Die Macht des Ordens
Der Grund bebte unter den mächtigen Schritten der tonnenschweren Gestalt und Anskar konnte seinen Blick nicht von dem stählernen Titanen abwenden, als dieser seelenruhig auf Hel zuschritt. Die Teutonenrüstung, die sie in Helheim gesehen hatten, war zwar beeindruckend, doch dieses Ding hier befand sich in einer ganz anderen Klasse.
Dies war ein Panzer auf zwei Beinen – ein drei oder vier Meter großer, mit Waffen strotzender Koloss. Da waren frei bewegliche Geschütze auf seinem Rücken, auf seinen Schultern, ja selbst an den Unterarmen. In seinen Schaufelbaggerhänden lag ein stachelbesetzter Morgenstern, groß genug um als Abrissbirne durchzugehen. Ein einziger Schlag von diesem Monstrum würde den gepanzerten Hummer, in dem sie gekommen waren, in Schrott verwandeln.
Ein seltsames Gefühl breitete sich in Anskars Magengegend aus und es dauerte einen Moment, bis er es einordnen konnte. Es war nicht so sehr Furcht, wie die Gewissheit, dass dieses Ding eine echte Gefahr war – selbst für ihn. Seine regenerativen Fähigkeiten hatten ihm bereits mehr als einmal das Leben gerettet, doch er hatte keinen Zweifel daran, dass wenn dieses Ding erst mit ihm fertig war, nicht mehr viel von ihm übrig sein würde, dass sich regenerieren konnte.
Anskar leckte sich die Lippen. „Theo. Du bist der Experte. Was zum Teufel ist das für ein Ding?"
„Wir sind tot", sagte der kleine Mann. „Wir sind ja sooo tot."
„Theo!" knurrte Anskar mit Nachdruck.
Der ehemalige Wartungstechniker schluckte schwer. „Das ist eine Juggernaut-Rüstung – ein Panzer auf Beinen in jeder Hinsicht die zählt, nur das die meisten Panzer nicht so gefährlich sind. Die Juggernauts waren die Wunderwerke der Waffentechnologie und wurden erst zum Ende des großen Krieges eingesetzt. Soviel ich weiß gab es nur eine sehr begrenzte Stückzahl, doch jede Schlacht in der sie eingesetzt wurden, haben die Menschen gewonnen. Hätte es mehr von ihnen gegeben, wäre uns die Götterdämmerung vielleicht erspart geblieben."
Leonora schluckte schwer. „Was ... Was können wir tun, wenn das Ding unfreundlich wird?"
Theodor schüttelte den Kopf. „Wegschwimmen?"
Anskars Achtung vor der Elfe stieg, als er sah, wie ruhig sie trotz des näherkommenden Metallriesen blieb. Sie grinste amüsiert und lümmelte sich geradezu lasziv gegen die Motorhaube des Hummers. Die Roughnecks, welche sie links und rechts flankierten, sahen bei Weitem nicht so entspannt aus. Anskar konnte es ihnen nicht verdenken.
Benny starrte den Koloss mit weit aufgerissenen, ehrfürchtigen Augen an. „Jetzt seht ihr ... Jetzt seht ihr die Macht des Ordens."
„Halt die Klappe, du Depp!" zischte sein Bruder. „Denkst du, dass dieses Ding nen Unterschied zwischen den Veränderten und uns macht, wenn die Scheiße anfängt zu fliegen?"
Benny stierte seinen Bruder böse an, schwieg jedoch.
Einer der schwer gepanzerten Geländewagen stand im Weg des Titanen, doch anstelle einen Bogen darum zu schlagen, beugte der Teutone sich einfach herunter und wischte ihn beiläufig aus dem Weg. Das Automobil schlitterte zur Seite wie bei einem Aufprallunfall, drehte sich zweimal um die eigene Achse und kam mehrere Meter weit entfernt zum Stehen.
Es gab ein allgemeines schweres Schlucken.
Der Juggernaut stampfte seelenruhig weiter, ein Berg aus schwarzem Metall, mit einem grellweißen Kreuz, das auf dem Torso prangerte wie ein Fanal. Für einen Moment sah es so aus, als würde er nicht einmal vor Hel halt machen und sie einfach unter seinem stählernen Absatz zerquetschen. Dann jedoch kam er zu einem abrupten Halt, kaum vier Meter von der Elfe entfernt. Der Koloss und Hel musterten sich und Anskar konnte nicht umhin an die sprichwörtliche Stille vor dem Sturm zu denken.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lächelte Hel schelmisch. „Hallo Bethlehem. Schicker neuer Anzug, du musst mir sagen, wer dein Schneider ist."
Der Titan blieb absolut still. Entgegengesetzt zu dem Sturmtruppendesign der Rüstung, die sie bereits gesehen hatten, war der Helm dieses Modelles näher an die der mittelalterlichen Teutonen angelegt. Ein Doppelpaar aus Hörnern streckte sich wie eine Krone von dem gesichtslosen Helm. Es gab nicht einmal Aussparungen für Augen und kein auch noch so kleiner Punkt in dem Design der Rüstung deutete auf eine Schwäche hin.
Als hätte Leonora Anskars Gedanken gelesen fragte sie, „Hat das Ding irgendwelche Schwachstellen, Theo?"
Der kleine Mann kaute auf seiner Unterlippe. „Ich glaub, Opa hat mal etwas gesagt, aber ich kann mich nicht erinnern. Es ist schon so lange her."
„Na Super", meinte Anskar.
„Vielleicht einen riesigen Dosenöffner?", sagte Denny und lachte nervös.
Sein Bruder starrte ihn böse an. Eine Antwort blieb ihm jedoch erspart, als Leben in eines der kleineren Geschütze auf der Schulter des Teutonen kam. Hel rührte sich nicht, doch die Roughnecks hoben ihre Waffen.
Der blonde Sergeant bellte, „Im Namen des Grafen befehle ich euch eure—"
Er brach ab, als das seltsame Geschütz ein Bündel aus Licht auf den Boden zwischen sich und Hel warf. Einer der Roughnecks – jünger und vermutlich unerfahrener als die anderen – drückte ab und ein Hagel aus Gewehrkugeln prallte mit laut vernehmbaren Pling- Pling- Pling von der Rüstung des Titanen ab.
„Feuer einstellen!", rief der Sergeant.
Ein Knistern erfüllte die Luft und eine elektronisch verzerrte Stimme erklang von dem Riesen. „Ja ... Zügeln sie diesen Narren, Sergeant, ansonsten wird Bruder Bethlehem ihn in einen Fleck am Boden verwandeln."
Der Lichtstrahl flackerte und entfaltete sich in die halb-durchsichtige Figur eines großen Mannes in einer stark ornamentierten Ritterrüstung. Das Gesicht der Figur war das eines alten Mannes mit tief in den Höhlen liegenden Augen und einem der grimmigsten Gesichter die Anskar je gesehen hatte. Eisüberzogener Granit strahlte mehr Wärme aus. Eine zerrüttete graue Löwenmähne fiel ihm auf die breiten Schultern.
„Ein ... Ein Geist", flüsterte Denny.
„Der Geist des Vikars! Sehet die Macht und Magie des Ordens!", sagte Benny mit etwas, das man getrost als fanatischen Eifer sehen konnte.
Leonora schüttelte den Kopf. „Kein Geist, nur ein Hologramm."
„Ein was?", fragte Denny.
„Ist wie eine dreidimensionale Videoaufzeichnung."
Denny öffnete den Mund, um eine weitere Frage zu stellen, wurde jedoch von der elektronisch verzerrten Stimme des Vikars abgeschnitten.
„Sei gegrüßt, Ketzerkönigin."
Hel grinste und deutete einen Knicks an. „Vikar Fürchtegott Gaut. Lange nicht gesehen."
„In der Tat. Ich muss zugestehen, eure Dreistigkeit überrascht mich etwas. Euch noch einmal hier in Unterwaagen sehen zu lassen, nach dem Sakrileg, das ihr begangen habt ist ausgesprochen ... arrogant. Böse Zungen würden sogar von Hochmut sprechen."
Hels tätowierte Gesichtshälfte verzog sich in einem schiefen Grinsen. „Ja, ich war schon immer mutig. Das Spiel ist weit unterhaltsamer auf diese Weise. Jedoch wüsste ich wirklich nicht, weswegen ich Angst haben sollte – hier in der Stadt des Greifen. Aber es ist schön zu sehen, dass Männer wie ihr – oder unser gemeinsamer Freund Sicherheitschef Sattler", sie deutete auf die Roughnecks um sie herum, „sich derart Sorge um das Wohlbefinden einer Elfenmaid machen. Zuckersüß, wirklich."
Das Hologramm des Vikars flackerte und sprang als er lachte. Es war ein kalter, freudloser Klang. „Wie ich schon sagte: Mutig."
Hel blickte sich bedeutsam um und rieb sich die Arme, so als wäre ihr kalt. „Es ist frisch, mein guter Vikar und ich habe leider noch Arbeit zu erledigen, wenn also nichts weiter ist, würde ich mich jetzt gerne verabschieden. Vielen Dank, dass Sie vorbeigekommen sind, um Hallo zu sagen."
Der Vikar schüttelte den Kopf. „Ihr geht nirgendwohin."
Samuelsson trat vor. „Im Namen des Greifen—"
„Der Greif ist nicht hier!", donnerte der Vikar und der Roughneck-Veteran ruckte überrascht zurück. „Er sitzt in seinem Schloss und ist dank der Drogen mit denen diese Kreatur und ihresgleichen die Stadt fluten nur noch ein Schatten des Mannes, der er einst war." Sein Finger stach anklagend in Hels Richtung. „Sie und ihresgleichen töten diese Stadt – und sie töten euren Herrscher. Wenn euch etwas an dem Grafen und Waagen liegt, dann nehmt eure Männer und geht, Sergeant. Geht und dreht euch nicht um!"
Hel lehnte nach wie vor gegen den Hummer und schüttelte den Kopf, doch ob aus Missbilligung oder Amüsement konnte Anskar nicht sagen. Vermutlich beides. Von den Blicken, die sich einige der Roughnecks zuwarfen, konnte man sehen, dass diese Männer dem Vorschlag des Vikars nicht abgeneigt waren. Selbst auf dem Gesicht des Sergeanten zeigte sich ein Stirnrunzeln.
Dennoch schüttelte der Mann den Kopf. „Selbst wenn was ihr sagt stimmt, Vikar, Sicherheitschef Sattler selbst hat mich mit dieser Mission beauftragt und ich will verdammt sein, wenn ich seine Befehle missachte. Die Elfe steht unter unserem Schutz und damit unter dem Schutz von Waagen. Jedwede Kampfhandlungen werden als kriegerischer Akt gegen die Stadt gesehen. Wenn ihr Probleme mit der Elfe habt, tragt sie zum Grafen oder zum Sicherheitschef. Nur haltet sie von den Straßen fern."
Der geisterhafte Vikar und sein stählerner Schatten starrten den Mann nieder und Anskar musste es ihm hoch anrechnen, wie ruhig er im Anbetracht dieser Bedrohung blieb.
Lange, angespannte Sekunden verstrichen.
Letztendlich schüttelte der Vikar den Kopf. „Ihre Entscheidung ist sehr ... bedauerlich, Sergeant." Er hob eine Hand. „Bruder Bethlehem?"
Die vielen Geschütze auf dem Rücken des zweibeinigen Panzers erwachten alle zum Leben, fast wie bei einem Stachelschwein, das seine Borsten aufstellte.
KA-TSCHUNG!
Ein Stück des Bodens, gute zwanzig Meter von der Gruppe entfernt, explodierte in einem Schauer aus Erde und fragmentiertem Asphalt. Die Roughnecks fluchten und warfen sich in Deckung. Selbst Bethlehem fuhr herum, augenscheinlich überrascht, wobei das Hologramm des Vikars wie der Strahl einer Taschenlampe mitgerissen wurde.
„Oh-Gott-Oh-Gott-Oh-Gott!", blubberte Theodor, der zusammen mit Benny und Denny in Deckung gesprungen war.
„Nuke-Shit! Was war das?", hauchte Denny.
Anskar warf einen fragenden Blick zu Leonora, doch der Sukkubus schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung."
Als der Staub sich lichtete, war eine gut sieben Meter lange Schneise im Asphalt zu sehen, fast so, als wäre ein Meteor vom Himmel gefallen. Hel schien absolut unbekümmert, als sie ihre Kleidung abklopfte, um den Staub und Dreck los zu schütteln, ja fast gelangweilt.
Ein Knacken, gefolgt vom Kreischen einer Rückkopplung hallte über das Wasser und eine zivilisiert klingende männliche Stimme fing an zu sprechen. „Bitte lassen sie die Elfe in Ruhe, Vikar. Ich und Lady Hel haben noch Geschäfte abzuschließen und das können wir nicht, wenn sie tot ist."
Das mehrere Meter lange Geschütz, das sich aus der Queen Cassiopeia erhoben hatte, schwenkte in Bethlehems Richtung, um den Worten Nachdruck zu verleihen.
Hel winkte dem U-Boot mit einem Grinsen zu. „Dankeschön Männer!" Dann drehte sie sich dem Vikar zu. „Ich kann euch versichern, dass das was hier gerade den Asphalt ruiniert hat, auch als Dosenöffner für unseren Freund Bethlehem hier fungieren kann. Also, jetzt wo alle Schwänze auf dem Tisch liegen und klar ist wer den Längeren hat, wird es Zeit übers Geschäft zu reden. Was bei Kahlis Titten wollt ihr eigentlich von mir?"
Das Gesicht des Vikars war in einem stillen Knurren gefletscht. „Die Rüstung. Wir wollen die Rüstung und den Schädel unseres Bruders zurück, Weib."
„Schädel? Ha! Ich habe keine Trophäe von eurem Soldaten. Nach der Kugel, die ich ihm verpasst habe, waren nur Knochensplitter und Brei übrig. Kaliber .50 Explosivgeschosse machen immer so eine Sauerei. Was die Rüstung angeht, nun, ich habe in gewisser Weise Gefallen daran gefunden."
„Sie ist nutzlos für euch", knurrte der Vikar. „Nur Zierrat, doch für uns ist sie heilig!"
„Zierrat? Ja, derzeit schon, allerdings habe ich jemanden gefunden, der sie vermutlich reparieren kann: Den Großneffen des Erfinders."
Theodor stieß ein Geräusch aus, wie eine Maus, die man vor eine Meute Katzen geworfen hatte.
Hel sprach mit einem Grinsen weiter. „Hmmm. Ich frage mich, ob mir die Rüstung stehen würde?"
„Sakrileg!", fauchte der Vikar und für einen Moment sah es aus, als würde Bethlehem sie anfallen – Queen Cassiopeia oder nicht.
Hel hob eine beschwichtigende Hand. „Es gibt jedoch etwas, das für mich interessanter wäre. Etwas, das sich in eurem Besitz befindet und kein heiliges Relikt ist."
Der Vikar knurrte, „Was, Elf?"
„Einen Auto-Med. Die Gerüchte auf der Straße besagen, dass ihr zwei in eurer Anlage habt. Wäre schön ebenfalls einen zu haben, um gewisse Krankheiten zu heilen."
Der Vikar stierte sie aus hasserfüllten Augen an. „Du Hexe."
Hel lächelte ihn süß an. „Aber, aber, mein guter Vikar. Versuchen sie mit mir zu flirten?"
Der große Mann knurrte, zwang sich dann jedoch zur Ruhe. Er straffte sich und wickelte sich in seine Würde, bevor er Hel widerstrebend zunickte. „Wir haben einen beschädigten Auto-Med, von dem ich bereit wäre, mich zu trennen."
„Wie beschädigt?"
„Nichts was jemand der eine Teutonenrüstung reparieren könnte, nicht ebenfalls beheben kann."
Hel tippte sich mit den Fingern gegen die Lippen und überlegte für ein paar Sekunden. „Abgemacht. Sofern das Ding nicht absoluter Schrott ist, versteht sich."
Der Vikar nickte. „Meine Männer werden ihn Morgen zu eurer ‚Kirche' bringen. Habt die Rüstung bis dahin bereit." Das Hologramm straffte sich und ein widerwilliges Lächeln zeigte sich auf den grimmigen Zügen. „Gut gespielt, Elf."
Hel verbeugte sich und das Hologramm erlosch mit einem Flackern.
Bethlehem stand einen Moment bewegungslos da – still und unheilvoll wie die Statue eines Kriegsgottes – bevor er sich umdrehte, um den Weg davon zu stampfen, den er gekommen war. Er war kaum außer Sicht, da ein kollektiver Seufzer durch so ziemlich jeden Anwesenden ging.
Theodor drehte sich seinen Gefährten zu. „Ich weiß ja nicht, was ihr denkt, aber ich bin dafür zu Fuß wieder nach Waagen zurückzukehren. Ohne Hel. Scheint mir sicherer."
Anskar nickte. „Amen, Bruder."
***
Die Gefährten und ihre zwei Führer hatten sich nach ihrem kleinen Abenteuer im Hafen schnell von Hel verabschiedet, was ihnen ein wissendes Lächeln von der Elfe eingebracht hatte. Sie beschlossen einstimmig, dass sie genug Abenteuer für einen Tag gehabt hatten und dass es an der Zeit war ins Atomic zurückzukehren – eine Entscheidung, die Benny und Denny befürworteten. Die Zwillinge führten sie weg vom geschäftigen Hafen und durch zunehmend leerere und verfallene Straßen. Ein übler Geruch lag in der Luft und wurde mit jedem Schritt stärker, eine Mischung aus Blut, Fäkalien und Urin, der von überallher zu kommen schien.
Theodor verzog das Gesicht. „Bei meinem ... Ewww ... was für ein Gestank. Das ist aber nicht der Weg, auf dem wir gekommen sind."
„Natürlich nicht", rief Benny über die Schulter. „Das ist das Gerbe- und Schlachthofviertel. Die Wale werden vom Hafen hierher gebracht und verarbeitet, einer der großen bringt zwanzig Tonnen an Öl und mehr. Nicht viel los um diese Jahreszeit und man kann sich ein gutes Stück des Weges sparen. Ihr wolltet doch schnell wieder ins Atomic oder etwa nicht?"
Leonora lehnte sich zu Anskar und wedelte die Luft vor ihrer empfindlichen Nase, was natürlich nicht viel half. „Wenn ich gewusst hätte wie es hier stinkt, wäre ich lieber den längeren Weg gegangen."
Anskar gab ihr ein schiefes Grinsen und schlang den Arm kurz um ihre Hüfte. „Kein guter Ort um einen scharfen Geruchssinn zu haben, was?"
„Kein guter Ort um überhaupt einen Geruchssinn zu haben", murrte Leonora. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ekelhaft das ist." Sie lehnte sich ihm zu und brachte ihre Nase zu seiner Halsbeuge, um einen tiefen Atemzug seines Duftes zu nehmen. „Mmmmm. Das ist besser. Ich wünschte, ich könnte mich dir wie einen Schal um das Gesicht legen."
Anskar grinste. „Nasenmensch, du."
Leonora lächelte und ihre Hand suchte die seine, was Anskar für einen Moment überraschte. Händchen-Halten schien eine so deplatzierte Geste in dieser Welt und vor allem an diesem Ort, dass der große Mann zuerst nicht darauf reagierte. Anskar sah Zweifel in den grünen Augen des Sukkubus aufflackern, der Ausdruck schwand jedoch, als sich seine Finger mit den ihren verschränkten. Beide lächelten sich an und Anskars Puls beschleunigte sich, als er in ihre Augen blickte. Es erfüllte ihn immer mit tiefster Zufriedenheit, wenn er Leonora glücklich machen konnte und für einen kurzen Moment war er es auch.
Und plötzlich war er woanders.
Wie ein Magier, der eine Tischdecke hinfort riss, ohne das Besteck durch den Raum zu schleudern, schwand die Realität um von einer anderen ersetzt zu werden. Von einem Moment zum nächsten befand er sich plötzlich in einem Wald. Alles und nichts hatte sich geändert. Er war derselbe und doch war er es nicht, seine Haut war nicht vernarbt und die Frau an seiner Seite war nicht Leonora, sondern Angelina. Anskar stockte der Atem, als er mit einem Mal nicht mehr in jadegrüne, sondern himmelblaue Augen blickte. Er hatte nie realisiert wie ähnlich sich Leonora und Angelika waren, nicht wirklich. Fast gleich groß und von vergleichbarer Statur, hatten sie dasselbe Lächeln, dieselbe Lebensfreude, die in ihren Augen brannte wie ein Feuer. Anskar erzitterte, als Angelina/Leonora sich in einer unbewussten Geste eine Strähne blonden/rotbraunen Haares hinter das Ohr strich. Anskar wollte sie von sich stoßen. Er wollte sie in die Arme schließen. Er wollte sie anschreien. Sie küssen. Sie ...
Realität – oder das, was die Realität zu sein schien – rammte wie eine Faust durch Eis und zerschmetterte seine Erinnerung. Der Waldweg verwandelte sich in eine schmale, Müll-überlaufene Gasse, Blätter und Vegetation in dreckige Schneeschlacke. Die Staubpartikel, die durch Speere aus Sonnenlicht getanzt waren, verwandelten sich in Schnee- und Ascheflocken. Anskar lies Leonoras Hand los. Er taumelte gegen eine verrottende Wand aus Backsteinen, die unter seinen Fingern zerbröselten.
„Skar?", Leonoras Stimme war voll von Furcht, voll von Sorge.
Seine Zähne mahlten gegeneinander, als er um Kontrolle rang. Es wurde schlimmer ... Die Flashbacks wurden schlimmer. Er blickte auf und sah die Angst in Leonoras Augen. Sie wollte zu ihm gehen, ihn berühren, wagte es jedoch nicht. Der große Mann schüttelte den Kopf, sog die stinkende Luft tief in seine Brust und atmete langsam aus. Er wiederholte dies ein paar Mal und allmählich beruhigte sich sein hämmernder Herzschlag.
„Skar?", fragte Leonora und reichte langsam nach ihm aus. Theodor und ihre zwei Führer beobachteten alles mit nervösen Augen.
Der große Mann blinzelte. „Huh?"
„Ist ... ist alles in Ordnung?"
„Ja ... Ich ... War nur ein kleiner Überraschungstrip in die Vergangenheit. Ein Dampframmen Déjà-vu Moment. Nichts was dir Sorgen machen müsste." Anskar ergriff ihre Hand, drückte sie sanft und lächelte sie schief in einem Versuch an ihre Sorgen zu zerstreuen. Es klappte nicht. Die Sorge war noch immer da, tief in diesen wundervollen Augen. Sie drückte seine Hand fester und gab ihm den Halt, den er dringend brauchte. Die Gefährten gingen schweigend weiter, ein jeder mit seinen ganz persönlichen Gedanken beschäftigt.
Keiner bemerkte die Falle, bis es zu spät war ...
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Uh-oh.
Es sieht so aus, als hätten unsere Gefährten ihren Kopf nur aus der Schlinge gezogen, um ihn auf das Schafott zu legen. Fragt sich nur, wer der potenzielle Scharfrichter ist.
ψ(`∇')ψ
(Es dürfen Wetten abgeschlossen werden.)
M.
PS: Ich habe vor einigen Wochen Fanart von Joel aka @SIeepless hochgeladen, doch aus irgendeinem Grund können viele von nichts davon sehen. Drum also heute ein zweiter Versuch.
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