14. Gottes Schöpfung
»Shit«, entwich es Dag ungläubig und fasste sich an den bis auf wenige Millimeter kahl rasierten Schädel.
Wie konnte das passieren?!
»Alles in Ordnung?«
Sein Kopf taumelte zur Seite. Dr. Haag lehnte ihm gegenüber am Geländer einer Stahltreppe und blickte ihn beunruhigt an.
»Nein«, gestand Dag unwirsch ein. »Orlaith hat Amara in seiner Gewalt. Sie braucht mich.«
Die Furchen auf der Stirn des Wissenschaftlers vertieften sich, während wohl sein superschlaues Gehirn diese Information verarbeitete.
»Du willst spontan in Malik Orlaith' schwebende Festung einbrechen?«, forschte Haag ungläubig nach. »Wie genau willst du das anstellen?«
»Improvisation ist das halbe Leben«, behauptete der Soldat grinsend, doch dank des grellkalten, elektrischen Deckenlichts, erkannte er, dass Dr. Haag seine Bemerkung alles andere als lustig fand. Im Gegenteil, seine Gesichtszüge blieben hart und unbewegt.
»Dag ... so dumm bist du nicht. Bitte. Lass uns kurz darüber nachdenken und einen vernünftigen Plan schmieden.«
»Sorry, aber so viel Zeit habe ich nicht. Sie bleiben hier und haben ein Auge auf Lombardi. Sollte irgendwas sein, kontaktieren sie Lew. Ich kann Ihnen in den nächsten Stunden nicht helfen. Passen Sie auf sich auf.«
»Dag ... tu das nicht«, flehte der Wissenschaftler nochmals eindringlich, doch dieser schritt bereits den hell erleuchtenden Korridor entlang Richtung Ausgang. Er musste das tun. Er würde nicht zulassen, dass eine ihrer Kameradinnen im Entsorgungslager von L-Scott landete.
Scheißegal wie, er würde Amara definitiv retten.
Amara rieb sich in dem verzweifelten Versuch sich zu befreien, die Handgelenke am Plastikstrang blutig. Den Schmerz, den sie dadurch verursachte, blendete sie völlig aus – ihr war absolut bewusst, was mit ihr passieren würde, wenn sie es nicht schaffte zu fliehen. Kurz hörte sie die entsetzlichen Schreie von überflüssig gewordenen Klonen in ihren Gehörgängen widerhallen, die sich beim Abstieg durch das Kaminrohr für immer in ihr Gedächtnis gebrannt hatten.
Die Tür, durch die Malik verschwunden war, öffnete sich wieder. Der Mann in seinen biologischen Zwanzigern, dessen reales Alter aber weitaus höher liegen musste, warf ihr ein entwaffnendes Lächeln zu.
»Ich mag deine Freundin. Sie ist ziemlich aufgeweckt.«
Juna!
»Wenn du es wagst, ihr nur ein Haar zu krümmen, dann ...«, begann Amara eine Drohung auszuformulieren, doch wurde von Maliks bellenden Lachen unterbrochen. Der Geschäftsmann fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes, leicht widerspenstiges Haar. »Spar dir die langweiligen Drohungen, Kleines. Wie soll ich dich eigentlich nennen? Lombardis finsterer Zwilling?«
»Mein Name ist Amara«, antwortete sie eisig und reckte ihr Kinn empor.
»Na schön.« Ihr Gegenüber wirkte amüsiert. »Dann Amara. Tut mir leid, dass ich dich jetzt spontan eine Weile allein lassen muss, aber ich habe eine Einladung zum Brunch erhalten, die ich wirklich ungern verpassen würde.«
Zum Brunch?
Sollte das ein mieser Scherz sein?
Ausgerechnet jetzt wollte er brunchen gehen?
»Guck nicht so traurig, ich komme ja wieder. Und während ich weg bin, leisten Kang und seine Leute dir Gesellschaft. Das wird sicher nett.«
Das wird sicher nett, mein Arsch, dachte Amara pissig, hüllte sich aber in Schweigen, was Malik allerdings nur noch weiter belustigte.
Dieser Typ ist ja völlig wahnsinnig, durchschoss es sie beunruhigt, während sie weiter an der Befreiung ihrer Handgelenke arbeitete. Und das machte ihn umso gefährlicher. Juna ... Lew ... Dag ...
Ihr Team war in Gefahr und sie konnte hier nicht nur weiter dumm herumsitzen!
»Selbst wenn du dir auf diese Weise beide Hände abreibst, kommst du hier trotzdem nicht lebend raus«, prophezeite ihr Malik noch zum Abschied liebenswert, bevor er geschmeidig aus dem Raum schritt, um seine Verabredung wahrzunehmen.
Kurz war Amara versucht ihm hinterherzuschreien, dass er hoffentlich an seinem ersten Bissen Toast elendig erstickte, riss sich dann aber in letzter Sekunde zusammen.
Das hier war allein ihre Schuld. Sie hatte es vermasselt und sich von einer Drohne aufzeichnen lassen. Nun wie ein wütendes Kind herumzuschreien, würde nichts an ihrer aussichtslosen Lage verändern. Sie brauchte einen Plan.
*
Bald darauf konnte sie durch die breite Glasfront beobachten, wie Malik in unauffälliger Straßenkleidung in seinen Airwave stieg und abhob.
Inzwischen waren ihre Handgelenke so aufgescheuert, dass sich eine kleine, zähflüssige Blutlache unter dem Stuhl gebildet hatte. Sie konnte es nicht sehen, aber so wie es sich anfühlte, hatte sie höchstwahrscheinlich keine Haut mehr an ihren Handgelenken haften.
Weitere Minuten verstrichen.
Egal was sie versuchte, sie bekam ihre Fesseln einfach nicht ab.
»Sorry, wenn ich deine Selbstverstümmlung kurzzeitig unterbrechen muss«, ertönte eine ölige Stimme schräg hinter ihr. Amara hätte sich den Hals verrenken müssen, um den hochgewachsenen Asiaten mit den halblangen Haaren, ins Gesicht schauen zu können, aber die alleinige Erinnerung an seine schmierige Visage, reichte ihr im Moment vollkommen aus.
Kang.
Maliks Sicherheitschef, der genau wie Dag ein genmanipulierter Mensch war. Zumindest hatten Junas Recherchen das zutage gefördert.
Seine Schritte waren leise, doch auf Maliks hochwertigen Parkett immer noch hörbar. Er näherte sich und blieb neben ihrem Stuhl stehen.
»Auch, wenn ich Malik als Arbeitgeber schätze, kann ich einfach nicht verstehen, wie man so viel Geld für die Erschaffung deinesgleichen herauswerfen kann. Wie hoch ist eure Lebenserwartung gleich nochmal? Keine vierzig Jahre, nicht wahr?
»Falls dir das nicht klar sein sollte, keiner von uns hat darum gebeten, von euresgleichen erschaffen zu werden.«
»Glaubst du etwa ich habe darum gebeten, gezeugt zu werden?«, fragte Kang heißer. »Das Leben ist kein Wunschkonzert. Na ja, für Menschen wie Malik oder Amara Lombardi natürlich schon. Dennoch bleibt es eine gottlose Praktik.«
»Gottesschöpfungen sagen viel über den Gott aus, der sie erschaffen hat«, versetzte Amara kalt. »Und dein Gott, hat meine Schöpfer erschaffen, oder nicht? Wie kann ich dann nicht Teil des großen Plans sein? Denn wenn es nicht so ist, wäre Gottes Plan fehlerhaft.«
»Wie herzergreifend«, hauchte Kang und beugte sein vernarbtes Gesicht dicht an ihres. Sein nikotinverseuchter Atem, beleidigte ihre Atemwege. »Die billige Kopie macht sich Gedanken über die großen Fragen des Lebens, hm?«
Während er sprach, fuhr Kang mit dem Finger Amaras Gesichtskonturen nach, beginnend an ihrem Wangenknochen. Wenn sein Blick nicht so hasserfüllt gewesen wäre, hätte sie es möglicherweise mit einer zärtlichen Geste verwechseln können. »So perfekt und gleichzeitig so falsch«, sinnierte er leise in ihr Ohr hinein. »Ich frage mich wie es ist, du zu sein. Kein Mensch und dennoch so nah dran am Original. Frustriert dich das nicht? Egal was du tust, am Ende bleibst du immer nur eine Kopie von etwas Besseren.«
Amara schnaubte. »Das Einzige, was ich fürchte, ist wie mein Original zu sein, Arschloch! Du glaubst, dass Menschen das Vollkommenste in diesem Universum sind? Sieh doch nur einmal richtig hin! Sieh dir an, was ihr euch selbst und eurer Schöpfung jeden Tag aufs Neue antut! Warum sollte ich mir da wünschen, mehr wie ihr zu sein?! Wenn überhaupt bin ich dankbar, kein Mensch sein zu müssen!«
»Und genau da liegt das Problem«, sinnierte Kang und schnappte sich eine von Amaras langen Haarsträhnen und zwirbelte sie nachdenklich. »Gott ist grausam zu uns Menschen und wir beten ihn dennoch weiter an. Aber deinesgleichen tut das nicht.«
»Und du denkst ernsthaft, das Problem läge bei uns Klonen?«, fasste Amara ungläubig zusammen. »Vielleicht solltet ihr Menschen lieber eure abartigen Religionen überdenken.«
Die Ohrfeige traf sie ohne jede Vorwarnung und Amaras Wange glühte heiß auf vor Schmerz.
»Du hast kein Recht, uns Menschen zu hinterfragen, Klon«, betonte Kang die letzte Silbe besonders gehässig. »Deine alleinige Daseinsberechtigung besteht darin, nützlich für uns Menschen zu sein. Aber im Moment habe ich nicht das Gefühl, dass du für irgendwen besonders nützlich bist.« Während er das sagte, strich er eine ihrer losgelösten Haarsträhnen zurück hinters Ohr. »Und wenn du schon nicht nützlich bist, dann solltest du mich wenigstens ein wenig unterhalten.«
Er griff in die Seitentasche seiner Jacke und zog daraus einen länglichen dunklen Gegenstand hervor. Im ersten Moment erkannte Amara nicht, worum es sich dabei handelte, doch dann legte Kang grinsend einen Schalter um und knisternde Elektrizität bündelte sich.
Ein Elektroschocker.
»Du willst mich zur Belustigung foltern?«, fragte Amara, selbst überrascht, wie ruhig sie weiterhin klang. Nun, Schmerz war etwas, woran sie durchaus gewohnt war.
»Wusstest du das Klone auf der Basis von Supersoldaten erschaffen wurden? All das, was wir durchleiden mussten, um zu werden, wie wir sind, wurde euch einfach angezüchtet. Findest du das vielleicht fair?«
»Deswegen verachtest du Klone?«, vermutete Amara ungläubig und ein angewiderter Schauer durchlief sie. »Weil du eifersüchtig auf unsere Fähigkeiten bist?«
Brutale Finger schlossen sich um ihren Hals und drückten ihr grausam die Luftzufuhr ab – sie keuchte erschrocken auf und blickte ihrem Angreifer tief in die hasserfüllten Augen, in denen sie ihre eigene ängstliche Reflexion ausmachen konnte.
Nein, sie durfte keine Angst zulassen. Damit würde sie diesem Arschloch nur einen Gefallen tun. Also zwang sich Amara zu einem breiten Lächeln.
»So ist das also, verstehe. Es kratzt wohl an deinem Ego, dass unsere Art die eurige in so vielen Punkten übertroffen hat.«
»Schnauze!«, blaffte Kang erbost und im nächsten Moment wurde eine hohe Voltanzahl durch Amaras Körper gejagt. »Dein dämliches Grinsen wird dir bald vergehen! Wir werden im Nu feststellen, wer von uns die überlegene Art ist!«
Der Schmerz, der sie nun erfüllte, war unbeschreiblich. Amaras Muskeln kontrahierten und sie hatte kurzzeitig das Gefühl, von innen heraus zu verbrennen. Ein ziehendes, schmerzhaftes Vibrieren folgte diesem Brennen und breitete sich bis in ihre Finger und Zehenspitzen aus, bis dieser verdammte Sadist endlich den Kontakt beendete. Keuchend sackte ihr Kinn auf die Brust, doch sie versuchte den Blick fokussiert zu behalten.
Das war wirklich ziemlich übel.
Eine weitere Welle des Schmerzes traf sie und Amaras Bewusstsein wurde fortgespült. Bilder und Empfindungen zuckten wie ein Blitzgewitter in diesem seltsamen Schwebezustand. Sie sah von Sonnenlicht durchzogenes Wasser und kleine Luftblasen, die darin aufstiegen. Amara war Unterwasser und irgendwie auch nicht. Sie hob ihre Hand und drückte ihre Fingerkuppen gegen Glas. Die Klonin fuhr in einem gläsernen Sarg hinab auf den Grund eines Sees. Als sie unten ankam, war das Wasser verschwunden und sie empfing erdrückende Dunkelheit. Der Sarg war in Wahrheit ein Aufzug und öffnete zischend seine Türen.
Amara trat hinaus in einen fensterlosen Korridor, aus dessen Wänden und Decke dutzende Rohre und Kabel verliefen. Ganz am Ende des Korridors brannte ein Licht, so hell, dass sie nur mit Mühe die Augen offenhalten konnte.
Was war das nur für ein unangenehmer Ort? Sie wollte zurück nach Oben, zum Wasser und sanften Tageslicht.
Doch es ging nicht. Angezogen wie eine Motte, schritt sie immer weiter auf die unbekannte Lichtquelle zu. Ihre Augen schmerzten vor Anstrengung und sie konnte fühlen, wie Tränen ihre Wangen benetzten.
Ich muss es sehen, dachte Amara und schluchzte. Ich muss mit eigenen Augen sehen, was sich dort befindet.
Ihre Knie bebten und drohten bei jedem neuen Schritt unter ihr Weg zu brechen. Irgendwas in ihr schrie, sie sollte sich umdrehen und weglaufen. Nicht dorthin zurückgehen, niemals wieder.
Kurz schwankte sie und überlegte dem drängenden Gefühl nachzugeben, doch dann dachte Amara an ihre Kameraden. An Juna, die möglicherweise in diesem Augenblick Malik gegenüberstand. Ihre Angst zu überwinden und weiterzugehen, war das Einzige, was sie tun konnte. Tun musste.
Ein heftiger Schlag ließ sie zur Seite taumeln und Amaras Finger umschlossen eines der Rohre. Sie blinzelte und hörte Kangs Stimme: »Nicht einschlafen, Prinzessin. Wir fangen gerade erst an.«
***
Soo, heute gibts noch ein kleines Zwischenkapitel, bevor wir langsam in die Endphase von Teil 1 starten :D
Also nochmal kurz durchatmen, die nächsten Kapitel werden actionreich!
An dieser Stelle auch nochmal ein großes Dankeschön an all meine treuen Leser*innen! Ohne euch würde dieses Projekt selbstredend nur halb so viel Spaß machen!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro