~7~
Vergangenheit
Minho war sechzehn, als er Han Jisung zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Sie kannten sich schon vorher – dieselbe Klasse, dieselben Gänge, dieselben Freunde, die ihre Namen in Gespräche warfen.
Doch es war an einem regnerischen Nachmittag im Musikraum, als Minho plötzlich begriff, wie besonders Jisung war.
Die Melodie, die Jisung damals auf dem Keyboard spielte, war roh, improvisiert, aber so voller Emotionen, dass Minho nicht anders konnte, als stehenzubleiben und zuzuhören. Jisung bemerkte ihn nicht sofort, zu vertieft in seine Welt aus Tasten und Tönen. Erst als der letzte Ton verklang und Minho langsam klatschte, drehte Jisung sich um.
„War das... gut?“ fragte Jisung schüchtern und fuhr sich durch das zerzauste Haar.
„Mehr als gut“, antwortete Minho ehrlich.
Das war der Anfang.
Ihre Verbindung wuchs aus stillen Gesprächen in der Bibliothek, heimlichen Nachmittagen im Musikraum und nächtlichen Textnachrichten, die nie zu enden schienen. Minho liebte Jisungs Lachen, sein unbändiges Talent und die Art, wie er selbst in den schlimmsten Momenten Hoffnung fand.
„Warum verbringst du überhaupt Zeit mit mir?“ hatte Jisung eines Abends gefragt, als sie auf einem verlassenen Basketballplatz saßen.
Minho sah ihn an, seine Augen weich. „Weil du mich daran erinnerst, wie sich Freiheit anfühlt.“
Es war Jisung, der den ersten Schritt machte. Ein vorsichtiger Kuss, mitten in einem Lachen, als sie sich über einen dummen Witz von Minho amüsierten. Es war überraschend, ungeschickt, aber so echt, dass beide danach erröteten und lachten, wie es nur zwei verliebte Teenager konnten.
Doch die Zeit, die sie zusammen hatten, war wie ein zartes Glas, das langsam Risse bekam.
Als Jisung bei 3Racha aufgenommen wurde, war Minho zuerst unglaublich stolz. Er war der Erste, der gratulierte, der Jisung versprach, immer an seiner Seite zu sein.
Doch mit der Zeit veränderte sich alles.
Jisung wurde immer beschäftigter. Proben, Auftritte, Studioaufnahmen – seine Tage waren voll, seine Nächte kurz. Minho, der noch immer in der Schule war, fühlte sich zurückgelassen. Ihre gemeinsamen Stunden wurden seltener, ihre Gespräche kürzer.
„Ich mache das nicht, um dich zu verletzen“, hatte Jisung einmal gesagt, als sie sich nach Wochen wiedersehen konnten.
„Das ist meine Chance, Minho. Meine einzige Chance.“
Minho verstand das. Er versuchte, Verständnis zu zeigen. Doch jedes Mal, wenn Jisung gehen musste, fühlte er einen weiteren kleinen Stich.
Der letzte Streit kam nach einem Auftritt von Jisung. Minho war hingegangen, hatte in der Menge gestanden und zugesehen, wie Jisung strahlte – wie er in seiner Welt aufging.
Doch danach, als sie sich trafen, war da diese Distanz zwischen ihnen, die Minho nicht mehr ignorieren konnte.
„Du brauchst mich nicht mehr“, sagte Minho leise, seine Stimme zitterte vor unterdrückten Emotionen.
„Was redest du da?“ fragte Jisung. „Natürlich brauche ich dich. Minho, du bist alles für mich.“
„Aber ich bin nicht genug“, sagte Minho.
„Dein Leben hat sich verändert, Jisung. Du hast die Welt, und ich… ich passe da nicht mehr rein.“
Jisung schwieg. Vielleicht, weil er wusste, dass Minho recht hatte. Vielleicht, weil er nicht wusste, wie er widersprechen sollte.
Am Ende war es Minho, der ging. Nicht, weil er Jisung nicht liebte – sondern weil er ihn zu sehr liebte, um ihn an sich zu binden.
Gegenwart
In der Stille seiner Wachstube dachte Minho oft an diese Momente.
Er fragte sich, ob er eine andere Wahl hätte treffen können. Ob sie anders geendet hätten, wenn er stärker gewesen wäre, wenn er nicht so viel Angst davor gehabt hätte, zurückgelassen zu werden.
Und jetzt war Jisung wieder da – in einer Welt, die noch brutaler war, als die, in der sie sich verloren hatten.
Minho lehnte sich zurück, seine Hände zitterten leicht.
Er hatte ihn einmal gehen lassen. Dieses Mal würde er das nicht tun.
💚
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