vi. offene rechnung
Langsam öffnet Kalea ihre Augen und blickt in die goldenen Augen von Geralt. Dieser hat sich zu ihr auf den Boden gekniet und sich leicht über sie gebeugt.
»Ist er weg?«, keucht sie angestrengt und kneift ihre Augen zusammen. Immer noch ist ihr schummrig.
»Er wird nicht mehr wiederkommen«, sagt er sanft. Kalea nickt, plötzlich erinnert sie sich, was Geralt gerade tun musste.
Ihr wird schlecht und bevor sie etwas dagegen tun kann, kommt es ihren Hals hoch. Sie kippt zur Seite, als sie sich übergibt. Kalea spürt Geralts Hand, die ihre Haare hält, sodass sie diese nicht ankotzt.
»Danke«, murmelt sie und wischt sich mit ihren Händen über den Mund. Kalea verzieht ihr Gesicht, als sich der bittere Geschmack ausbreitete.
»Kommt«, langsam stützt Geralt sie und hilft ihr auf.
Kalea ist etwas wacklig auf den Beinen, doch Geralt hat stets einen Blick auf sie, während sie langsam von dem Friedhof laufen und das Haus ansteuern.
»Ist es jetzt sicher?«, fragt Kalea und Geralt nickt nur.
Es fühlt sich für Kalea komisch an, einfach in dieses fremde Haus zu gehen – doch schon lange ist es herrenlos.
»Ich suche das Bad...«, nuschelt sie, als sie auf dem langen Flur stehen. Links und rechts steht nichts, nur dieser ellenlange Gang.
»Ich suche nach etwas Essbaren, danach verschwinden wir so schnell wie möglich«, sagt er und geht schon los, als Kalea ihn zurückruft.
»Sagst du mir irgendwann, wohin wir überhaupt gehen?«
Bisher folgt sie ihm mehr oder weniger blind; doch je größer die Gefahren werden, umso stärker wird auch ihre Neugier.
»Alles zu seiner Zeit.«
Mit diesen Worten gibt sich Kalea mehr oder weniger zufrieden.
Während Geralt hinter einer Ecke verschwindet, klappert sie die Räume ab und hinter der zweiten Tür findet sie ein Badezimmer.
Sie spült sich ihren Mund aus, bevor sie ihr Spiegelbild in einem dreckigen Fenster betrachtet. Ihr Gesicht ist dreckig, ihre Haare strohig – generell, sie sieht aus wie ein ganz anderer Mensch. Nur ihre blauen Augen strahlen in dem gleichen Blau. Egal, was sie bisher gesehen hat, ihren Glanz haben sie nicht verloren.
Schnell bändigt sie irgendwie ihre Haare, bevor sie das sogenannte Badezimmer verlässt und den leisen Geräuschen von Geralt folgt. In einer alten Küche kommt sie zu stehen, Geralt kniet gerade und hat seinen Kopf in einen Schrank gesteckt.
Kalea kommt zum Stehen und räuspert sich leise, sodass Geralt seinen Kopf aus dem Schrank hebt und er Kalea direkt ansieht. Für den Bruchteil einer Sekunde, bildet sich Kalea ein, dass sein Blick Besorgnis ausdrückt, doch so schnell dieser gekommen ist, so schnell ist er auch wieder verschwunden.
»Ist alles okay?«, fragt Kaela, nachdem sie sich einige Sekunden einfach nur angesehen haben ohne ein weiteres Wort zu wechseln.
»Das sollte ich Euch fragen.« Tatsächlich hat sich ein kleines Schmunzeln auf seine Lippen gelegt. Empört hebt Kalea ihre rechte Augenbraue und stemmt ihre Hände in die Hüfte.
»Amüsier ich dich?«, fragt sie, während sie ihn mit funkelnden Augen ansieht. Für sie ist es nur ein Spaß, sie weiß jedoch nicht, ob Geralt ihren Humor – oder überhaupt irgendeinen Humor - versteht.
Kurz schleicht sich ein richtiges Lächeln auf sein Gesicht, doch schnell tarnt er es, indem er seinen Kopf wieder in den Schrank steckt und dort wühlt. Kalea dreht sich von ihm weg und inspiziert die Küche. Der Staubschicht zu urteilen müssen die Besitzer dieses Hauses schon eine Weile weg sein.
Kalea unterbricht selbst ihren Gedankengang und seufzt leise auf. Sie sind nicht weg, sie sind tot. Dessen ist sie sich sehr sicher, zumal Geralt den Vater gerade eigenhändig ausgegraben und geköpft hat. Sofort wird ihr wieder schlecht und sie schließt kurz ihre Augen.
»Denk an kleine süße Hundewelpen«, flüstert sie immer wieder zu sich selbst, während sie langsam an das Fenster tritt und raus auf den Hof starrt, der sich menschenleer vor ihr erstreckt.
»Was habt ihr gesagt?« Geralt ist mittlerweile aufgestanden und sucht nun nach etwas in den anderen oberen Schränken, irgendwas, was sie gebrauchen können. »Nichts«, sagt sie peinlich berührt und spürt, wie ihr Blut in ihre Wangen schießt.
Dann dreht sie sich um und beobachtet Geralt eine Weile, wie er die Schränke durchwühlt. Sie kann ihren Blick einfach nicht von seinen muskulösen Armen lassen und schnell erwischt sie sich, wie ihre Gedanken in eine ganze falsche Richtung laufen.
Um diese Gedanken ganz schnell loszuwerden, räuspert sie sich kurz: »Du meintest, diese Erscheinungen haben noch eine Rechnung offen...«, fängt sie an und Geralt nickt kurz.
»Was war seine Rechnung?«, hakt sie zögerlich nach.
Sie kennt sich damit nicht aus, doch irgendwas hatte diese Erscheinung mit ihr, dass er sie nicht angegriffen hat. Geralt zuckt mit seinen Schultern.
»Es gibt viele mögliche Gründe dafür«, antwortet er knapp.
»Wie er wohl umgekommen ist?«, Kalea lässt sich auf einen der knarrenden Stühle nieder, stützt ihre Ellenbogen auf den Tisch und legt ihr Kinn auf ihrer Handoberfläche ab, während sie zu Geralt blickt.
»Mit einer Axt, die in seine Brust geschlagen wurde«, sagt Geralt trocken, Kalea verdreht ihre Augen.
»Das habe ich selbst erkannt, aber ich meine, vielleicht war es seine Frau und deswegen war er so auf mich fokussiert?«, fragt sie, doch Geralt schüttelt entschieden den Kopf.
»Wenn seine Frau ihn umgebracht hat, dann hätte er Euch nicht beschützt«, Kalea muss sich geschlagen geben. So würde es keinen Sinn machen.
»Kann ich mich noch ein wenig umsehen?« Sie hat noch nicht viel vom Haus gesehen und würde sich gerne ein Bild darüber machen, wie die Menschen hier leben. Auf irgendeine Art und Weise interessiert sie sich dafür, vielleicht wird sie dadurch aus dieser Welt schlauer.
»Macht schnell, ich will diesen Ort so schnell wie möglich hinter uns lassen.«
Dankbar lächelt Kalea ihn an, bevor sie von dem Stuhl aufspringt und die Küche verlässt. Sofort tragen ihre Füße sie zu der morschen Treppe, die sie mit Bedacht hochgeht.
Es knarzt unter ihren Füßen, doch vorsichtig geht sie Stufe für Stufe, ehe sie oben angekommen ist. Alle Türen stehen offen und neugierig betritt sie den ersten Raum – hierbei muss es sich um das Schlafzimmer der Erwachsenen handeln.
Während sie sich links und rechts umsieht, geht sie in das Zimmer hinein. Sofort fällt ihr Blick auf ein kleines Gemälde, was eine Familie zeigt. Als sie ein Stück näher tritt, erkennt sie den Mann auf dem Bild. Es ist genau der gleiche wie die Erscheinung, nur dass er zu diesem Zeitpunkt noch gelebt hat und nicht mit einer Axt durchbohrt über den Friedhof gejagt ist.
Dementsprechend müsste die Dame daneben seine Frau sein, und das junge Mädchen ihre gemeinsame Tochter. Kurz erstarrt Kalea, ehe sie das Mädchen näher betrachtet. Sie kommt ihr so unglaublich bekannt vor...
»Sie sieht aus wie Ihr...«, ertönt Geralts Stimme hinter Kalea. Mit einem lauten Schrei dreht Kalea sich um, während ihr Herz fast in ihre Hose gerutscht ist.
»Wie bist du hier hochgekommen?«, japst sie erschrocken und versucht, ihren viel zu schnellen Herzschlag zu normalisieren.
»Ich habe die Treppe genommen, wie seid Ihr denn hochgekommen?«, schmunzelt er.
Kalea kann ihn nur anstarren, wie ein Reh das ein Scheinwerferlicht sieht, hat er gerade wirklich einen Witz gerissen?
Hätte Kalea einen Kalender dabei, würde sie diesen Tag dick und fett in Rot markieren.
Sein Blick gleitet an Kalea vorbei und fixiert wieder das Bild, auch Kalea dreht sich wieder zu dem Bild um. Tatsächlich weisen sie viele Gemeinsamkeiten auf, doch das auffälligste sind die langen lockigen blonden Haare.
»Was ist, wenn er mich beschützen wollte?«, spricht Kalea ohne großartig darüber, nachzudenken. Es kam ihr gerade einfach so in den Sinn.
»Nur vor was...«, fragt sie sich selbst.
»Vor der Mutter«, sagt Geralt plötzlich und Kalea dreht leicht ihren Kopf, dass sie in sein Gesicht sehen kann.
Auch wenn sie sich nicht berühren, kann Kalea die Wärme spüren, die von ihm ausgeht und kurz mustert sie sein Gesicht, ehe er seine Augen auf ihre richtet und sie kurz ertappt zuckt.
»Die Mutter ist durchgedreht; hat die Tochter getötet, was der Vater verhindern wollte, worauf er selbst eine Axt in die Brust bekommen hat«, vermutet er. Langsam nickt Kalea, während sie sich immer noch ansehen und keiner den Anschein macht, den Blick abzuwenden.
»Er wollte mich schützen, weil er es bei seiner Tochter nicht konnte«, haucht sie leise.
»Seine offene Rechnung«, stimmt Geralt ihr zu. Kurz wandert sein Blick auf ihre zitternden Lippen.
Überfordert stolpert Kalea ein Stück nach hinten und atmet tief durch, als er nicht mehr so nah vor ihr steht und ihre Sinne benebelt. Nervös spielt sie mit einer Strähne, während sie lächelt.
»Vielleicht sollte ich im Kleiderschrank nachschauen, ob ich noch etwas Kleidung finde«, mit diesen Worten dreht sie sich um.
Dennoch spürt sie seinen intensiven Blick auf ihrem Rücken, als sie im Kleiderschrank nach neuen Klamotten sucht. Doch sie dreht sich nicht um, erst als sie seine leichten Schritte hört, die sich von ihr entfernen.
»Ich habe noch etwas getrocknetes Fleisch gefunden.«
Kalea ist gerade die Treppen nach unten gegangen. Über ihrer Schulter hat sie eine alte Ledertasche, die sie gefunden hat, wo sie einige Klamotten reinstopfte.
Sie fühlt sich nicht wohl dabei, die alten Sachen von einer fremden Frau - die wohlgemerkt tot ist - mit zu nehmen. Aber auf der anderen Seite würde diese sie nie wieder brauchen. Es ist auch nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten Reisenden auf dieses einsame Haus aufmerksam werden und es plündern würden. Sie braucht die Sachen genau so dringend.
»Okay, ich habe auch alles.« Ein letztes Mal sieht sie sich in der Küche um. Sie weiß nicht, wie lange sie das nächste Mal im Wald verbringen werden und wann sie wieder ein Haus von innen sehen wird.
Es ist kaum zu glauben, wie gut sie es doch hatte. Klar, in der Schule hatten sie oft dieses Thema, wie die Menschen früher gelebt haben. Unter welchen Umständen, doch es ist einfach etwas anderes, wenn man es am eigenen Leib erfährt.
Stumm laufen die beiden aus dem Haus heraus in den Vorhof, wo Plötze schon wartet. Geralt verstaut in seiner Satteltasche das getrocknete Fleisch, bevor er ihre Zügel in die Hand nimmt und sie hinaus aus dem Hof führt.
Kalea bleibt stehen und schaut über den Hof, hin zum Friedhof. Kurz lässt sie alles in Revue passieren, bevor sie ihre Augen schließt und das alte Gemälde in Erinnerung ruft.
»Ruht in Frieden«, flüstert sie über den Hof und der Wind trägt es bis zu dem Friedhof.
»Danke«, hallt es zurück.
Kalea öffnet ihre Augen, sie weiß nicht, ob sie es sich nur eingebildet hat, doch ein friedliches Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen. Tief atmet sie durch, bevor sie schnell Geralt und Plötze folgt.
Vergesst nicht zu voten, wenn es euch gefallen hat.
danke (:
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