~9~
Die Luft war stickig, erfüllt von einer seltsamen Mischung aus Angst und Schweiß.
Jisung spürte das Flackern der Neonlichter auf seiner Haut, als sie sich in einer langen Schlange anstellten. Jeder Schritt hallte laut auf dem Betonboden wider.
Vor ihnen standen Tische, auf denen kleine Metalldosen ordentlich aufgereiht waren. Die Wachen mit den geometrischen Masken überwachten stumm jeden ihrer Schritte.
Jisung trat vor, sein Herz schlug hart in seiner Brust. Seine Hände waren feucht, als er eine der Dosen nahm. Sie war leichter, als er erwartet hatte, und das Metall fühlte sich kühl unter seinen Fingern an.
Seine Freunde – Seungmin, Felix und Jeongin – schauten ihn kurz an, bevor sie sich ebenfalls ihre Dosen holten. Keiner von ihnen sprach, aber ihre Blicke verrieten eine Mischung aus Furcht und Entschlossenheit.
Jisung folgte ihnen zu einer freien Stelle auf dem Boden und setzte sich. Er hielt die Dose mit beiden Händen fest, als wäre sie ein zerbrechlicher Schatz.
Er atmete tief durch, bevor er den Deckel aufklappte. Das leise Klick des Metalls klang in der bedrückenden Stille viel lauter, als es sein sollte.
Drinnen lag eine dünne Zuckerscheibe, auf der das Symbol des Dreiecks geprägt war, dazu eine Nadel. Die Form war einfach, fast banal, doch Jisung wusste, dass sie über sein Leben entscheiden würde.
Er hob die Nadel auf, betrachtete sie für einen Moment. Sie schien winzig und unbedeutend, doch sie war jetzt sein einziges Werkzeug.
Um ihn herum öffneten auch die anderen ihre Dosen. Seungmin zog langsam den Deckel ab und starrte auf den komplizierten Regenschirm, der sich auf seiner Zuckerscheibe abzeichnete.
Felix legte den Kopf schief, als er seinen Kreis begutachtete, während Jeongin sein Viereck mit einem leichten Lächeln betrachtete.
„Viel Glück“, murmelte Jisung leise, obwohl er nicht wusste, ob sie ihn gehört hatten.
Die Lautsprecher ertönten erneut. „Das Spiel beginnt jetzt. Sie haben zehn Minuten.“
Ein dumpfer Countdown erschien an der Wand vor ihnen, die roten Zahlen tickten unerbittlich rückwärts.
Jisung schloss kurz die Augen.
Dann nahm er die Nadel in die Hand und begann zu arbeiten. Er saß auf dem Boden, die Zuckerscheibe vor sich und die Nadel fühlte sich beinahe schwer in seiner zitternden Hand an.
Sein Atem war flach, fast lautlos, während er die dünne Metallspitze vorsichtig an die feinen Kanten des Dreiecks führte.
Er wollte sich konzentrieren, doch seine Gedanken wirbelten wie ein Sturm. Überall um ihn herum hörte er die angespannte Stille der Spieler, das leise Kratzen von Nadeln auf Zucker – und das Knacken.
Das Knacken war das Schlimmste. Es war der Vorbote von Tod.
Neben ihm kniete Seungmin, der seinen Regenschirm vor sich hatte. Jisung konnte den Schweiß auf seiner Stirn glänzen sehen, während Seungmin mit beinahe verzweifelter Präzision arbeitete. Auf der anderen Seite von Jisung saß Felix. Seine Hände waren erstaunlich ruhig, sein Fokus bemerkenswert.
Jeongin war ruhig, fast methodisch, und Jisung bemerkte mit einem Anflug von Bewunderung, wie schnell er vorankam.
Plötzlich hob Jeongin die Hand und zeigte seine fertige Zuckerscheibe. Eine der Wachen trat heran, prüfte sie mit einem stummen Nicken und führte Jeongin aus dem Spielbereich.
Ein kleiner Teil von Jisung wollte lächeln, wollte Erleichterung spüren, dass wenigstens einer von ihnen sicher war. Doch es war unmöglich, als ein lauter Schuss den Raum durchdrang.
Jisung zuckte zusammen, sein Griff um die Nadel verstärkte sich unwillkürlich. Seine Augen wanderten zur Quelle des Geräuschs. Ein Mann, nur ein paar Meter entfernt, fiel nach hinten, seine Brust von einer blutigen Wunde durchbohrt.
Das Blut floss schnell, bildete eine rote Lache, die langsam zu Jisungs Füßen kroch. Er fühlte, wie sich seine Kehle zuschnürte, sein Atem unregelmäßig wurde.
„Nicht hinschauen“, flüsterte er zu sich selbst. „Konzentrier dich.“
Er zwang sich, den Blick wieder auf seine Zuckerscheibe zu richten. Doch die Schüsse kamen immer wieder, jeder einzelne durchdrang seinen Körper wie ein elektrischer Schlag.
Seungmin arbeitete noch immer an seinem Regenschirm, sein Gesicht war aschfahl. Jisung sah, wie er kurz zögerte, die Nadel in seiner Hand zitterte. Doch er machte weiter, mit einer Entschlossenheit, die Jisung bewunderte.
Felix hingegen wirkte konzentriert. Seine ruhigen Bewegungen hatten fast etwas Beruhigendes. Er hatte mehr als die Hälfte seines Kreises herausgearbeitet und wirkte zuversichtlich.
Jisung schaute auf seine eigene Scheibe. Das Dreieck war an sich einfach, aber die Ecken waren tückisch. Er arbeitete langsam, die Nadel fühlte sich in seinen schweißnassen Händen unsicher an.
Ein weiteres Knacken. Direkt neben ihm.
„Nein, nein, bitte!“, schrie eine Frau, die zu seiner Rechten saß. Der Schuss war ohrenbetäubend, und Jisung zuckte so heftig zusammen, dass seine Nadel kurz abrutschte.
Das Blut der Frau spritzte auf den Boden, einige Tropfen landeten auf seinem Arm und in seinem Gesicht. Jisung biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu schreien.
Er kämpfte weiter, seine Hände zitterten stärker als je zuvor. Jeder Atemzug war eine Herausforderung, jeder Schuss eine Erinnerung daran, wie fragil sein Leben war.
Plötzlich hörte er ein leises Knacken an seiner Zuckerscheibe. Sein Herz blieb beinahe stehen. Doch es war kein Bruch – nur ein kleiner Splitter, der sich gelöst hatte. Er atmete schwer, zwang sich weiterzumachen.
„Noch eine Minute!“ hallte die Stimme durch den Raum.
Jisung spürte Panik in sich aufsteigen. Er war fast fertig, doch der Druck lastete schwer auf ihm. Er hörte ein weiteres leises Kratzen und sah, wie Seungmin triumphierend die Hand hob. Seine Zuckerscheibe war intakt, der Regenschirm heil.
Felix folgte nur Sekunden später, sein Kreis perfekt ausgeschnitten. Beide wurden aus dem Spielbereich geführt, während Jisung zurückblieb.
Die Sekunden tickten unerbittlich, während er die letzte Ecke seines Dreiecks bearbeitete. Sein Atem stockte, als er die Nadel vorsichtig über die feine Linie führte.
„Fertig!“, flüsterte er, als er das Dreieck heil aus der Zuckerscheibe löste.
Er hob es langsam hoch, zeigte es einer der Wachen. Diese prüfte es, nickte knapp und Jisung wurde ebenfalls aus dem Spielbereich geführt.
Sein Körper fühlte sich schwer an, seine Beine wackelten, als er durch die Tür ging.
Doch er hatte es geschafft.
Diesmal.
Minho stand reglos am Rand des Spielfeldes, seine Hände um das Gewehr gelegt, wie es von ihm erwartet wurde. Die Dreiecksmaske verbarg seinen Ausdruck, doch darunter kämpfte er mit seinen Emotionen.
Von seinem Posten aus hatte er Jisung die ganze Zeit beobachtet.
Jeder zitternde Griff, jede Bewegung der Nadel hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Die Art, wie Jisung bei jedem Schuss zusammenzuckte, brachte Minhos eigene Fassade zum Bröckeln.
Er wollte eingreifen. Er wollte helfen. Aber in diesem Moment war er nicht Minho – er war eine Wache. Ein stummes Zahnrad in der Maschine des Spiels.
Die Zeit verstrich quälend langsam. Minho sah, wie der Mann neben Jisung scheiterte, wie die Wache ihn ohne zu zögern erschoss. Das Blut spritzte, floss über den Boden und berührte beinahe Jisungs Schuhe. Minho bemerkte, wie Jisung den Atem anhielt, wie seine Hände noch stärker zitterten.
„Bleib ruhig“, dachte Minho verzweifelt. „Du kannst das schaffen.“
Seine Finger umklammerten das Gewehr fester, als Jisung sich der letzten Kante des Dreiecks näherte. Die Zeit lief fast ab, und Minho spürte die Panik, die Jisungs Bewegungen durchdrang.
Dann, endlich, hob Jisung die Zuckerscheibe mit dem perfekt ausgeschnittenen Dreieck hoch. Minho atmete erleichtert auf, doch er ließ sich nichts anmerken.
Eine Wache näherte sich Jisung, um seine Arbeit zu prüfen. Minho wusste, dass er es sein musste. Mit festem Schritt ging er auf Jisung zu und streckte die Hand aus.
Jisung reichte ihm die Zuckerscheibe, seine Finger zitterten immer noch. Minho nahm sie entgegen, seine Augen fixierten die Form.
Perfekt. Er war sicher.
Minho nickte kurz, gab Jisung die Scheibe zurück und drehte sich wortlos um.
Er wollte länger bleiben, wollte sicherstellen, dass Jisung auch wirklich aus dem Spielbereich geführt wurde. Doch er konnte es sich nicht leisten, zu lange auf ihn zu achten. Die anderen Wachen könnten Verdacht schöpfen.
In seinem Inneren tobte ein Kampf. Er wollte Jisung helfen, ihn schützen. Doch jeder Schritt, den er für ihn tat, brachte auch Minho selbst näher an den Abgrund.
„Ich kann nicht immer da sein“, dachte er bitter, während er zurück in die Reihe der Wachen trat.
„Aber solange ich es kann, werde ich alles tun, um ihn zu retten.“
💚
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