xii. recht der überraschung
Ziemlich in der hintersten Ecke, versteckt, sitzen Kalea und Geralt. Kalea sitzt mit dem Rücken zu dem restlichen Raum, während Geralt so sitzt, dass er den perfekten Ausblick hat. Egal, was in der Gaststätte passiert, nichts würde ihm verborgen bleiben.
Sein Blick ruht wenige Sekunden auf Kalea, die an einem Stück Brot knabbert, während ihr Blick verträumt auf den Tisch liegt. Ihre Haare liegen sanft über ihre Schulter, eine Strähne fällt nach vorne und geistesgegenwärtig streicht sie diese mit ihren zärtlichen Fingern hinter ihr Ohr.
Kalea bemerkt seinen starrenden Blick, hebt flüchtig ihren Kopf und ihre Augen treffen auf seine.
»Ist etwas?«, fragt sie leise. Fast so leise, dass ihre Stimme verloren geht in dem sonst so lauten Gasthaus. Geralt schmunzelt, dann schüttelt er mit seinem Kopf, bevor er zu seinem Krug greift und einen großen Schluck seines Bieres nimmt.
»Ist das nicht ein wenig früh?«
Kalea legt ihren Kopf schief und sieht Geralts Adamsapfel zu, wie er hüpft, während das Bier seine Speiseröhre runterfließt.
»Trinkt ihr nicht in eurer Welt?«, will er interessiert wissen, stellt den Krug wieder vor ihm ab und lehnt sich auf der Bank zurück.
»Doch, aber die Leute, die das um diese Uhrzeit tun, nennen wir Alkoholiker«, sagt sie trocken. Geralt hebt eine Augenbraue.
»Also bin ich ein Alkoholiker? «, fragt er nach, was Kalea kichern lässt.
Sie ist froh, dass Geralt sie ablenkt, ohne dass er das wirklich beabsichtigt. Doch dieses eigentlich ziemlich wahllose Gespräch hilft ihr enorm weiter, nicht an Fendir zu denken.
Die Angst, dass er plötzlich hier auftaucht, hat sie am Anfang zerfressen, doch als sie in die Gaststätte gekommen sind, war diese leer. Niemand zu sehen, den sie kennt - wobei sie außer zwei, drei Leuten - sowieso niemanden kennt. Auch jetzt, wo die Gaststätte etwas voller geworden ist, spürt sie keinen unangenehmen Blick auf sich und so kann sie sich entspannen.
»So wollte ich es nicht ausdrücken, doch eigentlich...«, schmunzelt Kalea.
Mittlerweile hat sie ihr Essen aufgegessen und mit einem gefüllten Magen lehnt sie sich zurück.
»Was ist dein Plan?«, wechselt sie das Thema. Geralt seufzt und gerade, als er zum Reden ansetzen will, werden sie unterbrochen.
»Geralt. Kalea«, Leander ist neben ihrem Tisch aufgetaucht und neigt zur Begrüßung seinen Kopf. Kalea wird mulmig, als sie ihn sieht, doch dann erinnert sie sich daran, dass er stets freundlich zu ihr war und nie etwas Böses wollte - was sie aber auch von Fendir gedacht hat.
»Darf ich mich setzen?«
Bei seiner Frage sieht er abwartend zu Geralt. Dieser sucht den bestätigenden Blick von Kalea und als sie kaum merklich nickt, deutet er Leander an, dass dieser sich setzen darf.
»Danke«, er rückt sich den Stuhl zurecht und setzt sich an die kurze Seite des Tisches. Kurz herrscht Stille, niemand weiß, was er sagen soll, bis der Braunhaarige die Stille durchbricht.
»Es tut mir Leid, wie Fendir sich verhalten hat. Ich hätte ihn abhalten sollen...«, entschuldigt er sich für das Verhalten seines Freundes. Bei seinem Namen zuckt sie zusammen, sie wendet ihren Blick ab. Schaut überall hin, nur nicht in seine Richtung.
»Du kannst nichts für sein Verhalten«, knurrt sie dann leise. Sie hört das Seufzen von Leander.
»Er wird morgen dem Bürgermeister vorgestellt, dieser wird sich um ihn kümmern. Vielleicht kann es ein wenig deinen Schmerz lindern«, Kalea hört seine entfernte Stimme und schnaubt auf.
Nein. Es lindert nicht ihren Schmerz. Aber sie hofft so sehr, dass Fendir bestraft wird. Dass er niemals mehr eine andere Frau ohne ihren Willen anfasst. Solche Gedanken hätte sie früher nie zugelassen, doch diese Welt lässt sie allmählich abstumpfen. Ihr tut alles weh, doch sie beschwert sich nicht. Ihr Körper verändert sich, sie spürt, wie sie dünner wird, wie sie langsam Muskeln aufbaut, die sie nie gedacht hat, zu haben.
»Okay«, sagt sie schließlich. Damit ist für sie das Thema abgeschlossen.
Wieder herrscht einen Moment Stille an dem Tisch, vereinzelte Wortfetzen von den Nachbartischen dringen zu ihnen hinüber. Kalea spürt Geralts Blick auf sich, sie erwidert stumm seinen Blick. Wieder ist es Leander, der eine Frage stellt und die beiden aus ihrer Starre holt.
»Es gibt viele Gerüchte, Hexer«, Leander senkt seine Stimme, seine Hände liegen verschränkt vor ihm auf dem Tisch, während er sich ein Stück nach vorne beugt. Geralt macht es ihm nach und taxiert ihn mit wachsamen Augen. Seine Lippen sind zu einem schmalen Strich verzogen, während er ihm aufmerksam zuhört.
»Uns wurde über eine Schlacht in Sodden berichtet«, sagt Leander leise. Kalea starrt mit großen Augen zwischen den beiden Männern hin und her.
Eine Schlacht? Befinden sie sich inmitten eines Krieges? Doch warum ist es hier so friedlich?
Kalea sieht zu Geralt, doch sie kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
»Es wird gesagt, dass man die Königstochter überall und nirgends sieht. Sie wird gesucht, ist ganz alleine unterwegs« , fährt er fort. Aus Geralts Kehle dringt ein Knurren, was Kalea erschrocken zusammenzucken lässt.
Was hat das alles zu bedeuten? Wieder einmal wird ihr klar, wie viel Geralt ihr wirklich verschwiegen hat. Er hat sie angefüttert, wie die Fischer es mit den Haien machen, doch nur so viel, dass sie an der Oberfläche schwimmt, und so wenig, dass sie die Gefahr nicht kommen sieht und sie immer hungriger werden lässt.
»Was wollt Ihr mir sagen, Leander?«, haucht Geralt gefährlich, dass sich bei Kalea die kleinen Haare aufstellen.
»Sie ist dein Recht der Überraschung.»
Stille. Wieder herrscht diese gottverdammte Stille zwischen ihnen. Kalea weiß nicht, was das zu bedeuten hat, sie kann diesem Gespräch nicht folgen. Dafür ist sie zu unwissend.
»Was ist das Recht der Überraschung?«, haucht Kalea. Geralt löst seinen bedrohlichen Blick von Leander und sieht etwas freundlicher zu ihr. Auch Leander lehnt sich zurück und die angespannte Stimmung, die zwischen ihnen geherrscht hat, löst sich in Luft auf.
»Komm« , fordert Geralt Kalea auf und erhebt sich seinerseits.
»Aber-«, will sie protestieren, doch Geralts Blick lässt sie schnell wieder verstummen.
»Sie weiß wirklich nichts, oder?«, fragt Leander und mustert Kalea aus seinen dunklen Augen.
»Das geht niemanden was an.« Geralt klingt wütend, doch Kalea versteht seine plötzliche Wut nicht.
Geralt packt ihr Handgelenk, nicht so fest, dass es wehtun könnte, dennoch bestimmend, bevor er sie nach oben zieht.
»Geralt, warte... «, keucht sie angestrengt, während sie dem viel Größeren die Treppe stolpernd folgt.
»Was machst du?«, sie bleibt stehen, wodurch auch Geralt anhält. Ihr Blick fällt auf seinen breiten Rücken, dann dreht er sich mit einem Seufzen um.
»Wir müssen weiter«, sagt er nur. Kaleas Mundwinkel zucken.
»Verrätst du mir dann endlich mehr?«, haucht sie leise.
Seine Augen bohren sich in ihre, sie spürt, wie er mit sich hadert.
»Okay.« Mit diesen Worten lässt er ihre Hand los und geht auf ihr gemeinsames Zimmer. Kalea sieht ihm hinterher, dann breitet sich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
Sie hat es also geschafft. Geralt ist gewillt, ihr ein stückweit zu vertrauen.
Ihre Sachen sind schnell gepackt, immerhin haben sie nicht sonderlich viel Gepäck. Mit schnellen Schritten verlassen sie das Wirtshaus, gehen zu den anliegenden Ställen, wo Plötze sie mit einem Wiehern begrüßt, als sie Geralt und Kalea erkennt.
»Hallo Hübsche. Hast du uns vermisst?«, flüstert Kalea und streichelt über die samtigen Nüstern der Fuchsstute, bevor sie eine Karotte hervorzaubert, die die Stute sofort genüsslich verputzt, während Geralt sie sattelt. Danach laufen sie durch das Dorf, ehe sie einen Pfad einschlagen, der über einige Felder führt und wieder einmal in einem Wald mündet.
Die ersten Stunden laufen sie schweigend nebeneinander her, doch dann kann Kalea ihre Neugier nicht mehr bremsen.
»Erzählst du mir jetzt, was das alles auf sich hat?« Sie mustert den milchblonden Mann vor sich.
»Was willst du wissen?«, gibt er sich schließlich geschlagen.
Immerhin hat er ihr es versprochen und mittlerweile kann er ihr keinen Wunsch mehr abschlagen, vor allem nicht, wenn sie ihn mit ihren strahlend blauen Augen ansieht.
Kalea brennen so viele Fragen auf ihrer Zunge. Sie weiß gar nicht, wo sie als erstes anfangen soll.
»Was ist das Recht der Überraschung?«, fragt sie schließlich. Geralt grinst kurz, als hätte er mit dieser Frage gerechnet.
»Das Recht der Überraschung ist ein Brauch, so alt wie die Menschheit. Er ist ein Preis, den ein Mann von einem anderen Mann fordern kann, wenn er diesem das Leben gerettet hat. Es ist der Anspruch, dessen genauen Inhalt weder der Retter noch der Gerettete zum Zeitpunkt der Forderung kennt«, erklärt er.
Kalea nickt.
»Und bei dir ist das diese Königstochter?«, hakt sie nach. Geralt streift mit seiner Hand über seine Bartstoppeln. Er hasst seinen Bart, weswegen er ihn immer rasiert, doch die letzten paar Tage waren so aufregend - noch aufregender, als wenn er allein unterwegs ist, und Monster jagt -, dass er es schlichtweg einfach vergessen hat.
»Ja.«
»Wie kam es dazu?«, will sie neugierig wissen. Geralts Mundwinkel zucken, er hätte sich denken können, dass er mit seinen Antworten ihre Neugier nur mehr füttern würde, als sie zu stillen.
»Ich habe jemanden von einem Fluch befreit. Ich wollte nichts dafür, doch als sie darauf beharrt haben, verlangte ich ›etwas, das er besitzt, aber jetzt noch nicht davon weiß.‹ Nun, das war damals seine ungeborene Tochter.«
Kalea erstarrt, plötzlich fühlt sie ein hässliches Gefühl in ihrer Brust, was ihr fast die Luft abschnürt.
»Also liebst du sie?«, fragt sie mit zitternder Stimme. Geralt bleibt abrupt stehen und wieder lächelt er sie - wie oft in letzter Zeit an - er weiß, dass die Eifersucht aus ihr spricht.
»Wie eine Tochter.«
Es ist das erste Mal, dass er diese Worte ausspricht. Er hat sie gedacht, doch nie haben sie seine Lippen verlassen. Doch bei Kalea vergisst er alles, er muss sich nicht verstellen.
Vergesst nicht zu voten, wenn es euch gefallen hat.
danke (:
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