xxxiii. das gefühl
»Sie trainiert wirklich ununterbrochen«, brummt Geralt, als er und Kalea nach unten gehen und sie den glatzköpfigen Hexer und Ciri zwischen den Tischreihen kämpfen sehen.
»Warst du anders?«, hakt Kalea nach und zieht ihre Augenbraue hoch, während sie Geralt kurz ansieht, bevor ihr Blick wieder auf Coën und Ciri fällt.
»Das ist was anderes«, weicht er aus und Kalea verdreht ihre Augen.
»Weil du ein Mann bist?«, fragt sie spitzer als beabsichtigt. Doch gerade dieses Thema ist präsenter denn je - in ihrer Welt zumindest.
»Bei uns läuft es halt ein wenig anders«, verteidigt Geralt sich. Mittlerweile kann er einschätzen, wann Kalea von ihrer Welt spricht und Vergleiche heranzieht.
»Ich weiß«, seufzt Kalea und betrachtet das Schwert in Ciris Händen.
Sie wird immer stärker und führt die Schläge immer präziser aus.
»Dennoch, sie tut alles dafür. Seit Tagen übt sie fleißig, bei Wind und Wetter - und ist es nicht das, was Hexer machen?«, hinterfragt Kalea und Geralt seufzt.
»Ich fürchte, wir haben nur ein anderes Problem«, murmelt er und macht einen Schritt auf Ciri zu.
»Ciri«, unterbricht er ihren Kampf. Coen zieht sich sofort zurück, während Ciri den großen, weißblonden Hexer anfunkelt.
»Du kannst gerne trainieren«, sagt Geralt, bevor Ciri etwas Schnippisches sagen kann, und verwundert darüber, kommt kein Ton über ihre Lippen.
»Aber vorher müssen wir reden«, sagt Geralt und in seiner Stimme ist kein Gefühl zu erraten. Kalea tritt neben ihn, mindestens genauso überrascht wie Ciri es ist.
»Wie fühlt es sich an?«, fragt Geralt. Verwirrt zieht Ciri ihre Augenbraue hoch und sieht fragend zu Kalea. Doch diese weiß auch nicht, was der Hexer gerade meint.
»Deine Visionen«, spricht er weiter und Ciris Augen werden groß.
Kalea und Ciri haben nie großartig über die Visionen gesprochen, die Ciri in den letzten Wochen vermehrt hatte. Zu sehr haben sie sich darauf konzentriert, um endlich besser zu werden. Gerade deswegen ist Kalea so verwundert, wie Geralt jetzt darauf zu sprechen kommt.
»Wie fühlt es sich an?«, wiederholt er seine Frage mit etwas mehr Druck und Ciri schluckt hart.
»Als würde jemand ziehen«, sagt sie und ihr Blick verschwimmt. Immer noch sieht sie Geralt an, aber es scheint, als würde ihr Blick durch ihn hindurch gleiten.
»Wohin?« Geralt ist angespannt, als er auf ihre Antwort wartet.
Ciri schweigt einen Moment, während ihre Lider anfangen auffällig zu zucken.
»In den Wald«, haucht sie atemlos, als wäre sie gerade einen Marathon gerannt. Ihr Blick wird wieder klarer, kurz sieht Geralt sie prüfend an, als er sich abwendet.
»Was hast du vor?«, ruft Kalea ihm hinterher und kurz bleibt er stehen.
»Wir gehen in den Wald«, sagt er und läuft dann weiter, direkt zur Waffenkammer.
Ciri und Kalea werfen sich einen skeptischen Blick zu.
»Was hat er vor?«, fragt Ciri, doch Kalea zuckt nur mit ihren Schultern. Sie wünschte, sie wüsste, was gerade in seinem Kopf vorgeht.
»Ich dachte, die Zeiten sind vorbei«, murmelt Kalea leise, als sie gemeinsam mit Ciri dem Hexer in die Waffenkammer folgt.
»Der Wald?«, hakt Ciri nach und missmutig nickt Kalea.
Sie hat sich so sehr an Kaer Morhen und ihre Hexer gewöhnt, dass sie vergessen hat, wie sie zuerst mit Geralt durch die Wälder gestreift ist, auf der Suche nach Ciri.
Jetzt dort wieder zurückzukehren bereitet ihr Unbehagen und augenscheinlich fängt ihre Narbe am Bein an zu jucken, die sie der Kikimora zu verdanken hat, als sie sich todesmutig in den See gestellt hat, ohne von den ganzen Gefahren zu wissen, die der Kontinent birgt.
»Aber vielleicht verstehen wir es dann ein bisschen mehr«, sagt Kalea bemüht locker. Sie darf jetzt nicht an sich denken, es geht um so viel mehr. Da ist es nicht relevant, ob sie in den Wald will oder nicht.
Kalea hat vergessen, was für eine beruhigende Wirkung der Wald auf sie hat. Schweigend laufen die drei immer weiter von Kaer Morhen weg. Der Schnee ist geschmolzen und langsam wird es wieder wärmer.
»Geralt?«, durchbricht Ciri irgendwann die Stille und leise brummt er auf.
»Wie kam es zu dem Recht der Überraschung?«, fragt sie interessiert, aber auch Kalea dreht sich gespannt zu dem Hexer um. Geralt hat ihr zwar schon einiges erzählt, aber auch nicht die komplette Geschichte.
Er seufzt leise auf und erzählt dann, wie er ihre Mutter kennengelernt hat. Was damals passiert ist und wie sie mit einer unkontrollierbaren Macht beinahe den gesamten Saal gestürzt hat.
Jedem liegt dieselbe Frage auf der Zunge, aber keiner fragt sie, als Ciri urplötzlich stehen bleibt.
»Hier«, murmelt Ciri und sieht geradeaus, bevor sie ihren Finger hebt und in dieselbe Richtung zeigt.
»Ist das ein...?«, fragt Kalea, als sie dieses baumartige Ding sieht, was eine Hand fehlt und festgekettet ist.
»Der Baumschrat, den Eskel bekämpft hat und eine Hand abgeschnitten hat«, sagt Geralt tonlos und macht einen Schritt darauf zu. Aufmerksam sind seine Augen auf den Waldschrat gerichtet, während seine Hand auf den Griff seines Schwertes ruht.
»Wenn ich denke, dass ich schon alles gesehen habe, passiert sowas«, murmelt Kalea leise, doch sie traut sich nicht, lauter zu sprechen. Irgendwas liegt in der Luft, aber sie kann nicht sagen, was es ist.
»Willkommen in meiner Welt«, erwidert Ciri und langsam folgen sie Geralt, doch mit einem Mal taucht ein weiteres Monster aus. Erschrocken zuckt Kalea zusammen und hält Ciris Schulter fest.
Ein ohrenbetäubendes Brüllen ertönt aus seinem Maul.
»Lauft!«, brüllt Geralt, während das Monster auf ihn zu stürzt.
Dieses Mal hören beide auf Geralt, auch wenn Kaleas Herz ihr was anderes rät, doch sie will die Königstochter nur in Sicherheit wissen. Sie schnappt sich ihre Hand und dann sprinten sie los.
Sie blenden alles aus, hören nur das Brüllen in ihren Ohren, während die Bäume an ihnen vorbeiziehen, bis sie vor einem riesigen Felsen zum stehen kommen. Auch wenn sich die Kondition von Kalea verbessert hat, seitdem sie regelmäßig trainiert, schmerzt ihre Seite.
»Komm schnell, darunter!«, murmelt sie und deutet auf einen kleinen Vorsprung. Erst legt Ciri sich dort hin, bevor Kalea sich vor sie legt, sodass die Jüngere etwas Geschützter ist.
Kalea legt ihren Zeigefinger auf den Mund und deutet Ciri an, leise zu sein. Kaum merklich nickt sie, während sie ihre Ohren spitzen.
Der Wind rauscht um ihre Ohren, ansonsten ist es seltsamerweise still. Einige Minuten verharren sie, als der Boden leicht vibriert und sofort weiß sie, was das bedeutet.
»Wir müssen rennen«, flüstert Kalea leise und stemmt sich hoch, Ciris blaue Augen fixieren sie, während sie auch schnell hochspringt. Weit und breit ist nichts zu sehen, außer Felsen und der Wald, aus dem sie zuvor geflohen sind.
»Und wohin?«, fragt Ciri, als der andere Waldschrat vor ihnen auftaucht.
»Ich weiß es nicht«, keucht Kalea, dann schnappt sie sich Ciris Arm und zieht sie einfach mit - egal wohin, Hauptsache weg.
Kaleas Lunge brennt, ihre Füße tun weh, doch der Lebenswille ist größer. Sie spürt Ciri dicht neben sich und das ist das einzige, was sie nicht komplett durchdrehen lässt. Sie muss Ciri beschützen, koste es, was es wolle.
»Verdammt«, abrupt bremst Ciri ab und erschrocken kracht Kalea in sie.
»Fuck«, murmelt sie leise, als sie sieht, warum Ciri stehen geblieben ist.
Sie haben nicht darauf geachtet, wo sie hinrennen, hauptsache von dem Monster weg, das sie verfolgt. Dabei haben sie nicht bemerkt, dass sie geradewegs in eine Sackgasse gerannt sind.
Es gibt zwei Möglichkeiten für sie. Entweder der mutierte Waldschrat oder der freie Tod. »Kalea«, wispert Ciri leise, während Kalea sie hinter sich drückt.
»Hab keine Angst«, spricht sie ihr Mut zu, obwohl ihrer sie selbst verlassen hat. Fieberhaft überlegt sie, sucht nach einem Ausweg, während das Monster immer näher kommt und Kalea jede einzelne Struktur erkennen kann.
»Wir sind eine Familie - und eine Familie steht für sich ein«, murmelt Kalea und spürt Ciris Hand an ihrer, die sie festdrückt.
»Was ist aber mit Geralt?«, wispert sie und Kaleas Herz schmerzt.
Geralt ist nicht hier, was so viel bedeutet wie... Sie kann nicht einmal daran denken.
»Es wird alles gut werden«, sie gehen immer weiter einen Schritt nach hinten, doch umso näher sie der Wand kommen, umso aussichtsloser ist ihre Flucht.
Soll es so enden? Hier, mit Ciri? Ohne Geralt?
Kalea hat keine Angst zu sterben. Oder sie hatte sie nicht, doch jetzt, wo sie sich das erste Mal irgendwo angekommen fühlt, hat sie Angst, dass alles zu verlieren. Sie bereut es, Geralt nicht gesagt zu haben, dass sie ihn liebt. Sie ist sich sicher, dass er es weiß, oder zumindest denken kann - aber Worte sind noch einmal etwas anderes.
»Versprich mir nichts, was du nicht halten kannst.«
Ciris Stimme zittert und plötzlich bleibt sie stehen.
»Der Felsen«, wispert sie und Kalea weiß, was es bedeutet. Sie sitzen in der Falle.
Warum haben sie kein Schwert mitgenommen? Sie hätten damit rechnen müssen, doch jetzt sitzen sie in der Klemme.
»Es wird schnell gehen«, verspricht sie, während sie sich anspannt und auf den Angriff wartet. Das Monster bäumt sich auf, zeigt sein ekelerregenden Maul, als Kalea und Ciri plötzlich einen lauten Schrei hören, der die Luft durch reißt.
Ihr Blick geht nach oben, die Sonne, die ihr ins Gesicht scheint, wird mit einem Mal verdunkelt, als eine dunkle Gestalt von dem oberen Felsen auf den Waldschrat springt.
»Geralt!«, keucht Ciri erleichtert und erst dann erkennt Kalea den Hexer, der todesmutig auf den Waldschrat springt, sein Schwert in seinen Körper sticht und langsam an ihn herunterustcht, ihn dabei so aufreißt, dass er schmerzhaft auf brüllt, sodass sein Schrei durch das gesamte Tal getragen wird.
Es geschieht so schnell und plötzlich, dass Kalea es gar nicht richtig realisieren kann. Mit so einem Kraftaufwand schmeißt Geralt den erschlafften Waldschrat von sich.
Sein Gesicht ist dreckig und sein Körper bebt schwer, als er Kalea und Ciri ansieht.
Einen Moment herrscht Stille, als das dreckige Schwert aus seiner Hand gleitet und auf dem Boden aufkommt. Er macht einen großen Schritt auf die beiden zu. Erleichterung breitet sich auf seinem Gesicht aus, während er seine Arme öffnet und Kalea und Ciri in sie flüchten.
»Ich hatte solche Angst«, flüstert Geralt und presst sie so nah an sich heran, dass nichts zwischen sie passt.
Vergesst nicht zu voten, wenn es euch gefallen hat.
danke (:
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