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✿Aegoromantik✿


Dass Desna nicht so war, wie die meisten ihrer Klassenkamerad*innen, wusste sie schon seit einer Weile. Sie war vierzehn Jahre alt und sich seit ungefähr einem Jahr sicher, pansexuell zu sein.

Vielleicht war sie, was das anging etwas frühreif, zumindest hatte sie immer wieder gelesen und auch von Erwachsenen gehört, dass sich Jugendliche in ihrem Alter doch noch keinerlei Gedanken über Sex machten und noch gar nicht wüssten, auf was sie ständen.

Aber vielleicht lag es auch einfach an der mangelnden Repräsentation queerer Menschen in dieser Altersgruppe, die es so erscheinen ließ.

Desna war dafür selbst das beste Beispiel: Sie hatte sich bisher noch bei niemandem geoutet und trug damit nicht gerade zur Sichtbarkeit junger queerer Menschen bei.

Natürlich wusste sie, dass sie sich nicht outen musste, ihre sexuelle Orientierung ging erstmal niemanden etwas an. Doch manchmal hatte sie auch das Bedürfnis, es andere einfach wissen zu lassen um wirklich für sich selbst und andere queere Menschen einstehen zu können.

Nur würde dies zumindest in ihrem familiären Umfeld eher weniger möglich sein. Ihre beiden Eltern kamen aus Indien und vorallem ihre Mutter war sehr traditionell und konservativ in all ihren Werten.

Desnas Großeltern waren mit ihrer Mutter und ihrer Tante nach Deutschland gekommen, als die beiden Schwestern ungefähr im selben Alter gewesen waren wie sie selbst es gerade war. Und während ihre Tante in Deutschland nicht glücklicher hätte sein können, wusste Desna, dass ihre Mutter hingegen eigentlich am liebsten nie aus Indien fortgegangen wäre.

Sie verabscheute viele Aspekte der westlichen Kultur und zeigte dies auch immer wieder mit kleinen Bemerkungen. Dies kränkte Desna oft oder versetze sie in Wut, da sie selbst sich als Deutsche verstand.

Natürlich hatte sie indische Wurzeln - ein Teil, den sie ebenso an sich mochte - aber sie war in Deutschland geboren und aufgewachsen, sie fühlte sich hier wohl und Zuhause. Viele der sozialen und gesellschaftlichen Normen und Werten in diesem Land vertrat auch sie.

Deutschland war ihre Heimat und ein Teil von ihr. Aber manchmal gab Desnas Mutter ihr das Gefühl, genau diese deutschen Anteile in ihrer Tochter an ihr am wenigsten zu mögen.

Darüber hatte Desna bereits mit ihrem Vater geredet, sie hatte das Gefühl, dass er sie eher verstehen konnte, da auch er in Deutschland geboren worden war. Ihr Vater hieß das Verhalten von Desnas Mutter nicht gut, er hatte seine Tochter immer getröstet und ihr zugestimmt, dass seine Frau im Unrecht sei.

Jedoch schien das alles für ihn keine so große Sache zu sein, wie für Desna, denn er hatte seine Frau noch nie damit konfrontiert oder seine Tochter aktiv in ihrer Identität als Deutsche unterstützt. Häufig sagte er nur, sie solle ihrer Mutter ihre Meinung lassen und sich ihre Worte nicht so zu Herzen nehmen. Sie meine es nicht so und wolle ihre Tochter nicht verletzen.

Eigentlich wusste Desna, dass er damit zumindest teilweise Recht hatte. Natürlich wollte ihre Mutter ihr nichts böses. Aber trotzdem waren ihr Verhalten und ihre Worte verletzend und Desna befürchtete, dass das alles nur schlimmer werden würde, wenn sie sich bei ihrer Mutter als pansexuell outete.

Wohlgemerkt, dass ihre Mutter ja ohnehin nicht einsehen würde, dass eine vierzehnjährige sich überhaupt schon über sexuelle Orientierung und Sexualität Gedanken machte.

Desna war auch nie wirklich über das Thema Sex aufgeklärt worden, dies war eine Sache, über die in ihrer Familie einfach nicht gesprochen wurde.

Als sie im Alter von elf Jahren zum ersten Mal ihre Periode bekommen hatte, hatte ihre Mutter ihr zwar erklärt, was diese Funktion ihres Körpers bedeutete und wie sie damit umzugehen hatte. Doch abgesehen davon waren Themen wie Sex und Menstruation im Gespräch mit dieser ein absolutes Tabu.

Und so war es auch für Desna schwierig gewesen, zu begreifen, dass ihre eigenen sexuellen Gefühle vollkommen normal waren und auch in ihrem Alter schon bei einigen Personen vorkamen.
Besonders verwirrend war für sie gewesen, dass man in ihrem Alter vor allem Verliebtheit von ihr erwartete, aber eher weniger sexuelle Gefühle.

Im Sexualkundeunterricht in der Schule waren ihr romantische Gefühle und sexuelle Anziehung als untrennbar beschrieben worden: Zuerst verliebte man sich und dann kamen irgendwann die sexuellen Bedürfnisse hinzu. Genau in dieser Reihenfolge und niemals unabhängig voneinander.

Doch Desna wusste nicht so Recht, ob sie überhaupt schon einmal wirklich verliebt gewesen war. Sie fand romantische Beziehungen toll, bei anderen Menschen konnte sie diese wertschätzen und bewundern.

Als ihr nun achtzehnjähriger Bruder Karan vor einem Jahr das erste Mal seine feste Freundin der Familie vorgestellt und seine Beziehung bekanntgegeben hatte, war Desna auch wieder erneut klargeworden, dass sie sich durchaus für romantische Beziehungen interessierte.

Sie fand das Konzept einer romantischen Liebesbeziehung toll, aber wusste nicht, ob sie tatsächlich jemals selbst eine führen wollte. Vor allem würde sie sich dafür zunächst ersteinmal verlieben müssen und wenn Desna ehrlich war, zweifelte sie mittlerweile schon fast daran, dass sie dies überhaupt konnte.

Dass sie sexuelle Anziehung verspüren konnte und irgendwann durchaus auch gerne mit Menschen sexuell verkehren wollte, wusste sie ziemlich sicher. Aber von Verliebtheit war bei Desna bisher nie eine Spur gewesen, auch wenn sie die Beziehungen anderer Leute ziemlich begeisterten.

Sie machte sich über diesen Umstand meist keine großen Gedanken. Desna wusste, dass sie sexuell auf Menschen unabhängig von deren Geschlecht stehen konnte und ging davon aus, dass dies, was die Verliebtheit anging nicht anders sein würde.

Vielleicht dauerte das alles bei ihr einfach nur etwas länger und sie hatte bisher noch niemanden gefunden, in den sie sich tatsächlich verlieben konnte.
Womöglich hatte sie damit aber auch Glück, denn wenn sie sich in eine Person verlieben würde, die nicht männlich war, könnte dies Probleme für sie mit sich ziehen.

Nicht nur vor der Reaktion ihrer Eltern auf eine Beziehung mit einer nicht-männlichen Person hatte sie Angst. Auch ihr soziales Umfeld in der Schule schätzte Desna als tendenziell eher konservativ und homophob ein.

Zwar war sie vor ihrer Klasse, nicht als pansexuell geoutet - sie hatte es ja noch nicht Mal ihn ihrem Freundeskreis öffentlich gemacht - doch dass Desna einen starken Gerechtigkeitssinn hatte und sich gern für queere Menschen einsetzen wollte, hatte sie nicht verborgen.

Seitdem sie sich hin und wieder für queere Menschen stark gemacht hatte und versuchte, über die verschiedensten damit zusammen hängenden Thematiken aufzuklären, machten sich einige ihrer Mitschüler*innen ab und zu über sie lustig.

Angefangen hatte dies, nachdem sie im Englischunterricht ein Kurzreferat über das Thema Transgeschlechtlichkeit gehalten hatte, um sich transfeindlichen Witzen ihrer Klassenkamerad*innen entgegen zu stellen.

Desna wusste nicht, ob man dies schon als Mobbing bezeichnen konnte, aber angenehm war es definitiv nicht.
Natürlich waren es noch lange nicht alle, eigentlich nur eine kleine Minderheit, die sie tatsächlich ärgerte und von diesen Personen hielt Desna sich im Schulalltag einfach so gut wie möglich fern.

Leider gelang ihr das, je nach Sitzordnung in den Unterrichtsräumen allerdings nicht in allen Fächern. So war es auch im Biologieunterricht, einem Fach, das sie ohnehin nicht besonders mochte.

Gerade beschäftigten sie sich in diesem Fach mit Meerestieren, ein Thema, das eigentlich gar nicht so langweilig war. Doch entgegen der Erwartung der Klasse, etwas über gefährliche Haie oder mysteriöse Tiefseefische zu lernen, hatte der Lehrer zu Beginn dieser Stunde ein doppelseitiges Arbeitsblatt über Plattwürmer ausgeteilt.

Seit ein paar Minuten waren die Jugendlichen alle damit beschäftigt, den Informationstext auf dem Arbeitsblatt zu lesen und Desna sah dies als gute Möglichkeit, sich selbst von der Anwesenheit gewisser Menschen um sich herum abzulenken.

Gerade war sie bei dem Abschnitt des Textes angelangt, der über die Fortpflanzung der Plattwürmer aufklärte, als sie in der Reihe hinter sich Stimmen vernahm, die sie eigentlich lieber ignoriert hätte.

,,Die Teile können sich asexuell fortpflanzen? Gibt's nicht bei diesem LGBTQ Scheiß auch Leute, die sich so bezeichnen?", sagte ihr Klassenkamerad Lucas belustigt zu seinem Sitznachbarn Carlo.

,,Denken diese Leute, sie sind Plattwürmer, oder was?", erwiderte Carlo hämisch lachend.
,,Kannst ja mal Desna fragen, die kennt sich damit aus.", antwortete Lucas ihm ebenfalls lachend.

Desna tat so, als wäre sie vollkommen auf ihr Arbeitsblatt konzentriert und hätte die beiden nicht gehört. Sie hatte keine Lust auf eine Konfrontation, denn bei Carlo und Lucas hatte sie sowieso verloren.

Sie war immer gern bereit, anderen Dinge zu erklären, aber diese beiden hatten es nie auf eine logische Antwort abgesehen. Sie stellten ihr nur Fragen, um sie dann verspotten und diskriminierende Aussagen tätigen zu können. Das alles war reine Provokation, auf die sie sich möglichst nicht einließ.

Aber gleichzeitig wollte Desna dumme, diskriminierende Äußerungen auch ungern so stehen lassen, auch wenn sie damit riskierte, sich durch ihre Antworten zum Gespött zu machen.

Für einen Moment überlegte sie, etwas zu sagen, entschied sich dann aber dagegen. Es war besser, diese Situation einfach zu vergessen, so sehr sie sie auch aufregte.

Desna warf einen Blick nach vorne, um die Uhrzeit von der großen Uhr neben der Tafel abzulesen und bemerkte dabei, dass der Biologielehrer nicht mehr anwesend war.

Vermutlich war er zum Kopierer im Lehrerzimmer gegangen, um der Klasse gleich noch das nächste Arbeitsblatt vorzulegen. Doch bis zu seiner Rückkehr konnte es noch eine Weile dauern, denn Herr Dr. Rathen war ein etwas älterer Lehrer, der zu Fuß nicht mehr ganz so schnell war und sich zusätzlich nicht besonders gut mit technischen Geräten, wie dem neuen Kopiergerät, auskannte.

Desna versuchte, die beiden Jungen hinter sich einfach zu ignorieren und sich wieder auf die Aufgaben zu konzentrieren, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie nahm weiter deren Gespräch wahr.

Mitlerweile hatte Lucas sein iPad herausgeholt und angefangen, etwas darauf zu suchen, über das er sich nun mit Carlo unterhielt.

Eigentlich war der Gebrauch der schulischen iPads, mit denen vor kurzem jede Person an der Schule ausgestattet worden war, während des Unterrichts nur nach Aufforderung der Lehrkräfte erlaubt, doch da Herr Dr. Rathen den Raum verlassen hatte, scherte sich natürlich niemand mehr um diese Regel.

,,Schau mal, das gibt's tatsächlich... Asexualität, also bei diesem LGBTQ Zeugs.", hörte Desna Lucas sagen.
,,Und was ist das hier?", fragte Carlo und tippte auf dem iPad seines Sitznachbarn herum.

,,Was hast du gemacht? Wo sind wir denn jetzt gelandet?", erwiderte Lucas ein wenig genervt und las dann von seinem Bildschirm vor:,,Demisexualität... Was ist das denn für ein Scheiß jetzt?"

,,Ich wette es gibt noch mehr von diesem Unsinn.", lachte Carlo und Lucas antwortete:,,Meinst du? Die sind doch verrückt." ,,Ja, aber lass uns mal schauen.", meinte Carlo. Darauf folgte ungefähr eine Minute des Schweigens, in der Carlo, wie Desna vermutete, wohl irgendetwas auf dem iPad seines Sitznachbarn zu suchen schien.

Sie selbst musste sich beherrschen, sich nicht augenblicklich umzudrehen und den beiden zu sagen, sie hätten kein Recht, sich so über die Identitäten anderer Menschen lustig zu machen.

Aber sie wusste, dass sie damit bei diesen Jungen nichts erreichen würde, außer am Ende ausgelacht zu werden.
Wenn sie sich dieses Mal aus der Sache heraus hielt, konnte sie vielleicht zumindest sich selbst etwas Ärger ersparen.

,,Digga, schau dir das an.", kam es schließlich von Carlo, der wohl gefunden zu haben schien, wonach er gesucht hatte.
,,Greysexualität? Lithsexualität? Wie spricht man diesen Scheiß aus... Ae...Aegosexualität?", war Lucas Reaktion darauf. ,,Willst du mir jetzt erzählen, dass Leute sich echt so bezeichnen? Das ist doch alles komplett erfunden."

,,Ich weiß, das sind sowieso alles Spinner. Stell dir vor, man hat nichts besseres zu tun, als sich unnötige neue Namen für jeden Scheiß auszudenken.", antwortete Carlo lachend. Auch Lucas lachte mit ihm, Desna hingegen kochte vor Wut.

Normalerweise hätte ihre Freundin und Sitznachbarin Rebecca ihr helfen können, sich zu beruhigen und abzulenken, doch diese lag nun schon seit zwei Tagen mit einer Erkältung Zuhause, sodass Desna in diesem Fach aktuell alleine saß.

Erneut überlegte Desna, ob eine Konfrontation es wirklich wert war oder ob sie die Sache lieber weiterhin ignorieren sollte. Die Entscheidung wurde ihr jedoch abgenommen, als Lucas sie nun direkt ansprach.

,,Ey, Desna, du bist doch so mit diesem LGBTQ Zeugs... Gibt's diesen Scheiß hier wirklich?", fragte er und als Desna sich zu ihm umdrehte, erkannte sie das spöttische Grinsen auf seinem Gesicht.

Weder Lucas noch Carlos hatte die Intention, irgendetwas von ihr zu lernen, das wusste sie ganz genau. Die beiden suchten nur nach einer weiteren Möglichkeit, sich über die LGBTQ+ Community und Desna selbst lustig zu machen.

Sie wusste, dass sie nichts würde tun können, um die beiden einmal dämlich dastehen zu lassen, zumindest jetzt gerade nicht. Daher hielt Desna es für die beste Lösung, einfach eine logische, ehrliche Antwort zu geben.

,,Ja, das gibt es wirklich und es sind alles ganz normale sexuelle Orientierungen. Ich verstehe nicht, was daran jetzt so lustig sein soll.", antwortete sie ernst und versuchte, irgendwie eine Art von Stärke auszustrahlen, indem sie Lucas dabei in die Augen starrte.

,,Guck nicht so blöd.", erwiderte dieser darauf hin nur barsch, was Desna ein wenig verunsicherte. ,,Natürlich ist es lustig, weil das alles kompletter Unsinn ist.", mischte sich Carlo ein. ,,Du weißt doch wahrscheinlich selbst nicht Mal, was dieser ganze Kram bedeutet. Das braucht kein Mensch."

,,Ich- Doch, es gibt sicherlich Menschen, auf die diese Begriffe zutreffen. Und diese Menschen brauchen sie. Nur weil ihr damit nichts anfangen könnt-", rechtfertigte sie sich, wurde aber von Carlo unterbrochen.

,,Pah, ja klar, ein paar vereinzelte Idioten, die etwas besonderes sein wollen vielleicht.
Also, erklär uns doch mal bitte, was Demisexualität sein soll.", sagte er.

Desna hatte das Bedürfnis, ihm ins Gesicht zu schlagen oder ihn anzuschreien, doch sie wusste, dass sie noch am besten aus dieser Situation herauskommen würde, wenn sie vernünftig und sachlich blieb. Sie durfte sich nicht auf die Provokation einlassen, sonst würde man ihr am Ende nur sagen, sie solle sich nicht so aufregen und sei ja gar nicht ernst zunehmen.

,,Demisexualität bedeutet... Also, demisexuelle Menschen empfinden erst sexuelle Anziehung, wenn sie eine enge emotionale Bindung aufgebaut haben, vorher ist das für sie nicht möglich.", erklärte Desna möglichst unkompliziert.

,,Das ist doch keine sexuelle Orientierung, es bedeutet einfach, dass man nicht mit jedem ins Bett geht. Dafür braucht man doch kein Wort.", entgegente Carlo kopfschüttelnd und spöttisch grinsend.

,,Nein, du hast mich falsch verstanden, Demisexuelle können wirklich-", versuchte Desna es weiter, wurde aber erneut unterbrochen. ,,Und was ist mit dem Rest dieser Fantasiewörter, hm?", fragte Carlo.

Desna musste kurz nachdenken, was dadurch erschwert wurde, dass sie innerlich versuchte, ihre Wut zu bändigen um den beiden nicht augenblicklich einen Tritt ins Gesicht zu verpassen.

,,Das weiß ich nicht genau, Greysexualität ist aber ähnlich wie Asexualität, soweit ich weiß.", gab sie schließlich vorsichtig zu. Desna bemühte sich zwar, sich möglichst über viele sexuelle Orientierungen zu informieren, doch scheinbar hatte auch sie noch ein paar Dinge zu lernen.

Asexualität und Demisexualität kannte sie, auch von Greysexualität hatte sie bereits einmal gehört, doch die restlichen Begriffe waren auch ihr fremd.

,,Du weißt es also selbst nicht Mal?", verspottete Lucas sie lachend. ,,Ich sag' doch, das ist alles kompletter Unsinn."
,,Ich bin doch auch nicht allwissend...", versuchte Desna sich zu verteidigen, doch eigentlich wusste sie, dass sie sowieso keine Möglichkeit hatte, die Meinung der beiden zu ändern.

Carlo und Lucas scherten sich auch kein bisschen um ihre Antwort, sondern lachten nur gemeinsam und fühlten sich vermutlich, als seien sie die aller tollsten und lustigsten Menschen auf dem Planeten.

Frustriert, wütend und kurz vor den Tränen drehte sich Desna also wieder um. Der restliche Schultag war so angenehm gewesen, aber nun in der letzten Unterrichtsstunde passierte ihr so etwas.

Wenige Minuten später betrat schließlich Herr Dr. Rathen wieder das Klassenzimmer. Er verteilte ein weiteres Arbeitsblatt, dessen Bearbeitung er ihnen als Hausaufgabe aufgab und nachdem er dann offiziell das Ende der Unterrichtsstunde verkündet hatte, konnte Desna den Raum gar nicht schnell genug verlassen.

Sie wollte einfach nach Hause und das Gespräch mit Lucas und Carlo vergessen. Auf der Busfahrt holte sie ihre Kopfhörer aus der Tasche und versuchte, sich durch die Musik auf andere Gedanken zu bringen, aber diese machte es fast nur noch schlimmer.

Die beiden Jungen und jeder Gedanke an sie machten Desna einfach unfassbar aggressiv. Doch etwas, das sie ebenso wütend machte, wie sie langsam zu begreifen begann, war die Tatsache, dass Desna keine Antworten parat gehabt hatte.

Wahrscheinlich hätte es im Gespräch mit diesen Idioten ohnehin keinen Unterschied gemacht, aber es störte sie selbst, dass sie sich nicht so gut mit den Begriffen auskannte und überfordert gewesen war. Sie sollte unbedingt ein wenig recherchieren.

Es würde noch etwas dauern, bis sie Zuhause war, also zückte Desna ihr Handy und begann, den Ersten der ihr unbekannten Begriffe in die Suchleiste einzugeben. Kaum hatte sie die Definition von Greysexualität gelesen, ärgerte sie sich darüber, dass sie diese Orientierung nur als ,,ähnlich wie Asexualität" beschrieben hatte.

Das war zwar theoretisch nicht ganz falsch, aber wirklich stimmen tat es auch nicht. Scheinbar lag Greysexualität eher irgendwo in der Mitte zwischen der Abwesenheit und der Anwesenheit sexueller Anziehung.

Der nächste Begriff, den sie suchte, war Lithsexualität. Hier lernte Desna tatsächlich etwas vollkommen Neues, denn es schien sich dabei um eine Orientierung zu handeln, bei der die sexuelle Anziehung verschwinden konnte, sobald sie erwidert wurde.

Abschließend gab sie den Begriff Aegosexualität in ihr Handy ein und staunte bei der Definition ein wenig. Aegosexualität wurde beschrieben als Abwesenheit von sexueller Anziehung in Kombination mit Interesse an sexuellen Handlungen, solange man nicht selbst darin involviert war.

Desna wusste zwar, dass sie sexuelle Anziehung empfinden konnte und irgendwann, wenn sie die Möglichkeit bekam und die richtige Person dafür fand, durchaus mit jemandem Sex haben wollte. Doch irgendwie fand sie sich in dieser Beschreibung trotzdem ein wenig wieder.

Wenn Desna von der Beziehung ihres Bruders hörte oder sah, wie Karan seine Freundin küsste, freute sie sich jedes Mal riesig. Vielleicht war es seltsam, aber sie beobachtete die beiden gerne dabei und fühlte dabei manchmal eine Art Bauchkribbeln, so wie Verliebtheit normalerweise beschrieben wurde. Es war, als wollte sie genau das auch, dabei wollte sie es definitiv nicht.

Ähnlich ging es ihr, wenn sie romantische Filme schaute oder romantische Bücher las. Romantik fand sie toll, solange sie darin nicht involviert war. Denn selbst jemanden küssen oder eine Beziehung führen wollte Desna eher weniger. Abgesehen davon hatte sie sich ja ohnehin noch nie verliebt.

Sie hatte das Gefühl, sich irgendwie in Aegosexualität wieder zufinden, doch gleichzeitig passte der Begriff nicht ganz. Denn Aegosexualität bezog sich auf sexuelle Anziehung, diese konnte Desna aber definitiv verspüren.

Verwirrt und aufgeregt zugleich recherchierte sie weiter, bis sie schließlich auf einer englischsprachigen Seite über Aegosexualität landete. Sie scrollte durch die Beschreibung und entdeckte ganz unten tatsächlich eine kleine Anmerkung:,,the romantic counterpart is aegoromantic." Das romantische Gegenstück ist Aegoromantik.

Das letzte Wort schien einen Link zu enthalten, da es in einer anderen Farbe aufleuchtete, als der Rest des Textes. Neugierig klickte Desna darauf und las die Definition, zu der der Link sie geführt hatte. Sobald sie damit fertig war, las sie die Beschreibung gleich noch einmal.

Die Definition passte perfekt: Man empfand keine romantische Anziehung, aber fand romantische Handlungen und Darstellungen trotzdem toll und vielleicht auch erstrebenswert, solange man nicht selbst darin involviert war.

Sie wusste nicht, ob sie sich sofort damit identifizieren und bezeichnen können würde, schließlich war das ganze eine vollkommen neue Information, die sie ersteinmal verarbeiten musste.

Sie konnte es noch nicht ganz glauben, denn es fühlte sich irgendwie nicht real an, doch irgendwo in ihrem Inneren spürte Desna, dass sie hier wohl genau den richtigen Begriff für sich gefunden hatte.

Endlich gab es eine Erklärung für ihr seltsames Verhältnis zum Thema Romantik. Es war gut möglich, dass Desna tatsächlich aegoromantisch pansexuell war, sie musste sich nur noch ein wenig genauer mit dem Begriff auseinander setzen.

Ihre Wut über das Ereignis im Biologieunterricht war verflogen, sie war ersetzt worden durch Aufregung und Freude.

Erst jetzt wurde Desna klar, dass Carlo und Lucas ihr mit ihrer Provokation unabsichtlich doch tatsächlich irgendwie geholfen hatten, etwas über ihre eigene Identität herauszufinden.

Und da dies etwas war, dass die beiden ganz sicher nicht gewollt hatten, fühlte sich diese Tatsache für Desna wie ein kleiner Sieg an.

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