbe es gar nicht.", beendete Lenya ihre Erzählung und Bahar konnte ihr ansehen, dass sie erneut mit den Tränen kämpfte.

Beruhigend strich sie ihr kurz über den Arm. „Es tut mir leid, dass dir das alles passiert ist. Das Verhalten deines Vaters ist absolut nicht in Ordnung.

Ich finde, man kann in jedem Alter seine romantische oder sexuelle Orientierung erkennen. Er hat dir nicht zu sagen, was du fühlst oder fühlen sollst.", sagte sie dann.

Aus einem Grund, den Bahar nicht ganz verstand, wirkte Lenya bei ihren Worten etwas überrascht. Hatte sie etwas ungewöhnliches gesagt? „Danke.", meinte Lenya dann.

Sie schwieg noch einen Moment, aber fügte dann hinzu:„Darf ich Sie etwas fragen?" „Natürlich.", erwiderte Bahar.

„Woher kennen Sie diese ganzen Begriffe? Ich kenne kaum Menschen, die überhaupt den Unterschied zwischen romantischer und sexueller Orientierung kennen oder wissen, was demisexuell bedeutet. Und von einer erwachsenen Person habe ich so etwas noch nie gehört.", sagte Lenya neugierig.

Jetzt war es Bahar, die einen Moment zögerte.
Zugegebenermaßen war sie nun ein wenig nervös, denn mit der ehrlichen Beantwortung dieser Frage würde auch sie Etwas persönliches über sich preisgeben.

Aber gleichzeitig bat sich ihr hier auch die Möglichkeit, Lenya zu unterstützen und ihr zu zeigen, dass sie nicht seltsam und vor allem nicht allein war.

„Ich kenne mich mit dem gesamten asexuellen und aromantischen Spektrum gut aus.", antwortete Bahar schließlich.
„Denn es hat eine Weile und vor allem viel Recherche gebraucht, bis ich erkannt habe, dass sich auch meine Orientierung dort befindet."

Lenyas Augen weiteten sich vor Staunen doch sie brachte keinen Laut heraus, also fügte Bahar hinzu:„Ich bin cupioromantisch."

Lenya schwieg weiterhin kurz, dann gab sie zu:„Davon habe ich ehrlich gesagt noch nie gehört. Was ist das?" Bahar musste ein wenig über Lenyas vollkommene Ahnungslosigkeit Lachen, aber war ihr nicht böse. Sie hatte damit gerechnet, ihre romantische Orientierung erklären zu müssen.

„Cupioromantik bedeutet, dass ich nicht in der Lage bin romantische Anziehung zu verspüren - im Grunde wie eine aromantische Person - aber mir dennoch eine Beziehung oder romantische Begegnungen wünsche.", versuchte sie, es kurz und unkompliziert zusammenzufassen.

„Das ist... interessant.", kam es von Lenya, die ein wenig nachdenklich wirkte. „Ich hoffe, diese Frage ist nicht zu aufdringlich, aber sind Sie sicher dass Sie sich tatsächlich eine romantische Beziehung wünschen und Ihnen dieser Wunsch nicht einfach durch gesellschaftliche Normen eingeredet wurde?

Das ist eine ernst gemeinte Frage, ich möchte auf keinen Fall so tun, als wüsste ich mehr über Ihre Orientierung als Sie!", meinte die Jugendliche dann.

Bahar musste zugeben, dass sie mit einer so persönlichen Frage eher nicht gerechnet hatte, aber sie klärte gern über ihre romantische Orientierung auf, um Vorurteile und Missverständnisse zu vermeiden.

Abgesehen davon war dies auch eine Frage, mit der sie sich selbst lange Zeit beschäftigt hatte, bevor sie abschließend realisiert hatte, dass sie cupioromantisch war, deshalb konnte sie Lenyas Skepsis gut verstehen.
„Ich verstehe, was du meinst, aber ja. Ich bin mir ganz sicher.", erklärte sie.

„Sicherlich gibt es auch aromantische Menschen oder Menschen auf dem aromantischen Spektrum, die eigentlich kein Bedürfnis nach einer Liebesbeziehung haben, aber denen romantische Beziehungen ihr Leben lang als die einzig richtige und erstrebenswerte Form von Partnerschaft präsentiert wurde, sodass sie lange davon ausgehen, sie würden genau das auch wollen.

Diesen Menschen wurde dann definitiv etwas eingeredet aber wenn sie sich von diesen Normen lösen und erkennen, dass sie auch andere Arten von Beziehungen haben können, um glücklich zu sein, verschwindet das vermeintliche Bedürfnis nach romantischen Interaktionen eigentlich.

Bei cupioromantischen Personen wie mir ist der Wunsch nach romantischen Beziehungen aber unabhängig von soetwas und verschwindet auch nicht. Auch wenn wir uns bewusst sind, dass platonische Beziehungen genauso schön und wertvoll sein können und dass wir keinen gesellschaftlichen Normen entsprechen müssen, bleibt das Bedürfnis nach einer romantischen Beziehung bestehen."

Erst als sie zuende gesprochen hatte, bemerkte Bahar, dass ihre ursprünglich als unkompliziert geplante Erläuterung nun doch etwas lang geworden war.
Doch Lenya schien alles verstanden zu haben. „Wow, das ist faszinierend. Unglaublich, dass ich vorher noch nie davon gehört habe.", sagte diese.

„Nur eine Sache frage ich mich noch: Wie funktioniert das Ganze? Können Sie als cupioromantische Person denn nun eine Beziehung haben oder nicht?"

Tatsächlich war dies eine Frage, mit der auch Bahar sich selbst lange beschäftigt hatte. Denn von außen betrachtet wirkte das Bedürfnis nach einer Liebesbeziehung, das durch einen Mangel an romantischer Anziehung nie erfüllt werden konnte, vermutlich sehr traurig und frustrierend. Für sie selbst war es das auch eine Weile gewesen.

„Nur weil ich grundsätzlich das Bedürfnis nach einer Liebesbeziehung habe, trotz mangelnder romantischer Anziehung, heißt das ja nicht, dass ich mich konstant nach einer sehne. Alloromantische Menschen brauchen ja auch nicht immer eine romantische Beziehung, um glücklich zu sein.

Ich habe ein schönes Leben, auch ohne Partner. Wie sich die Sache umsetzen lässt, wenn man tatsächlich eine Beziehung eingehen will, muss aber wahrscheinlich jede Person und jedes Paar dann für sich selbst herausfinden.

Falls sich eine solche Situation bei mir jemals ergeben sollte, werde ich meine Bedürfnisse und meine romantische Orientierung so offen wie möglich kommunizieren und dann schauen, ob wir eine für uns beide zufriedenstellende Lösung finden können.

Cupioromantik ist keineswegs eine tragische Sackgasse oder so etwas in der Art. Es gibt jede Menge Möglichkeiten, wenn man nur danach sucht.", berichtete sie.

Lenya sah sie einen Moment nachdenklich an und sagte dann:„Hm, da haben Sie wahrscheinlich Recht. So klingt es viel weniger negativ." Bahar nickte zustimmend.

„Finde ich auch. Denn keine romantische oder sexuelle Orientierung ist etwas negatives, man muss nur auf seine Bedürfnisse achten und mit allen Beteiligten sinnvoll kommunizieren. Und auch deine Eltern sollten begreifen, dass deine Orientierung genauso wenig ein Problem darstellt."

Da musste Lenya etwas lächeln. „Ja, ich hoffe, dass sie das vielleicht bald können." „Davon bin ich überzeugt. Versuche, positiv zu denken und gib deinem Vater etwas Zeit. Vielleicht braucht er nur eine Weile, um tatsächlich annehmen zu können, dass du lesbisch und demisexuell bist.", antwortete Bahar.

Ihre Schülerin nickte, doch da fiel Bahar noch etwas ein. „Es tut mir leid, aber das muss ich jetzt fragen: besteht irgendein Grund zur Annahme, dass du aufgrund deines Coming Outs irgendwelche ernsthaften Probleme bekommen könntest? Ich spreche von emotionalem Missbrauch und körperlicher Gewalt, besteht diese Gefahr?"

Zu ihrer Erleichterung schüttelte Lenya sofort vehement den Kopf. „Nein nein, um Gottes Willen. Mein Vater ist zwar sehr willensstark und kann auch agressiv werden, aber er würde mir niemals körperliche Gewalt antun oder mir anderweitig absichtlich schaden."

Die selbstbewusste, sofortige Antwort ihrer Schülerin beruhigte Bahar und sie sagte:„Wenn du dir da sicher bist, ist das sehr gut. Aber wenn doch etwas passieren sollte, dann wende dich bitte auf jeden Fall an jemanden. Mit mir kannst du definitiv immer reden, in Ordnung?"

Lenya nickte zustimmend, lächelte etwas und sagte dann:„Vielen Dank, Frau Ahmadi. Danke für das Gespräch und Ihre Offenheit. Sie haben mir wirklich geholfen."

Auch auf Bahars Gesicht schlich sich ein Lächeln. Sie hätte nie gedacht, dass sie einen so großen Unterschied bei ihrer Schülerin hätte machen können.

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