15. Eine Träne
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Lyana pov.
Schwungvoll glitt die Pinselspitze über das robuste, weiße Blatt. Eine feine, braune Linie entstand, ein Ast des Baumes, welchen ich gerade zeichnete. Es war schon eine Weile her seitdem ich das letzte Mal die Motivation gefunden hatte, etwas auf die Leinwand zu pinseln. Das schöne Schauspiel, welches sich meinem Bruder und mir vorhin geboten hatte, war das für verantwortlich, dass ich wieder Lust dazu verspürte etwas zu malen. Auch wenn es nicht die Szene war, die sich beobachten konnte, war ich dennoch voller Elan.
Ob sich Elian ebenfalls dazu entschlossen hatte zu zeichnen wusste ich nicht. Jedenfalls war er direkt in sein Zimmer verschwunden, als wir und von Raziel verabschiedet hatten. Die Worte des Erzengels zauberten mir ein glückliches Lächeln auf die Lippen. Ich hoffte sehr, dass wir bald wieder auf die Erde durften.
An die Dämonin hatte ich gar nicht mehr gedacht, vermutlich auch besser so. Ich wollte ihr nicht mehr begegnen. Die Neugier meines Zwillings hingegen wurde geweckt, als ich ihm erzählt hatte, was die Unbekannte zu mir gesagt hatte. Seufzend musste ich aber auch gestehen doch etwas interessiert zu sein. Was hatte sie nur damit gemeint? Wieso waren Elian und ich faszinierend?
Kurz erschauderte ich. Ein Teil von mir wollte es aber auch gar nicht wissen. Allein der Gedanke an die dunkle Aura, die der Dämon versprühte, ließ einen kalten Schauer meinen Rücken hinunterjagen.
Eilig schüttelte ich den Kopf. „Einfach nicht daran denken, Lyana" sprach ich mir selbst gut zu und befasste mich wieder mit meinem Werk. Nachdenklich betrachtete ich die Striche und setzte direkt gleich noch ein paar. Konzentriert wusch ich die Braune Farbe von den Pinselhaaren und legte ihn zur Seite. Stattdessen schnappte ich mir einen anderen und tauchte ihn in die grüne Farbe.
Doch gerade als ich ansetzten wollte, wurde ruckartig die Tür aufgerissen. Erschrocken zuckte ich zusammen. „Lyaaanaaa" konnte ich die vertraute Stimme des braunhaarigen Erzengels wahrnehmen, Raphael. „Wieso klopfst du nicht an? Ich hätte mich gerade umziehen können" fragte ich ruhig, ehe ich mich zu ihm umdrehte. Daran schien er wohl nicht gedacht zu haben, denn er kratzte sich nur am Hinterkopf und lächelte leicht. „Entschuldigung, kommt nicht wieder vor", mit den Worten schloss er wieder die Tür.
Verwundert blieb ich regungslos stehen und starrte an die Stelle, wo der Ältere gerade noch zu sehen war. Sekunden später klopfte es jedoch und der Engel trat ein, als ich ihn hereinbat. „So gut?" fragte er schmunzelnd, was mich herzlichst zum Lachen brachte. Das war wirklich niedlich.
„Was ma... du Zeichnest" seine Frage wurde durch eine Feststellung ersetzt, als er mich kurz musterte. Ich hatte mir eine Schürze übergezogen, um meine Klamotten nicht schmutzig zu machen. Nickend drehe ich mich wieder nach vorne. Tupfer für Tupfer wurde dem trostlosen geäst des Baumes etwas Leben eingehaucht. Im Augenwinkel konnte ich sehen wie Raphael sich von der Tür entfernte und mir etwas näherkam. Still sah er mir zu.
Es dauerte nicht mehr lange bis das Bild fertig war. Der Erzengel hatte die ganze Zeit über kein Wort gesprochen, war nur den Bewegungen meiner Hände gefolgt. Das er Kunst mochte wusste ich, aber es war irgendwie wundervoll wie begeistert er von etwas sein konnte. Gerade erinnerte er mich an ein Kind, das gerade etwas vollkommen Neues entdeckt hatte.
Ich war schon eine Weile mit dem Bild fertig, der Braunhaarige starrte es aber weiterhin an. Er hatte sich gegen seinen Stab gelehnt und schien Farben in sich aufzusaugen. „Du hast wirklich ein Talent fürs Zeichnen. Das hast du definitiv von deiner Mutt..." er stoppte abrupt als er sich seiner gesprochenen Worte bewusstwurde.
Fest umklammerte ich den Pinsel, den ich wieder in die Hand genommen hatte, um ihn noch einmal ordentlich sauber zu machen. Auch wenn ich mir das schon denken konnte, denn Dad konnte überhaupt nicht malen, war dennoch etwas komisch, das zu hören. Elian konnte auch Zeichnen, das sogar viel besser als ich, was er jedoch immer abstritt. Ungewollt machte sich ein Stechen in meiner Brust breit.
„Lyana. Ich... Es...", "Bitte... Bitte. Wenn du sowieso nichts über sie erzählen kannst, dann erwähne sie bitte nicht. Bitte," ich bekam gar nicht mit, dass es eine Träne geschafft hatte, sich meinen Augen zu lösen und langsam meine Wange hinunterlief. Der Engel schluckte hörbar und nahm vorsichtig eine Hand von seinem Wanderstab. Ganz vorsichtig, fast schon zärtlich, strich er mir die Träne weg. Kurz sah ich auf. Entschuldigend sah er mich an, blickte dann jedoch schnell zur Seite. Den Funken Trauer in seinen Augen konnte er jedoch nicht vor mir verbergen.
Wieder wollte er mit einer Entschuldigung ansetzten, doch ich kam ihm zuvor. „Es ist ok. Es ist ok" lächelte ich ihn leicht an und nahm ihn daraufhin in den Arm. Ob ich es zu ihm sagte oder doch eher zu mir wusste ich selbst nicht genau, vermutlich beides. Wenig später lösten wir uns wieder. „Ich... Ich geh dann mal" murmelte er leise und wandte sich zum Gehen ab. Nur minimal bewegte ich meinen Kopf nach oben und nach unten. Der Braunhaarige bekam dies jedoch gar nicht mit, da er schon aus dem Zimmer verschwunden war.
Tief atmete ich durch, blieb noch eine Weile stehen, ehe ich mein Vorhaben in die tat umsetzte. Nachdem die Pinsel alle sauber und trocken waren, legte ich dorthin, wo ich sie hergeholt hatte. Das Bild legte ich auf meinen Schreibtisch, es musste noch etwas trocknen. Danach verließ ich ebenfalls mein Zimmer. Schnurstracks machte ich mich auf den Weg zu meinem Zwilling. Womit war er beschäftigt?
Zügig klopfte ich an, doch ich bekam keine Antwort, weshalb ich die Tür einfach öffnete. Kein Wunder, dass er nichts sagte. Mein Bruder lag schlafend auf seinem Bett. Neben sich ein Buch mit einem Blatt Papier drauf und ein paar Stifte. Er schien wohl auch gezeichnet zu haben.
Leise lief ich näher auf das Bett zu, um mich wenig später auf die Matratze zu setzten. Wie von selbst wanderte meine Hand zum Blatt, auf dem Elian sein Kunstwerk verewigt hatte. Es war eine Rose, die so detailliert gezeichnet wurde, dass sie wie echt aussah. Immer wieder bemerkenswert. „Schwesterchen" drang die verschlafende Stimme meines Bruders in mein Ohr. Er hatte seine Augen einen Spalt geöffnet und gähnte einmal, bevor er sich aufrichtete. „Alles in Ordnung?" fragte er sofort nach, nur nachdem er mich Sekundenlang angeschaut hatte. „Ja. Alles gut" lächelte ich ihn an.
Skeptisch runzelte er die Stirn. „Wirklich?" hakte er nach und setzte sich in den Schneidersitz. Seine Haare waren etwas zerzaust, deshalb wuschelte ich ihm noch einmal extra durch seine blonden Strähnen. „Jaaaa. Wirklich" grinste ich, da er etwas unverständliches schrie und dann eilig vom Bett aufsprang. „Meine Haare" murrte er beleidigt und schmollte. Lachend sah ich ihn an. „Na warte" rief er und eilte auf mich zu, nur um mir ebenfalls durch die Haare zu fahren. „Eyy" kam es nur empört von mir.
„Ihr scheint euch ja gut zu amüsieren" ertönte die belustigte Stimme von Dad. Hinter ihm tauchten Liora und Michael auf. „Wir müssen mit euch reden" meinte der Miesepeter auch sofort, während er die Tür hinter sich schloss. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Was jetzt? Haben wir was gemacht? Unsicher blockte ich zu meinem Zwilling, der die drei nur neugierig ansah. „Wir haben uns dazu entschieden, dass ihr wieder auf die Erde dürft...," ich wollte schon freudestrahlend losschreien, als ein „Aber" von Vater ertönte. „Ihr werdet erstmal nicht allein sein" meinte Michael und lehnte sich gegen die Tür.
Verwirrt sah ich die drei Engel abwechselnd an. „Euch wird jeweils ein anderer Engel begleiten" erklärte Liora mit einem sanften Lächeln. „Wieso?" wollte Elian sofort wissen. Glaubten sie wir schaffen es nicht, unsere Schützlinge zu beschützen? Naja. Offensichtlich konnte ich es nicht. „Nicht, weil wir euch nicht vertrauen. Zu eurer Sicherheit. Sie werden sich nicht bei eurer Arbeit einmischen. Sie sind nur da...","Falls etwas Schlimmes passieren sollte" beendete Dad den Satz von Liora. Diese nickte zustimmend.
Kurz sahen sich mein Bruder und ich schweigend an. „Können wir dann jetzt sofort los?" wollte Elian aufgeregt wissen. Das brachte zumindest zwei der Engel zum Lachen. „Morgen. Ab Morgen könnt ihr wieder auf die Erde" meinte Michael zum Abschluss und hatte das Zimmer meines Zwillings auch schon wieder verlassen.
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Wow. Noch ein Kapitel :D
Ich hoffe es hat euch gefallen.
Wie wäre ein Kapitel in der Sicht der schwarzhaarige Dämonin? Schreibt mir eure Meinung dazu.
Schönen Abend noch :)
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