5️⃣ Biztonság - Geborgenheit
Die Glocken der nahegelegenen Kirche weckten mich am nächsten Morgen. Pünktlich um 7 hob ich den Kopf und sah verschlafen aus dem Fenster.
»¡Oh, merda! Meine Schicht...!«
Erschrocken wollte ich aufspringen, aber mein Blick blieb an Fannis grinsendem Gesicht hängen. Ihre großen, grünen Augen beobachteten mich belustigt, ganz so, als wäre ich ein wissenschaftliches Experiment.
»Guten Morgen, Seba!«, begrüßte sie mich fröhlich, »Hast du gut geschlafen?«
»Ja, aber viel zu lange! Sorry, aber wenn ich nicht in minus zwei Minuten die Bar aufschließe, dann köpft Gábor mich...oder feuert mich gleich...«
Ich blieb bei meinem panischen Versuch, zur Tür zu stürzen, unglücklich mit dem Fuß an einem Bein des Stuhles hängen und fiel der Länge nach hin. Auf meine Platzwunde. AUAAA!
Erschrocken sprang Fanni aus ihrem Bett und eilte zu mir.
»Junge, Junge, Junge! Hättest du mich ausreden lassen, wüsstest du jetzt, dass ich in der Bar angerufen und dich entschuldigt habe.«
Erleichtert ließ ich mich hochziehen, fiel direkt wieder auf den quietschenden Stuhl und atmete den Schmerz, der nun von meinem Kopf aus ging, weg. Langsam aber sicher wurde das Piepen in meinem Hinterkopf und das Hämmern in der Schläfe matter.
»Öhm, brauchst du eigentlich einen Arzt oder zumindest ein Pflaster?«, fragte mich die Grünäugige besorgt.
»Nö, wieso?«
Wie automatisch wanderte meine Hand zu meiner Platzwunde, die eigentlich unter dem Pflaster verborgen sein sollte, doch ich spürte augenblicklich etwas Feuchtwarmes an meinen Finger. Entsetzt starrte ich auf meine blutbefleckte Hand. Noch bevor ich die Situation begreifen konnte, betrat eine Schwester das Zimmer. Sie überblickte die Situation innerhalb von wenigen Sekunden und kniete sich vor mich.
Ungefragt löste sie das alte Pflaster ab, was ich mit einem leisen Jammern quittierte, tupfte die neue Wunde ab und klebte ein neues, größeres Pflaster auf meine Stirn. Nun doch dankbar lächelte ich sie an.
»Wie geht es Ihnen, Frau Delaunai-Sharrow?«, wandte sie sich an ihre eigentliche Patientin.
»Ich habe noch ein bisschen Kopfschmerzen, aber sonst fühle ich mich prima. Danke der Nachfrage!«
»Da fällt mir jetzt wirklich ein Stein vom Herzen! Als du da lagst, wäre ich fast in Ohnmacht gefallen.«, mischte ich mich peinlich berührt ein, immerhin hatte ich der Studentin gerade ihre Opferrolle streitig gemacht.
'Moment, seit wann traust du dich, deine Gedanken spontan mitzuteilen?', fragte mich mein ängstliches Ich im Hinterkopf. Während ich noch darüber nachdachte, empfahl sich die hilfsbereite Schwester, für mich unbemerkt, wieder.
»Ach, mach dich dann schon mal auf eine Standpauke von deinem behandelnden Arzt gefasst. Es war diesmal echt knapp.«, informierte ich Fanni noch immer in Gedanken, »Und ich soll dich von deinen Eltern grüßen.«
Die Augen der jungen Frau leuchteten bewegt auf, als ich ihre Familie erwähnte.
»Hast du mit ihnen gesprochen?«, wollte sie mit leuchtenden Augen wissen, beantwortete dann ihre Frage selbst: »Klar hast du das, sonst hättest du mich ja nicht von ihnen grüßen können...«
Sie bot mir die Hand an und ich klatschte sie mit einem belustigten Grinsen ab.
Da ich mich dazu entschieden hatte, wenigstens für ein paar Stunden in der Arany Város-Bar aufzutauchen, verabschiedete ich mich anschließend von ihr.
Dennoch musste ich Fanni versprechen, nach Schichtende vorbei zu kommen und mit ihr über "mein Geheimnis", wie sie es nannte, zu reden. Komischerweise fürchtete ich mich nicht vor dem Abend, vor der Tatsache, mit Fanni über Chiara zu sprechen. Der Moment des Schreckens, und auch die Ablehnung gegenüber Timeas Freund, hatte uns etwas näher zusammengeschweißt; zumindest empfand ich es so.
Ich nickte der Schwarzhaarigen nochmals knapp zu, was sie allerdings nicht bemerkte, da sie mit ihren verschwitzten Locken beschäftigt war. Schließlich folgte ich dem Exit-Schild, um dem Labyrinth des Krankenhauses zu entkommen.
5 min später stand ich vor dem großen Plattenbau und versuchte, mich zu orientieren. Unentschlossen stapfte ich einfach in Richtung Kirchturm, in der Hoffnung, einen bekannten Ort in der Nähe ausmachen zu können. Ich hätte Gábor fast über den Haufen gerannt, als ich um eine Ecke bog. Schnell senkte ich den Kopf und beschleunigte meine Schritte, damit mein Chef mich nicht erkannte.
»Ach, sieh an, du lebst ja doch noch. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als deine Freundin dich entschuldigt hat. Wirklich, ich dachte, mein Geschirr wäre heute vor dir sicher, Jégkunyhó!«, zischte er mir heuchlerisch ins Ohr, »Der Tag hatte so schön angefangen...«
Er seufzte dramatisch, doch ich ging wortlos weiter. Was sollte ich auch erwidern? Ich war ja nur der bemitleidenswerte Angestellte des ach so großen Gábor Caspari, dessen Arbeiter bekanntlich nichts zu sagen hatten.
»Ich komme gleich mit einem Funktionär in die Bar. Wenn du es schaffst, während meines Meetings ein normaler Barkeeper zu sein, dann bekommst du für kommenden Monat eine Gehaltsaufbesserung. Was hältst du davon, Jégkunyhó?«
Ich zwang mich, ihn dankbar anzulächeln, machte mich aber aus dem Staub, bevor ich ihm gegenüber noch etwas falsches sagte oder tat. Dieser Spitzname und Gábors gespielte Freundlichkeit machten mich rasend.
Hinter der nächsten Hausecke musste ich erst einmal durchatmen und meinen Zorn an dem bröckelnden Putz auslassen. In dem Moment, in dem ich gegen die Hauswand trat, erkannte ich mich selbst kaum wieder; ich hatte meine Wut und meinen Hass immer heruntergeschluckt, hatte meine Gefühle immer versteckt. Ich hatte höchstens ganz tief in meinem Bauch gekocht. Seit wann zeigte ich nach außen, dass ich sauer war?
Als ich, noch immer verwirrt, die Arany Város-Bar betrat, begrüßte László mich schon von Weitem.
»Dachte schon, Seba Zeit brauchen zum Trauern?«
»Freunde machen es wirklich besser, danke für den Rat. Außerdem wollte ich doch meinen Lieblingskoch nicht im Stich lassen!«
Der alte Koch senkte kurz den Kopf, aber ich hätte schwören können, dass sein gegerbtes Gesicht leicht errötet war.
»Hat Gábor dir schon gesagt, dass er sich hier gleich mit so einem Abgeordneten trifft?«
Der Koch hob interessiert den Kopf, schüttelte diesen aber auch gleichzeitig.
»Wir müssen also wieder einen auf "Gábor Caspari ist der beste Chef de..."«, unterbrach ich mich hastig, als ich unseren Boss mit einem älteren Grauhaarigen hereinkommen sah.
Mit einem listigen Lächeln steuerte ich auf die beiden Neuankömmlinge zu.
»Guten Tag, Herr Caspari. Seien Sie gegrüßt, Sir! Darf ich Sie am Fenster platzieren?«
»Guten Abend, Sebastián. Ich glaube, Herr Prof. Dr. Zagodz bevorzugt einen Bar-Platz, richtig?«
»Absolut korrekt, geehrter Herr Caspari.«
Gespielt freundlich, mich aber innerlich übergebend wegen der heuchlerischen Höflichkeit, geleitete ich die beiden Herren an die Theke. László hatte schon einen kleinen "Gruß aus der Küche" in Form seiner superleckeren Soljanka vorbereitet, die ich den beiden Herren servierte. Um diese Wichtigtuer vor mir nicht länger ertragen zu müssen, entschuldigte ich mich höflich und verschwand mit dem Müll auf dem Hinterhof.
Die stinkenden Mülltonnen waren inzwischen geleert worden. Dennoch verpesteten sie die Luft im Umkreis von einigen Metern. Leise und unbewusst summte ich die Melodie von "Footloose".
»Du hast echt eine schöne Stimme.«, meldete sich Timea zu Wort, die neben dem Hinterausgang saß.
Moment, wie lange hockte sie schon da und beobachtete mich?
»Was machst du denn da?«
»Auf dich warten, was sonst? Fanni war gestern nicht zu Hause und sie drückt meine Anrufe weg. Du weißt nicht zufällig, wo sie ist?«
»Ach, du hast mitbekommen, dass sie nicht zu Hause war? Ich dachte, du wärst so mit deinem Freund beschäftigt, dass du das nicht einmal merkst...«
Meine Stimme klang ungewohnt giftig und abweisend. Ich wusste im selben Moment, dass ich zu hart gewesen war und mich in eine Angelegenheit zwischen Fanni und Timea eingemischt hatte.
»W-WAS HABT IHR ALLE GEGEN MATTI?! Er ist doch ein total netter Kerl!«, schimpfte die Blonde aggressiv, wobei ihr Kopf von den blauen Strähnen umkreist wurde wie von Planeten.
»Er ist hochgradig eifersüchtig und drängt alle weg, die dir nah sind. Fanni ist immer das dritte Rad am Mofa, wenn der dabei ist! Aber das ist dir natürlich noch nie aufgefallen...«
Ich sollte wirklich den Mund halten. Das war nicht meine Baustelle.
»Wenn, dann ist sie das fünfte Rad am Wagen... Aber Fanni ist daran auch selbst Schuld, sie will doch keinen Freund und hängt wie eine Klette an mir. Ich dachte, sie sieht auch mal über den Tellerrand, wenn ich einen Freund habe, aber nein, sie drängt sich lieber zwischen Matti und mich, um wieder die erste Geige zu spielen! Dass du da mitmachst, hätte ich auch nicht gedacht. Du kennst Matti außerdem gar nicht, genau so wenig wie die wahre Fanni!«
Wütend fixierte sie mich.
»Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass Fanni nur wegen dir in Europa geblieben ist? Und jetzt wird sie von dem wichtigsten Menschen, den sie hier hat, weggestoßen? Ach, und wirf einem Straßenkind nie vor, dass es keine Menschenkenntnisse besitzen würde!«
»Fanni wollte doch selbst hier bleiben und eine Gesangskarriere machen! Das hat mit mir nichts zu tun!«, murrte Timea noch immer sichtlich verletzt, »Aber es tut mir leid, dass ich dich so angegriffen habe...«
Keuchend hievte ich die Mülltüten in die Tonne und drückte schnell den Deckel zu.
»Schon gut, ich habe ja nicht so ein riesengroßes Ego wie dein Freund. Allerdings solltest du dringend mal mit Fanni reden. Was eure Situation angeht, habt ihr ziemlich unterschiedliche Ansichten. Aber ich will mich da nicht einmischen, das ist euer Wein!«
»Unser Bier, nicht Wein. Wenn man es genau nimmt, hast du dich schon eingemischt. Aber vielleicht sollten Fanni und ich wirklich mal reden. Damit wären wir aber wieder bei der ursprünglichen Frage: Wo ist sie?«
»Sie ist im Krankenhaus. Nachdem sie sich gestern von Matti und dir verabschiedet hat, ist sie zu mir zurückgekommen und wir haben ein bisschen gequatscht. Und dann war sie eben über ihre Zeit drüber...«
Ich ließ den Satz vorerst unbeendet, als ich Timea erblassen sah.
»...und hat einen richtig heftigen Zuckerschock bekommen.«, schloss ich dann doch.
Timea vergrub ihr Gesicht geschockt und verzweifelt in ihren Händen.
»Ich hätte auf sie aufpassen müssen, das habe ich ihrer Familie versprochen.«, jammerte sie verzweifelt.
»In gewisser Weise hast du Fanni gerettet: Ich bin in eine totale, ähm, Schockstarre verfallen, als sie da so zitternd auf dem Boden lag.«, gab ich zu und kratzte mich wieder peinlich berührt am Hals, »Dann hast du glücklicherweise angerufen, was mich zurück in die Realität geholt und auf die Idee, mit Fannis Handy einen Notruf abzusetzen, gebracht hat.«
»Oh Mann, ich hätte trotzdem auf sie aufp...«
Weiter kam die Griechin nicht, denn Lászlós Kopf erschien in der Hintertür. Er sah kurz forschend zwischen uns hin und her, dann visierte er mich an.
»Herren wollen bestellen. Gábor schon ungeduldig, du nicht mehr darfst ihn warten lassen, sonst er richtig sauer wird.«
Dankbar nickte ich dem älteren Mann zu.
»Ich bin schon unterwegs, László!«
Während ich die Hintertür ansteuerte, spürte ich den hilflosen Blick Timeas auf mir. Als ich an der knarzenden Luke ankam, drehte ich mich noch einmal zu ihr um.
»Geh ins Krankenhaus und rede mit Fanni, jetzt! Ich komme nach Schichtende auch nochmal vorbei.«
Timea lächelte mir matt zu, drehte sich um und verließ den Hof. Schnell eilte ich nach drinnen und begab mich wieder in die Gesellschaft der beiden Männer.
»Entschuldigung, die Mülltonnen haben Probleme gemacht. Darf ich Ihnen denn etwas bringen? Noch eine Suppe, ein Menü oder vielleicht einen Cocktail?«
»Du hast eine viertel Stunde mit dem Müll gebraucht! Was hat dich diesmal wieder abgelenkt, Sebastián?«, bohrte Gábor mit zu Schlitzen verengten Augen nach.
Timea tauchte draußen vor dem Fenster auf und formte mit ihrer Hand einen Becher. Ich nickte kaum merklich, woraufhin sie die Lokaltür aufstieß und auf mich zu marschierte. Ich griff nach dem Wasserkocher, füllte ihn und schnipste das Gerät an.
»Also, mit was hast du diesmal deine Zeit vertrödelt?«, hakte Gábor nochmals scharf nach.
Ich duckte mich ab, um Timeas Thermoskanne hervor zu kramen. Im Augenwinkel sah ich, wie das Mädchen, das sich inzwischen neben den Funktionär gesetzt hatte, mit sich rang, ob sie sich einmischen sollte. Ich schüttelte den Kopf in ihre Richtung, doch sie ignorierte es.
»An dieser Stelle muss ich Seba in Schutz nehmen, Herr Caspari: Er kann nichts dafür. Ich habe ihm hinten aufgelauert und ihn bei seiner Tätigkeit gestört. Es war meine Schuld, Entschuldigung!«
Einer plötzlichen Eingebung folgend sprang sie auf und ging um den Tresen herum.
»Deswegen werde ich Seba für den Rest des Abends unentgeltlich zur Hand gehen, als Wiedergutmachung, wenn es Recht ist?«
Gábors Blick wanderte einmal an Timea hinab und wieder hinauf, dann nahm er sowohl ihre Entschuldigung als auch ihr Angebot an. Die beiden Herren bestellten bei ihr auch gleich einen Rotwein und Wildschwein-Braten; beides servierte sie wenig später mit einem freundlichen Lächeln. Auch holte die Griechin demonstrativ ihr Portemonnaie aus der Tasche, legte das Geld für den inzwischen fertigen Tee gut sichtbar in die Kasse und schnappte sich ihre Thermoskanne. Während ich ihr das gespülte Geschirr, Gábor empfand einen Geschirrspüler als nutzlos in seiner Bar, übergab, damit sie es trocknete, schlürfte die Studentin ihren heißgeliebten Schwarztee.
Ich fühlte mich wohl, hätte mich gerade sogar als glücklich beschrieben, obwohl Gábor direkt vor mir saß. Ich hatte vorgestern meine beste Freundin verloren, aber heute zwei neue Freundinnen, die mir über den Verlust hinweg helfen konnten und wahrscheinlich auch wollten, gewonnen. Da war ich mir jetzt sicher.
Schmunzelnd beobachtete ich Timea, wie sie verbissen mit dem viel zu kleinen Schrank für das ganze Geschirr kämpfte. Eigentlich hatte ich schon eine Menge Teller und Tassen fallen gelassen, aber es waren noch immer zu viele Gedecke. Doch Timea schaffte es trotzdem irgendwie, alles fallsicher einzusortieren, ohne auch nur eine Untertasse zerspringen zu lassen. Bewundernd sah ich sie an, als sie den Schrank schloss und sich zu mir umdrehte.
»Was?«, fragte sie schulterzuckend, »Man braucht nur Geduld und ein System. Platz ist selbst in der kleinsten Hütte, da muss man nicht unbedingt das überschüssige Geschirr zerstören!«
»Oh, Sebastián, von ihr kannst du sogar noch etwas lernen!«, lobte mein Chef die Blond-Blauhaarige.
»Ich würde dann übrigens noch einen Nachtisch nehmen.«, meldete sich Gábors grauhaariger Verbündeter zu Wort, »Ein Tiramisu vielleicht, oder ein Palatschinken mit Vanille-Eis? Je nach dem, was da ist!«
»Kalter Hund ist gerade frisch im Angebot. Was halten Sie davon, Sir?«
»Oh, das klingt wundervoll. Ich würde auch ein weiteres Glas von diesem vorzüglichen Rotwein nicht ablehnen.«
Der Abend zog sich in die Länge. Prof. Dr. Zagodz und Gábor leerten zwei weitere Rotweinflaschen, aßen mehrere Stücken des Kalten Hunds und Muffins mit Eierlikör. Gegen um 10 riefen wir den beiden inzwischen Betrunkenen ein Taxi, das sie nach Hause fuhr. László hatte sich schon vor ein paar Stunden verabschiedet und die Küche geschlossen. Nun konnten auch wir Schluss machen und an einen anderen Barkeeper übergeben.
So schnell es ging, eilten wir zum Krankenhaus, huschten über die verlassenen Gänge und klopften schließlich zögernd an die Tür des Beobachtungsraums. Eine Schwester bat uns herein und öffnete die Tür zum Krankenzimmer, in dem Fanni, noch immer an hunderte Geräte angeschlossen, lag. Sie sah aus dem Fenster und drehte sich erst um, als wir uns geräuschvoll auf den Stuhl quetschten.
»Und ich dachte schon, ihr hättet mich endgültig vergessen...«, knurrte die Schwarzhaarige schlecht gelaunt.
»NIEMALS!«, riefen Timea und ich entsetzt im Chor.
»Das war meine Schuld: Timea wusste nicht genau, wo du bist, und Gábor wollte mich nicht gehen lassen. Und deswegen hat sie auf mich gewartet und mir am Tresen geholf....«
»Hey, Seba, alles gut! Brauchst nicht gleich einen Herzinfarkt bekommen! Ich habe sowieso den ganzen Tag mit meiner Familie telefoniert. Wo wir auch schon beim Thema wären, Timea. Wir müssen mal über etwas reden!«
Besorgt wanderte Timeas Blick zu mir. Ich wollte schon aufstehen, um sie allein zu lassen, doch beide forderten mich dazu auf, wieder Platz zu nehmen.
Die beiden Frauen diskutierten knapp 10 Minuten, lagen sich aber schließlich lachend in den Armen; froh, das Missverständnis aus der Welt geschafft zu haben. Mit einer so schnellen Einigung hatte ich nicht gerechnet, weswegen mich der Themenwechsel zu "meinem Geheimnis" völlig auf dem falschen Fuß erwischte.
Innerhalb von wenigen Worten hatte Fanni ihre beste Freundin auf den neuesten Stand gebracht. Nun sahen mich beide interessiert, aber auch ein bisschen gierig, an.
»Los jetzt, Seba! Spann uns nicht noch mehr auf die Folter!«, quengelte Timea ungeduldig.
»Ok, ok, ist ja gut! Ich bin momentan ziemlich fertig,...weil wir vorgestern einen Brief aus Ecuador erhalten haben. Meine Kindheitsfreundin Chiara...sie ist...wegen...da...«
Was war denn jetzt los? Heute früh hätte ich es ihnen einfach sagen können, aber jetzt...
»Sie ist gestorben, oder?«, fragte Fanni mich vorsichtig.
Ich brachte kaum die Kraft auf, zu nicken, da ich das Gefühl hatte, gleich zu ersticken. Ein dicker Kloß verstopfte meinen Hals, rutschte aber langsam in Richtung Herz. Währenddessen verschlang er alles, was ihm in den Weg kam.
»Hey, Seba! Alles wird gut.«, flüsterte Timea leise, »Komm mal her.«
Sie kniete sich vor mich; eine Hand ruhte auf meiner Schulter. Doch es half mir nicht. Ich konnte nicht weinen, nicht sprechen, nicht atmen und hatte allmählich das Gefühl, zu platzen. Timea nahm mich in den Arm, wodurch mir irgendwo in meinem Hinterkopf etwas klar wurde.
'Du bist nicht allein! Tauere auf deine Art. Atme ein, atme aus und lass dann den Tränen ihren Lauf! Niemand, schon gar nicht die zwei Studentinnen, werden dich dafür verurteilen!', erklärte mir meine Stimme, denn fast genau das hatte ich zu Chiara gesagt, als diese vom Tod ihrer Mutter erfahren hatte.
Timeas Körperwärme und ihr sanfter Zitronen-Duft zeigten mir den Weg zurück ins Hier und Jetzt, wo mir inzwischen dicke Tränen über die Wangen rollten. Behutsam hielt mich die Blonde fest; spendete mir damit Sicherheit und Trost.
Erst kurz nach Mitternacht versiegten meine Tränen und ich fühlte mich befreiter und leicher. Der Kloß in meinem Inneren hatte sich aufgelöst, weswegen ich wieder ruhiger atmen konnte. Fanni fielen immer wieder die Augen zu, aber sie zwang sich, wach zu bleiben. Timea ließ mich vorsichtig los und kroch kommentarlos zu Fanni unter die Decke. Nun schlugen die Anstrengungen der letzten Stunden auch bei mir mit voller Wucht zu. Ich hätte natürlich nach Hause gehen können, aber ich besaß einfach die Lust und Kraft dazu nicht mehr. Schließlich bereitete ich mich auf die nächste Nacht in einer unbequemen, sitzenden Schlafposition vor. Doch die himmlische Stille beruhigte so sehr, dass ich innerhalb von wenigen Sekunden wegdämmerte.
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