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⋆⁺₊⋆ rainbow club ⋆⁺₊⋆
『 3982 』
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Sometimes, the greatest strength
lies in admitting you can't do it all alone and finding someone willing to share the weight.
ʚ Louis ɞ
Ich kniete mich vor meine Tochter und suchte ihren Blick, doch sie schaute stur zur Seite "Lia, ich weiß, dass es schwer ist. Aber wir müssen jetzt wirklich in den Laden, mein Schatz. Herr Collins möchte heute seine Bestellung abholen."
Sie reagierte nicht, zog nur ihren kleinen Rucksack näher an sich, als würde das irgendwie ihren Widerstand bekräftigen. Mein Herz zog sich zusammen. Ich wusste, dass sie mit vier Jahren nicht vollständig verstehen konnte, was passiert war - warum ihre Welt plötzlich auf den Kopf gestellt worden war. Aber ihre Worte, so unschuldig sie auch klingen mochten, schnitten tief.
"Papa ist nicht da." Nein, er war nicht da und er würde auch nicht mehr kommen. Nicht, nachdem er mich dazu gebracht hatte seine Tochter zu adoptieren und uns anschließend für irgendeine Frau zu verlassen.
Ein Seufzen verließ meine Kehle. Sanft griff ich nach ihren kleinen Händen. "Weißt du was?", begann ich, bemühe, meine Stimme leicht zu halten. "Wie wäre es, wenn du mir heute im Laden hilfst? Wir können zusammen eine kleine Schale machen, nur für dich. Später können wir es dann anmalen. Vielleicht rosane Herzchen?"
Das schien sie für einen Moment zu interessieren, und sie blinzelte mich an. Doch dann schob sie trotzig ihre Unterlippe vor. "Nicht rosa. Blau."
Ich lächelte, obwohl ich innerlich unsicher war und bei jedem Schritt das Gefühl hatte, den Halt zu verlieren. "Blau ist perfekt. Wie das Meer, oder? Also, lass uns los, okay?"
Dieses Mal zögerte sie nicht ganz so lange. Widerwillig ließ sie zu, dass ich die Schuhe an ihre Füße zog und sie festband. Kein Lächeln, keine Versöhnung – aber ein kleines, stilles Zeichen, dass sie bereit war, mich zumindest ein kleines Stück des Weges zu begleiten.
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Der Laden lag in einer schmalen Seitengasse, eingebettet zwischen einer alten Buchhandlung und einem winzigen Café, das nach frisch gebackenem Brot roch. Ich liebte diesen Ort, auch wenn er manchmal mehr Arbeit bedeutete, als ich allein stemmen konnte. Die kleinen Regale voller Schalen, Tassen und Vasen waren mein Rückzugsort, meine Zuflucht – und jetzt auch ein Stück weit unser Lebensunterhalt.
Lia trottete hinter mir her, immer noch schweigsam. Ich hielt die Tür auf und ließ sie eintreten. Die Glocke über der Tür klingelte hell, und die vertraute Stille des Ladens umfing uns wie eine Decke. "Du kannst deinen Rucksack dort ablegen", sagte ich und zeigte auf einen kleinen Tisch in der Ecke. "Und dann schauen wir mal, wann Herr Collins kommt."
Gerade als ich mich vor die Theke begab, um in meinem Notizbuch nachzusehen hörte ich schwere Schritten auf dem Kopfsteinpflaster draußen. Die Tür öffnete sich, und ein großer Mann mit grauem Bart und einem breiten Grinsen trat ein. "Ah, Louis! Wie schön. Und wen haben wir denn hier?" Er nickte in Richtung Lia, die ihn mit großen Augen betrachtete.
"Das ist meine Tochter, Lia", sagte ich, während ich versuchte, mein Lächeln aufrechtzuerhalten. "Lia, das ist Herr Collins."
Lia zog sich ein wenig hinter meinen Beinen zurück, aber sie beobachtete ihn aufmerksam. Herr Collins schien das zu bemerken und kramte etwas aus seiner Tasche hervor. "Na, schau mal. Vielleicht möchtest du das hier halten, während dein Papa mir meine Schalen zeigt?" Es war eine kleine Holzfigur – ein Vogel, fein geschnitzt und bunt bemalt.
Lia streckte zögernd die Hand aus und nahm den Vogel entgegen, ihre Augen plötzlich voller Neugier. Ich atmete leise auf. Manchmal waren es die kleinen Gesten, die den Tag retteten.
Nachdem Herr Collins mit seinen Schalen zufrieden den Laden verlassen hatte und Lia sich wieder mit ihrem kleinen Rucksack beschäftigt hatte, erlaubte ich mir einen Moment, mich an die Kante der Theke zu lehnen. Mein Blick wanderte zu ihr, wie sie den kleinen Holzvogel behutsam einpackte. Sie hatte kaum gesprochen, aber der Trotz war einem vorsichtigen Frieden gewichen.
Da sie auch nicht mehr töpfern wollte, kümmerte ich mich um meiner Arbeit und begann mit dem nächsten Auftrag. Eine ältere Dame wollte ihrer Enkelin ein kleines Set bestehend aus mehreren Tassen, Schalen und tiefen Tellern schenken.
Nach einiger Zeit wurde Lia jedoch sehr ungeduldig und ich konnte mich ebenfalls kaum mehr konzentrieren. Der Tag hatte mich doch ziemlich erschöpft. Es war schwierig genug, allein ein kleines Geschäft zu führen, aber mit einem Kind an meiner Seite war es fast unmöglich Planungen einzuhalten. Die Balance zwischen den Kunden, den Bestellungen und Lia zu finden war ein unfassbarer Kampf.
"Lia, es wird Zeit, sollen wir nach Hause gehen?", fragte ich, verräumte die letzten Utensilien und zog mir meine Jacke über. Sie sah kurz auf, nickte dann und stand wortlos auf. Es war keine große Rebellion mehr zu spüren, nur eine stille Akzeptanz.
Der Heimweg war kurz, und Lia hielt meine Hand, während wir durch die kühle Abendluft gingen. Die Straßenlaternen warfen lange Schatten, und ich spürte, wie sie sich ein wenig an mich lehnte. Es waren solche Momente, die mir Hoffnung gaben – kleine, leise Zeichen, dass sie sich vielleicht irgendwann an unser neues Leben gewöhnen würde.
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Zuhause angekommen, brachte ich Lia ins Badezimmer, um sie für die Nacht fertigzumachen. Während sie mit ihrer Zahnbürste kämpfte, ließ ich mich auf den Badewannenrand sinken und massierte mir die Schläfen. Mein Kopf arbeitete unermüdlich: Ich wusste, dass ich eine Lösung finden musste. Lia konnte nicht jeden Tag mit in den Laden kommen. Es war zu anstrengend für uns beide – für sie, weil sie sich langweilte und ich ihr kaum die Aufmerksamkeit schenken konnte, die sie brauchte, und für mich, weil ich mich ständig zwischen Arbeit und Vaterrolle zerrissen fühlte.
Die Lösung war klar, doch sie schmeckte bitter: Ich brauchte Hilfe. Ein Babysitter oder eine Tagesbetreuung. Vielleicht sogar etwas, das speziell auf unsere Situation passte. Ich konnte mir den Kindergarten nur für ein paar Stunden leisten, aber Lia brauchte mehr. Mehr Kinder, mehr Struktur, mehr Ablenkung. Und ich brauchte Zeit, um mich auf den Laden zu konzentrieren, um überhaupt genug Geld zu verdienen, um unsere kleine Welt am Laufen zu halten.
Als Lia schließlich im Bett lag und mit dem kleinen Holzvogel in der Hand langsam einschlief, nahm ich im Wohnzimmer mein Handy zur Hand. Es fiel mir schwer, diese Entscheidung zu treffen, doch ich wusste, dass ich es für sie tat.
Ich scrollte durch einige Anzeigen in der Nähe. Babysitter, Tagesmütter, ein paar Betreuungseinrichtungen. Ich las die Beschreibungen und Preise, fühlte einen Knoten in meinem Magen, als ich die Summen sah. Doch ich blieb dabei, weil ich wusste, dass es anders nicht ging.
Dann stieß ich auf eine Anzeige, die anders war. Sie sprang mir sofort ins Auge: "Bunte Bande - Für queere Eltern, Alleinerziehende und Familien mit begrenztem Budget. Betreuung mit Herz und Verstand."
Die Worte hatten etwas Tröstliches, und ich klickte auf die Details. Harry bot flexible Zeiten, erschwingliche Preise und vor allem eine Umgebung, in der Kinder von Regenbogenfamilien willkommen waren. Er selbst hatte Kinder und lebte in einem großen Haus in fußläufiger Nähe. Die Anzeige zeigte ein Foto von ihm – ein Mann Mitte dreißig mit einem freundlichen Lächeln und einem gestrickten Regenbogenschal um den Hals.
Ich zögerte nur einen Moment, dann wählte ich seine Nummer. Nach zwei Klingeln ging er ran, und eine warme, kräftige Stimme begrüßte mich: "Hier ist Harry, wie kann ich helfen?"
Ich erklärte meine Situation – Lia, den Laden, die Schwierigkeiten mit der Betreuung. Die Umstände warum Lia und ich alleine waren ließ ich aus. Das war nichts, was ich einem fremden direkt erzählen wollte. Harry hörte aufmerksam zu, stellte ein paar gezielte Fragen und sprach mit einer Gelassenheit, die mir sofort das Gefühl gab, nicht allein zu sein.
"Klingt, als bräuchtet ihr beide ein bisschen Unterstützung", sagte er schließlich. "Ich bin ganz in der Nähe. Warum kommt ihr nicht morgen mal vorbei? Dann lerne ich euch beide kennen, und ihr seht, ob es passt."
"Das klingt gut", sagte ich, obwohl ein Teil von mir immer noch zögerte. Es war nicht leicht, Lia jemandem anzuvertrauen, den ich nicht kannte.
Am nächsten Nachmittag machten wir uns auf den Weg zu Harrys Adresse. Sein Zuhause war ein gemütliches Reihenhaus mit einem kleinen Vorgarten, in dem ein Kinderwagen, bunte Spielsachen und ein Schild mit der Aufschrift "Hier wohnen kleine Abenteurer!" standen.
Lia hielt meine Hand fest, ihre kleinen Finger umklammerten meine, als wollte sie sicherstellen, dass ich nicht plötzlich verschwinden würde. "Ich will nicht", murmelte sie leise, ihr Blick auf die bunten Spielsachen im Vorgarten gerichtet.
Ich hockte mich vor sie, damit ich auf Augenhöhe mit ihr war. "Lia, wir schauen uns das heute nur an. Du musst nichts machen, was du nicht willst. Aber ich glaube, du wirst Harry mögen. Und schau mal, er hat so viele tolle Spielsachen. Vielleicht findest du ja etwas, das dir gefällt."
Sie sagte nichts, verfestigte ihren Griff um meine Finger, als wollte sie sicherstellen, dass ich mitkommen würde. "Wenn es dir wirklich nicht gefällt, dann kannst du das immer sagen, okay? Es ist nicht schlimm, wenn man etwas nicht mag. Versuchen wir es trotzdem?" Still nickte sie und zog an meiner Hand.
Ich klingelte einen Moment später und nur wenige Sekunden darauf öffnete Harry die Tür. Er schien uns schon erwartet zu haben. Sein Lächeln war warm und einladend, als er sich leicht herunterbeugte, um Lia direkt anzusprechen. "Hallo, du musst Lia sein. Schön, dass du da bist."
Meine Tochter versteckte sich halb hinter meinem Bein und schüttelte den Kopf. Harry ließ sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. "Kein Problem, du kannst dir alles in Ruhe anschauen, und wenn du willst, zeige ich dir, wo mein Lieblingsplatz ist."
Langsam traten wir ein. Der Flur war unfassbar schön eingerichtet. Für die Kinder gab es sogar eine kleine Garderobe mit einer langen Sitzbank und kleinen Fächern, so wie man es aus dem Kindergarten kannte. Das Wohnzimmer war ebenfalls ziemlich beeindruckend: Auf dem Boden lagen bunte Teppiche, Kissen waren in jeder Ecke verstreut, und ein kleiner Tisch war mit Malsachen gedeckt. In der Ecke stand ein Regal voller Kinderbücher, und ein großer Stoffbär lehnte an der Wand. Alles war bunt, aber irgendwie auch aufeinander abgestimmt. Ich mochte es.
"Magst du vielleicht malen, Lia?", fragte Harry und zeigte auf den runden Tisch. "Oder wir können zusammen mit den Bausteinen spielen", bot er als Alternative an.
Lia schüttelte erneut den Kopf, hielt aber ihre Augen auf die Bauklötze gerichtet. Ich wusste, dass sie neugierig war, aber sie hatte noch nicht genug Vertrauen gefasst, um sich zu lösen. Harry schien das zu bemerken und wandte sich an mich. "Louis, wie wäre es, wenn du ihr erst einmal alles in Ruhe zeigst? Ich mache uns derweil etwas zu trinken. Tee, Kaffee oder Saft?"
"Gerne eine Tasse Kaffee mit einem Schluck Milch", erwiderte ich. "Alles klar, kommt sofort."
Ich nickte dankbar und setzte mich mit Lia auf den Teppich. Sie schwieg, aber ich konnte sehen, dass sie die bunten Steine beäugte. Schließlich ließ sie sich neben mir auf den Boden sinken und nahm zögernd einen der Steine in die Hand. Ich grinste innerlich – ein kleiner Sieg.
Harry kehrte Minuten später mit einem kleinen Tablett und den Getränken zurück und ließ sich entspannt neben uns nieder. "Weißt du, Lia", sagte er beiläufig, "ich habe vorhin einen kleinen Vogel gesehen, der hier draußen herumgeflattert ist. Er hat mich an deinen erinnert. Möchtest du mir von deinem erzählen?"
Das war der Moment, in dem Lia das erste Mal aufblickte. Sie hielt den kleinen Holzvogel, den sie aus dem Laden mitgenommen hatte, mittlerweile nicht mehr in ihrer Hand, aber immer noch in greifbarer Nähe. "Das ist mein Vogel", sagte sie leise und griff direkt nach ihm, bevor jemand von uns ihn nehmen konnte.
"Oh, er ist wunderschön", sagte Harry mit ehrlicher Begeisterung. "Hat er auch einen Namen?"
Lia dachte einen Moment nach, bevor sie leise sagte: "Blaubauch."
Harry lachte, aber nicht spöttisch, sondern mit einer warmen Herzlichkeit, die selbst mich entspannte. "Das ist ein perfekter Name. Blaubauch passt gut zu ihm."
Von da an schien sich die Stimmung langsam zu lösen. Lia begann, die Bausteine aufeinanderzusetzen, während Harry und ich uns unterhielten. Er erzählte mir von seiner Arbeit, wie er die Betreuung vor Jahren gestartet hatte, weil er selbst oft gesehen hatte, wie schwer es queeren Eltern oder Alleinerziehenden fiel, bezahlbare Unterstützung zu finden. Er erwähnte auch seine eigenen Kinder, die gerade bei seiner Mutter waren. Zu meiner Überraschung hatte er vier Kinder.
"Es ist nicht immer leicht, aber es lohnt sich", sagte er. Kurz dachte ich an unsere Situation Zuhause und mit welchen Umständen Lia schon zu kämpfen hatte. Ich wollte ihm zustimmen, ebenfalls bejahen, dass es sich lohnte, aber bisher war alles einfach so unfassbar stressig. Ich hatte es noch nicht mal ansatzweise verarbeitet, fand auch keine Zeit mich mit der Tatsache auseinander zu setzten, dass mein Partner mich verlassen hatte.
Für gar nichts hatte ich Zeit. Nicht einmal für mich.
"Und ich glaube, Lia wird sich hier wohlfühlen. Sie braucht nur Zeit", sprach er und gab mir das Gefühl, das ich ein Teil des Gespräches nicht mitbekommen hatte. Doch ich sagte nichts. "Ja, das wäre wirklich schön."
Nach einer Weile zog Lia vorsichtig an meinem Ärmel. "Lou, schau mal!", sagte sie und zeigte auf einen schiefen, aber erstaunlich hohen Turm aus Bausteinen. "Das hast du super gemacht", sagte ich, lächelte und versuchte mir nichts anmerken zu lassen, dass sie mich beim Vornamen nannte. Es war das erste Mal seit Tagen, dass ich sie so konzentriert und zufrieden sah, das war gerade alles was zählte und wichtig war.
Harry nickte zustimmend. "Ich glaube du bist eine richtige Baumeisterin."
Am Ende des Nachmittags war Lia zwar immer noch zurückhaltend, aber als Harry sich von ihr verabschiedete und fragte, ob sie bald wiederkommen wolle, nickte sie vorsichtig.
Auf dem Heimweg hielt sie meine Hand, ihren Holzvogel fest an die Brust gedrückt. "Lou?", fragte sie plötzlich. "Ja, Lia?", erwiderte ich und sah kurz zu ihr hinab.
"Harry ist nett."
Ich lächelte in die kühle Abendluft. "Ja, das ist er."
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Ein paar Wochen waren vergangen, und Lia hatte sich überraschend schnell an die Betreuung bei Harry gewöhnt. An drei Nachmittagen die Woche brachte ich sie in das bunte Haus und jedes Mal wurde ihre Trennung von mir ein bisschen leichter. Jetzt lief sie oft schon voraus, öffnete die Tür und rief fröhlich nach Harry, während ich ihr kleines Täschchen hinterhertrug. Es war eine Erleichterung, sie so zufrieden zu sehen.
Harry hatte sich als Segen herausgestellt. Er war geduldig, warmherzig und schien immer genau zu wissen, wie er mit Lia umgehen musste. Sie erzählte mir am Abend oft von ihm, von den anderen Kindern und von den kleinen Abenteuern, die sie erlebte. Einmal waren sie sogar in einem Streichelzoo von dem sie noch Tage später berichtete.
An einem sonnigen Samstag hatten wir uns spontan auf dem Spielplatz in der Nähe seines Hauses verabredet. Lia liebte diesen Ort mit seinen Schaukeln, Rutschen und dem riesigen Sandkasten. Harry hatte seine Kinder mit dabei. Der älteste, Christoph, begann sofort mit Lia durch den Sand zu tollen.
Harry und ich setzten uns auf eine der Holzbänke am Rand des Spielplatzes. Erst jetzt merkte ich, das er seine jüngste Tochter unter dem Mantel in einem Tragetuch an seiner Brust trug. Harper war erst wenige Monate alt. Soweit ich wusste war Harry Alleinerziehend, nach dem Grund traute ich mich nicht zu fragen, denn manchmal - wenn ich Lia abholte - hatte er einen verletzen und traurigen Ausdruck.
Harry hatte eine Thermoskanne mitgebracht und schenkte uns beiden Kaffee ein. Seine Zwillinge hatten nicht die gleiche Energie wie Lia und Christopher, und fanden es interessanter im Sand zu buddeln. Es war schön zu sehen, wie sie miteinander lachten und spielten.
"Es ist wirklich toll, was du auf die Beine gestellt hast und für die Kinder machst", sagte ich und nahm einen Schluck von dem dampfenden Kaffee. "Ich weiß wirklich nicht, was Lia und ich ohne dich machen würden."
Harry winkte ab, aber ich konnte sehen, dass er sich über das Kompliment freute. "Es ist nichts Besonderes. Ich liebe es, mit den Kindern zu arbeiten, habe ja selbst auch nicht gerade wenig und ich weiß, wie hart es sein kann, wenn man das alles allein stemmen muss." Er machte eine kleine Pause und ich hatte das Gefühl ein Hauch von Trauer huschte über sein Gesicht. "Ich freue mich, dass Lia sich bei mir wohlfühlt. Sie ist ein tolles Mädchen."
Ich wollte gerade etwas erwidern, als ich sah, wie Christoph aufgeregt zur Schaukel lief und stürzte. Harry stand sofort auf, lief mit einer Hand auf Harpers Rücken zu ihm und hob ihn sanft auf. Der kleine Junge begann zu weinen, aber Harry beruhigte ihn mit Worten, die ich nicht hören konnte und kurz darauf war alles wieder gut.
Als es langsam Zeit wurde, den Spielplatz zu verlassen, sammelten wir die Kinder ein und machten uns auf den Weg zurück zu den Autos. Harry hielt Henry an der Hand, während Genevieve an seinem anderen Arm hing und fröhlich vor sich hin plapperte. Ich hatte Lia an meiner Seite, die müde und zufrieden wirkte.
Als wir einen der Kieswege entlanggingen, bemerkte ich, dass Harry nicht wie erwartet mit mir zum Parkplatz abbog. Stattdessen hielt er sich auf einem Weg, der in die entgegengesetzte Richtung führte.
"Harry?", rief ich ihm nach. "Wo geht's denn hin? Die Autos stehen hier vorne", sprach ich verwundert und blieb stehen. Lia schien ebenfalls neugierig, blickte zu Harry und zog an meiner Hand.
Er blieb stehen, drehte sich zu mir um, und ich konnte sehen, dass seine Schultern sich anspannten. Für einen Moment sagte er nichts und versuchte nach einem Moment beiläufig zu klingen: "Ach, wir gehen zu Fuß. Das Wetter ist so schön."
Ich runzelte die Stirn. Der Parkplatz war kaum 200 Meter entfernt, und ich wusste, dass er definitiv mit dem Auto gekommen war. Aber bevor ich etwas sagen konnte, sah ich, wie Genevieve erneut zu plappern begann, und Harry nutzte die Ablenkung, um weiterzugehen.
Ich zögerte kurz, nahm Lia auf den Arm und setzte sie seitlich auf die Hüfte. Ohne weiter nachzudenken holte ich ihn ein und senkte meine Stimme, um die Kinder nicht zu beunruhigen. "Harry, alles in Ordnung? Du bist doch mit dem Auto hier, oder?"
Er zögerte und wandte den Blick ab. Schließlich seufzte er, und ich konnte sehen, wie schwer es ihm fiel, zu antworten. "Ich... Ich hab manchmal ein Problem mit dem Autofahren", gab er schließlich zu. "Manchmal packt mich einfach die Panik, und ich kann nicht hinterm Steuer sitzen. Es passiert nicht oft, aber wenn, dann... na ja, gehe ich zu Fuß oder nehme den Bus", sprach er und ich konnte ein leichtes Zittern in seiner Stimme heraushören. Ich hatte auch das Gefühl, dass sein 'Manchmal' eher ein 'Ziemlich oft' sein sollte.
Ich hatte es überhaupt nicht erwartet, denn Harry war immer so ruhig und souverän – es war schwer, sich vorzustellen, dass ihn etwas derart aus der Bahn werfen konnte. "Das hätte ich nicht gedacht", sagte ich vorsichtig. "Aber danke, dass du's mir sagst. Gibt es irgendwas, was ich für dich tun kann?"
Harry lächelte leicht, aber es wirkte angespannt und gezwungen. "Nein, es ist okay. Es ist mir nur ein bisschen unangenehm. Ich will nicht, dass die Leute denken, ich wäre... unfähig."
"Das würde niemand denken", erwiderte ich ernst. "Schon gar nicht ich. Du kümmerst dich um so vieles und gibst so viel. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Und wenn du mal nicht fahren kannst, sag einfach Bescheid. Ich helfe dir gerne."
Harry wirkte erleichtert, und sein Lächeln wurde etwas entspannter. "Danke, Louis. Das bedeutet mir viel."
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Einige Tage waren vergangen, seit wir uns auf dem Spielplatz getroffen hatten, aber Harry schien sich seither verändert zu haben.
Morgens, wenn ich Lia in den Kindergarten brachte, war alles wie gewohnt. Doch nachmittags, wenn ich sie zu Harry brachte, war seine sonst so lebhafte Energie gedämpft.
Er wirkte erschöpft, seine sonst so wachen Augen hatten an Glanz verloren, und die fröhliche Wärme in seiner Stimme schien nur noch eine Fassade zu sein. Jeder Nachmittag in seinem bunten Haus war erfüllt von Lachen, Geschrei und kleinen Dramen – eine fröhliche, chaotische Gemeinschaft, die Harry mit Geduld und Liebe lenkte. Doch in letzter Zeit schien ihn diese Verantwortung zu erdrücken.
An einem Mittwoch, als ich Lia wie üblich brachte, zögerte ich in der Tür, nachdem sie sich von mir verabschiedet hatte. Harry stand in der Küche und räumte eine unordentliche Reihe von Plastikbechern weg, doch seine Bewegungen waren mechanisch, fast so, als würde er auf Autopilot laufen. "Harry, hast du einen Moment?" fragte ich vorsichtig. Er drehte sich zu mir um, und für einen Augenblick konnte ich sehen, wie müde er wirklich war. Sein Lächeln wirkte aufgesetzt.
"Natürlich, Louis. Was gibt's?" Ich trat näher, lehnte mich an den Türrahmen und senkte die Stimme, damit die Kinder im Wohnzimmer uns nicht hören konnten. "Ich wollte nur fragen, ob bei dir alles in Ordnung ist. Du wirkst in letzter Zeit... irgendwie anders." Er zögerte, sah zu Boden und schüttelte schließlich den Kopf. "Es ist nur... viel gerade. Ich glaube, es ist einfach die Arbeit. Und die Kinder. Es gibt Tage, da fühle ich mich, als würde ich unter der Last zusammenbrechen."
Ich hatte Harry noch nie so offen erlebt, und ich spürte, dass mehr hinter seinen Worten steckte. "Hör zu", sagte ich. "Wie wäre es, wenn wir uns später auf einen Kaffee treffen? Nur du und ich. Vielleicht hilft es, ein bisschen Abstand zu gewinnen."
Er sah mich überrascht an, als hätte er nicht damit gerechnet, dass jemand diese Frage stellen würde. Schließlich nickte er langsam. "Das klingt eigentlich ganz gut. Danke, Louis."
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Am späten Nachmittag saßen wir in einem kleinen Café in der Nähe. Die Atmosphäre war ruhig, und die warme Beleuchtung verlieh dem Raum etwas Beruhigendes. Ich hatte Lia bei Harry gelassen, und er hatte für die Kinder seine Mutter gebeten, kurz auf sie aufzupassen.
"Du bist heute wirklich hartnäckig", begann er und schenkte mir ein leichtes Lächeln, als er seinen Kaffee umrührte. "Manchmal muss man hartnäckig sein", erwiderte ich mit einem Schmunzeln. "Vor allem bei Leuten, die denken, sie könnten alles allein schaffen." Er lachte leise, aber es klang müde. "Du hast mich durchschaut."
Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee und sah ihn ernst an. "Harry, ich meine es ernst. Du wirkst, als hättest du etwas auf dem Herzen. Vielleicht hilft es, darüber zu reden." Er starrte in seine Tasse, bevor er schließlich zu sprechen begann. "Es ist nicht nur die Arbeit oder die Kinder. Es ist... mehr. Vor ein paar Monaten habe ich jemanden verloren, der mir sehr nahe stand."
Seine Stimme brach leicht, und ich spürte, wie ein Kloß in meinem Hals aufstieg. "Es war plötzlich. Ein Unfall. Und seitdem..." Er brach ab und rieb sich die Augen. "Seitdem tue ich alles, um beschäftigt zu bleiben. Die Kinder geben mir einen Grund, weiterzumachen. Aber manchmal... manchmal wird es einfach zu viel." Ich ließ ihn reden, ohne ihn zu unterbrechen. Es war, als würde er eine Last ablegen, die er viel zu lange getragen hatte.
"Ich habe immer gedacht, dass ich stark sein muss – für die Kinder, für die Eltern. Aber ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wie lange ich das noch schaffe."
"Harry", sagte ich vorsichtig, "Niemand erwartet von dir, dass du das alles allein schaffst. Es ist okay, Hilfe zu brauchen. Und es ist okay, zu trauern." Er sah mich an, und in seinen Augen lag etwas, das wie Erleichterung aussah. "Ich weiß. Aber es ist schwer, das zuzulassen."
"Vielleicht ist es Zeit, dass du es versuchst", schlug ich vor. "Vielleicht mit jemandem reden, der dir helfen kann. Ein Therapeut, ein Freund... oder ich. Ich bin hier, wenn du jemanden brauchst." Er nickte langsam, und ich konnte sehen, dass meine Worte ihn berührten. "Danke, Louis. Das bedeutet mir viel."
Ich hatte das Gefühl, das es wichtig war, wenn ich ihm von meinem Partner erzählte. Einfach, damit er merkte, dass es wirklich nicht immer so lief, wie man es sich erträumt hatte. Und tatsächlich half es ihm ein wenig.
Zumindest hatte ich das Gefühl.
🩶
Unveröffentlichtes Buch: memory of you
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