xxxvi. abschied
Kalea will irgendwas dazu sagen, doch bevor sie ihren Mund öffnen kann, wird die Erde erschüttert.
»Was?«, haucht sie erschrocken und dreht sich um.
Die Gedanken an Yennefer sind wie weggeblasen, als sich alle physikalischen Gesetze verabschieden und Bruchstücke des Gesteins nach oben fliegen.
»Was passiert hier?«, haucht sie, als eine Stimme Geralts Namen ruft. Aber es ist nicht einfach eine Stimme. Es ist Ciris.
»Kalea, vorsichtig!«, ruft Geralt plötzlich.
Sie war wie festgewachsen, als Geralt sich gegen sie drückt. Gemeinsam gehen sie zu Boden und sein mächtiger Körper schiebt sich vor ihren. Er drückt sie gegen den Felsen und beschützt sie vor den Stellazith-Fragmente, die an ihnen vorbeischießen.
Kalea hat keine Angst, wobei sie die wahrscheinlich verspüren sollte. Doch sie spürt Geralt ganz nah an sich und sie weiß, bei ihm ist sie sicher. Er würde sie wahrscheinlich vor allem schützen.
So schnell, wie es gekommen ist, hört es aber auf. Für einen Moment wird die Spalte hell erleuchtet, dass alle sich die Augen zukneifen müssen. Dann ist es still. Gespenstisch still.
»Wo sind die Stellazith-Fragmente hin? Wer war diese Stimme?«, fragt Istredd aufgeregt, und seine dunklen Augen folgen dem Wasser, das die Felsen herunterrinnt.
Kalea hat nicht einmal mitbekommen, dass es angefangen hat zu regnen und diesen Gedanken daran verdrängt sie auch ganz schnell wieder, als ein Grollen durch die Spalte dringt.
Wo sind sie hier nur gelandet?
Geralt ignoriert den dunklen Magier und greift automatisch zu seinem Schwert, sein Blick in die Ferne gerichtet, woher das Grollen kommt. Alles an seinem Körper ist angespannt und auch Kalea greift zu ihrem Messer, das sie an ihrem Bein festgebunden hat.
Ein Messer mag nicht besonders effektiv sein. Doch es ist eine Waffe und Kalea würde sie benutzen, um sich selbst und Geralt zu schützen.
Das Grollen wird lauter, als ein Monster in ihr Blickfeld kommt. Es sieht auf den ersten Blick wie ein Drache aus, wobei sein ganzer Körper aus diesem Gestein besteht.
»Ach du scheiße.«
Kalea ist sich sicher, dass dieses Monster nicht normal ist. Nicht dass es die anderen sind, aber es besteht aus dem Monolithen. Dem Gestein, dass Ciri einfach mit ihrer Stimme durchbringen konnte.
Das Monster setzt zu einem Sprung an. Kaleas Finger krallen sich um den Griff ihres Messers. Sie würde das Ding nicht einmal damit verletzen können, aber kampflos würde sie niemals aufgeben. Niemals.
Doch es springt einfach über sie hinweg und fassungslos starrt Kalea dieses Monster an, das immer mehr mit der Ferne verschwimmt.
Kalea kommt wie ein Deja-Vu vor, als sie gemeinsam mit Ciri und Geralt durch den Wald läuft. Die Sonne wärmt ihre blasse Haut. Fast würde sie sich entspannen, wenn ihre Gedanken sie nicht auf Wachsamkeit warnen würden.
Das erste, was sie gelernt hat, seitdem sie auf dem Kontinent ist, dass sie nicht unachtsam sein darf. Niemals. Denn das könnte ein Fehler sein und ein grausamer Tod wäre das Resultat.
Ciri und Geralt sprechen leise, nur Kalea klinkt sich aus. Während Geralt Plötzes Zügel hält und die Königstochter führt.
Es kommt Kalea fast unnatürlich vor, wie schnell sich hier die Jahreszeiten ändern. Aber vielleicht ist das hier normal. Es ist eben anders auf dem Kontinent, auf denen Monster zum Alltag gehören. Auf der Erde sind die Menschen die einzigen Monster.
Immer noch sieht sie dieses geflügelte Monster vor sich. Auf dem ersten Blick hat sie es mit einem Drachen verglichen, doch als es über sie hinweg geflogen ist, hätte es ebenso ein Pegasus sein können. Ein geflügeltes Pferd aus Steinen.
Vor einem See bleiben sie stehen und Kalea erinnert sich zurück, als sie auf Geralt getroffen ist. Ihre Narbe am Bein fängt an zu jucken, als könnte sie sich auch noch daran erinnern, wie das Monster seine Krallen darin vergraben hat. Fast wäre sie gestorben, doch Geralt hat sie schon damals gerettet, als er sie kaum kannte.
Hexer sollen kein Herz haben, doch wenn man Kalea fragt, dann hat Geralt das größte Herz, das sie jemals gesehen hat. Nur dass es nicht für jeden offen ist und man es sich verdienen muss. Anders würde es wie eine Blume irgendwann verwelken.
»Was tust du?«, fragt Kalea, als der Hexer einfach die Zügel loslässt und in das seichte Wasser geht.
»Geralt, komm zurück!«, ruft Ciri besorgt, als der Blick der beiden Frauen zum Himmel geht. Ein schwarzes, geflügeltes Monster zeichnet sich von dem blauen Himmel ab und kommt in einem schnellen Tempo zu ihnen geflogen.
Plötze tänzelt nervös auf der Stelle und sofort nimmt Ciri die Zügel auf.
»Kalea, was hat er vor?«, fragt die Königstochter, doch Kalea weiß es nicht. Sie wünschte, sie hätte eine Antwort auf ihre Frage, um sie zu beruhigen. Aber sie hat sie einfach nicht.
»Ich hoffe, du weißt, was du tust«, murmelt Kalea weiter, fixiert dabei den breiten Rücken von Geralt.
Wieder ist ihre Hand automatisch zu ihrem Messer gewandert. Sie berührt die Klinge, die sich kühl an ihrer Haut anfühlt. Immer noch würde sie keine Chance haben, aber sie kämpft für ihre Familie.
Sie hat niemanden mehr. Nur Ciri und Geralt und sie würde Kalea niemals kampflos aufgeben.
Das Monster fliegt auf sie zu. Alle Muskeln spannen sich in Kaleas Körper an. Sie ist bereit zu kämpfen, als das geflügelte Ding sich senkt und vor Geralt das Wasser mit den Beinen aufscheucht, aber nicht angreift.
Kalea behält die Szene im Auge. Irgendwas muss passieren. Und das tut es. Dieses Ding fliegt eine Kurve und kommt wieder auf Geralt zu.
Entsetzt stellt sie fest, dass er kein Schwert in seiner Hand hält. Das Monster kommt näher und näher. Doch Geralt steht da, alles angespannt und tut nichts. Gerade als Kalea ins Wasser rennen will, hebt er seine Hand und eine Energiequelle kommt daraus und bildet eine Art Schutzschild, woran das Monster abprallt.
Kalea weiß, dass er ein Hexer ist und weitaus mehr als nur mit einem Schwert kämpfen kann, doch noch nie hat sie es mit ihren eigenen Augen gesehen. Und es jetzt zu sehen, fasziniert sie.
Das Monster prallt zwar daran ab, aber stürzt sich dann wieder auf den Hexer. Der Kampf hat begonnen und Kalea weiß absolut nicht, wer ihn gewinnen wird.
Gerade als Kalea denkt, dass Monster sich ein weiteres Mal auf den Hexer stürzen, fliegt er über ihn hinweg direkt auf das Ufer zu.
»Verdammte Scheiße«, murmelt Kalea.
Sie hat keine Chance mit diesem verflixten Messer. Warum hat sie nicht das Schwert mitgenommen?
»Ciri! Kalea!«, ruft Geralt, doch es ist zu spät. Kalea gibt Plötze einen Klaps auf ihrem Hinterteil, dass sie mit Ciri weg galoppiert, aber es ist zu spät.
Plötze steigt, um sich mit ihren Hufen zu verteidigen, doch Ciri kann sich nicht halten und mit einem leisen Schrei wird sie von der Fuchsstute runtergeschmissen.
Kalea steht wie erstarrt da, als das Monster seine Krallen um Plötze legt. Schmerzvoll wiehert Plötze auf, versucht, sich zu wehren, aber gegen das Monster hat sie keine Chance.
»Plötze!«, schreit Kalea und stürmt auf die Stute zu. Ihre Beine sind weggeknickt und schwer atmend liegt sie auf dem Boden. Das saftige Grün wird mit ihrem Blut gemischt.
Mit Tränen in den Augen sinkt Kalea zu der Stute. Schmerzhaft kommen ihre Knie auf dem Boden auf, aber der Schmerz ist nichts zu dem in ihrer Brust.
Plötze mag nur ein Tier sein, aber für Kalea war die braune Stute so viel mehr. Ein Freund. Ein Wegbegleiter.
»Nein, Nein...«, keucht sie und drückt ihre Hände auf die Stellen, die das Monster mit den Krallen aufgerissen hat. Aber Kalea weiß, dass sie für die Stute nichts mehr tun kann. Ihre Hände färben sich mit dem Blut der Stute, doch das ist Kalea egal. Sie will die Wunden der Stuten schließen. Irgendwie. Sie will, dass Geralts treuer Begleiter aufsteht und kämpft. Aber manchmal muss man einsehen, dass ein Kampf verloren ist.
Ungehindert fließen ihr die Tränen herunter.
»Es tut mir so leid...«, murmelt sie und schmerzhaft atmet die Stute aus. Vorsichtig legt Kalea ihren Kopf auf ihren Schoß, streichelt über ihre weiße Blesse, die sich von Kaleas Finger rot färbt.
Sie kriegt nicht einmal mit, dass das Monster weitergeflogen ist. Sie streichelt die Stute, als würde ihr Leben davon abhängen.
»Kalea...«, hört sie Ciris leise Stimme, doch sie hört nicht auf sie.
Die Geräusche im Hintergrund verblassen, sie sieht nur den Hals der Stute, der sich vor anstrengend bewegt, während sie versucht, Luft in ihre Lunge zu bekommen. Die Stute leidet, das weiß sie.
Tränen fließen heiß über ihre Wangen, als sie eine schwere Hand auf ihrer Schulter spürt. Geralt.
Er kniet sich neben ihr und streicht über ihr braunes, verschwitztes Fell. Sein Blick ist dunkel und zeigt keinerlei Regung. Nur Kalea weiß, wie es wirklich im Inneren des Hexers aussieht.
Sie ist nicht die erste Stute, die er verliert. Dennoch stirbt jedes Mal ein Teil von ihm mit.
Keiner sagt ein Wort und Ciri hält Abstand zwischen den beiden, die sich von der Stute verabschieden.
»Sie war eine gute Stute«, schluchzt Kalea, und Geralts Hand findet ihr, umschließt ihre Finger mit seinen, während sie immer noch die Stute streicheln. Beide klammern sich an der Hand des anderen, an diese sanfte Berührung.
Ein Blick in seine Augen und sie weiß, dass sie die Stute erlösen müssen. Langsam nickt Kalea und hart schluckt Geralt.
Er mag gegen Monster kämpfen, ab und zu auch gegen Menschen, aber jemanden umzubringen, der zu einem gehört - niemand sollte vor dieser Entscheidung stehen. Er greift zu seinem Messer und das erste Mal sieht Kalea, dass seine Hand zittert, dass er dieses Leben nicht beenden kann.
Also tut Kalea etwas, das sie niemals gedacht hat. Bevor Geralt das Leben seines geliebten Pferdes beenden kann, greift sie zu ihrem Messer. Ihre Sicht ist durch ihre Tränen immer noch verschmiert, aber sie schöpft Mut in diesen Tränen.
Das alles hat einen Grund. Sie glaubt nicht an Gott und selbst wenn, dann hätte er sie verlassen. Aber vielleicht muss Plötze sterben, damit sie Ciri retten können. Vielleicht führt der Tod sie endlich zu der Antwort dieses Rätsels.
»Du warst eine gute Freundin, eine gute Begleiterin. Jetzt ist es an der Zeit, über die Regenbogenbrücke zu galoppieren«, flüstert sie leise, streicht ein letztes Mal über ihr Fell, spürt den Puls, der immer schwächer wird. Und dann setzt sie die Klinge an und beendet ihr Leben.
Plötze nimmt einen letzten tiefen Atemzug, bevor sie für immer verstummt.
Nie wieder wird sie freudig wiehern. Nie wieder wird Kalea ihre samtigen Nüstern spüren, nachdem sie für die Stute eine Karotte geklaut hat. Niemals wieder wird sie auf dem Rücken der Stute sitzen und sich im Takt ihres Schrittes verlieren. Nie wieder.
»Es muss sterben«, knurrt Geralt. Einige Minuten haben Kalea und Geralt vor Plötze gekniet, doch dann hat er sich, als erster erhebt.
»Wir sind bei dir« Kaleas Stimme zittert, als sie ebenfalls aufsteht. Sie kann nicht noch einmal zu dem toten Pferd vor sich blicken. Das würde sie nicht aushalten.
Geralt greift zu einer Phiole und ohne zu fragen, weiß sie, dass es eines der Hexer-Tränke ist. Oder eher Gift, das sie schlucken.
Er öffnet sie und kippt die Flüssigkeit herunter, bevor er seine Augen schließt. Seine Gesichtsmuskel zucken vor Anstrengung, als das Gift zu wirken scheint. Schwarze Adern treten von seinen Augen aus und verunreinigen seine sonst so helle Haut.
Als er das nächste Mal die Augen öffnet, ist das Gold verschwunden, in das Kalea sich verliebt hat. Dunkler als die tiefste Nacht strahlen ihr seine Augen entgegen und sie schluckt.
Seine Augen treffen auf ihre. Sie kann kein Gefühl in ihnen lesen, als wäre es vor ihr nicht Geralt. Kalea bewegt sich kein Stück, als er auf sie zutritt.
»Hast du Angst?«, fragt er mit rauer Stimme.
Kalea hält den Blickkontakt stand und schüttelt langsam mit ihrem Kopf. Er steht ihr jetzt so nah, sodass sie ihre Hand ausstrecken kann.
Geralt bewegt sich keinen Zentimeter, als sie von seiner Wange nach oben streift. Ihre Fingerspitzen berühren seine kühle Haut und fahren die schwarzen Arterien nach. Geralt ist und bleibt das wunderschönste Geschöpf, auf das sie jemals getroffen ist.
»Ich werde niemals vor dir Angst haben«, wispert sie. Geralt grinst nicht. Seine Muskeln im Gesicht bewegen sich nicht einen Zentimeter, als er ihren Kopf packt und hart seine Lippen auf ihre presst.
Kalea keucht und klammert sich an den Hexer fest. Der Kuss ist vor Emotionen getränkt. Vor Wut. Schmerz. Liebe. Verlangen. Und das Gefühl, zuhause zu sein. Er küsst ihr den Schmerz weg, bevor er sich von ihr löst.
Vergesst nicht zu voten, wenn es euch gefallen hat.
danke (:
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