Kapitel 26 - Gebissen
Das Verhalten der Dinosaurier zu kennen, könnte eines Tages dein Leben retten.
Als wir uns am nächsten Morgen bereit zum Aufbruch machten, kamen die beiden Dilos aus dem Dschungel hervor und trotteten uns mit reichlich Abstand hinterher.
„Sie scheinen dich zu mögen", scherzte Kemen, der seine Dummheit von gestern wiedergutmachen wollte.
Himaya zuckte erst nur mit den Schultern, schenkte ihm dann aber ein schmales Lächeln. Kemen seufzte vor Erleichterung.
Yin und Himaya zögerten den Zeitpunkt hinaus, an dem wir unausweichlich in den Dschungel abbiegen mussten, um die markierte Stelle auf der Karte zu finden.
„Es sieht aus, als wären da Pfade verzeichnet", murmelte Yin und hielt Diego die Karte vor die Nase. „Was denkst du?"
Er nahm das Papier und kniff die Augen zusammen. „Vielleicht? Könnte alles Mögliche sein."
Yin nahm ihm das Kartenstück wieder weg und lief nach vorn, um Tim, Chiyo und Pablo an der Spitze davon zu berichten. Wenig später wurde verkündet, wir befänden uns jetzt genau zwischen zwei dieser merkwürdigen Einzeichnungen, die vielleicht Pfade waren, vielleicht auch nicht und würden weiter am Strand entlang gehen, bis wir in der Nähe der nächsten Markierung waren und dann suchen, ob wir einen Pfad finden konnten.
„Ich hab den Dschungel die ganze Zeit im Auge behalten", sagte Nicky zu mir, während wir im nassen Sand über einen toten Trilobiten hinwegstiegen. „Und ich hab keinen Pfad oder sonst was gesehen."
Sophie vor uns wandte sich halb um und warf ihr blondes Haar über die Schulter. „Wenn es wirklich Wege sind, die zu diesem geheimen See führen, dann werden sie schwierig zu finden sein."
Ich sah, wie sie bei den Worten ihren Speer etwas fester umklammerte und wusste, woran sie dachte. Plötzlich passte es mir nicht mehr, dass sie vor mir ging, aber so konnte ich sie wenigstens beobachten.
Nicky stupste mich unauffällig in den Oberarm und nickte mir verständnisvoll zu. Auch meine Gedanken waren wohl offensichtlich.
Die beiden Dilos, die uns begleitet hatten, verzogen sich am frühen Nachmittag, als wir uns auf Yins Kommando hin in Paaren einen Abschnitt des Dschungels genauer ansahen. Wir bildeten eine Kette und blieben gerade so in Sichtweite der anderen Grüppchen und betraten die unruhigen Schatten des Dschungels.
Zuerst gab es nichts als Sträucher, Farnen und Bäume. Wir kletterten über herabgefallene Äste, traten auf bunte Wildblumen, schoben dornige Zweige mit den Speeren aus dem Weg. Sophie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Auch wenn wir gerade wichtigeres zu tun hatten, ich konnte einfach nicht verhindern, dass ich innehalten und daran denken musste, wie schön sie aussah. Auch sie hatte seit unserer ersten Begegnung Gewicht verloren; ihre Schlüsselbeine zeichneten sich klar unter ihrer gebräunten Haut ab, die vor mehr als einem Monat am Strand noch fast weiß gewesen war. Sie hatte Sommersprossen auf der Nase bekommen, kleine Narben auf den Armen und Schultern, wo sie von Insekten gestochen worden war. Ihre Haare waren schmutzig und sahen aus, als könnten sie nie wieder durchgekämmt werden, aber das taten meine auch. Und dann die hellrosa Narbe an der Schläfe, die sie sich bei ihrem Sturz auf der Flucht vor dem Giganotosaurus zugezogen hatte.
Ich griff nach ihrem Arm, zog sie zu mir und küsste die Narbe auf ihrer Stirn.
„Was machst du?", fragte sie belustigt, ließ aber zu, dass ich meine Arme um sie legte.
„Tut mir leid", murmelte ich an ihrem Ohr. „Wir könnten jede Sekunde sterben. Ich muss ... jede Gelegenheit nutzen."
Sie kicherte ungläubig und küsste die Stelle direkt unter meinem Ohr. „Wir werden nicht sterben."
„Zumindest nicht heute", stimmte ich zu und löste mich widerstrebend von ihr.
Es dauerte noch eine Weile, bis wir zu unserer rechten einen Ruf hörten.
„War das Nicky?", fragte Sophie und blieb stehen.
Wir lauschten. Es war Nicky, wie sich herausstellte und eine Gruppe nach der anderen fand sich bei ihr und Diego ein.
Der Boden, auf dem wir standen, war feste Erde, durchsetzt mit Steinen, frei von Pflanzen. Während ein paar Meter weiter im Dschungel der Boden zu beiden Seiten recht steil anstieg, verlor sich das, was ohne jeden Zweifel ein Pfad war, hinter einer Biegung im undurchdringlichen grünen Licht des Urwalds.
„Das ist ... eindeutig", stellte Chiyo fest.
„Seid ihr bereit?", fragte Tim in die Runde. Sein Gesicht war rot von der Anstrengung, Chiyo zu tragen und ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Trotz allem hatte er sich noch nicht einmal beschwert.
Ich stellte das stumpfe Ende meines Speers fest auf den Boden. „Ich bin bereit."
Sophie machte einen Schritt nach vorn und nickte grimmig. „Ich auch."
„Das letzte Artefakt", sagte Kemen. „Wir schaffen das. Alle zusammen."
Alle nickten und begaben sich in Formation. Kemen ging hinter Chiyo und Tim und tippte Chiyo an, die sich halb zu ihm umdrehte.
„Es tut mir leid, wegen gestern", sagte er leise. „Ich hätte dieses Ei in Ruhe lassen sollen. Ich ... wollte nicht, dass irgendjemand verletzt wird."
Chiyo biss sich auf die Lippe und ihr Blick wurde weich. „Ich weiß, Kemen."
„Du hattest solche Schmerzen", murmelte er. „Dein Fuß ... es tut mir so leid."
Chiyo löste vorsichtig eine Hand aus ihrem Klammergriff um Tims Hals und streckte sie nach Kemen aus. Er verschränkte kurz seine Finger mit ihren, ehe sie die Hand zurückzog, um sich wieder besser festhalten zu können.
Kemens Wangen glühten, als er leicht ungläubig den Kopf schüttelte und weiterging.
Ich drehte mich zu Sophie um und wir tauschten viel sagende Blicke. Vielleicht waren wir nicht die einzigen, die es geschafft hatten, im Angesicht des Todes unser Herz an jemanden zu verlieren.
Die Felswände ragten bald meterhoch zu beiden Seiten des Pfads auf. Ich fühlte mich eingesperrt, unterdrückte aber das Gefühl, bis ein Geräusch hörbar wurde, das von irgendwo vor uns auf dem Pfad stammte.
Wir gaben die Formation im Angesicht einer möglichen Gefahrensituation auf, obwohl sie ja gerade für diesen Fall gedacht war und bildeten einen Haufen vor der nächsten Biegung. Schritt für Schritt tasteten wir uns so leise wie möglich vorwärts und gingen hinter einem Felsen in Deckung.
Mitten auf dem Pfad stand ein Stegosaurus. Das Geräusch, das wir gehört hatten, wurde erzeugt von seinem stachelbewehrten Schwanz, den er hin und her schwingen ließ.
Er war riesig.
Fast zehn Meter lang und vier Meter hoch stand er einfach bloß dort und fraß. Er schenkte uns keinerlei Beachtung, aber wenn wir an ihm vorbeiwollten, mussten wir ihm sehr, sehr nahekommen und wer wusste schon, ob ihn das nicht an irgendeinem Punkt stören würde. Die Stacheln an seinem Schwanz waren bestimmt mindestens einen Meter lang und er hatte vier davon. Er könnte uns ohne größeren Aufwand aufspießen und an die Felswand nageln, dafür musste er sich noch nicht einmal einen Schritt bewegen.
„Was tun wir jetzt?", wisperte Pablo, ohne den Stego aus den Augen zu lassen.
Diego ließ seinen Blick über die glatten Felswände gleiten, die an dieser Stelle sicher sechs Meter hoch waren. „Wir haben ein bisschen Kletterausrüstung", sagte er und tippte seinen Rucksack an, den wir zusammen mit dem Artefakt aus dem Steinsarkophag auf der Spitze von Far's Peak gezogen hatten. Abgesehen von der magnetischen Kletterausrüstung waren noch Karabinerhaken und Taue daran gebunden.
„Nicht genug für uns alle", erwiderte Chiyo. „Außerdem schaffe ich das mit meinem Fuß auf gar keinen Fall."
„Ich hab zwei gesunde Füße und schaffe das nicht", fügte Kemen hinzu. Er war mit Abstand der athletischste von uns und wenn er sich das nicht zutraute, gab es für keinen von uns Hoffnung.
„Ich kann es", sagte Diego dann allerdings. „Ich kann allein weitergehen und mit dem Artefakt zurückkommen."
„Auf gar keinen Fall!", zischte Chiyo und bedeutete Tim, sie abzusetzen. Kemen kam zu ihr und sie lehnte sich gegen ihn, auf ihrem unverletzten Fuß balancierend. „Ich lasse nicht zu, dass du es allein mit dem aufnimmst, was das Artefakt beschützen wird. Es ist das letzte. Wir trennen uns nicht."
Niemand wagte es, zu widersprechen, selbst Diego nicht, der zweifelsohne recht hatte und als einziger von uns die Felswand hinauf und wieder hinunterklettern konnte. Chiyo hatte schon immer eine andere Beziehung zu Diego gehabt als zu uns anderen, von Anfang an. Es war mir klar gewesen, seit sie vor Wochen meinem Blick gefolgt war, als ich festgestellt hatte, wie unendlich dünn Diego war und sie mir erklärt hatte, dass er nichts essen wollte. Und dann war es mir aufs Neue klar geworden, als ich herausgefunden hatte, dass Diego der jüngste von uns allen war, und jedes Mal, als Chiyo ihn dazu ermuntern wollte, mehr zu essen. Sie hatte es niemals aufgegeben. Denn sie kümmerte sich um ihn, wie eine große Schwester. Und sie kümmerte sich um uns alle.
„Sophie", sagte ich laut genug, damit die Gruppe mich hörte, aber nicht so laut, dass meine Stimme bis zum Stego trug. „Du kennst dich am besten mit Dinosauriern aus. Was schlägst du vor?"
Sophie legte die Stirn in Falten und beobachtete den Stego ein paar Sekunden lang. „Ich denke, wir müssen einzeln an ihm vorbei", sagte sie schließlich. „An seinem Kopf. Es wird ihn Zeit kosten, sich umzudrehen, um uns mit dem Schwanz anzugreifen. Vielleicht wird er auch nicht wütend, wenn er uns kommen sieht. Aber wenn doch, ist es unsere beste Chance."
Alle tauschten Blicke und einige nickten mehr oder weniger überzeugt.
„Wer geht zuerst?", fragte Tim.
„Ich natürlich", erwiderte Sophie, als wäre es absolut selbstverständlich. „Es ist meine Idee, ich lasse keinen von euch wegen mir ins Verderben wandern."
Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich hielt sie unwillkürlich fest. Ich wusste, wir mussten an dem Stego vorbei, ich wusste, ich konnte sie nicht vor allem beschützen.
„Bist du dir sicher?", fragte ich und schaute in ihre blauen Augen. Noch hatte ich die Tage nach dem Tod des Mitglieds aus dem orangen Stamm nicht vergessen, an denen Sophie so leichtsinnig gewesen war, dass sie es nur darauf angelegt hatte, zu sterben.
Sie hielt inne, erwiderte meinen Blick. „Vertrau mir."
Widerwillig ließ ich ihre Hand los und schloss kurz die Augen. Ich musste an Lance denken, seine Schreie und dann das noch schlimmere Verstummen seiner Schreie, seine letzte Tat war es gewesen, das Artefakt an mich abzugeben und Nicky und mich wegzuschicken, damit nur einer von uns sterben musste und zwar er selbst. Und Priscilla, die mir so zielsicher einen Stein an den Kopf geschossen hatte, und der das nie richtig leidgetan hatte, weil sie damit ihren Stamm beschützt hatte. Die gestorben war, weil sie die Artefakte verteidigen wollte. Ich sah ihren Scheiterhaufen vor mir und hatte plötzlich den Geruch von verbrennendem Haar in der Nase.
Wie konnte ich es über mich bringen, Sophie als erstes gehen zu lassen? Wieso hatte ich sie nicht aufgehalten und war an ihrer Stelle zuerst gegangen? Wenn jetzt etwas passierte und sie von diesem Untier getötet würde, ich müsste es mit ansehen und dann damit weiterleben, dass ich es vielleicht hätte verhindern können. Und das würde ich niemals schaffen.
Nicky legte einen Arm um meine Schultern, vielleicht um mich zu trösten, vielleicht, um mich aufzuhalten. Der Gedanke, Sophie hinterherzurennen war definitiv da und wäre da nicht eine unumstößliche Wahrscheinlichkeit, dass es den Stego nur umso aggressiver machen würde, hätte mich nichts hier gehalten. Ich lehnte mich gegen Nicky und lauschte meinem Herzschlag.
Sophie schob sich mit dem Rücken an der Felswand entlang und war nur noch etwa zwei Meter von dem Stego entfernt, als er plötzlich den Kopf hob und stillhielt. Ich konnte sehen, wie ihr der Atem stockte. Beide bewegten sich nicht, dann senkte der Stego den Kopf wieder und fraß weiter. Sophie wartete noch ein paar Sekunden, ehe sie sich Schrittchen für Schrittchen weiter an der Wand entlang an dem riesigen Tier vorbei schlich.
„Wie kann jemand so Kleines so mutig sein?", murmelte Nicky und drückte mich einmal.
„Ich weiß", sagte ich und konnte vor Erleichterung kaum geradestehen. „Ich gehe als nächstes."
Niemand hielt mich auf und ich tat genau dasselbe wie Sophie. Der Stego warf mir nur einen kurzen Blick zu, stufte mich nicht als Gefahr ein und ließ mich passieren. Hinter einem umgestürzten Baum traf ich Sophie wieder, fiel in ihre Arme und küsste sie stürmisch.
Für einen langen Moment waren wir allein. Ich schaute ihr in die Augen und bekam einen ziemlichen Kloß im Hals, vor lauter Gefühlen. Die Möglichkeit, sie zu verlieren und machtlos dabei zusehen zu müssen, war unbeschreiblich.
„Sophie", sagte ich mit belegter Stimme, „ich –"
Ein Geräusch unterbrach mich. Es kam von vorn und ließ Sophie und mich auseinanderschrecken. Zwei Dinosaurier kauerten in einigen Metern Entfernung vor uns auf dem Pfad. Sie reichten uns bis zu den Oberschenkeln und wirkten wie eine Mischung aus Vogel und Dinosaurier, von Kopf bis Fuß gefiedert, jedoch bewährt mit einer Schnauze voll rasiermesserscharfer Zähne.
„Troodons!", rief Sophie erschrocken aus und schwenkte ihren Speer in die Richtung der Tiere.
Einer der Troodons machte einen Schritt zurück und legte den Kopf schief, der andere stieß ein merkwürdiges, kratziges Geräusch aus. Einen winzigen Augenblick später, ohne die geringste Vorahnung, sprang das Vieh vorwärts und direkt auf mich zu. Ich ging rückwärts zu Boden und bekam keine Luft mehr, konnte Sophies Aufschrei hören, versuchte verzweifelt, den Dino von mir herunterzubekommen, aber er war zu schwer und zu entschlossen, mir die Kehle durchzubeißen.
„Nein!", schrie Sophie, aber ich hatte keine Ahnung, was sie tat.
Panisch tastete ich nach meinem Messer, das irgendwo in meiner Hose steckte, der Troodon auf meinem Brustkorb schnappte zu und erwischte meinen Kiefer. Schreiend warf ich den Kopf hin und her, so gut es ging, und ertastete den Messergriff. Ich zog zu hektisch daran und spürte die Klinge in meinen Bauch ritzen, aber es tat kaum weh. Schreiend vor Angst und Schmerz stieß ich das Messer in die Flanke des Troodon. Er kreischte und ließ von mir ab, ich zog das Messer heraus, drehte mich mit dem flüchtenden Tier und rammte es ihm erneut ins Fleisch. Wieder schrie es auf, ich drehte den Messergriff um, keuchend, kämpfte gegen den Fluchtreflex – und dann ertönte ein weiterer Schrei, als Sophie ihren Speer durch den Körper des Dinosauriers bohrte und er sich endlich nicht mehr regte.
Schwer atmend richtete ich mich auf und betastete vorsichtig den Biss an meinem Kiefer. Er blutete und pochte unangenehm, fühlte sich aber nicht weiter bedrohlich an. Ich schluckte und mein Blick fiel auf Sophie, die gerade mit einem ekelerregenden Geräusch den Speer und das Messer aus dem Körper des toten Troodon zog.
„Bist du okay?", fragte ich schwach. „Das war ... danke. Du hast mich gerettet."
Sie bückte sich und säuberte die Klinge des Messers notdürftig mit den weichen Federn am Bauch des Dinos. Dann gab sie es mir zurück und schüttelte den Kopf. „Ich war zuerst wie gelähmt vor Angst. Du hättest schneller reagiert."
„Was ist passiert?", rief eine neue Stimme. Nicky lief eilig auf uns zu, dicht gefolgt von Tim, mit Chiyo auf dem Rücken. Wir mussten nicht besonders viel erklären, der Biss in meinem Gesicht, zusammen mit den Kratzern an Hals und Armen und dem toten Troodon erzählten eine sehr eindeutige Geschichte.
„Wo ist der andere?", fragte ich und blickte mich um, neue Panik im Bauch.
„Abgehauen", erwiderte Sophie. „War wohl schlauer."
Kemen tauchte als nächstes auf, stellte dieselben Fragen und bestand darauf, sich den Biss anzusehen und ihn auszuspülen. „Tut es weh?", fragte er, „Sollen wir es mit Narcobeeren betäuben?"
Ich schüttelte den Kopf. „Alles okay."
„Was hast du da?", fragte Sophie plötzlich und deutete auf meinen Bauch.
„Oh." Ich folgte ihrem Blick und war überrascht, Blut durch mein Oberteil sickern zu sehen. „Ach ja."
Sophie schob vorsichtig den Stoff beiseite und begutachtete den Schnitt, den ich mir aus Versehen selber verpasst hatte. „Ist nicht tief. Aber wir sollten ihn trotzdem säubern."
Kemen nahm ihren Platz ein und schüttete wertvolles Trinkwasser über den Schnitt, egal wie sehr ich protestierte.
„Wir kommen doch bald an diesen geheimen See", sagte er, verdammt optimistisch, dafür, wie dieser Tag bis jetzt lief. „Da füllen wir das Wasser wieder auf."
Nach und nach tauchten die anderen auf und die Geschichte machte die Runde. Ich hatte mich erschöpft und etwas neben mir stehend auf den Baumstamm gesetzt und musste immer wieder versichern, dass es mir gut ging. Das war nicht mal direkt gelogen. Für ARK-Verhältnisse ging es mir gut. Gut genug, um weiterzugehen, weiterzukämpfen, es mit mehr Gefahren aufzunehmen. Gut genug, um nicht aufzugeben.
Ich lehnte es ab, als Chiyo anbot, hier eine Pause einzulegen und stand wieder auf, um meine Entschlossenheit zu demonstrieren. Das Adrenalin ebbte langsam ab und ich begann mit Nachdruck meine Schmerzen zu spüren. Der Biss pochte nach wie vor und schickte dumpfen Schmerz als Begleitung zu jedem meiner Herzschläge. Der Schnitt an meinem Bauch brannte, während der Stoff des Oberteils bei jedem Schritt darüber scheuerte. Mein Rücken tat weh, weil der Troodon mich umgeworfen hatte, die Kratzer, die seine scharfen Krallen hinterlassen hatten, fühlten sich an wie kleine Nadelstiche. Mein Kopf schwirrte von der Aufregung.
Jeder Schritt kostete mich Anstrengung, aber ich beschwerte mich nicht. Auf dem Weg war keine Spur von dem zweiten Troodon zu sehen, obwohl der Pfad nach wie vor eingeschlossen war von steilen Felswänden. Wohin auch immer er geflohen war, wir begegneten ihm nicht wieder.
Ich wappnete mich vor der nächsten Biegung für die Gefahr, die zweifellos dahinter lauern würde und konnte dann nicht begreifen, was ich sah.
Vor uns öffnete sich der Pfad und fiel leicht ab, die Erde ging in Gras über, dann in Schlamm, vor einem beinahe perfekt geformten, runden See. Schilf säumte die Ufer, das Wasser war vollkommen klar und spiegelte den blauen Himmel über uns. Der See bildete das Zentrum einer Lichtung, die überall umschlossen war von riesigen Steilwänden, abgesehen von den insgesamt drei Lücken, die die Pfade sein mussten, die wir auf der Karte gesehen hatten. Und in der Mitte des kleinen Sees war auf vier Säulen der vertraute steinerne Sarkophag.
„Yin, Himaya", sagte Chiyo tonlos. „Ihr seid absolute, verdammte Genies."
Die Gruppe brach in erleichtertes Gelächter aus. Hier schien nichts Gefährliches auf uns zu warten.
„Danke", sagte Yin trocken, „aber Diego hat das hier entdeckt."
Chiyo warf Diego einen Blick zu und lächelte. „Stimmt. Richtig. Du bist auch ein Genie."
Diego senkte den Blick, lächelte aber schüchtern.
Auf der einen Seite des Sees stieg die Wiese sanft an und auf dem höchsten Punkt gab es eine Art flache Felsplatte, auf die wir uns setzten und die Beine baumeln lassen konnten. Von ihr überblickte man perfekt den See mit seinen Seerosenblättern und Wasserlilien. Die einzigen Tiere, die es hier zu geben schien, waren ein paar riesenhafte Bieber, die immer wieder Zweige zu einem Damm am Rand des Sees brachten.
„Hey, Kemen", sagte Chiyo und schaute ihn schräg von der Seite an. „Wenn du diesen Damm anfasst, mach ich dich kalt."
Kemen machte große Augen, sah dann aber Chiyos Grinsen und legte einen Arm um ihre Schultern.
Nach der Anspannung des Tages war die Stimmung hier gelöst und erleichtert. Es war so schwer gewesen, diesen Ort zu finden, dass ich mich hier unwillkürlich sicher fühlte. Niemand war uns gefolgt und das ruhige Verhalten der Bieber vermittelte uns, dass es keine Fressfeinde in der Nähe gab.
Es wurde schnell entschieden, die Nacht hier zu verbringen und morgen das Artefakt aus dem Sarg zu holen und uns auf den Rückweg zur roten Basis zu machen. Auf der Felsplatte wurde ein Lagerfeuer errichtet, die Schlafsäcke wurden im weichen Gras in der Nähe ausgebreitet. Tim trug Chiyo nach unten an den See, wo sie ihren Knöchel kühlen konnte und Kemen gesellte sich zu ihr. Sophie und ich beobachteten sie von der Felsplatte aus. Sie saßen genauso eng beieinander wie wir.
„Wir hätten das kommen sehen können", sagte Sophie lächelnd, als die beiden auf sehr eindeutige Art die Köpfe zusammensteckten.
„Ach ja?"
„Erinnerst du dich an die Höhle? Das zweite Artefakt?"
„Natürlich."
Die Hitze, die Lava, Kemens waghalsiger Sprung auf die Insel in der Mitte.
„Da hatten die beiden auch schon so einen Moment", fuhr Sophie fort. „Sie wollte ihn aufhalten, als er gesagt hat, er würde den Sprung versuchen. Er hat gesagt, er ist der einzige von uns, der das schafft und er hat sie Kleines genannt."
„Stimmt", erinnerte ich mich. „Ich hätte nicht gedacht, dass du das noch weißt. Du warst nicht du selbst."
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, aber er verschwand schnell wieder. Die schlechten Erinnerungen wurden von etwas anderem verdrängt. Sie lehnte ihren Kopf an meinen und seufzte. „Aber jetzt fühle ich mich mehr wie ich selbst, als je zuvor."
„Hey!", rief Chiyo von unten zu uns hoch. „Gibt es noch Essen?"
„Dodofleisch!", rief Nicky zurück.
Kemen küsste Chiyo noch einmal innig, bevor er aufstand, um ihr Essen zu holen.
Und dann passierte es. Noch niemals zuvor war uns der kurze Frieden auf so brutale Weise entrissen worden, wie hier. Gegenüber von dem Plateau, auf dem wir saßen und Feuer gemacht hatten, befand sich einer der drei geheimen Pfade, er war beinahe komplett überwuchert von Pflanzen, die sich von beiden Seiten der Klippen ausbreiteten und zu einem dichten Vorhang verschlangen. Ohne jegliche Ankündigung brach in diesem Augenblick brüllend ein Tyrannosaurus durch das Dickicht und stürmte auf die Lichtung.
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( ͡° ͜ʖ ͡°)
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