Mein Vater war nun nach hause gegangen um über alles nachzudenken, doch ich saß noch hier bei Jüli und wollte endlich die Antwort auf meine Frage. Leyla schlief. »Du willst also die Vergangenheit von Ardy wissen?«, fragte sie mich und ich nickte fest entschlossen. »Also gut, aber sag ihm bloß nichts davon.«, warnte mich Jüli und sah mich prüfend an. Wieder nickte ich fest entschlossen und faltete meine Hände auf meinem Schoß zusammen, so wie schon so oft in letzter Zeit. »Damals, als Ardy noch fünf Jahre alt war, verstarb sein Vater, an einem Autounfall. Seine Mutter war bislang nicht aufzufinden und so blieb er ein anonymes Kleinkind, ein Waisenkind, was ohne Liebe aufwuchs, aber sich so sehr danach sehnte. Er war noch so klein, so jung, aber schon so verlassen, ohne Liebe. Er lief weg, Polizisten suchten ihn, doch niemand konnte ihn finden. Er streunte ein Jahr lang auf der Straße rum, Polizisten schränkten die Suche ein, es war hoffnungslos nach dem kleinen Ausreißer zu suchen. Jeder dachte er sei tot. Er war sehr schlau für seine jungen Jahre und manchmal frage ich mich, wie er es geschafft hat als Kleinkind auf der Straße zu überleben. Aber das hat er, er ist eine Kämpfernatur. Doch als er dann sieben wurde und somit zwei Jahre lang auf der Straße rumstrich, wurde er entführt. Seine damaligen Freunde, paar Obdachlose suchten ihn, doch keiner hatte ihn gefunden. Er wurde vergewaltigt, wer es war ist bis heute noch unklar, deshalb besitzt er an manchen Körperstellen Narben und Verletzungen. Manche sind mit Tattoos verdeckt, andere nicht sichtbare hat er so gelassen, wie sie sind.« Entsetzt riss ich meine Augen auf. Also war das die Narbe auf seinem Glied. Trauer stieg in mir auf und ich sah in die müden Augen von Jüli. »Nachdem er entkommen konnte wurde er von einer Frau gefunden. Sie hieß Zero.«-»Moment, was?! Das ist doch die Ex-Freundin meines Vater!«, schrie ich verzweifelt. Frust keimte sich in mir auf. Warum war alles so kompliziert, warum deckte sich jetzt erst alles auf? Mein Herz fing an zu schmerzen und wieder einmal sammelten sich tausende Tränen in meinen Augen und jede einzelne stand für den Schmerz den ich empfand. »Das wusste ich nicht, aber auf jeden Fall hat sie ihn gefunden und ihn mitgenommen. Er wuchs bei ihr auf bis er siebzehn wurde und als er das Alter erreichte, sagte Zero ihm die Wahrheit. Sie war seine vermisste Mutter und das hatte Ardy so aus der Bahn geworfen, dass er weglief. Vorher hat er sie angeschrien, wie sie doch nur so ignorant sein könne, seinen Vater und ihn selbst so im Stich gelassen zu haben. Und dann war er wieder das anonyme Kind, ein Waise. Er fand sich bei paar Obdachlosen wieder. Rick, Fabian, Ian, Erik und Paul. Sie halfen ihm auf die Sprünge und irgendwann fand er einen Job. Er konnte sich etwas aufbauen und dann mit achtzehn, neunzehn hat er Scheiß gebaut, sich besoffen und mich geschwängert. Damit kämen wir beim jetzigen Standpunkt an.« Ich sah Jüli mit offenem Mund an und fand keine Worte. Ich schloss kurz meine Augen und konzentrierte mich. Ja, das ganze ergab Sinn und die Mutter schien vom Charakter genauso wie ihr Sohn zu sein. Jetzt wusste ich auch, woher Anonymous das hatte. »U-und was ist mit Zero passiert?«, fragte ich, doch sie zuckte nur unwissend mit den Schultern. Ich strich mir übers Gesicht und seufzte. »Und was für ein Scheiß hat Anonymous gebaut?« Jüli fing an sich auf der Lippe rum zu beißen. Das reichte mir schon als Antwort und es wurde zuviel für mich. Ich stand auf, zog mir meine Jacke an und danach meine Schuhe. »Taddl, wohin gehst du?«, fragte Jüli mich panisch.

»Jüli, sag Leyla, dass ich sie über alles liebe. Ihr werdet mich beide nie wieder sehen, ich bin Geschichte. Ich wünsche euch viel Glück und das Strafgeld lasse ich euch zukommen. Lebt wohl, ihr zwei.« Ich drückte Jüli einen Kuss auf die Wange, bevor ich verschwand und wohl nie wieder kommen würde.