20. Bitte hilf mir
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Lyana pov.
Diesmal musste Nathan nicht zum Arzt, weshalb er bis zum Ende des Schultages am Unterricht teilnehmen konnte. Es war wunderbar mit anzusehen, wie sehr sich der Junge darüber freute. Er schien Spaß an der Schule zu haben. Da kam mir doch tatsächlich die Frage auf, wie sowas wohl ist. Wie ist es im Unterricht zu sitzen und etwas zu lernen? Ich konnte es mir aufregend und spannend vorstellen, zumindest wenn ich mir meinen Schützling so ansah.
Der Dunkelhaarige war aber auch noch sehr jung, ob Lucy genauso viel Spaß empfand wie Nathan? Oder änderte sich das mit dem Alter? Auch wenn ich mich schon etwas mit den Menschen beschäftigt hatte, genauso wie mein Bruder, waren sie dennoch in manchen Dingen ein Mysterium für mich.
Es wurde ungewöhnlich kalt um uns herum, weshalb Cadmiel mir etwas nähergekommen war. Sowas war meistens ein Anzeichen für Dämonen, die sich gerne bei Schulen aufhielten. Kinder waren nämlich leicht zu beeinflussen, auch wenn es manche Erwachsene gab, bei den es ebenso leicht war. Auf den ersten Blick konnte ich jedoch keine sehen, keine bei mir und auch keine im Klassenzimmer meines Schützlings.
Das beunruhigte mich ein wenig, was der Engel wohl bemerkt hatte. „Keine Sorge. Es passiert nichts" versuchte er mich etwas aufzumuntern. Minimal funktionierte es auch. Aber erst als es klingelte und die Kinder ihre Sachen packten, fühlte ich mich etwas sicherer. Nicht wirklich, weil ich Angst hatte, dass mir etwas zustieß, sondern eher hatte ich Sorge um Nathan. Es saß mir immer noch schwer in den Knochen, dass ich ihn nicht beschützen konnte.
Diese Dämonin ging mir auch einfach nicht aus dem Kopf. Ob es meinem Zwilling auch so erging? Dieser Gedanke daran, dass ausgerechnet ein Dämon dafür verantwortlich war, dass Nathan überlebt hatte, war einfach grausam. Ich konnte bis jetzt immer noch nicht ganz verstehen, wieso sie es getan hatte. Leise musste ich seufzen... Eigentlich musste ich ihr danken, schließlich wäre dieser niedlicher Junge von seiner Mutter getrennt gewesen.
Kurz erschauderte ich. Die Schuldgefühle, die ich bekommen hätte, konnte ich mir gar nicht vorstellen. Sie müssten doch unerträglich gewesen sein. Heftig musste ich schlucken und fuhr mir über die Stirn, um keinen weiteren Augenblick meine Zeit damit zu verschwenden. Alles was zählte war, dass das Kind lebte und ich diesmal meinen Job richtig machen konnte.
Theoretisch hatte sie mir eine zweite Chance geschenkt. Wieso sie es getan hatte, wusste ich dennoch nicht. Vielleicht war sie ein netter Dämon? Dann fiel mir aber wieder ein, was sie diesem Mundie antun wollte und verwarf diesen Gedanken wieder. Oder... ehrlich gesagt, wusste ich nicht was ich denken sollte.
„Lyana", „Lyana", konnte ich immer wieder meinen Namen hören, was auch der Grund war, dass ich wieder in die Realität kam. Cadmiel musterte mich ausgiebig, ehe er zum Ausgang des Schulgeländes deutete. Oh nein. Ich hatte es beinahe verpasst, dass Nathan jetzt Schluss hatte und von seiner Mutter abgeholt wurde.
Zügig machte ich mich daran den beiden zu folgen. Fröhlich erzählte mein Schützling Emily wie sein Tag war, was er alles gelernt hatte und dass er sogar eine gute Note in einem Test bekommen hatte. Die Freude des Jungen sorgte dafür, dass meine negativen Gedanken sich auflösten und ein Lächeln auf meinen Lippen zu finden waren. Sie liefen direkt nachhause, da Nathans Schwester, Elise, erkältet war und der Dunkelhaarige sich unbedingt um sie kümmern wollte.
Elian und mir wurde gesagt, dass wir unsere Schützlinge nicht ständig beobachten mussten. Es gab mir zwar ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend, aber Cadmiel versprach mir noch eine Weile zu bleiben. Ich sollte doch vielleicht zu meinem Bruder gehen und ihm Gesellschaft leisten. Der Engel versprach auf Nathan aufzupassen und sollte etwas mit Nathan würde ich es bemerken, dass war etwas was mir Cadmiel noch mit einem Lächeln erzählt hatte. Aber eigentlich wollte ich ihn doch beschützen.
Ich zögerte, flog dann aber meinen Bruder suchen. Ich wusste in welche Schule Lucy ging und war mir sicher, dass sie noch kein Schulschluss hatte. Also würde ich Elian ebenfalls dort antreffen. Wie erwartet hatte ich Recht. Aufmerksam saß mein Zwilling auf der Fensterbank und blickte hinein. Leise schlich ich mich an. Nafriel hatte mich bemerkt, wollte ich etwas sagen, aber bevor Worte über seine Lippen kamen, hielt ich meinen Zeigefinger vor meinen Mund. Das brachte ihn zum Schweigen, stattdessen schüttelte er nur schmunzelnd den Kopf.
„Buh" rief ich lachend und stieß meinen Bruder an. Erschrocken schrie dieser auf, fast wäre er heruntergefallen, aber ich hielt ihn fest. Lachend sah ich ihn an. Seine Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, genauso wie sein Mund leicht geöffnet war. Doch nur wenig später zog er eine Schnute. „Was soll das?" beschwerte er sich eingeschnappt, was mein Lachen nur verstärkte. Auch wenn man ihm ansehen konnte, dass er sich versuchte, zurückzuhalten, konnte er nicht lange standhalten und tat es mir gleich. Selbst Nafriel stieg mit ein.
Schnell hatten wir uns aber wieder beruhigt, weshalb auch gleich die Frage aufkam, was ich denn hier machte. In Kurzform erzählte ich was eben zwischen Cadmiel und mir vorgefallen war. Der Engel, der meinen Bruder begleitete, hatte selbstverständlich mitgehört und war nähergekommen. Auch Nafriel schlug meinem Zwilling vor, dass er eine Weile auf Lucy Acht gab und wir uns etwas die Stadt ansehen konnten.
Es klang verlockend. Schließlich hatten wir noch nicht viel von New York gesehen und ich war gespannt darauf, was es auf der Erde alles so gab. Deshalb waren Elian und ich auch schnell einig, dass wir unsere Schützlinge in die fähigen Hände der Engel gaben. Außerdem hatte es mein Bruderherz geschafft, mich mit seiner optimistischen Art in Sicherheit zu wiegen. Die Dämonin war doch gerade eben erst wieder aus der Menschenwelt verschwunden und so schnell wird bestimmt nicht nochmal etwas passieren.
Immer wieder beindruckend, wie gut Elian meine Besorgnis vernichten konnte. Also machten wir uns auf den Weg, um etwas durch die Straßen zu laufen. Mein Bruder hatte dann auch sofort angefangen von den Stunden zu berichten in denen wir voneinander getrennt waren. Still lauschte ich seinen Worten. Ich konnte es kaum glauben, dass er drei Hexenmeistern begegnet war. Laut Elian waren sie auch sehr nett. Das freute mich. Mit diesem Magnus zusammen gab es also vier freundliche Hexenmeister. Ob alle so nett waren?
Bestimmt lebten auch noch mehr in Alicante, dann mussten diese wahrscheinlich auch genauso lieb wie Magnus sein. Noch mehr überrascht war ich jedoch davon, dass Elian sichtbar für alle durch die Stadt gelaufen war. „Hattest du keine... Angst?" fragte ich deshalb, was er augenblicklich verneinte. „Ich war nur etwas nervös, aber Angst hatte ich keine" erläuterte er stolz und grinste schief.
Eigentlich wollte ich seine Geste mit einem Schmunzeln erwidern, doch ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Es war unangenehm, weshalb ich kurz stehen bleiben mussten. Wie ein ziehen und stechen in meiner Brust. Besser wurde es nicht, sondern schlimmer. Tränen schossen mir in die Augen, als ich plötzlich nur noch an eines denken konnte. Nathan.
Ohne meinen Bruder Beachtung zu schenken, machte ich mich auf dem Weg zur Wohnung meines Schützlings. Doch den kleinen, schwarzhaarigen Jungen konnte ich dort nicht ausfindig machen. Nur seine Familie, die nach ihm suchte und... Cadmiel, der ebenfalls panisch umherflog, um Nathan zu finden. „Lyana!" rief er sofort aufgebracht. „Ich habe nur kurz weggesehen und auf einmal war Nathan nicht mehr da" meinte der Engel. Seine Hände zitterten, meine auch. Der Schmerz in meiner Brust wurde immer schlimmer. Die Tränen nahmen mir die Sicht. Mein Bruder war mir gefolgt, ich konnte seine Nähe spüren.
Wie von allein hatte sich mein Körper in Bewegung gesetzt, gar nicht so weit von meiner jetzigen Position entfernt. Das Bild was sich mir bot, ließ den Schmerz in meiner Brust nur noch stärker werden. Immer mehr Tränen bahnten sich einen Weg meine Wange hinab. Wie konnte... Wie konnte das passieren? Wie eine Puppe wurde der Körper des Jungen in der Luft gehalten. Ich sollte ihn doch beschützen... Ich sollte dieses Kind am Leben halten. Es war meine Aufgabe... gewesen. Ich hatte nämlich versagt.
Das Loch, welches in Nathans Brust klaffte, war blutig und die Dämonen begutachteten den Mundie amüsiert. Einer hielt etwas zwischen seinen Klauen. Ein letztes Mal schlug das Herz meines Schützlings, ehe es nur noch still in der Hand der widerlichen Gestalt lag.
Sie wurden auf mich aufmerksam. Der Mundie wurde achtlos zur Seite geworden und die vier kamen auf mich zu gelaufen. Ich konnte mich nicht bewegen, mein Körper gehorchte mir nicht. Nur meine Tränen liefen ungebremst weiter und der Schmerz in meiner Brust ließ meine Glieder taub werden. Wo war mein Bruder? War er in Sicherheit? Ich möchte nicht, dass er sich mit Dämonen anlegt. Außerdem braucht Lucy ihn noch.
Wird das jetzt mein Ende sein? Eigentlich möchte ich nicht sterben. „Bitte hilf mir" konnte ich noch leise über meine salzigen Lippen bringen. Die grausamen Kreaturen hatten mich erreicht, einer wollte nach mir schlagen. Automatisch hatten meine Augen sich geschlossen und dann... Nichts. Es war nichts geschehen. Ich konnte nichts hören, weshalb ich langsam meine Augen öffnete. Jemand stand vor mir. Ich musste nicht einmal richtig hinschauen und wusste sofort wer es war. Die Dämonin.
Mit einem grinsen drehte sie sich zu mir um. Ihre blauen Augen loderten förmlich vor Wut. „Hm", kam es nur von ihr. „Ich hasse es, wenn man meine Anweisungen missachtet" lächelte sie, während sie sich nach vorne wandte. Daraufhin war sie verschwunden und in nur wenigen Sekunden waren die vier Gestalten in orangene Funken zersprungen.
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Ich muss zugeben fast geweint zu haben, als ich dieses Kapitel geschrieben habe.
Schönen Abend noch.
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