
36. May
Dienstag, 23. Dezember 2009
Schneewolken hängen über der abendlichen Stadt. Ihre Lichter reflektieren sich in den Eiskristallen und setzen den Himmel in Brand. Wir befinden uns in einer orange glühenden Kuppel, unter der keine Sterne existieren außer den von Menschen erschaffenen.
Der Atem vor meinen Mund gefriert. Ich wickle mich fester in meine Jacke und lausche auf das Rauschen des fernen Highways. Neben mir steht eine Thermoskanne Tee, doch die haben wir schon vor einer Weile geleert. Bis zum Wachwechsel kann es nicht mehr lange dauern.
Als ich aufstehe und an die Fensteröffnung trete, kribbeln meine Beine. Ich recke den Kopf in die kühle Winterbrise. Irgendwo im Norden glaube ich, das schwarze Glänzen des Mississippi durch die Häuserschluchten zu erkennen. In St. Louis vereinigt er sich mit dem Missouri, um seinen langen Weg bis zum Golf von Mexiko anzutreten. Er trennt Ost und West, die Südstaaten und den Mittleren Westen. Er ist die große Grenze des alten Amerikas, dem Amerika der Dampfschiffe und des Bürgerkrieges.
Den Gateway Arch kann ich von hier aus nicht entdecken. Doch er muss dort sein, auf der anderen Seite des Flusses, verdeckt von Hochhäusern. Inzwischen wurde er sicher repariert. Selbst ihn musste Jackson beschädigen. Er zieht eine Schneise der Zerstörung hinter sich her, wohin er auch geht. Vielleicht sollte Chase den Katastrophen der letzten Tage folgen, dann findet sie ihn schnell.
„Ablösung", verkündet eine Stimme und ich drehe mich um.
Zwei Mädchen und ein Junge leuchten mir und den beiden anderen Wachen aus der maroden Türöffnung entgegen. Eines der Mädchen trägt einen Schlafsack um die Schultern geschlungen, jeder von ihnen hat eine Thermoskanne dabei. Sie werden bis Mitternacht Wache halten, dann folgt die nächste Drei-Stunden-Schicht.
Wir nicken ihnen zum Abschied zu. Da bis auf eine im Wind über den Parkplatz treibende Plastiktüte nichts Auffälliges passiert ist, haben wir nichts zu berichten und können schnell aus der Kälte raus.
Chthonian bedeutet unterirdisch. Kein Name ist passender.
An der Kellertür begrüßen uns zwei neue Wächter. Jeder soll einmal am Tag eine Schicht im Gebäude oben und eine kürzere am eigentlichen Eingang übernehmen. Wenn weitere Halbgötter dazustoßen, werden Anna und Hanno meinen Plan umsetzen und Außenposten in den umliegenden Straßen einrichten. Bei dem Gedanken muss ich lächeln. Endlich kann ich wieder etwas Sinnvolles beitragen, obwohl mich das Gefühl beschleicht, dass sie sowieso bereits mit dieser Idee gespielt haben. Doch ich straffe die Schultern. Eine Bestätigung ist nichts Schlechtes und ich darf bei der Auswahl dieser Außenposten mitentscheiden.
Die Trainingshalle empfängt uns mit einer warmen Umarmung. Die Luft sticht angenehm gegen meine Haut und ich knöpfe die Jacke auf. Am Schlafraum Nr. 1 verabschiede ich mich von meinen Begleiterinnen – Ajala, eine Tochter des Herakles, und Zola, eine Enkelin des Ares. Ich erhasche einen Blick durch den Türspalt, doch von Ben fehlt jede Spur.
Der Speisesaal ist leer. Ich trete hinter die Theke in den Kochbereich und überprüfe den Wasserkocher. Noch warm, aber zu wenig Wasser. Kurz wandert mein Blick zur Kaffeemaschine und ich beiße mir auf die Unterlippe. Nein. Heute Nacht habe ich zum ersten Mal seit Tagen mehrere Stunden am Stück durchgeschlafen und morgen Vormittag bin ich erneut für den Wachdienst eingetragen. Also habe ich keinen Grund, extra lange wachzubleiben.
Ich befülle den Kocher und ziehe den Pappkarton mit den Teesorten, die wir heute erbeutet haben, unter der Arbeitsfläche hervor, während das Wasser erhitzt. Wer immer es für eine gute Idee hielt, diese Kiste mitzunehmen, war geisteskrank.
Ich wühle mich durch die Packungen, auf der Suche nach etwas, das trinkbar klingt. In der Thermoskanne war Schwarztee, aber warum finde ich den nicht hier? Tomate-Minze und Fenchel-Gewürz klingen noch am verträglichsten, bei Karotte-Curry läuft mir ein Schauer über den Rücken und die bloße Vorstellung von Rote-Beete-Kohl dreht mir den Magen um. Die Wahl fällt auf Erdbeer-Käsekuchen, weil ich den zumindest kenne und die Aphrodite-Kinder auf ihn schwören. Von ihnen musste noch nie jemand wegen einer Tee-Vergiftung auf die Krankenstation (außer dem einen Mal, als die Hekate- und Hermes-Hütte sich bei Erobert-die-Flagge verbündeten).
Mit der dampfenden Tasse in der Hand schlüpfe ich in meinen Schlafsaal. Einige meiner neuen Mitbewohner liegen auf ihren Betten und versuchen zu dösen oder mühen sich mit Büchern ab, doch die johlende Gruppe Kartenspieler im hinteren Bereich lässt ihnen keine Chance.
Ich nicke Martha und Bahrija zu und steuere mein Bett an. Martha streift sich gerade ihre abgewetzten Stiefel über, während Bahrija auf sie wartet. Ihr Blick huscht kurz über mich und sie erwidert das Nicken. Eine Schande, dass Lennox und sie in Chicago aneinander vorbeigestürmt sind.
Alles läuft lebendig und chaotisch ab wie in der Hermes-Hütte, doch das Chaos erhält in den Schlafsälen Chthonians Platz zum Atmen. Während wir uns im Camp vor dem Krieg dicht an dicht drängten und so wenig Zeit wie möglich in Hütte 11 verbrachten, verströmen die Schlafsäle eine distanzierte Geselligkeit. Jeder hat seinen kleinen Bereich, über den nicht ständig irgendwer stolpert und noch habe ich keine Kleinkriege um verwechselte Klamotten erlebt, da jeder seine eigene Truhe besitzt.
Und niemand interessiert sich dafür, wer ich bin. Auf eine gute Art.
Im Camp zählte die Meinung von Nebengott-Kindern wenig. Es gab keine Hüttenältesten für jeden Nebengott, da keine Hütten existierten. In Beratungen wurden wir von Luke repräsentiert. Er war toll, nicht im Sinne von wundervoll, aber er achtete auf uns. Nur war er nicht wir. Er konnte gar nicht auf alles eingehen. Zu viele unterschiedliche Charaktere prallten in der Hermes-Hütte aufeinander, zu viele verschiedene Geschichten und Erwartungen.
Dass einige Camper um Ethan und mich einen Bogen machten, war mir egal, aber mit Chiron und Luke führten wir lange Diskussionen. Manchmal muss man Lärm machen, um beachtet zu werden.
Chthonian ist anders. Hier erhält jeder denselben Raum, jeder wird ernst genommen und dort eingesetzt, wo seine Stärken liegen. Bei strategischen Entscheidungen werde ich nicht mehr überhört. Wenn ich sage, dass ich eine Tochter der Nemesis bin, nickt mein Gegenüber und wirkt selten so, als wolle er Reißaus nehmen.
Ein paar der Leute hier kenne ich aus der Hermes-Hütte und der Armee. Wir teilen dieselbe Geschichte, dieselben Probleme und so begegnen wir uns auf Augenhöhe. Ethan, du solltest das hier sehen.
Ich stelle die Tasse in den Sand und gehe vor meiner Truhe in die Hocke. Bis auf meinen Rucksack und ein zugeschweißtes Päckchen mit einer Jeans, die mir vermutlich zu groß ist, herrscht in ihren Inneren gähnende Leere, da ich noch nicht zum Auspacken kam. Die Hose stammt vom Raubzug heute Vormittag. Bei einem Missgeschick, das einen Gabelstapler, Loa und einen Hermes-Sohn beinhaltete, wurde ein größerer Karton beschädigt und im Hinauseilen konnte ich mir noch eine der herausquellenden Jeans schnappen, bevor die sterblichen Mitarbeiter des Kaufhauses in der Lagerhalle aufkreuzten. Die letzten Tage haben meine ohnehin schon löchrigen Hosen stark in Mitleidenschaft gezogen und wir standen zu oft im Schneetreiben, als dass ich Löchern noch viel abgewinnen kann.
Doch unter dem Rucksack liegt mein wahrer Schatz. Ich klemme mir ein Handtuch unter den Arm und mache mich mit Tee, Kamm und Haarfarbe auf in den Waschsaal.
Niemand hält sich in dem gefliesten Raum auf, als ich das hinterste Waschbecken ansteuere. Obwohl hier kein Sand den Boden bedeckt, knirschen feine Körner unter meinen Füßen. Zweimaliges Ausfegen am Tag gehört ebenfalls zu den allgemeinen Pflichten.
Während des Raubzugs habe ich es leider versäumt, eine Packung Haarklammern mitgehen zu lassen und bei unserer Flucht aus dem Camp herrschten andere Prioritäten bezüglich des Gepäcks. Also muss das jetzt so funktionieren.
Ich lege mir das Handtuch um die Schultern und gerade als ich den Kamm ansetze, öffnet sich die Tür. Samira humpelt halbherzig auf ihre Krücke gestützt in den Raum und lässt ihren Kulturbeutel auf eins der Waschbecken plumpsen.
„Ansätze färben?", fragt sie und füllt ihren Zahnputzbecher mit Wasser.
Ich nicke und fahre damit fort, meine Haare zu bekämpfen. Der Wind im oberen Stockwerk hat sie in ein Vogelnest verwandelt. „Schläfst du heute schon in einem der Schlafsäle?"
„Joa", nuschelt Samira durch die Zahnbürste. „Nr. 1." Ihr Lächeln strahlt durch den Schaum hindurch.
Trotz einer besonders ziependen Strähne recke ich den Daumen hoch. Dort wird Samira gut aufgehoben sein. Nach unseren Erzählungen kam für Anna kein anderer Raum in Frage.
Bei dem Gedanken, dass ich allein in Saal Nr. 2 schlafe, regt sich jedoch der Wolf in meinem Hinterkopf. Samira ist mit Ben in einem Raum untergebracht, Elias und Loa ebenfalls. Eine Vorsichtsmaßnahme. Sie wissen noch nicht, ob sie uns vollends vertrauen können, weise ich den Wolf zurecht.
Samira gurgelt und spuckt aus. „Ich helfe dir gleich."
„Ich brauche keine Hilfe." Ich lege den Kamm zur Seite und streife meinen Ring ab. Klimpernd fällt er ins Waschbecken.
„Allein stehst du bis morgen früh noch hier." Sie trocknet sich die Hände und tritt neben mich.
Im Spiegel fällt mir zum ersten Mal auf, dass sie kleiner ist als ich. Weshalb bemerke ich das erst jetzt? Und obwohl sie die Verletzte ist, wirkt sie intensiver, mehr da. Als wäre ich nur ein Schatten und sie der Gegenstand, der ihn wirft.
„Okay", seufze ich uns drücke ihr die Packung mit der Farbe in die Hand.
„Haarklammern?"
Ich schüttle den Kopf.
„Dann ist ja gut, dass du mich hast." Samira wühlt in ihrem Kulturbeutel herum und zaubert drei Klammern hervor.
„Was täte ich nur ohne dich?", schnaube ich mit einem halben Grinsen, während sie beginnt, meine Haare aufzustecken.
„Bestimmt länger und ruhiger schlafen", witzelt sie.
„Wahr." Nicht alles hängt von dir ab, nicht alles ist deine Schuld. Du bist nicht unsere Mutter.
„Wenigstens war es diesmal nicht meine Schuld, dass wir in der falschen Stadt gelandet sind." Die billigen Plastikhandschuhe knistern, als Samira sie überzieht.
Mein Grinsen erlischt. „Bens Schuld ist es auch nicht", entgegne ich scharf.
Samira tritt einen Schritt zurück und mustert mich durch die Reflektion des Spiegels. „So habe ich es nicht gemeint."
„Wir sind eben alle miserable Autofahrer", setze ich nach. Die falsche Richtung war ein Versehen. Ein dämliches Versehen, bei dem bestimmt die Moiren ihre Finger im Spiel hatten.
Samira klopft mir mit dem Pinsel auf die Schulter. „Ich nicht."
Ich verdrehe die Augen und ernte noch einen Klaps.
Als die Farbe auf meinen Kopf platscht, zucke ich zusammen. Kalt. Mit schnellen und geschickten Bewegungen verteilt der Pinsel die schwarze Masse auf meinen Haaren.
„Also... was ist das zwischen Ben und dir?", fragt Samira schließlich.
Erneut spüre ich ihren forschenden Blick über den Spiegel auf mir.
Meine Finger krallen sich in den Rand des Waschbeckens. „Das geht dich nichts an", erwidere ich tonlos.
Diesmal ist es an Samira, zu schnauben. „Erinnerst du dich an eure „Keine-Geheimnisse-mehr"-Politik? Das war gestern."
Ich presse die Lippen aufeinander.
„Es hat mit Iris und ihrem Sohn zu tun, habe ich Recht?" Ihre Stimme hat einen überraschend sanften Ton angenommen.
„Alvin. Er ist Ben in den Krieg gefolgt", murmle ich und senke den Blick. Der verletzte Ausdruck auf Bens Gesicht, als Iris erklärte, dass sie die Mutter des kleinen Störenfrieds gewesen war, hat sich in mein Gedächtnis gebrannt.
„Und jetzt hat er verständlicherweise etwas gegen Iris' Plan." Samira löst den nächsten Teil meiner Haare.
„Er hätte auch etwas gegen den Plan, wenn er von einer anderen Göttin käme." Da ist er nicht der Einzige. Iris will uns benutzen, um ihr Ziel durchzusetzen. Doch sie behält Recht mit dem Punkt, dass wir die Sicherheit brauchen, die sie uns anbietet.
„Es ist nicht die schlechteste Idee. Iris und Boreas hätten uns einfach ins Camp zurückschicken oder uns einfrieren können." Samira schüttelt den Kopf. „Es wirkte tatsächlich so, als würde sie sich um Arke sorgen und sich mehr bemühen wollen."
„Es sind Götter, Samira!" Ich fahre herum. Der Pinsel erwischt meine Wange. „Sie haben bereits vergessen, dass sie dieses Angebot gemacht haben oder es ist ihnen egal!"
„Gut möglich. Aber das ist nicht alles, oder?" Samiras Hand legt sich auf meine Schulter und dreht mich um. „Ben ist vor allem sauer auf dich."
Ein schwarzer Fleck ziert meine Haut unterhalb des grünen Auges. Ich drehe den Wasserhahn auf und rubble mir über die Kriegsbemalung.
Ben und ich hatten in der Vergangenheit unsere Diskussionen. Er bezeichnet Samira als sturen Esel, dabei ist er nicht besser. Er hatte schon immer Schwierigkeiten damit, den Inhalt eines Streites von den Streitenden zu trennen. Er kann tagelang motzig sein, auch wenn er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Und diesmal habe ich wirklich Sachen vor ihm zurückgehalten und nicht nur sachlich gegen etwas argumentiert. Diesmal trifft es eine tiefere Ebene. Dabei haben wir uns nicht mal gestritten.
„Ich habe zu lange gewartet." Meine Schultern sacken herab und ich hebe das Kinn. Aus dem Spiegel blicken mich meine eigenen, ungleichen Augen anklagend an. „Ich hätte es euch früher erzählen sollen."
„Es war viel los." Ein Schatten huscht über ihr Gesicht. „Es tut mir leid."
„Du hättest uns ebenfalls früher von dem Biss erzählen sollen", stimme ich ihr zu.
Wir kleben alle in einem Spinnennetz aus Schuld. Es ergibt keinen Sinn, einem der Fäden zu folgen. Ich habe es nicht von Anfang an erzählt, weil ich wusste, dass Ben sauer sein würde. Durch das Warten habe ich es nur verschlimmert. Die Fäden verzweigen sich, man bleibt kleben, wird gefressen, ohne je das Zentrum zu erreichen. Man könnte das Netz endlos weiterknüpfen.
Deshalb ist Nemesis unausstehlich. Sie weiß, dass sie auf verlorenem Posten kämpft. Wenn man alle Ungerechtigkeiten begleichen will, muss man an den Ursprung zurückkehren und dafür sorgen, dass die Welt nie erschaffen wird.
„Elias und ich haben uns ausgesprochen."
Überrascht sehe ich auf. „Habt ihr das?"
Als Antwort lächelt Samira und widmet sich dem dritten Teil meiner Haare. Sie ist tatsächlich schneller als ich. Und ordentlicher.
„Vielleicht schaffen Ben und ich das auch. Und wenn er dann noch sauer auf mich ist, ist das sein Problem und nicht meins."
„Exakt." Samira gibt einen neuen Klecks Farbe auf mein Haar. „Obwohl es inzwischen eher danach klingt, als sei er sauer auf die ganze Welt und projiziert es auf dich, ohne es selbst zu bemerken."
„Wann hast du diese erstaunlichen Ansichten gewonnen?" Ich neige leicht den Kopf zur Seite, damit sie besser an die hellbraunen Stellen gelangt.
„In der Krankenstation hat man viel Zeit zum Nachdenken."
„Bitte bleib so."
„Nö. Ab morgen mache ich dir das Leben wieder schwer."
„Wer macht wem das Leben schwer?" Loa betritt den Waschsaal. Ihren Kulturbeutel balanciert sie auf den Kopf. „Und weshalb habt ihr mich zum Haarefärben nicht dazugeholt?" Sie zieht einen Flunsch. „Wir hätten einen Mädelsabend machen können."
„Du bist immer noch herzlich eingeladen." Samira zupft das Handtuch über meinen Schultern zurecht.
Ich seufze innerlich. Loa besitzt das Talent, wie eine Abrissbirne in intime Momente zu krachen. Das Feingefühl, das sie gestern bewiesen hat, versteckt sich hinter dem Krach dieser Baustelle.
„Mit den Gesprächen über Jungs sind wir jedoch bereits durch." Samira wirft Loa einen strengen Blick zu.
„Schade." Loa lässt die Schultern hängen, blinzelt ihr jedoch verschwörerisch zu.
Ich runzle die Stirn.
„Wie war der Wachdienst?", wendet Loa sich an mich.
„Kalt. Langweilig. So wie er sein sollte", erwidere ich.
„Keine Monster?"
„Keine Monster," bestätige ich. „Die anderen aus meinem Wachdienst meinten, dass sie seit Wochen keins mehr gesehen haben. Inzwischen sind es so viele Halbgötter, dass die Monster sich nicht mehr gerne mit ihnen anlegen."
Loa seufzt erleichtert auf. „Gut, dann kann ich ja nachher zum Wachdienst das Kartenspiel mitnehmen."
Samira lacht auf. „Du hast ein Kartenspiel eingepackt?"
„Ja, aber wir hatten ja nie Zeit zum Spielen."
Ein Glitzern tritt in Samiras Augen. „Wir spielen nachher, wenn May fertig ist."
Ich weiß jetzt schon, wer gewinnen wird, doch Samiras Fieber färbt auf mich ab. Einfach werde ich es ihr nicht machen. Trotzdem verpasse ich Loa einen Dämpfer. „Es wird bestimmt nicht gerne gesehen, wenn du während des Wachdienstes Karten spielst."
„Ach, Anna versteht das." Loa winkt ab und schnüffelt an meiner vergessenen Teetasse. Sie leert sie, bevor ich dazwischen gehen kann.
„Hey!"
„Der war eh kalt."
Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Das gibt dir nicht das Recht, ihn einfach zu trinken!"
„Still halten!", fährt Samira mich an und verpasst mir erneut einen Klaps auf die Schulter.
Loa grinst und hält ihre Zahnbürste unter den Wasserhahn. „Er war viel zu süß. Sicherlich hätte er dir nicht geschmeckt."
„Das ist immer noch meine Entscheidung." Ich funkle sie an. „Du schuldest mir morgen früh einen Tee. Und zwar einen trinkbaren, nicht einen von den ekelhaften."
Loa salutiert mit der Zahnbürste. „Aye aye, Capt'n."
Zufrieden nicke ich. „Und sei dir bei Anna nicht so sicher. Die Sicherheit dieses Ortes hat oberste Priorität."
„Spielverderberin." Loa streckt mir die Zunge raus, scharrt dann jedoch mit der Schuhspitze im Sand. „Ist ja gut."
„Was denkt ihr, wie lange dieser Ort noch sicher bleibt?", schaltet sich Samira ein.
Darüber möchte ich gar nicht nachdenken. Chthonian braucht sich über Monster keine Gedanken zu machen. Wir sind zu viele, als dass sich ein Angriff auszahlt und Monster tun sich nicht einfach so zusammen, geschweige denn koordinieren sie sich. Dafür brauchen sie einen starken Anführer.
Anders sieht es mit den Göttern aus. Dass Chthonian unterirdisch liegt, ist der große Vorteil. Zeus hat nicht genügend Einblick in das, was wir hier treiben. Aber gerade das wird ihn so sehr stören, dass er irgendwann Gegenmaßnahmen ergreifen wird.
„Sie bereiten sich auf eine Belagerung vor", erkläre ich. „Solange der Olymp schweigt, sollten wir hier sicher sein. Noch haben wir Zeit, uns vorzubereiten."
„Ich mag es hier", murmelt Loa. „Könnten wir nicht Iris und Anna zusammenbringen, damit sie einen Schutzvertrag oder so aushandeln?"
Gar nicht so dumm. Würde sich Anna darauf einlassen? Bis jetzt habe ich mich davor gehütet, Iris' Angebot ihr gegenüber zu erwähnen. Sie scheint ähnlich allergisch auf Götter zu reagieren wie Ben und ich. Doch sie ist um die Sicherheit ihrer Leute besorgt und Chthonian ist noch nicht stark genug, um sich gegen den Olymp zu behaupten. Und noch möchte ich diesen Ort beobachten, bevor ich mich vollends auf ihn einlasse.
„Ich kann es mal ansprechen", sage ich vorsichtig.
„Ich habe gehofft, dass unser sicherer Hafen tatsächlich am Meer liegen würde." Samira schmunzelt. „Du bist jetzt übrigens fertig." Sie lässt den Pinsel ins Waschbecken fallen und streift die Handschuhe ab.
„Das Leben ist kein Wunschkonzert." Ich zucke mit den Schultern und richte mich auf. „Danke für deine Hilfe, Samira."
„Nahh, ich bin schon zufrieden, dass hier niemand ausgeschlossen wird." Loa streift ihr Bandana ab und fährt sich über die Zöpfe. Ich strecke ihr die Hand zum Einschlagen hin und sie stupst mit der Faust dagegen.
Ich verschwinde in eine der Duschkabinen, um die Farbe auszuspülen. Leider konnte ich keinen Karton mit Pflegekuren suchen, bevor wir die Lagerhalle verließen, doch das hier sollte reichen.
Als ich den Schlauch zurück in de Halterung klemme und meine Haare trocken tupfe, höre ich Loas gedämpftes Herumstammeln.
„Also, hum, Samira. Chica. Ich habe mir überlegt, da du wieder fit bist, also... ich könnte den Schlafplatz wechseln und so, falls ihr wollt."
Ich sollte nicht lauschen. Aber Loa klingt sonst nie so verlegen.
„Loa, ganz im Ernst, wir-"
„Shsch shsch shsch, ich will es gar nicht wissen."
Okay, das geht mich nichts an. Ich stoße mit dem Ellbogen laut gegen die Plastikwand. Das Gespräch verstummt und ich trete aus der Duschkabine.
„Ich geh dann mal. Wir sehen uns morgen früh." Ich strecke mich demonstrativ und sammle meine Sachen auf.
„Nicht noch ein Runde Karten? Bis zum Wachdienst dauert es noch." Loa sieht aus großen, gewitterwolkengrauen Welpenaugen zwischen Samira und mir hin und her.
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Okay, ein Runde."
Wir wandern in den Speisesaal. Statt an einem der Tische Platz zu nehmen, rücken wir ein paar der Vorratskisten zurecht. Für das „Feeling", wie Loa es nennt. Von drei Runden Black-Jack gewinnt Samira zwei und Loa keine.
Als Loa schließlich im Aufstehen gegen eine Kiste tritt, schmerzen meine Mundwinkel. Gemeinsam verlassen wir den Speisesaal und nachdem Samira sich von Loa verabschiedet hat und diese verschwindet, um sich für den Wachdienst fertig zu machen, erhalte auch ich eine Umarmung. Ich lasse sie über mich ergehen.
„Das war ein schöner Abend", murmelt sie.
Ich nicke zustimmend und versuche mich zu erinnern, wann mich jemand zum letzten Mal umarmt hat. Und ob ich jemals an einem „Mädelsabend" teilgenommen habe.
„Danke dafür", sage ich leise.
Samira winkt mit ihrer Krücke ab und wendet sich ihrem Schlafsaal zu. „Nicht dafür. Gute Nacht, May."
„Gute Nacht, Samira." Ich warte, bis sie verschwunden ist, dann laufe ich summend zu meinem Schlafsaal.
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Was haltet ihr eigentlich vom Wattpad-Dark-Modus?
PS: Am Mittwoch war Welttag der Biene. Wegen Insektiziden in der Landwirtschaft gibt es Jahr für Jahr weniger Insekten. Und nicht nur die Bienen sterben. Hummel, Wespen, Schmetterlinge, viele andere Bestäuber. Dabei brauchen wir sie so dringend. Hier ein kleiner Tipp, um Insekten das Leben leichter zu machen: Neben bienenfreundlichen Ecken im Garten, könnt ihr auch Korken in eure Regentonne werfen. Richtige Korken, welche die schwimmen. Denn Sommerhitze und Trockenheit setzen den Krabbelviechern genauso zu wie uns. Die Korken erleichtern ihnen das Trinken, ohne das sich die Regentonne in eine Todesfalle verwandelt. Falls ihr keine Regentonne besitzt, könnt ihr alternativ eine flache Schale mit Wasser in den Schatten stellen.
Hier das Bild einer Blume, wie eine Biene sie sieht:
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