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Der kühle Wind des frühen Morgens wehte durch das offene Fenster des kleinen Apartments, das Minho seit Jahren bewohnte.
Es war früh, viel zu früh für jemanden wie ihn, der normalerweise spät ins Bett ging, nachdem er seine Schichten als Wächter im „Spiel“ absolviert hatte.
Doch heute war anders. Die Atmosphäre, die er den letzten Tag gespürt hatte, hing noch immer in der Luft, drückte auf seine Schultern und setzte sich wie ein bleierner Schleier auf seinen Brustkorb.
Minho stand an seinem Fenster, die Arme verschränkt und starrte in die weite, graue Stadtlandschaft. Der Anblick war immer der gleiche, doch heute wirkte er irgendwie verkehrt. Wie eine Kulisse, die in ihrer Tristesse eine Wahrheit verschleierte, die er nicht begreifen wollte.
„Es beginnt heute“, murmelte er leise und sah auf die Uhr an der Wand. Es war fast Zeit.
Die Maske. Das Dreieck. Das Symbol, das ihm sagte, wer er war und was er tun musste.
Ein Wächter.
Jemand, der über das Leben von Dutzenden Menschen entschied, jemand, der das Spiel „führen“ musste. Doch tief in seinem Inneren wusste Minho, dass er mehr war als nur ein Mörder in dieser brutalen Welt.
Er hatte sich für diesen Weg entschieden – damals, vor Monaten, als er zum ersten Mal die Möglichkeit bekam, Teil des Spiels zu werden. Es war nicht nur der Lohn, der ihn verführt hatte. Es war der Wunsch, aus seiner eigenen Dunkelheit zu entkommen, der ihn in diesen Job brachte. Er wollte nicht länger der junge Mann sein, der zu viele Fehler gemacht hatte. Er wollte Kontrolle. Macht. Und er hatte sie gefunden – im Spiel.
Doch es war die Erinnerung, die nicht verschwinden wollte.
Minho atmete tief durch, während er die knisternde Stille in seiner Wohnung in sich aufnahm.
Der erste Tag.
Das erste Spiel. Und die erste Begegnung, die er nicht erwartet hatte.
Es war ein seltsames Gefühl, das durch ihn hindurch zog. Etwas, das er in den letzten Jahren nie für möglich gehalten hätte. Es war, als ob er auf etwas wartete. Als ob er wissen musste, was hinter dieser Maske steckte, was hinter diesem Menschen war. Die Menschen im Spiel – er hatte nie besonders darüber nachgedacht, wer sie waren oder was sie taten. Für ihn waren sie nur Zahlen. Nummern auf einem Papier. Doch dann war da Jisung.
Jisung.
Es war ein Name, der in Minhos Erinnerung wie ein plötzlicher Blitz aufblitzte, der ihn für einen Moment blendete. Die beiden hatten sich jahrelang nicht gesehen. Aber als Minho vor einigen Tagen, während der Vorbereitung für das Spiel, auf die Liste der Spieler starrte, hatte er diesen Namen gesehen.
067.
Jisung.
Die Erinnerung an ihre Zeit in der High School war wie ein verborgener Schatz, den Minho fast vergessen hatte. Sie hatten viel miteinander geteilt, bevor das Leben sie in verschiedene Richtungen führte. Jisung hatte seine eigene Karriere im Musikbusiness gemacht, während Minho von einer falschen Entscheidung zur nächsten gerutscht war.
Und jetzt – hier im Spiel – war alles wieder verbunden. Doch Minho wusste, dass er sich keine Illusionen machen konnte. Es war das Spiel. Und hier gab es keine Freundschaften. Keine Vergangenheit. Nur das, was er gerade vor sich hatte.
„Wenn ich ihm helfen soll...“, flüsterte Minho mehr zu sich selbst als zu irgendjemandem.
„Dann muss ich alles riskieren.“
Die Entscheidung, die er treffen würde, war keine einfache. Er hatte die Regeln des Spiels immer eingehalten. Niemals ein Fehler. Niemals einen Moment der Schwäche gezeigt. Aber der Gedanke an Jisung... Er wusste nicht, wie lange er dieser Versuchung widerstehen konnte.
Minho stand vor der Tür und blickte auf die Uhr. Es war Zeit. Der Moment war gekommen.
Er zog die schwarze Maske über sein Gesicht und spürte, wie sie sich wie eine zweite Haut anlegte. Sie war schwer und kalt, ein ständiges Zeichen dafür, wer er war und was von ihm erwartet wurde. Die Dunkelheit, die sie verhüllte, ließ ihn vergessen, was er war und was er jemals gewesen war. Niemand konnte ihn erkennen. Niemand wusste, wer er wirklich war.
Und doch – das Bild von Jisung, das in seinen Gedanken immer wieder auftauchte, brachte ihn ins Zweifeln.
„Ich habe keine Wahl“, murmelte er, als er die Tür hinter sich zuzog. Der Flur war noch leer, die Lichter flackerten schwach in den Ecken. Er atmete tief durch und zog den Reißverschluss seiner Uniformjacke zu. Der kalte, metallische Klang hallte durch die leeren Gänge.
Es war schwer, sich auf das Spiel zu konzentrieren, als er das Bild von Jisung vor seinem inneren Auge hatte. Aber er wusste, was er tun musste. Die Ordnung, die Strukturen des Spiels, sie mussten aufrechterhalten werden. Er musste seinen Job machen. Und doch hatte dieser alte Freund, der jetzt nur noch eine Nummer war, seine Gedanken infiltriert.
Minho lief durch die langen, verlassenen Korridore des Komplexes. Der Raum, der später als das Spielfeld dienen würde, war bereits vorbereitet. Alles war in Position. Die Spieler, die bald um ihr Leben kämpfen würden, waren bereits in den Umkleidekabinen. Aber auch die Wächter, die so wie er die Macht hatten, über das Schicksal dieser Menschen zu entscheiden, waren in ihren Bereichen. Alle warteten. Alles war bereit. Nur das erste Signal fehlte noch.
Sein Blick fiel auf eine der vielen Kameras, die in den Ecken des Raums angebracht waren. Sie gaben ihm das Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Doch er wusste, dass er die Kamera nur dann beachten musste, wenn er Fehler machte.
Es war alles Teil des Spiels. Alles hatte seinen Platz, und jeder war darauf trainiert, seine Rolle zu spielen.
Aber was, wenn er aus der Reihe tanzte? Was, wenn er den falschen Moment erwischte und sich gegen das System stellte?
Minho schüttelte den Gedanken ab. Er konnte sich keine Schwäche leisten.
„Du musst stark bleiben“, flüsterte er zu sich selbst, während er sich an die Wand lehnte und auf den Start des Spiels wartete.
Der Plan war klar. Die Spieler würden bald in die Arena geführt werden. Sie hatten keine Ahnung, was sie erwartete. Und Minho war bereit, ihnen genau das zu geben, was sie verdienten. Es war das einzige, was er wusste. Das einzige, was er tun konnte.
Aber Jisung – der Gedanke an ihn, die Erinnerung an die gemeinsame Zeit in der High School – blieb wie ein Schatten, der ihn verfolgte. Und für einen Moment fragte sich Minho, ob er derjenige war, der für diese unendliche Spirale der Gewalt verantwortlich war. Ob er es überstehen würde, zu tun, was getan werden musste.
„Du hast keine Wahl“, murmelte er noch einmal, als das Signal ertönte und der erste Schritt des Spiels begann.
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