Apfels Schicksal
Es war tiefste Blattleere, als Apfel erschöpft zusammenbrach und spürte, wie der Schnee ihr Fell durchnässte. Hungrig und vor Kälte zitternd lag sie auf einer Lichtung. Sie war Tage gelaufen, um sich und ihre ungeborenen Jungen vor den Zweibeinern zu retten, die immer näher zu ihrem Bau kamen. Erst jetzt hatte sie Zeit sich umzuschauen, um auszumachen, wo sie überhaupt war.
Wackelig und langsam erhob sie sich auf die Beine und ihr dicker Bauch brachte sie fast wieder zu Fall. Ihre Jungen könnten jeden Moment geboren werden. Einen kurzen Augenblick verharrte sie in dieser Position und ihr Körper gewöhnte sich an das zusätzliche Gewicht.
Sie blickte sich um und entdeckte ein paar Schwanzlängen von ihr entfernt einen Ginsterbusch. Dieser würde sich als perfektes Plätzchen zum Schlafen eigenen. Sie lief durch den strahlenden Schnee geradewegs auf den großen Strauch zu, der ihr genug Schutz vor Schnee und Wind bieten würde.
Doch kurz bevor sie sich niederlassen konnte, stolperte sie über eine dicke Wurzel, die sie wegen des dichten Schneefalls nicht gesehen hatte. Apfel fiel hart auf ihren Bauch und schrie schmerzerfüllt auf. Panisch atmend leckte sie über ihren Bauch, in der Hoffnung, dass den Jungen nichts passiert war. Erneut durchzuckte sie eine Welle von Schmerzen und Apfel erkannte, dass der Sturz ihre Geburt ausgelöst haben musste.
Ein goldener Kater hatte ihren Schrei gehört und sah sich nach seiner Quelle um. Als der fremde Kater die cremefarbene, ausgehungerte Kätzin im Schnee liegen sah, sprang er schnell zu ihr. Er verdrängte, dass sie ein Eindringling in dem Territorium des BirkenClans war und dass er eigentlich Kräuter hatte sammeln wollen. Er war schließlich der Heiler seines Clans und war bereit ihr zu helfen.
»Was ist passiert?«, fragte der golden getigerte Kater eindringlich. Apfel zögerte kurz. Konnte sie der fremden Katze Vertrauen schenken? Erneut wurde sie von einer der Welle des Schmerzes überrannt und sie hatte keine andere Wahl als sich helfen zu lassen. »Ich bin gefallen und meine Jungen-« Keuchend vor Schmerzen brach sie ab. Der Kater blickte mit seinen ozeanblauen Augen auf den prallen Bauch der Kätzin. Sie brauchte nicht weiterzureden, denn er hatte ihre missliche Lage schon verstanden.
Er hatte Bedenken, der cremefarbenen Kätzin zu helfen. Er befürchtete, dass sein Anführer es nicht gutheißen würde, wenn er mitbekam, dass sein einziger Heiler seine Kraft an eine Einzelläuferin verschwenden würde. Aber er konnte sie und ihre Jungen nicht alleine in der Kälte ihrem Tod überlassen.
Er zwang sich zur Ruhe und hoffte, dass sie auf die gebärende Katze abfärben würde. »Keine Panik, ich bin Goldnebel, der Heiler des BirkenClans, wenn du möchtest, kann ich dir helfen.« Ungläubig sah Apfel zu dem jungen Kater. Er war zu ihr gekommen und fragte sie nun, ob sie seine Hilfe überhaupt brauchte. Sie blaffte Goldnebel an. »Natürlich brauche ich Hilfe, ich bin gerade dabei Jungen aus mir herauszupressen!« Goldnebel ließ sich vom barschen Ton der gebärenden Kätzin nicht beirren und trat einen weiteren Schritt auf sie zu.
»Atme tief ein und aus. Ich werde dir einen Stock holen, auf den du draufbeißen kannst.« Schon sah sich Goldnebel um und packte einen Stock kurz hinter ihm. Apfel wusste nicht, wozu sie einen Stock brauchte, nahm den Stock aber dennoch ins Maul und bei der nächsten Wehe biss sie auf den Ast, der ihr half, die Schmerzen besser zu verkraften.
Laut fing sie an, zu jammern. »Ich kann nicht mehr! Wann ist dieser Albtraum vorbei?« Goldnebel schüttelte den Kopf und knurrte leise. »Du gibst nicht auf! Es dauert nicht mehr allzu lange.« Apfel maunzte schwach und erneut durchkam sie eine Welle von Schmerz. Goldnebel blickte sich besorgt nach Kräutern um, die der Kätzin bei der Geburt unterstützend würden, fand aber nirgends Greiskraut, Pimpernell, Wacholderbeeren, oder Kerbelwurzel. Er sah nur den weißen Schnee vom Himmel herabfiel.
Endlich neigte sich die Geburt dem Ende zu und Apfel brachte zwei Kater und zwei Kätzinnen zur Welt. Erschöpft sank sie in den Schnee und sie hob zu einem Schnurren an, brachte aber keinen Ton heraus. Aus ihren Augen wich der letzte Hauch von Leben und reglos lag sie in der untergehenden Sonne. Golnebel sah betrübt zu der toten Katze. Er wusste noch nicht einmal wie sie hieß und trotzdem hatte er sie verloren. Ihm war klar, dass ihr Tod nicht seine Schuld gewesen war. Sie schon vor der Geburt schwach und abgemagert war, aber trotzdem stellte der Kater sein Amt als Heiler wieder einmal in Frage.
Er sah zu den vier Jungen die sich an den leblosen Körper ihrer Mutter schmiegten und hungrig quiekten. Der Sturz schien die kleinen Geschöpfe nicht verletzt zu haben, aber Goldnebel hatte auch noch keine Zeit gehabt die Jungen genauer zu betrachten. Er wusste das sie hier draußen wie ihre Mutter sterben würden, wenn er sue alleine ließ, also entschied kurzer Hand sie ins Lager mitzunehmen.
Der goldene Kater mit den blauen Augen packte die vier Jungen sanft am Nackenfell und sein Kopf neigte sich gefährlich dem Boden zu. Mühsam und darauf bedacht, die Jungen nicht durch den Schnee zu schleifen, trottete er in das Lager des BirkenClans. Die Jungen begannen zu frieren und er lief schneller. Er konnte nicht auch noch ihre Jungen verlieren, das war er ihr schuldig. Mit ihnen im Maul schlüpfte er durch den Lagereingang und lief über die Lichtung direkt zur Kinderstube. Er beachtete die Blicke seiner erstaunten Clangefährten nicht, sondern dachte nur an das Überleben der Jungen.
Als er in die warme Kinderstube eintrat, sah er Tulpenschwinge, die ihren Schweif um ihr einziges Junge gelegt hatte und schlief. Die anderen beiden Jungen aus ihrem dem Wurf waren gestorben und nur Milchjunges, ein hellgraues Junge mit blauen Augen, hatte überlebt. Goldnebel hatte sich damals schon fürchterliche Vorwürfe gemacht und gezweifelt, ob er sich wirklich als Heiler eignete.
Hektisch weckte der goldene Kater Tulpenschwinge. Schlaftrunken öffnete diese ihre Augen und blickte ihn an. Goldnebel legte die vier Jungen ab und begann wild sie gegen die Wuchsrichtung ihres Fells zu lecken. »Schnell hilf mir!«, befahl er der weißen Kätzin. Sie machte sich sofort daran einem wunderschönen schiefergrauen Kater durch das Fell zu fahren.
Goldnebel ließ von der cremefarbenen Kätzin mit weißem Fleck auf der Schnauze ab und schleckte nun über das Fell von einem grauen Jungen mit beigem Bauch und beiger Schwanzspitze. Tulpenschwinge schob er das vierte Junge zu. Es war ein cremefarbener Kater mit einer schiefergrauen Schnauze und schiefergrauen Pfoten. Beiden Katzen leckten denn vier winzigen Geschöpfen vor sich abwechselnd durch das Fell.
Nach einer Weile hörte Goldnebel auf. »Ich denke, wir haben ihren Blutfluss und ihre Atmung genug angeregt.« Er blickte sich alle Jungen genaustens an. Drei von ihnen machten einen ganz guten Eindruck, aber die zweite Kätzin, mit dem schiefergrauen Fell und dem cremefarbenen Bauch, schien schwach zu sein. Sie war das Letztgeborene gewesen und atmete am schwächsten.
»Dich nenne ich Hoffjunges«, meinte Goldnebel und sah Tulpenschwinge an. Sie nickte nur und schob das Junge zu sich an den Bauch. Langsam schnuppernd hob es das Köpfchen, fand eine Zitze und saugte fest daran. »Leg die anderen Jungen neben Milchjunges Hoffjunges.« Goldnebel tat wie ihm geheißen und platzierte die anderen drei Jungen vorsichtig am Bauch von Tuplenschwinge. Schnell begannen diese sich auf Futtersuche zu machen und folgten dem Milchgeruch zu den Zitzen.
Ein Haufen von grauen und cremefarbenen Jungen zappeln an dem Bauch der weißen Kätzin. Sie sah zu Goldnebel. »Woher hast du die Jungen?« »Sie sind von einer Einzelläuferin. Sie befand sich innerhalb unseres Territoriums als die Geburt losging. Ich war auf der Kräutersuche, als ich ihre Schmerzenschreie hörte. Sie war halb verhungert und am erfrieren... Die Geburt hat sie geschwächt und« Goldnebel holte tief Luft »und sie verstarb. Wäre ich früher da gewesen oder hätte ich Kräuter gehabt vielleicht hätte ich sie retten können aber so...« Der junge Kater verstummte und Tulpenschwinge bedeutete ihm näherzukommen.
Er legte sich neben sie und spürte kurz darauf ihre Zunge an seinem Pelz. »Du hast alles richtig gemacht. Ohne dich wären sie und die Jungen gestorben. So konntest du zumindest die Jungen retten.« Die Worte waren nur ein kleiner Trost, aber die gleichmäßigen Zungenstriche beruhigten Goldnebel. »Geh und frag Drosselstern, ob wir diese wunderbaren kleinen Jungen behalten dürfen.« Goldnebel nickte und richtete sich auf. Er ging zum Ausgang der Kinderstube, als er hörte, wie Tulpenschwinge ihm noch etwas zurief. »Goldnebel, ich danke dir, dass du sie zu mir gebracht hast.«
Goldnebel spürte Wärme in sich aufkommen und er trat hinaus auf die eisige Lichtung. Er tappte durch den Schnee auf den Bau des Anführers zu und blieb vor diesem stehen. »Darf ich eintreten Drosselstern?« Er brauchte seinen Namen nicht zu nennen, da Drosselstern ihn schon am Geruch erkannt hatte. »Goldnebel! Komm in meinen Bau.« Der goldene Kater schob sich zwischen den Bromberranken hindurch und stand im kleinen Bau des Clananführers. »Ich habe mich schon gefragt, wann du mir von den Jungen berichten würdest«, fuhr der schwarze Kater fort.
Verwirrt blickte Goldnebel zu Drosselstern. »Baumpelz hat mir davon berichtet, wie du mit drei Jungen im Maul durchs Lager geeilt bist.« »Es sind vier Junge«, nuschelte Goldnebel leise. Drosselstern zuckte mit den Ohren. »Nun, dann erzähle mir von diesen vier Jungen.« »Sie gehören einer Kätzin, die sie auf unserem Territorium zur Welt gebracht hat.« Misstrauisch blickte der Anführer auf seinen Heiler. »Wer ist der Vater der Jungen und wo ist diese besagte Kätzin jetzt?« »Wer der Vater der Jungen ist, weiß ich nicht«, gestand Goldnebel, »und ihre Mutter ist bei der Geburt gestorben. Ich habe leider nicht geschafft, sie zu retten. Deswegen bitte ich dich, Drosselstern, uns die Jungen behalten zu lassen. Die meisten von ihnen sind kräftig und könnten großartige Clankrieger werden.«
Der schwarze Anführer überlegte kurz. »Ich schenke deinen Worten Glauben, Goldfeder, aber es ist mitten in der Blattleere und die Beute ist rar. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es schaffen vier weitere hungrige Mäuler zu füttern.« Goldnebel reagierte schnell. »Ich weiß, dass wir nicht viele Beutetiere haben und das die Krieger durch die Blattleere und die damit verbundenen Krankheiten geschwächt sind, aber genau das ist der Punkt. Der BirkenClan hat weniger Krieger denn je und wir brauchen neue Schüler. Zwei Junge von Tulpenschwinges Wurf sind schon verstorben. Wollen wir zulassen, dass uns noch mehr großartige Krieger durch die Krallen rutschten?«
Nun blickte Drosselstern amüsiert drein. »Ich sehe, dass du dich sehr dafür einsetzt, diese Jungen zu behalten. Also will ich dir diesen Wunsch erfüllen. Ich mache meine Entscheidung von Tulpenschwinge abhängig. Sie ist zurzeit die einzige Königin und nur sie könnte die Jungen säugen. Wenn sie also bereit ist, die Jungen aufzuziehen, dann wollen wir sie behalten.« Dankbar nickte Goldnebel und zog sich aus dem Bau seines Anführers zurück.
Glücksgefühle durchströmten seinen Körper und er trat heute zum zweiten Mal den Weg zur Kinderstube an. Er schlüpfte in den warmen Bau und verkündete Tulpenschwinge die guten Nachrichten. »Die Jungen dürfen bleiben! Vorausgesetzt du bist bereit sie zu säugen.« »Natürlich bin ich das!« Halb belustigt und halb empört sah Tulpenschwinge zum Heiler.
»Während du weg warst, habe ich mir Namen für die Jungen überlegt.« Sie deutete auf die cremefarbene Kätzin, die eine winzige Version ihrer Mutter war. »Sie heißt Lichtjunges. Ihr Name soll uns an das Licht erinnern, dass wir in dieser schweren Zeit gebrauchen können und an das Licht, dass sie in mein Leben gebracht hat.« Goldnebel gefiel der Name. Er sah das Junge mit dem weißen Fleck auf der Schnauze an und wusste sofort, dass der Name zu dieser Kätzin passte.
Tulpenschwinge fuhr fort. »Der graue Kater hier«, sie deutete auf den kräftigen, schiefergrauen Kater, »soll Traumjunges heißen, weil er so wunderschön ist und meinen Traum nach Jungen erfüllt.« Auch dieser Name gefiel dem Heiler. Er legte sich zu Tulpenschwinge und den Jungen und leckte ihnen über das Fell.
»Wie soll dieser Kater heißen?« Er deute mit seinem Schwanz auf einen cremefarbenen Kater mit grauer Schnauze und grauen Pfoten. »Er heißt Dämmerjunges«, antwortete ihm Tulpenschwinge. »Es sieht so aus als würde das grau an seinen Pfoten und an seiner Schnauze wachsen und die helle beige Farbe seines Pelzes vertreiben wollen, so wie die Dämmerung es eben mit dem Tag tut. Außerdem wurde er in der Dämmerung zu mir gebracht.« Goldnebel war zufrieden mit der Namenswahl und ging die Namen immer und immer wieder durch.
Hoffjunges, Lichtjunges, Traumjunges, Dämmerjunges und auch Milchjunges lagen zusammengekuschelt am Bauch der weißen Kätzin und waren eingeschlafen. Müde und erschöpft legte auch Goldnebel seinen Kopf auf die Pfoten und ließ sich von Tulpenschwinges Schnurren einlullen, bis er spürte, wie ihn der Schlaf übermannte.
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