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Schöne neue Welt

Viel Spaß mit dem ersten Kapitel! (:

Sanftes Licht umhüllt die Szenerie und lässt die grauen Mauern des Saals erstrahlen, als hätte sich die Sonne selbst an diesen trostlosen Ort verirrt. Auch wenn es den Strahlen zumindest gelingt, die Dunkelheit zu vertreiben, bringen sie keine Wärme. Es ist eisig kalt – so kalt, dass mir mein Atem in kleinen, weißen Wölkchen entweicht. Ich erschaudere und schlinge die Arme um meinen Oberkörper. Doch der Frost kennt keine Gnade, sondern dringt erbarmungslos in jede Faser meines Körpers ein.

Am ganzen Leib zitternd versuche ich mich irgendwie aufzuwärmen und nehme dabei den Rest des Saals in Augenschein. Wie Soldaten wachen auf jeder Längsseite 12 Statuen über den riesigen Raum – finstere Gestalten, deren engelsgleiche Züge zu wütenden Fratzen verzogen sind. Sie säumen den Weg zum anderen Ende des Saals, wo zwei prachtvolle, wie aus schwarzem Kristall gemeißelte Thronsessel stehen. Lichtpunkte tanzen über die messerscharfen Kanten der beiden Throne und lassen sie schimmern und funkeln, als wären lodernde Flammen im Kristall gefangen.

Die Reflexionen lassen das Bild wie eine Fata Morgana wirken – täuschend echt und doch seltsam surreal. Die ganze Situation wirkt wie ein Traum, dessen Bilder in einer paar Stunden bereits verblasst sein würden. Ein Hirngespinst, nichts weiter. Aber für einen bloßen Traum sind die Eindrücke viel zu echt.

Mit strengen, wachsamen Blicken verfolgen die Statuen, was sich unter ihnen abspielt. Mit einem Mal manifestiert sich die Gestalt eines Mannes aus den Schatten hinter den Thronsesseln. Ohne zu zögern, schreitet er qualvoll langsam voran. Unwillkürlich beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Mir ist, als würde ein Koloss auf mich zukommen. Selbst aus dieser Entfernung strahlt er eine geradezu übernatürliche Würde aus, eine machtvolle Aura, die einem gleichzeitig ein verzücktes Lächeln auf die Lippen zaubert und das Blut in den Adern gefrieren lässt. Denn in dem Fremden vermischen sich zugleich Verheißung und Gefahr, Erlösung und Verdammnis; er kann mit seiner Hand heilen oder das Schwert führen, das ein Leben auf ewig auszulöschen vermag. Und es scheint unmöglich zu wissen, woran man bei ihm jeweiligen Moment ist.

Das Licht bricht sich auf seinem marmornen Gesicht und in seinen schlohweißen Haaren und lässt ihn selbst wie einen Kristall im Sonnenlicht erstrahlen – ein Eindruck, der von seiner prunkvollen, schwarzen Rüstung nur noch weiter verstärkt wird. Seine Augen sind dagegen nichts weiter als leere, schwarze Höhlen, die einen Blick auf ein unendliches, klaffendes Nichts gewähren.

Unmittelbar vor mir bleibt er stehen. Seine blassen, dünnen Lippen sind eng aufeinandergepresst, sodass ein grausamer Zug seinen Mund umspielt. Gilt sein Zorn mir? Wird er gleich nach dem Schwert greifen, das an seiner Hüfte baumelt, und die Klinge auf mich herabsausen lassen?

Plötzlich hebt er die Hand und zeichnet etwas in die Luft. Dort, wo seine Finger entlangfahren, beginnt die Luft zu vibrieren. Risse öffnen sich, aus denen gleißendes Licht und Flammen treten. Ein Flüstern in einer fremden Sprache, dann ein mächtiger Windstoß, der zu einem tosenden, rauschenden Orkan heranwächst und das Bild des Thronsaals zerreißt.

„Auf bald, Alexandra", flüstert eine Stimme an meinem Ohr.

Und dann ist da nur noch das unendliche, klaffende Nichts seiner Augen.

Gedankenverloren starre ich aus dem Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt, die Beine leger übereinandergeschlagen. Gemächlich tuckert die S-Bahn über Wiesen und Felder, in der Ferne ziehen abwechselnd die Stadt, Dörfer und Wälder an uns vorbei. Die Sonne strahlt, als wollte sie alle Meteorologen dieses Landes verspotten – die hatten für heute nämlich sintflutartigen Regen prognostiziert. Doch das Wetter macht wie immer, was es will.

Es ist ärgerlich, dass man sich nicht mehr auf den Wetterbericht verlassen kann. Hätte ich gewusst, dass wir heute so schönes Wetter haben würden, hätte ich mir das alte Cabrio von meinen Eltern geliehen. Das Auto ist zwar mindestens so alt wie ich, aber ich liebe es trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen. In der Maserung der alten Ledersitze verstecken sich einige der schönsten Geschichten meiner Kindheit und Jugend. Den Trost dieser alten Erinnerungen könnte ich im Augenblick gut gebrauchen.

Schräg gegenüber von mir sitzen eine Frau und ihr Sohn. Sie ist etwa Mitte 30, sieht aus wie eine typische Vorstadttrulla, ihr Sohn wie ein Vorsitzender der Jungen Union in spe. Das geschmacklose Graffiti auf dem Fenster und die aufgerissenen Sitze geben einen grotesken Gegensatz zur biederen Erscheinung der beiden ab. Gegenüber von ihnen sitzt ein Soldat in Uniform. Ansonsten befinden sich kaum noch Leute im Waggon, die meisten Fahrgäste sind längst ausgestiegen.

„Du bist doch ein Soldat", ertönt plötzlich das kindliche Stimmchen des Jungen und erregt selbst meine Aufmerksamkeit.

„Leo!", scheltet ihn seine Mutter aufgebracht. Sogleich schießt ihr die Schamröte ins Gesicht, als hätte ihr Sohn sie beide entlarvt.

„Schon gut", besänftigt der Soldat die Frau lächelnd. Dann wendet er sich an den Jungen und tippt auf seine Schulter. „Ja, das bin ich. Ich bin sogar Offizier."

Falls das überhaupt möglich ist, weiten sich die Augen des Jungen noch mehr. Neugierig reckt er den Kopf nach vorne, um die Rangabzeichen besser betrachten zu können. Schmunzelnd beugt sich der Uniformierte ebenfalls etwas weiter vor. Der Mutter scheint die Situation derweil immer unangenehmer zu werden, immer wieder huscht ihr beschämter Blick auch zu mir rüber.

Nach einer Weile legt ihr Sohn den Kopf schief und schaut dem Offizier einen Moment lang nachdenklich in die Augen. „Dein Rucksack ist sehr groß", meint er und deutet mit dem Finger auf die Ablage über ihnen, wo besagter Rucksack deponiert ist. Ohne eine Miene zu verziehen, nickt der Mann und sieht ihn erwartungsvoll an. „Hast du so viel gepackt, weil du in den Krieg musst?"

Mit einem Mal herrscht angespanntes Schweigen, das selbst das Dröhnen der S-Bahn übertönt. Unwillkürlich sauge ich scharf die Luft ein und lehne mich etwas stärker in meinem Sitz zurück, um einen Blick auf die Reflexion des Offiziers in der Fensterscheibe zu erhaschen. Doch aus dessen Pokerface lässt sich rein gar nichts herauslesen.

„Leo, was soll das denn?", faucht die Frau aufgebracht. Ihrer Stimme kann ich entnehmen, dass sie sich die gleiche Frage gestellt haben muss wie ich – ob die Gerüchte denn stimmen – und dass sie die Aussicht, eine Antwort darauf zu erhalten, in Angst und Schrecken versetzt. „Bitte entschuldigen Sie... Kinder..."

„Schon gut", antwortet der Mann höflich. Eine Antwort bleibt er uns allerdings schuldig.

Es ist die Frage, die heutzutage allen den Schlaf raubt. Steht uns der Dritte Weltkrieg bevor? Das Säbelrasseln zwischen den USA und China hat vor Kurzem einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht. Die Chinesen beschuldigen die Amerikaner, für die Explosion von vor zwei Wochen im Chemiepark in Liaoning verantwortlich zu sein. Die Amerikaner wiederum behaupten, die Chinesen hätten einen Anschlag inszeniert, um einen Grund für weitere Eskalationen zu fingieren. Die traurige Wahrheit ist: Die Aktion geht vermutlich auf mein Konto.

Zumindest werfe ich mir das seit gut einer Woche vor. Die European Task Force, der komische Kommandoverband, den die EU vor paar Jahren als Vortest für die Europäische Armee ins Leben gerufen hat, ist derzeit der beste Kunde meines Arbeitgebers, AIsis. Unter anderem war ich dabei, als wir eine Spezialdrohne zu Ausspähzwecken gebaut haben. Im Prinzip haben wir eine Roboterfliege mit integrierter Kamera designt, so wie man's aus Spionagefilmen kennt - bloß auf Basis einer künstlichen Intelligenz. Dadurch muss man ihr nur noch einen Auftrag erteilen und die Koordinaten eingeben. Den Rest erledigt sie von allein.

Die ETF meinte, sie würde die Fliege zur Terrorismusbekämpfung einsetzen. Die Leben von Soldaten zu retten, die ansonsten von Terroristen getötet worden wären, klang nach einer heroischen Herausforderung. Doch leider ploppte vor einer Woche ein Artikel auf meinem Handy auf, der mich schnell aus meinen Heldenträumen in die bittere Realität zurückgeholt hat.

Eine unserer Fliegen wurde in den Fabrikruinen gefunden. Den Sicherheitsmaßnahmen sei Dank konnte bisher niemand die Drohne zur ETF oder gar zu uns zurückverfolgen. Aber das ändert nichts daran, dass unsere Technik anscheinend benutzt wurde, um den Chemiepark auszuspähen, bevor sie ihn in die Luft gejagt haben. Bei den Explosionen sind 38 Menschen ums Leben gekommen – hauptsächlich ganz gewöhnliche Security und Labormitarbeiter. Anstatt also Leben zu retten, habe ich dafür gesorgt, dass 38 Unschuldige gestorben sind.

Allein bei dem Gedanken daran, wofür ich mitverantwortlich bin, zieht sich etwas in meiner Brust schmerzvoll zusammen. Ich presse die Lippen fest aufeinander und versuche, mich auf die wunderschöne Landschaft, die an mir vorbeizieht, zu konzentrieren. So müde, wie ich heute bin, ist es nicht schwer, sich davon einlullen zu lassen. Dank meiner Albträume war heute wieder nicht an Schlaf zu denken. Wie von selbst gleitet mein leidvoller Blick zu dem mittlerweile leeren Recup-Becher in meiner Hand. Das ist bereits der dritte Becher Kaffee heute. Wenn das so weitergeht, wird bald die Hauptfrage meines Lebens daraus bestehen, was zuerst kam: der Koffeinschock oder mein Gesicht auf einer Tastatur.

Da ich mich schon die ganze Woche über mies fühle, habe ich mir heute Home-Office erlaubt – sollte an einem Freitag schließlich ok sein. Aber mein Lieblingskunde, die ETF, hat ausgerechnet heute ein Meeting bei sich in der Zentrale anberaumt. Als mich mein Chef in der Früh also mit seinem Anruf aus dem Bett geholt hat und fragte, ob ich nicht – vielleicht, unter Umständen, natürlich nur ganz ausnahmsweise mal – zu dem Treffen kommen könnte, habe ich selbstverständlich sofort bewiesen, wie viel Rückgrat ich habe. Nämlich gar keins. Stattdessen bin ich um 7:00 Uhr ins Bad gerannt, um irgendwas mit mir anzustellen, um nicht mehr so auszusehen, als käme ich gerade vom Vorsprechen für die 14. Staffel von The Walking Dead. Ich spoilere mal das Ende dieses epischen Kampfs mit meiner Visage: Ich bin auf ganzer Linie gescheitert. Was meinem angeknacksten Selbstwertgefühl nicht gerade guttut.

10 Minuten später fahren wir endlich in unseren Ziel- und Endbahnhof ein. Nachdem ich mir meine zentnerschwere Laptoptasche über die Schulter gehievt habe, verlasse ich schlurfend die S-Bahn, nur um gleich in die nächste unschöne Überraschung dieses Vormittags hineinzustolpern. Am Bahnsteig erwartet mich bereits ein Soldat, um mich in die Zentrale zu fahren.

Anscheinend vertrauen die oberen Ränge der European Task Force noch nicht mal darauf, dass ich den Weg zu ihnen finde. So wie sie mir im Allgemeinen nicht vertrauen. Der Trojaner auf meinem Handy spricht Bände. Auch wenn Cybersecurity nicht mein Steckenpferd ist, bin ich dennoch beleidigt darüber, dass mich diese Behörde für gar so inkompetent auf dem Gebiet hält, dass sie glauben, mir würde ein verfluchtes Virus auf meinem Privathandy nicht auffallen.

Die Hauptverwaltung der ETF in Deutschland ist ein imposanter, aber gleichzeitig seltsam anonymer, geistloser Bau aus Glas und Beton, der sich nicht so recht in die Landschaft einfügen will. Das Gebäude liegt am Südende des Starnberger Sees. Meine Vermutung ist, dass dieser Standort gewählt wurde, damit es die Damen und Herren Verteidigungsminister, Rüstungskonzern-CEOs und Generäle im Anschluss an die diversen Sitzungen nicht so weit bis zum nächsten Golfplatz haben.

Anstatt den Haupteingang mit der ausladenden Auffahrt anzusteuern, biegt mein Fahrer allerdings auf einen Feldweg ab. Verwundert runzle ich die Stirn. In Anbetracht dessen, mit wem ich es hier zu tun habe, folgt auf dieses Stirnrunzeln jedoch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. „Verzeihung, warum fahren wir nicht zur Zentrale?", erkundige ich mich, auch wenn ich mir zu 90 % sicher bin, dass ich keine Antwort erhalten werde. Zu allem Überfluss springt meine Stimme gleich zwei Oktaven in die Höhe. Meine Emotionen zu verschleiern zählte noch nie zu meinen Stärken...

„Ein paar Resetter protestieren in der Auffahrt gegen unsere Behörde", erklärt der Soldat zu meiner Überraschung. „Haben natürlich alles medienwirksam inszeniert. Darum können wir sie nicht einfach verscheuchen. Wäre ja unmenschlich." Seinem Ton nach zu urteilen hält er nicht viel von den Resettern. Kein Wunder, als Angehöriger des Militärs.

Selbstverständlich gewinnt meine Neugier die Oberhand. Ich hole mein Handy aus meiner Hosentasche und stürze mich gleich auf meine Twitter-Timeline. Für gewöhnlich streamen die Resetter ihre Aktionen live. Auch heute werde ich nicht enttäuscht. Allerdings ist ein paar Resetter die Untertreibung des Jahres. Vor der Hauptverwaltung der ETF hat sich eine ganze Menschenmasse versammelt. Abgesehen von einigen wenigen wütenden Gesichtern und aggressiven Gesten geht die Demonstration für Resetter-Verhältnisse jedoch sehr gesittet vonstatten.

Es geht den Demonstranten wohl um die Haltung der EU gegenüber den Ostmächten. Ich erinnere mich, wie sich die Europäische Union vor ein paar Jahren noch um ein gutes Verhältnis zu China bemühte. Na ja, das war vor dem Ausspähskandal vor drei Jahren. Seitdem hat sich der Großteil Europas auf die Seite der USA geschlagen und die Beziehungen zwischen den NATO-Ländern und China, Russland und deren Verbündeten haben mit der Auflösung der G20 in diesem Jahr einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Mein Blick fällt auf eines der Schilder. Nach einigen Sekunden zoomt die Kamera automatisch näher heran, sodass ich die blutroten Buchstaben besser lesen kann. Über jedem Richter steht ein Henker. Eine der Lieblingsparolen der Bewegung, vor allem seit Tobias Langert, Galionsfigur der Resetter in Deutschland, in Haft sitzt. Angesichts der miesen Gesamtsituation unserer Welt kann ich die Forderungen nach einer Art Neustart für die Erde durchaus nachvollziehen. Aber wegen solcher Spinner wie Langert wissen die meisten normalen Leute nicht, was sie von den Resettern halten sollen. Ich meine, der Kerl fantasiert auf Twitch von irgendwelchen Dämonen und Engeln und solchem Quatsch. Das weckt nicht gerade Vertrauen.

Innerlich seufzend packe ich mein Handy wieder weg. Eigenartig, als Kind wünscht man sich immer, man würde schnell groß werden, um endlich ein Teil dieser schillernden Erwachsenenwelt sein zu können. Und als Erwachsener wünscht man sich nichts sehnlicher, als wieder ein Kind sein zu dürfen. Geistesabwesend starre ich in die Ferne, wie von selbst fange ich nach einer Weile an, mit dem kleinen Anhänger an meinem Hals zu spielen. Ein einzelner tropfenförmiger, roter Edelstein in silberner Fassung.

Mein Bruder Fabi und ich haben ihn zwischen Großtante Gerdas Sachen gefunden. Sie ist Anfang des Jahres verstorben. Da sie selbst nie Kinder hatte, hat sie ihren ganzen Besitz Oma, meinen Eltern und Fabi und mir vermacht. Großtante Gerda und meine Oma standen sich immer sehr nah, ihr Tod hat sie ziemlich mitgenommen. Allerdings wollte sie nur ein paar alte Fotoalben mitnehmen, den Rest hat sie Fabi und mir überlassen. Schließlich war sie für uns auch immer wie eine Oma, besonders für mich.

„Wir sind da."

Die Stimme des Soldaten reißt mich unbarmherzig aus meinen Gedanken. Verwirrt blinzle ich ein paar Mal, bemüht darum, möglichst rasch meine Orientierung wiederzuerlangen. Die sonnige Herbstlandschaft ist einem grauen Parkhaus gewichen, dessen Wände aus Stahl und Beton durch das harsche, elektrische Licht noch kühler wirken. Leicht benommen, als wäre ich gerade aus einem meiner Albträume erwacht, verlasse ich den Wagen. Meine Güte, reiß dich zusammen, Alex!

Ohne weitere Umschweife führt mich mein Begleiter hinauf. Wie jedes Mal werde ich erstmal vollständig durchleuchtet, mit allem was dazu gehört. Zwar bin ich erst zum dritten Mal hier, allerdings hoffe ich wirklich, dass es das letzte Mal ist. Nachdem wir gefühlt durch den halben Gebäudeflügel gelatscht sind, erreichen wir endlich den für uns designierten Besprechungsraum. Die Hauptverwaltung ist ein verfluchtes Labyrinth aus endlosen Besprechungszimmern und Büros. Ich frage mich wirklich, wie viele Meetingräume eine einzelne Behörde eigentlich braucht.

Robert wartet bereits auf mich, unsere Auftraggeber lassen sich noch Zeit. Wenigstens gibt es Kaffee, auf den ich nach einer kurzen Begrüßung mit meinem Chef direkt zusteuere. Die Brezen lasse ich links liegen, mein Appetit ist in letzter Zeit quasi nicht vorhanden. Was vielleicht auf die konstanten Bauchschmerzen wegen meines übermäßigen Kaffeekonsums zurückzuführen ist. Ach ja, langsam werde ich alt.

„Danke, dass du's hergeschafft hast, Alex", meint Robert lächelnd. Doch das täuscht nicht darüber hinweg, wie verkrampft er ansonsten ist. Für das heutige Meeting hat er sich sogar in einen Anzug gezwängt. Man merkt deutlich, dass er, der mit seinen 38 Jahren noch immer der ewige Surferboy ist, sich in diesem hochformellen Aufzug unwohl fühlt. Während andere Männer im Anzug also gnadenlos gut aussehen, wirkt er wie ein blauer Pinguin.

„Kein Problem", lüge ich, ausnahmsweise mal gekonnt. „Es geht um das Gesteinsprojekt?"

„Ja...", seufzt er. „Wir sind zu langsam."

Wow. AIsis hat ja nur eine der besten Lead Times in der ganzen Branche – die verdammten USA eingeschlossen. Aber klar, der ETF geht's nicht schnell genug. Weil man eine scheiß künstliche Intelligenz ja auch innerhalb von fünf Minuten programmieren und innerhalb von zweien auf jedes beliebige Gerät klatschen kann.

„Ist dein Team denn fertig mit der KI?", erkundigt er sich verunsichert, senkt dabei sogar die Stimme. Wobei – so unwahrscheinlich ist es nicht, dass wir abgehört werden.

„Wir sind soweit, ja", antworte ich nickend – und versuche dabei keine allzu leidvolle Miene aufzusetzen. Zwar habe ich mir selbst eine neue Herausforderung gewünscht. Aber mit der Verantwortung für das KI-Teilprojekt war ich dann doch überfordert. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich für die Rolle des Product Owners eine ungefähr genauso gute Besetzung bin wie Hayden Christensen für Anakin Skywalker damals. Aber wie durch ein Wunder habe ich es nicht völlig vermasselt.

Diesmal wünscht sich die ETF etwas ganz Besonderes. Für die Head-Displays in den Helmen der Einsatzkräfte benötigen sie eine Anwendung, mit deren Hilfe sie Gesteine erkennen und vor allem auseinanderhalten können. Warum ausgerechnet das Militär so eine Software braucht, erschließt sich mir allerdings nicht.

Kaum habe ich meinen Laptop hochgefahren, marschieren die Herrn Offiziere in den Raum ein – Flachwitzalarm. Es folgt der übliche Smalltalk, dann geht es jedoch sehr schnell zur Sache. „Bis wann können Sie das Programm EMI-249 fertigstellen?", verlangt einer der anwesenden Generäle, ein Erich Mair, zu erfahren. Innerhalb eines Wimpernschlags sind das zwanglose Lächeln und der Plauderton, mit denen er uns zuvor begegnet ist, verschwunden. Stattdessen wirkt er todernst. Zwar macht die ETF bei jedem Projekt Druck. Aber aus welchen Gründen auch immer muss ihnen diese Software noch wichtiger sein als die vorherigen Aufträge.

„Nun, das hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Ihre Hardware arbeitet ja auf einer proprietären Softwarearchitektur, also müssen Schnittstellen gebaut werden, um...", holt Robert aus, jedoch interessiert das die Anwesenden nicht im Geringsten.

„Wie weit sind Sie denn?", unterbricht der General ihn einfach. Wow, ein echter Charmebolzen.

„Wir arbeiten gerade an der Fertigstellung der KI. Die Details dazu kann Ihnen Frau Erdmann erläutern", antwortet mein Chef. Es kostet mich jede Menge Überwindung, bei Frau Erdmann nicht die Lippen zu kräuseln. Frau Erdmann ist meine Mutter, ich bin einfach nur Alex. Auch wenn ich technisch gesehen mit meinen 26 Jahren erwachsen bin, kann ich dieses gekünstelte Sie nicht ausstehen.

„Also, Frau Erdmann?", wendet sich der General geradezu gönnerhaft an mich. An seinem Blick ist deutlich abzulesen, dass er mich nicht für voll nimmt. Seit ich in den letzten Monaten so heftig abgenommen habe, sehe ich noch jünger aus – und so alt wie dieser glatzköpfige Sack Gammelfleisch aussieht, muss er wohl glauben, dass ich seine Enkelin sein könnte.

„Die KI analysiert 3D-Scans von Gesteinsproben. Als Ergebnis wird einem angezeigt, um welches Mineral es sich handelt sowie bei Bedarf weitere Informationen, zum Beispiel zur Radioaktivität oder Beschaffenheit des Gesteins", fasse ich die Funktionalität kurz zusammen, bemüht darum, mir meine Abneigung nicht ansehen zu lassen, bevor ich den aktuellen Stand darlege. „Wir haben das Training bereits abgeschlossen. In den Post-Tests ordnete die KI in 98 % aller Fälle das Gestein korrekt zu."

Tja, damit hat der feine Herr General wohl nicht gerechnet. Das kleine Mädchen hat dafür gesorgt, dass das Grundgerüst innerhalb einer Woche steht. Während ich spreche, zuckt eine seiner Augenbrauen leicht in die Höhe, seine Mimik verdüstert sich noch weiter. Als ich fertig bin, herrscht für einen qualvoll langen Moment Stille. Ich spüre, wie sich langsam das nagende Gefühl von Nervosität in meiner Bauchgrube breitmacht und den Ärger verdrängt, der mir gerade noch so ein sonderbares Selbstbewusstsein verliehen hat.

„Haben Sie das Programm dabei?", hakt er nach.

„Ja."

„Dann haben Sie vermutlich nichts gegen eine kleine Demonstration, oder?"

Mist. Das mit der 2%-igen Fehlerquote war vielleicht etwas zu hoch gepokert. Dafür waren es bisher entschieden zu wenig Tests. Ok, Alex, lass dir jetzt bloß nichts anmerken. „Wenn Sie ein Testobjekt und einen 3D-Scanner haben, gerne", erwidere ich betont entspannt.

Doch anscheinend riecht dieser Mair Verunsicherung wie ein Bluthund. Seine Lippen verziehen sich zu einem kleinen, hinterfotzigen Lächeln. Auf einmal hat er etwas von einem blutrünstigen Wolf, der nur darauf wartet, sich auf ein unschuldiges Schaf stürzen zu können. Innerhalb weniger Minuten ist alles aufgebaut, auf dem großen Besprechungstisch steht ein würfelförmiger 3D-Scanner, der an mein riesiges Ungetüm von einem Laptop angeschlossen wird. Im Scanner selbst befindet sich ein grüner Gesteinsbrocken, dessen Vorderseite von einigen größeren, leicht glänzenden Bläschen übersät ist. Na ja, wird schon schiefgehen.

Also jage ich den Scan durch das Programm. Zu siebt haben wir uns vor dem Laptop versammelt und starren alle wie gebannt auf den Bildschirm. Einige Sekunden verstreichen – die KI arbeitet noch. Warum dauert das so lange? Allmählich beschleunigt sich mein Herzschlag. Die Nervosität wird immer schlimmer, unwillkürlich krampft sich mein Magen zusammen. Bitte lass mich jetzt nicht im Stich, Computer!

Dann ist das Ergebnis da.

No match found. Mineral cannot be classified.

Was? Nein! Für einen Augenblick bleibt die Welt stehen. Verständnislos glotze ich auf den Bildschirm, bete dafür, dass ich mir das bloß einbilde. Aber die hämischen Worte bleiben. Wie konnte die KI die Probe gar keinem Gestein zuordnen?

Panisch stürze ich mich auf meinen Laptop. Mit einem Mal beginnen meine Wangen zu glühen, mir kommt es vor, als hätte ich plötzlich Fieber. „Verzeihung, das muss ein Input-Fehler sein", murmle ich kaum verständlich. Doch mit dem Scan stimmt alles und als ich die Maske aufrufe, können alle sechs Männer hinter meinem Rücken beobachten, wie es aussieht, wenn man sich bis auf die Knochen blamiert. Ein falsches Ergebnis? In Ordnung, passiert. Aber gar kein Ergebnis?

„Ich probier's nochmal", erkläre ich, nachdem ich einen Blick über die Schulter wage. Robert ist leichenblass. Das dürfte auch für ihn die größte Blamage seiner Karriere sein. Und für mich das Ende meiner Karriere. Er bringt mich um. Er wirft mich hochkant raus, wenn ich dieses Mistvieh nicht sofort zum Laufen kriege!

Sekunden werden zu Stunden, während ich das Programm mit zittrigen Fingern neustarte. Diesmal läuft es zumindest schneller. Aber das Resultat bleibt dasselbe. Die KI kann das Gestein nicht klassifizieren. Wie ist sowas möglich? Wir haben die KI mit allen Mineralien, die auf der Erde bekannt sind, trainiert. Hier stimmt doch was nicht!

Ich würde am liebsten losheulen. Wie in Zeitlupe drehe ich mich um. Noch immer starrt Robert an mir vorbei auf den Laptop und noch immer wirkt er, als ob er gleich in Ohnmacht fällt. Währenddessen begegnet mir der General mit einem trockenen Schnauben und kaum verhohlenem Argwohn.

„Kind, Sie sehen ja aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen", verspottet er mich noch zusätzlich – und ich habe es nicht anders verdient. Voller Scham senke ich den Blick und fahre mir durch die Haare. Das war's, Alex, du bist geliefert.

Als wäre dieses Schlamassel nicht schon schlimm genug, setzt Mair allerdings noch eins drauf: „Herr Götz, wir hätten ein paar Fragen zu unseren restlichen Aufträgen an Ihre Firma. Könnte Frau Erdmann währenddessen draußen warten?"

Somit wäre wohl das Ende meiner Karriere besiegelt.

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